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Globalisierung als Herausforderung einer nachhaltigen Entwicklung

2 Soziale Verantwortung und Nachhaltigkeit

2.3 Globalisierung als Herausforderung einer nachhaltigen Entwicklung

Globalisierung hat viele Facetten: Man kann damit grenzenlosen Handel, verbesserte Absatz- und Wettbewerbschancen und damit auch mehr Wohlstand assoziieren, aber auch den Verlust nationaler Identität und Kultur.

Für uns ist es heute selbstverständlich, dass dieselben Güter auf der ganzen Welt verfügbar sind: Wir lassen uns mit einem Mobiltelefon eines US-amerikanischen Herstellers, das in China zusammengebaut wurde, wecken. Anschließend rasieren wir uns mit einem Gerät aus den Niederlanden, heizen mit russischem Erdgas, essen deutsche Brötchen zum Frühstück mit Butter aus Dänemark, fahren dann mit einem japanischen Auto zur Arbeit, telefonieren dort mit Kollegen in Afrika und essen abends argentinisches Rindfleisch in einem portugiesischen Restaurant, um schließlich in Bettwäsche aus Bangladesch einzuschlafen …

Es kann daher festgestellt werden, dass Globalisierung unser Leben erreicht hat, ja in weiten Teilen sogar bestimmt. Wir können uns nicht (mehr) entscheiden, ob wir diese wollen oder nicht. „Globalisation must now be regarded as a fact.” (Homann 2007, S. 3)

Globalisierung wird definiert als „ein Prozess des Bedeutungsschwunds nationaler Grenzen [...], der mit einem Bedeutungsgewinn für globale Bezugspunkte einhergeht" (Scherrer und Kunze 2011, S. 12). Eine andere Definition verweist stärker auf die Einwirkungsbereiche der Globalisierung: Es „entsteht eine globale Verflechtung in Bereichen wie Wirtschaft, Politik, Kultur und Umwelt“ (Fuchs 2016b).

Als Indikator für die fortschreitende Globalisierung ist in Abbildung 8 der grenzüberschreitende Welthandel zwischen 1960 und 2012 dargestellt. Er stieg in dieser Zeit auf das 16,9-fache des Ausgangswertes (überproportional zur Warenproduktion, die „nur“ auf das 5,6-fache wuchs):

Abbildung 7: Entwicklung Produktion und internationaler Warenhandel 1960-2012 (BpB 2016)

Hinzu kommt eine deutlich gestiegene Mobilität: Im den letzten Jahren ist z.B. der weltweite Flug-Passagierverkehr stark gewachsen – bis 2030 wird allein in Deutschland mit 175 Mio.

Fluggästen ggü. 105 Mio. in 2014 gerechnet, das entspricht ca. 66% Wachstum in 15 Jahren (DLR 2015). Gleichzeitig sind die Preise für Transporte deutlich gesunken: Wie aus Abbildung 8 hervorgeht, haben sich die Kosten für Lufttransporte beginnend vom 1930er Niveau innerhalb von 70 Jahren auf 11,8%, die für Seetransporte auf 35,0% ermäßigt:

Abbildung 8: Transport- und Kommunikationskosten 1930-2005 (BpB 2016)

Noch drastischer gestalten sich die Verhältnisse bei der Telekommunikation: Für ein drei-minütiges Telefonat von New York nach London fielen 2005 noch 0,06% der Kosten von 1930 an (BpB 2016). Das Internet ermöglicht heutzutage nahezu kostenlose Kommunikation weltweit, und das ohne Zeitverzögerung (Verwendung von E-Mails statt Briefen).

Durch die aufgezeigten Effekte der Globalisierung ist unsere Gesellschaft um ein Vielfaches schneller und handlungsfähiger, aber zugleich auch verwundbarer geworden. Informationen, aber auch Computerviren verbreiten sich in Sekundenschnelle um die ganze Welt, Krankheiten können sich innerhalb weniger Stunden von einem Kontinent auf den anderen übertragen, organisierte Kriminalität kennt ebenfalls keine Grenzen mehr.

Die Frage nach dem, was unsere Gesellschaft zusammenhält, ist seit dem Siegeszug der Globalisierung daher aktueller denn je (vgl. Lütge 2016b, S. 127). Unsere Gesellschaft benötigt ein zuverlässiges und allgemein gültiges Regelsystem, da nationale Gesetze an der jeweiligen Landesgrenze enden. Die damit erforderlich werdende Entwicklung einer „Weltordnung" ist jedoch von der Dynamik der Globalisierung genauso überholt worden, wie die Ethik selbst (siehe Kapitel 2.2.2).

