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Geographische Perspektiven

2 Der Leitgedanke der nachhaltigen Entwicklung

2.4 Grundzüge nachhaltiger Entwicklungsmodelle

2.5.1 Die Folgen der Globalisierung

Über die Auswirkungen der Globalisierung wird auf internationaler Ebene heftig gestritten.

Befürworter betonen die neuen Möglichkeiten, die sich auch für Entwicklungsländer ergeben, indem sie höheren Handlungsspielraum auf dem Weltmarkt bekommen. Durch verstärkten Han-del werden neue Wachstumsimpulse geschaffen, die letztendlich über Wissenstransfer zu mehr

‚menschlichen Kapital‘ führen, um so endogene Entwicklungsprozesse einzuleiten. So würden höhere Lebensstandards geschaffen und der Wohlstand gerechter verteilt.

In der Tat scheinen dies die Beispiele der ostasiatischen Tigerstaaten sowie Chile, die Dominika-nische Republik, Indien, Mauritius, die Türkei und viele andere zu bestätigen, die über erleichter-te Bedingungen für Auslandsinvestitionen Vorerleichter-teile für ihren erleichter-technischen Fortschritt erlangerleichter-ten und so höhere Exportraten erreichten. In einem Report der KEARNEY vom April 2000 heißt es, dass Länder, die sich der Globalisierung öffnen, erhebliche Verbesserungen in sozialen Fragen aufzuweisen haben. Im angegebenen Untersuchungszeitraum von 1978-1997 wurden demnach die politischen und zivilen Freiheiten ausgedehnt, die Bildungsausgaben erhöht, Gesundheits-, Wohnungs-, soziale Absicherungs- und andere soziale Programme eingeführt. Maßnahmen von menschlicher Entwicklung, wie z. B. Verbesserungen im sanitären Bereich, wurden intensiviert und so eine höhere Lebenserwartung erreicht.

Die Aussagen beruhen auf einer Untersuchung von 34 Ländern auf den Stand und die Auswir-kungen der Globalisierung anhand von bestimmten Wirtschafts- und Sozialindikatoren (Brutto-inlandsprodukt, Bruttosozialprodukt, Daten zu Finanztransaktionen, Einkommensverteilung, dem World Development Index der Weltbank usw. (KEARNEY (2000, S. 18 f). Die Länder wurden nach ihrem Globalisierungstempo in sechs Gruppen unterteilt (vgl. Abbildung 9).

Abbildung 9: Globalisierung verschiedener Länder

Quelle: KEARNY 2000, S. 4.

Anzumerken ist, dass die Aussagen des Berichts auf der Auswertung von statistischen Indizes mit wenig qualitativem Gehalt beruhen (z. B. die Armutslinie nach der Weltbank von 1 US$

Dollar/Tag, ). MIKUS (1994, S. 11) weist in diesem Zusammenhang auf die relative Armut hin, die von Gesellschaft zu Gesellschaft verschieden sein kann. Zudem geht KEARNEY (2000) nicht auf die tatsächlichen Nutznießer staatlicher Ausgaben ein. Bei einer Untersuchung der Ver-teilung der Ausgaben im Gesundheitswesen Brasiliens stellte sich heraus, dass mehr als 50% von den 20% der wohlhabenden Bevölkerungsschichten in privaten und öffentlichen Krankenhäu-sern mit öffentlichen Mitteln behandelt werden, während nur 3,5% der 20% der ärmsten Ein-kommensschichten Dienstleistungen von diesen Einrichtungen erhalten. Aus der Arbeitslosen-versicherung gehen 2,4 % der Leistungen an die untersten 20%, dagegen 65,1 % an die oberen 20% der Einkommensskala. Auch im Bildungssektor sind erhebliche Verzerrungen der Aus-gabenverteilung festzustellen (vgl. ROSSI, C. 2000, S. 11).

Die überwiegend positiven Ergebnisse werden von KEARNEY (2000) im Hinblick auf die „ag-gressiven“ Globalisierer relativiert, da sich trotz einer Anhebung der Einkommen bis in die un-tersten Schichten die Ungleichgewichte verschärfen und die Korruption sowie die Luftverschmut-zung zugenommen haben. Darüber hinaus ist die medizinische Grundversorgung, insbesondere bei der Kinderfürsorge, weniger effektiv als in anderen Ländern.

Der „Human Development Report 1999“ (UNDP 1999) betont die negativen Auswirkungen der Globalisierung. Staaten wie Madagaskar, Niger, die Russische Föderation, Tadschikistan und Venezuela, die nicht im KEARNEY-Report aufgeführt sind, obwohl sie stark in den Welt-markt integriert sind, werden als Verlierer der Globalisierung genannt. Die Länder südlich der Sahara haben z. B. einen Exportanteil von über 30%, die OECD-Länder dagegen nur 19%.

Insbesondere werden Turbulenzen auf den zunehmend von internationalen Kapitalflüssen beeinflussten Finanzmärkten zum Risiko. So hatten die Schwankungen in den Jahren 1997-1999 (also erst nach den im KEARNEY-Bericht angegebenen Untersuchungszeitraum), unabhängig von ihrem aktiven Globalisierungsgrad, erheblichen Einfluss auf Indonesien, die Republik Korea, Malaysia, die Philippinen und Thailand. In der Regel sind die sozialen Auswirkungen ernst und die Wiederherstellung der vorherigen Standards dauern länger, als die ökonomische Erholung.

