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Globalisierung und Global Governance

Geographische Perspektiven

1.8 Globalisierung und Global Governance

Die Regulationstheorien gehen mit dem Modell des postfordistischen flexiblen Akkumulations-regimes bereits auf die zunehmende Internationalisierung der Wirtschafts- und Gesellschafts-strukturen ein. Durch technische Neuentwicklungen, neue internationale Organisationsformen und multilaterale Regelwerke verlieren Distanzen an Bedeutung, so dass immer mehr Ereignisse weltweit gleichzeitig wahrgenommen und mit immer kürzeren Verzögerungen an verschiedenen Orten der Welt wirksam werden können (vgl. MESSNER 1998, S. 31). Die klassischen Entwicklungstheoretiker stehen nun vor dem Problem, dass der Bezugsrahmen ‚Nationalstaat‘

als entscheidender Ansatzpunkt für die Steuerung von Entwicklungsprozessen, die unter dem Schlagwort ‚Globalisierung‘ zusammengefasst werden, nicht mehr ausreicht.

GIDDENS (1994) definiert Globalisierung als ‚Handlung auf Distanz‘ (Action at a Distance).

Konkret wird darunter die wachsende Bedeutung grenzüberschreitender ökonomischer, politi-scher, sozialer und kultureller Aktivitäten verstanden, die über neue internationale Strukturen, Organisationen und Technologien abgewickelt werden. Die wichtigsten sind:

w Neue Märkte - weltweit verbundene Wechselkurs- und Kapitalmärkte, die 24 Stun-den am Tag über weit entfernte Distanzen in Echtzeit arbeiten

w Neue Instrumente - Internet-Verbindungen, Mobiltelefone, Medien-Netzwerke w Neue Akteure - große internationale Organisationen (WTO, IWF, Weltbank, EU,

NAFTA, etc.) mit Autorität über nationale Regierungen, multinationale Unterneh-men (Shell, Exxon, Mitsubishi, Novartis etc.) mit größerer ökonomischer Kraft als viele Staaten, globale Netzwerke von Nichtregierungsorganisationen (Greenpeace, WWF, Friends of the Earth usw.), Medienkonzernen (CNN, BBC etc.) u. a.

w Neue Regeln - multilaterale Abkommen über Handel, Dienstleistungen, intellektuel-le Besitzrechte, mit starken Durchsetzungsmechanismen gegenüber National-regierungen, bei gleichzeitiger Reduzierung des Spielraums nationaler Politik

Quelle: vgl. UNDP, 1999, S. 1, MESSNER 1998, S. 32

Die Neuerungen führen nach MESSNER (1998, S. 32) zu einer zunehmenden Auflösung der Trennungslinien zwischen Innen- und Außenpolitik. Aufgrund ökonomischer Verflechtungen las-sen sich z. B. Wirtschaftskrilas-sen kaum auf ein Land beschränken. Die Verdichtung von Kommu-nikation und Verkehr vernetzt Ökonomien und Gesellschaften immer enger miteinander, nationa-le Gesellschaften, Regionen, Kommunen werden zunehmend durch die Auswirkungen von Ent-scheidungen betroffen, die an weit entfernten Orten gefällt wurden.

Abbildung 3: Handlungsebenen und Akteure auf globaler Ebene

Quelle: MESSNER, 1998, S. 33

Mit der wachsenden Bedeutung internationaler Institutionen verändert sich die Rolle der National-staaten (vgl. Abbildung 3). Die Früherkennung von Problemen, die Erarbeitung von Lösungs-alternativen sowie die Implementierung von Politiken müssen immer häufiger ‚nach oben‘ auf die internationale Ebene an multinationale Organisationen weitergegeben werden. Das Ordnungs-prinzip der nationalen Souveränität weicht so Schritt für Schritt einem System wechselseitiger Abhängigkeiten und Verwundbarkeiten (MESSNER 1998, S. 33).

Die bestehenden politischen Institutionen sind in der Regel für geographisch eingegrenzte Räume auf der entsprechenden lokalen, regionalen und nationalen Ebene zuständig und nicht auf die Behandlung grenzüberschreitender und globaler Probleme vorbereitet. Dieses Machtvakuum machen sich verschiedene Interessengruppen durch eine äußerst einflussreiche Lobbypolitik (vgl.

