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Precious Woods Amazon und GETHAL

5 Geographische Aktionssysteme in Amazonien

5.2 Entwaldung in Amazonien

Die großflächige Entwaldung Amazoniens setzte nach dem II. Weltkrieg, insbesondere in den 70er Jahren, ein. Zwischen 1978-1988 ging die Waldfläche durchschnittlich um 21 130 km2 pro Jahr zurück (inklusive der Überflutungen durch große Staudammprojekte). In den folgenden Jahren sanken die Werte zunächst auf 17 000 -18 000 km2 herab. Im Jahr 1994/95 wurde nach Satellitenbildauswertungen der INPE die bisherige Rekordhöhe von 29 059 km2 erreicht. Da-nach sanken die Werte wieder auf ca. 17 000 km2 herab, was die brasilianische Regierung als Erfolg bei der Fiskalisierung und ihrer Politik zur Brandbekämpfung feierte. Seit 1999 liegen die Raten aber wieder bei ca. 20 000 km2. Insgesamt hat sich die Waldfläche um ca. 14,3 % bzw.

589 300 km2 (2000) verringert, was etwa der Größe von Frankreich entspricht.

Tabelle 8: Rückgang der Waldfläche in Amazonien legal von 1978-1998

Quelle: INPE 1999: Monitoramento da Floresta Amazônica Brasileira por Satélite 1998-1999. zit n.

ALMANAQUE BRASIL 2001, S. 165.

Anmerkung: im Rekordjahr 1994-1995 betrug die Entwaldungsrate 29 050 km2, das vorläufige Ergebnis für das Jahr 1999-2000 beträgt 19 832 km2 (Folha de São Paulo, 15.05.2001 S. A 14)

Über die Satellitenbildauswertung können jedoch nur vollständig entwaldete Flächen erfasst wer-den. Daher erhöhen sich nach Angaben des Instituts für Umweltforschung von Amazoniens (Instituto de Pesquisas Ambientais da Amazônia IPAM) und des Forschungszentrums Woods Hole (USA) von 1999 die Zahlen um 10 000 bis 15 000 km2 pro Jahr, wenn die Brände im Unterwuchs sowie die selektive Holzausbeute mit eingerechnet werden.

Als Ursache der Waldvernichtung spielen in der öffentlichen Diskussion landwirtschaftliche Ak-tivitäten die wichtigste Rolle. Jährlich werden 15% der durch Holzfirmen ausgebeuteten Gebiete für den Ackerbau und die Viehzucht umgewandelt. 70% der von 1991- 1996 entwaldeten Area-le befinden sich entlang von Straßen (ALMANAQUE BRASIL 2001, S. 164-165).

Die brasilianische Umweltbehörde IBAMA erklärte 1998, dass hauptsächlich die Kleinbauern und Landlose für die Entwaldung verantwortlich seien. Wirksame Maßnahmen der Brandbe-kämpfung gingen oft mit der Verschärfung der Armut einher, was das politische Handeln er-schwere (vgl. TRAUMANN, 1998). FEARNSIDE (1999a) verweist dagegen auf makro-ökonomische Verhältnisse und Statistiken über die Betriebsgrößenverteilung und Waldvernichtungs-raten in bestimmten Regionen, die dafür sprechen, dass es die großen Agrarbetriebe sind, die den Hauptanteil an der Vernichtung tragen.59

Die Analyse der Betriebsgrößen allein ist jedoch unzureichend, um die Komplexität der Wald-zerstörung zu beurteilen. Die jeweiligen Methoden der Landnutzung haben unterschiedliche Aus-wirkungen auf den Waldbestand. IPAM/ISA (2000, S. 6 ff) heben diesbezüglich drei Problem-kreise hervor, die sich wechselseitig verstärken.