Um zumindest im Wirtschaftsverkehr auf verlässliche Standards zurückgreifen zu können, bedarf es neben Vorschlägen internationaler Organisationen und aufwändiger, nachträglicher Einbindung in nationales Recht (wie beispielsweise bei den internationalen Rechnungs-legungsvorschriften nach IFRS, vgl. z.B. Janssen 2009, S. 46) auch der Selbstverpflichtung einzelner Branchen und Industrien. Eine solche Selbstverpflichtung stellt beispielsweise der Global Compact der Vereinten Nationen dar, der im Folgenden kurz vorgestellt wird:

Global Compact

Die Initiative der Vereinten Nationen geht auf ein Angebot des damaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan aus 1999 zurück (Annan 1999). Auslöser waren zahlreiche Unternehmensskandale (u.a. Bilanzmanipulationen bei der Firma Enron), denen mit stärkerem, freiwilligem Engagement für verantwortungsbewusste Unternehmensführung begegnet werden sollte.

„Der United Nations Global Compact ist die weltweit größte und wichtigste Initiative für verantwortungsvolle Unternehmensführung. Auf der Grundlage seiner 10 universellen Prinzipien verfolgt er die Vision einer inklusiven und nachhaltigen Weltwirtschaft zum Nutzen aller Menschen, Gemeinschaften und Märkte, heute und in Zukunft.“ (DGCN 2016b) Die 10 Prinzipien beinhalten u.a. den Schutz der Menschenrechte, die Ächtung von Kinder- und Zwangsarbeit, Versammlungsfreiheit von Arbeitnehmern, den Schutz der Umwelt und die Beseitigung von Diskriminierung und Korruption (DGCN 2016a).

Derzeit haben sich über 12.000 Unternehmen aus 170 Ländern im Global Compact engagiert. Sie repräsentieren Entwicklungs- und Industrieländer, jede Unternehmensgröße und nahezu jede Branche. Unter dem Slogan „Making Global Goals Local Business” (UN Global Compact 2016) setzen sich die Mitglieder für eine nachhaltige Umsetzung der

„Sustainable Development Goals“ ein. (vgl. ebd.)

Die Initiative ist kein zertifizierbarer Standard oder Regulierungsinstrument, sondern ein

„Forum, um Veränderungsprozesse anzustoßen und Ideen zu teilen“ (DGCN 2016b).

Ob sich eine Mitarbeit im „Global Compact“ für Unternehmen lohnt, wurde u.a. in einer Studie von Ortas et al. 2015 anhand von 396 Großunternehmen in Frankreich, Spanien und Japan (davon je 198 Teilnehmer am Global Compact und 198 Nicht-Teilnehmer) quantitativ untersucht: Es erfolgte anhand der ASSET4 Database von ThomsonReuters, die systematisch Environmental, Social und Governance („ESG“)-Daten beinhaltet, eine Gegenüberstellung der finanzwirtschaftlichen Leistung der jeweiligen Unternehmen.

Im Ergebnis konnte festgestellt werden, dass diejenigen Unternehmen, die sich im Global Compact engagieren, „a significant and positive relationship between their Environmental, Social and Governance performance and their Corporate Financial Performance” aufweisen (Ortas et al. 2015, S. 1951). Damit „lohnt“ sich das Engagement der Beteiligten zumindest langfristig auch finanziell.

Das Projekt bringt also „langfristig dem Handelnden individuelle Vorteile“ (Homann 2014, S.

251), was den Erfolg des „Global Compact“ auch aus ordnungsethischer Sicht begründet.

Anders ausgedrückt: „Durch individuelle Selbstbindung an moralische Standards und Profile empfehlen [… sich die beteiligten Unternehmen] den Partnern, Mitarbeitern und der Öffentlichkeit als attraktive Kooperationspartner.“ (Homann und Lütge 2005, S. 114)

Neben den dargestellten Auswirkungen auf das Wirtschaftssystem hat die Globalisierung auch vielfältige Folgen für das soziale Gefüge der Gesellschaft. Einerseits entstehen zunehmend persönliche Freiräume, zum Beispiel hinsichtlich der Wahl des Wohn- und Arbeitsortes und der Gestaltung des eigenen Lebens, andererseits engt sich die Vielfalt der Kulturen ein.