S. 80) zu Nutze.

Es stellt sich nun die Frage nach gemeinsamen Normen, Werten und Maßstäben auf der Suche nach fairen Problemlösungen auf globaler Ebene, die alle Akteure einbeziehen und anerkennen.

Im Falle von grenzüberschreitenden Problemen wie z. B. die Vernichtung von Wäldern, entste-hen Abstimmungsschwierigkeiten im Hinblick auf die jeweilige Zuständigkeit. Daher sind interna-tionale Konventionen und Regelwerke (Biodiversitäts- oder Waldkonvention) zur Durchführung koordinierter lokaler Maßnahmen (z. B. Wiederaufforstungsprogramme) notwendig. Zudem sind zur Überwachung und Sanktionierung derartiger Regelungen Monitoringsysteme auf den unter-schiedlichen Ebenen und eine internationale Gerichtsbarkeit erforderlich, um globale Krisen zu überwinden.

Vor dem Hintergrund der neuen Erfordernisse durch die Globalisierung stellt MESSNER (1998) die Problemdimensionen innerhalb einer Global Governance-Architektur vor (vgl. Abbildung 4), innerhalb derer auf lokalen und globalen Handlungsebenen Lösungsstrategien für grenzüber-schreitende Probleme entwickelt und - soweit möglich - aufeinander bezogen werden.

In den Regulationstheorien wurde bereits von dem spezifischen Zusammenspiel formeller wie informeller gesellschaftlicher Akteure gesprochen, die als evolutiv entstandene Governance-Struktur bestimmte Entwicklungsstadien aufrechterhalten. Nicht-staatliche Akteure übernehmen Funktio-nen, die bisher dem Staat zugeschrieben werden. In vielen Politikbereichen entwickeln adminis-trative Institutionen mit gesellschaftlichen Gruppen (wie Sozialverbänden, Kammern, Gewerk-schaften, Wissenschaft) gemeinsame Problemlösungsstrategien, um das breitgestreute Wissen über Wirkungszusammenhänge auszunutzen.

Die Begriffe Governance bzw. Global Governance in Kombination mit der normativen Aus-richtung der Good Governance sind inzwischen auch im festen Sprachgebrauch der UN und der Weltbank verankert.

In diesem Sinne zielt die Entwicklungszusammenarbeit immer stärker darauf ab, auf nationaler und internationaler Ebene die Beziehungen staatlicher Institutionen zu anderen Strukturen der

‚Zivilgesellschaft‘ wie Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen usw. so zu verbessern, dass ein sich selbst tragender Entwicklungsprozess in Gang kommt.

Welchen Stellenwert die Governance-Thematik bei den multilateralen Entwicklungsorganisationen inzwischen hat, zeigt die inhaltliche Neuausrichtung des UNDP. Die UN-Generalversammlung hat bereits 1996 mit der Resolution 50/225 „Public administration and development” die Grundlage für die Arbeit der UN-Programme und -Organisationen im öffentlichen Sektor gelegt.

Seit Herbst 1999 liegt ein Arbeitsschwerpunkt in den Bereichen Kapazitätsaufbau, Management-reformen und Good Governance im öffentlichen Sektor, um sicherzustellen, dass künftige Entwicklungsinitiativen auch nachhaltig wirken können.

Das neue Leitbild ist demnach ein auf seine Kernfunktionen beschränkter, entwicklungsorientierter, effizienter und effektiver Staat, der sowohl mit dem privatwirtschaftlichen als auch dem zivilge-sellschaftlichen Sektor interagiert und kooperiert. In dieser Form nimmt der Staat eine steuernde und vermittelnde Funktion zwischen globalen und lokalen Akteuren ein.

MESSNER weist auf weitere Determinanten bezüglich der Abhängigkeiten in netzwerkartigen Verhandlungssystemen (globale Interdependenz) hin. Demnach wird die Global Governance-Architektur durch eine Vielzahl von Akteuren, der Machtverteilung, politischen Interessen-konstellationen, Handlungsorientierungen der Akteure und die Bedeutung von Leitbildern deter-miniert.

Abbildung 4: Problemdimensionen von Global Governance

Quelle: MESSNER 1998, S. 34