So verloren in Indonesien von heute auf morgen 13 Millionen Menschen ihre Arbeit, die Preise stiegen rapide an und die Reallöhne fielen bis zu 40%. Ein Rückblick auf Finanzkrisen in 80 Ländern in den letzten Jahrzehnten zeigt, dass die Reallohnangleichung im Durchschnitt drei Jah-re, das Anwachsen des Arbeitsmarktes auf das vorherige Niveau oft mehrere Jahre länger dau-ern kann (vgl. UNDP 1999, S. 3-4).

Das jüngste Beispiel für die Risiken der Globalisierung ist Argentinien, das zu Beginn des Jahres 2002 über eine verfehlte Finanzpolitik und Marktöffnungsstrategien im internationalen Rahmen in eine tiefe wirtschaftliche und politische Krise stürzte. Die sozialen Folgen sind gravierend. Zum Zeitpunkt der Ausarbeitung dieser Arbeit entstanden in enormem Tempo Elendsviertel an der brasilianischen Grenze und der Ausbruch einer Hungersnot stand bevor - Phänomene, die Argentinien als lange gefeiertes Musterbeispiel für die Globalisierung (vgl. Abbildung 9) seit Jahr-zehnten nicht mehr kannte. Globalisierungsbefürworter befürchten nun neben der Ausweitung der Krise auf andere Länder Lateinamerikas auch einen politischen und ideologischen Wandel gegen Marktöffnungsstrategien28.

Der Human Development Report nennt folgende Risiken der Globalisierung (1999 S. 3-5) : w Unsicherheit von Arbeit und Einkommen: in armen und in reichen Ländern

ent-stehen durch die ökonomische und unternehmerische Umstrukturierung und den Abbau von sozialen Absicherungssystemen Massenentlassungen und Einkommens-unsicherheit. Unter dem Druck der globalen Konkurrenz werden flexiblere Arbeits-verträge mit unsicheren Arbeitsbedingungen abgeschlossen (z. B in Frankreich, Deutschland und den Vereinigten Staaten). Wirtschaftliches Wachstum hat die Ar-beitslosigkeit in Europa nicht reduzieren können (11% über ein Jahrzehnt, 35 Milli-onen in absoluten Zahlen). In Lateinamerika wurden neue Arbeitsplätze geschaffen, 85 % davon im informellen Sektor.

28 (Folha de São Paulo, 05.02.2002: Brasil pede socorro para evitar contágio. S. B3)

w Kulturelle Unsicherheit: Es gibt einen Fluss von kulturellen Werten der Reichen zu den Armen, aber nicht umgekehrt. Entertainment, d. h. die Filmindustrie Holly-woods, ist mit 30 Milliarden Umsatz im Jahr der größte Zweig der Exportindustrie, vor Autos und Flugzeugen. Über die globalen Fernseh-Netzwerke werden Marken wie Nike und Sony zu neuen Sozialstandards von Delhi, Warschau und Rio de Janeiro. Dies führt zum Verlust der kulturellen Vielfalt und der Identität.

w Gesundheitliche Unsicherheit: wachsende Reise- und Migrationstätigkeit führt zur Ausbreitung von Krankheiten wie AIDS

w Persönliche Unsicherheit: deregulierte Kapitalmärkte, Fortschritte der Informa-tionstechnologie und billigere Transportmöglichkeiten erleichtern nicht nur den Aus-tausch von medizinischem Wissen, Büchern und Saatgut, sondern auch den Dro-gen-, Waffen- und Frauenhandel.

w Umweltunsicherheit: Umweltzerstörung untergräbt die Lebensgrundlage von min-destens einer halben Milliarde Menschen. Die Exportmärkte für Fisch, Shrimps, Papier u. a. führen zum Verlust von natürlichen Vorräten, Biodiversität und Wäl-dern. Die Kosten müssen die Armen tragen, die Vorzüge bekommen die Reichen.

w Politische und gesellschaftliche Unsicherheit: von 61 bewaffneten Konflikten waren drei zwischenstaatlich, der Rest Bürgerkriege durch soziale Spannungen, ge-fördert durch den globalen Waffenhandel. Die Grenzen zwischen politischen und geschäftlichen Interessen verschwimmen. Im Machtvakuum nach dem kalten Krieg suchen militärische Unternehmen und Söldnerarmeen neue Betätigungsfelder bei Regierungen und Unternehmen - diese nur dem Geldgeber verpflichteten militäri-schen Dienste stellen eine ernste Gefahr der menschlichen Sicherheit dar.

Vor diesem Hintergrund fordert die UNDP eine Globalisierung mit:

w Ethik - weniger Verletzung der Menschenrechte, nicht mehr

w Gerechtigkeit - weniger Disparität zwischen den Nationen, nicht mehr

w Einbeziehung - weniger Marginalisierung von Menschen und Ländern, nicht mehr.

w Sicherheit - weniger Instabilität für Gesellschaften und weniger Verwundbarkeit von Menschen, nicht mehr.

w Nachhaltigkeit - weniger Umweltzerstörung, nicht mehr w Entwicklung - weniger Armut und Raub, nicht mehr.

(vgl. UNDP 1999, S. 2, eigene Übersetzung)

Globalisierungsprozesse verlaufen demnach häufig konträr zu den Erfordernissen einer ökolo-gisch und sozial nachhaltigen Entwicklung und beeinflussen verstärkt den Follow-up-Prozess von UNCED ‘92.