Gerade unter jungen Menschen etablieren sich „englischsprechende Weltbürger“ mit ähnlichem Mode- Musik-, Kommunikations- und Werteverhalten. Die rasante Zunahme der Bevölkerung und des Lebensstandards in den Schwellenländern, insbesondere in Asien, verleiht diesem Prozess weitere Dynamik. So haben beispielsweise die Passagierzahlen im Luftverkehr in Asien 2014 die in Amerika überholt (DLR 2015).

Durch zunehmende Anonymisierung und Verstädterung verlieren jedoch auch ehemals stabile soziale Gefüge wie die Großfamilie oder die Dorfgemeinschaft an Einfluss, bisher zuverlässig funktionierende Wertesysteme sind nur noch als Randerscheinung existent.

Exkurs: Witness-System in Ghana

Ghana, ehemals britische Kolonie in Westafrika („Goldküste“), ist heute ein demokratisches Land. Neben den demokratisch gewählten Repräsentanten existiert in Ghana nach wie vor ein historisch gewachsenes Stammessystem, dessen Oberhäupter (Chiefs) unterschiedlich große Bereiche (von einem einzelnen Dorf bis hin zum Königreich der Ashanti) regieren. Die Kultur ist - wie in Afrika oft anzutreffen - stark oral geprägt (Goethe-Institut 2016).

Daran hat die Kolonialzeit der Briten wenig geändert. Bis heute ist es daher üblich, auch wichtige Verträge (zum Beispiel Mietverträge) mündlich abzuschließen. Zur gegenseitigen Bindung bringt jede Vertragspartei zum Vertragsabschluss einen in der Gemeinschaft geschätzten Vertreter mit, der als Zeuge (Witness) fungiert. Auch in dem Bewusstsein, den jeweiligen Zeugen nicht in seinem Ansehen und seiner Ehre zu verletzen, werden beide Vertragsparteien alles daran setzen, die Vereinbarung zu erfüllen.

Kommt es dennoch zu Unregelmäßigkeiten, werden Probleme nicht direkt zwischen den Vertragsparteien, sondern über die Zeugen geklärt. Das führt auch dazu, dass keiner der Vertragspartner in direkter Konfrontation sein Gesicht verliert, sondern nach Rücksprache mit seinem Zeugen die Möglichkeit hat, sein Verhalten „von sich aus“ zu ändern.

Auch im Geschäftsleben hat diese Praxis bis heute große Bedeutung – eine Unterschrift zählt meist weniger als das vor angesehenen Zeugen gesprochene Wort.

In dem Maße, wie die Bedeutung der bisherigen Wertesysteme abnimmt, muss gleichzeitig ein anderweitiger Schutz der Gemeinschaftsgüter sichergestellt werden – dies gilt z.B. für die Privatsphäre des Einzelnen, aber auch für Menschenrechte wie persönliche Freiheit, Umwelt-

und Klimaschutz etc. (vgl. Homann 2014, S. 256). Zudem muss vor dem Hintergrund der weltweiten Bevölkerungszunahme und der sich (richtigerweise) verbessernden Lebens-bedingungen in Schwellen- und Entwicklungsländern das für unsere Wirtschaftsordnung wichtige Wachstum vom Ressourcenverbrauch entkoppelt werden, um eine nachhaltige Zukunft für folgende Generationen zu ermöglichen (vgl. z.B. UNEP 2011).

Bei all den positiven und negativen Auswirkungen der Globalisierung kommt es also darauf an, die sich bietenden (wirtschaftlichen und persönlichen) Chancen zu nutzen, gleichzeitig aber auch die Risiken im Blick zu behalten, damit die bereits eingetretene Globalisierung der Menschheit (und zwar der gesamten Menschheit) optimal nutzt. Hierbei sind Industrieländer genauso einzubeziehen wie Entwicklungsländer. Eine Bekämpfung der Globalisierung hingegen verschenkt auch deren Chancen und käme der „Maschinenstürmer“-Bewegung in England Anfang des 19. Jahrhunderts gleich.

Aufgrund der mit der Globalisierung einhergehenden Abhängigkeiten im Waren-, Dienst-leistungs- und Finanzsektor erfordert eine Beurteilung der Situation von Nachhaltigkeit und sozialer Verantwortung gerade im hier untersuchten Bankensektor eine globale Betrachtung.

Zuvor wird es jedoch erforderlich, in Kapitel 3 theoretische Modelle zu unternehmerischer Nachhaltigkeit und deren Anwendung auf den Bankensektor einzuführen und den Unter-suchungsgegenstand näher zu beschreiben.