1. Unangepasste Landnutzungstechniken: Die Viehzuchtbetriebe und die zugewander-ten Subsiszugewander-tenzbauern benutzen Feuer als Technik der Landbearbeitung. Oftmals greift das Feuer unbeabsichtigt in andere Nutzungen über, wie z. B. in Agroforst-systeme, die Investitionen in Form von Arbeit und Kapital verlangen. Das erhöhte Risiko führt zur Demotivation bezüglich der Anwendung dieser Methoden; extensi-ve Nutzungen bleiben dauerhaft erhalten.

59 Einmal spricht dafür, dass die Höhe der Entwaldungsraten mit makroökonomischen Schwankungen und dem damit verbundenen Investitionsverhalten finanzstarker Akteure korrelieren. Während der ökonomi-schen Rezession von 1987 bis 1991 sanken die Entwaldungsraten. Mit der Einführung des Plano Real 1994, einem ökonomischen Reformpaket, das auch Investitionen in die Viehaufzucht begünstigte, stiegen 1995 die Entwaldungsraten stark an. Zweitens traten die höchsten Entwaldungsraten in Staaten auf, in denen mittlere bis große Farmer dominieren. Von den neun Staaten Amazoniens trug alleine Mato Grosso mit über 26% im Jahr 1991 zur Entwaldung bei. In diesem Staat waren damals 84% des privaten Landbesitzes in der Hand von Betrieben mit über 1000 ha Größe. Rondônia dagegen, berühmt für die Aktivitäten von Kleinbauern, trug nur mit ca. 10% zur Waldvernichtung bei, Acre sogar nur mit 3%. Insgesamt können 30% der Entwaldungen Betrieben von unter 100 ha Größe zugeordnet werden, während der Anteil von mittleren und großen Betrie-ben ca. 70% beträgt (vgl. FEARNSIDE 1999, S. 635). Drittens waren nach AngaBetrie-ben der INPE 1995 nur 21% und 1996 18% der Entwaldungen Betrieben von unter 15 ha zuzuschreiben. Zuletzt zeigt eine Besitzgrößenstudie in 202 Betrieben mit verschiedenen Größen in fünf Subregionen Brasiliens, dass 1994-1995 nur ca. 25% der Entwaldungsraten auf Betriebsgrößen unter 100 ha zuzuordnen waren.

2. Selektive Holzausbeute, Dürren und Waldbrände: Die durch Infrastrukturmaßnahmen begünstigten Holzfirmen degradieren Wälder erheblich. Durch ungeregelten Wege-bau und Holzausbeute wird das Kronendach ausgelichtet, Licht dringt ein und der Boden und im Wald verbleibende Abfälle wie z. B.. Äste trocknen aus und erhöhen die Entflammbarkeit der Wälder. Verstärkt wird dies durch Dürreperioden, z. B.

während des Auftretens des El Niño-Phänomens (vgl. S. 155). In den Jahren zwi-schen 1997 und 1998 sank der Grundwasserspiegel in der Hälfte der Wälder Ama-zoniens (1 550 000 km2) bis zu 10 m. Unbeabsichtigte Feuer als Folge der Erschlie-ßungs- und Siedlungsentwicklung können so verheerende Folgen haben. Einmal durch Feuer geschädigte Wälder entzünden sich leicht wieder, da bis zu 40% der Bäume absterben. Auf lange Sicht entstehen durch Sukzession Graslandschaften, die wiederum leicht entflammbar sind.

3. Regionale Klimaveränderung: Mit dem Verlust von Waldflächen ändert sich der Kreislauf der Evapotranspiration in den degradierten Gebieten. Der tägliche Rhyth-mus von Niederschlägen über der geschlossenen Walddecke, die über die Pflanzen wieder in die Atmosphäre zurückgeführt wurden, bleibt aus. Zudem verringert sich die Absorption der Sonneneinstrahlung. Durch den Rauch kommt es zu einer über-mäßigen Belastung der Luft mit Kondensationskernen, so dass nicht genug Wasser in der Atmosphäre vorhanden ist, um eine Tropfengröße zu erreichen, die zum Ab-regnen führt. Die daraus resultierende Smogbildung ist bisweilen weitaus stärker, als in der Millionenmetropole São Paulo.

Vor diesem Hintergrund mahnen die Autoren im Hinblick auf die neuen Erschließungsvorhaben für Amazonien im Rahmen des Programms Avança Brasil (dt. Vorwärts Brasilien) vor der Wie-derholung von Fehlern in vergangenen Zeiten. Gemeint sind die großen Erschließungsprogramme der Militärregierungen von den 60er bis zu den 80er Jahren, die die „ungeordnete Inbesitznahme Amazoniens“ durch Straßenbau-, Industrieansiedlungs- und Umsiedlungsprojekte auslösten (MAGALHAES 1990) .

Die Folgen dieser Projekte resultierten neben der geschilderten Dynamik der Waldvernichtung in komplizierten sozialen Konflikten um die Raumnutzung, die in den nachfolgenden Abschnitten eingehend besprochen werden. Es waren letztendlich die vielfältigen Probleme Amazoniens, die Ende der 80er Jahre als internationales Beispiel für eine nicht nachhaltige Entwicklung ange-führt wurden. Zu Beginn der 90er Jahre hat nun sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene die Suche nach nachhaltigen Alternativen begonnen, die allerdings noch nicht in einer kohärenten Entwicklungsstrategie für die Region resultierten.

Im Hinblick auf Avança Brasil befürchten LAURANCE et al. (2001) eine neuerliche Stimulie-rung der in der Vergangenheit „entfesselten Kräfte“ in Amazonien. Mit den neuen Projekten werden Zuwanderung, industrieller Holzeinschlag, Bergbauprojekte und Waldbrände nun auch

in das innere Amazoniens hineingetragen. Nach einem pessimistischen Szenario würden bei der Verwirklichung des Programms bis zum Jahr 2020 nur noch 5 % der Waldfläche unberührt bleiben und ca. 42% völlig degradiert werden. In einem zweiten Szenario, dass eine sorgfältige Analyse der Umweltauswirkungen bei der Umsetzung der neuen Infrastrukturprojekte vorraus-setzt, gehen die Autoren immer noch von der Veränderung von über der Hälfte der Waldfläche und einer vollständigen Entwaldung von 30% aus.

Die Wurzeln der hier kurz geschilderten Entwicklungen der letzten 40 Jahre liegen in früheren historischen Ereignissen. Im Prinzip handelt es sich bei der Erschließung Amazoniens nicht um ein junges Phänomen, sondern um die Fortsetzung von wirtschaftlichen Erschließungswellen bzw.

Zyklen, die schon mit dem Beginn der Kolonisierung einsetzten. Große Entwaldungen fanden bereits vorher in den südlichen Landesteilen Brasiliens statt, wie aus folgender Übersicht zu entnehmen ist. Zu nennen sind hier der Brasilholz-, der Zucker- sowie der Kaffeezyklus und letztendlich die heutigen Aktivitäten im Amazonas durch Landwirtschaft (Viehzucht, Soja) und die Holzexploration (Vgl. Abbildung 22).

Abbildung 22: Entwaldung in Brasilien im Verhältnis zu ökonomischen Zyklen

Wie oben erwähnt, reichen Zahlenkorrelationen dieser Art allerdings nicht aus, um die Dynamik der Waldzerstörung und die vielfältigen sozioökonomischen Prozesse, die sich im Laufe der Wirtschaftszyklen abspielten, insgesamt zu verstehen. Daher soll nun die historische Genese der wichtigsten Gesellschaftsformen Amazoniens und ihre räumlichen Auswirkungen (Aktionssysteme) in ihren Grundzügen beschrieben und systematisiert werden.

Quelle: ALMANAQUE ABRIL 2001 (S. 164), übersetzt und verändert 2002.