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Gestalt und Umfang der Bibliotheca Boineburgica

II JOHANN CHRISTIAN VON BOINEBURG UND SEINE BIBLIO- BIBLIO-THEK IN DER RESPUBLICA LITERARIA

II.1 Die Bibliotheca Boineburgica im Wertgebäude des Polyhistorismus

II.1.3 Gestalt und Umfang der Bibliotheca Boineburgica

Nur in wenigen Büchern seiner Sammlung hatte Boineburg seinen Namen oder Initialen, einen Vermerk über den Kauf mit Orts- oder Datumsangabe, über eine Schenkung oder über die Herkunft des Bandes eingetragen. Zur Biographie Boineburgs bieten die Bücher in ihren handschriftlichen Zusätzen deshalb nur selten konkrete Hinweise, die über die aus dem Briefwechsel zu gewinnenden biographischen Daten hinausgehen.203 In einigen wenigen Drucken ist auf der Rückseite des Titelblattes oder im vorderen Buchdeckel ein Exlibris eingeklebt, das zwei aufgerichtete Löwen zeigt, die ein vierfeldriges, bekröntes, schwarz-weiß quadriertes Grundwappen halten. Ernst Weber hat dieses Exlibris Johann Christian von

198 Vgl. Kapitel II.4.4.6., Anm. 1442.

199 Vgl. Stolleis, Geschichte, S.104-105.

200 Dieter von Stephanitz, Exakte Wissenschaft und Recht. Berlin 1970, S.49.

201 „Appetit mens subinde spectare et expendere sub uno velut contuitu disciplinas bene traditas in tabulis, cuiusmodi plusculae occurrunt. Non tam autem eas mei caussa postulo, sed vel maxime ad erudiendos dein-ceps liberos. [...] Praeclarae sunt Stahlii metaphysicae [...]“. Boineburg an Conring, Mainz, 24.11.1662. In:

Gruber, S.983. Die von ihm geschätzten Schriften finden sich dann auch in seiner Bibliothek wieder.

202 In: Heinrich Hahn, Dispositio pandectarum VII tabulis cum singulorum titulorum expositionibus. Helmestadi 1667 (UBE 4° R 301ft, Vorsatz). Auf dem vorderen Pergamenteinband hatte Boineburg groß „Tabulae“ und sei-nen Namen festgehalten. Der Band enthält 12 verschiedene Tabellenwerke.

203 Vgl. dazu die Beispiele in den nachfolgenden Kapiteln.

Boineburg zugeordnet.204 Ansonsten weisen die Bände keine weiteren Besitzkennzeichnun-gen auf. Die von Boineburg zum Teil selbst auf die Buchrücken geschriebenen Titel dienten lediglich der Information. Boineburg ließ die Schriften seiner Sammlung, sofern sie nicht bereits einen Einband trugen, zu Sammelbänden in Pergament ohne jede Verzierung bin-den.205 Sie dominieren das äußere Erscheinungsbild der Sammlung. Daneben sind einige in Holzdeckel gebundene Schweinslederbände mit Rollen, Platten und Stempeln, die Drucke des 16. Jahrhunderts enthalten, sowie klein- und großformatige „Franzbände“, Ganzleder-bände in braunem Kalb- oder Schafleder, vorhanden.

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Der Katalog der Boineburgica enthält 10.343 Titel. Einige nach der Beendigung des Katalo-ges erschienene und von Johann Christian von Boineburg erworbene Titel, die heute nach-gewiesen werden können, müssen noch hinzugerechnet werden.206 Überliefert sind derzeit 9.099 Titel aus dem Bestand Johann Christian von Boineburgs und nachweislich 197 Titel aus dem Besitz des Sohnes. Der Verlust der väterlichen Bibliothek beträgt damit wenigstens 1.244 Titel, eine genauere Bestimmung wird erst mit der Auswertung des Berliner Bestandes möglich sein.207 Letzte Gewißheit über den Gesamtverlust der Boineburgica wird es aller-dings nie geben können, da zu keinem Zeitpunkt die durch den Sohn zugeführten Titel voll-ständig erfaßt wurden.

Ein Vergleich zwischen der Anzahl der Bände zum Zeitpunkt der Stiftung und heute ist wesentlich schwieriger: Eine Ermittlung der Buchbinderbände aus dem Katalog von Leibniz heraus erwies sich als nicht durchführbar: Zu viele Titel sind nicht mehr nachweisbar, zu viele Angaben zur Zugehörigkeit von Titeln zu einzelnen Bänden im Katalog sind ungenau

204 95 x 67 mm. Abb. in: Ernst Weber, Verzeichnis der Exlibris in den Büchern der Kieler Universitäts-Bibliothek. In:

Exlibris, Buchkunst und angewandte Graphik N. F. 25 (1915), H. 2, S.41-52, 93-106; hier: S.49. Dieses Exlibris ist allerdings auch in wenigen Bänden eingeklebt, die erst nach dem Tod Boineburgs erschienen sind, z.B.

in: Histoire abregée du siècle courant. Paris 1687 (UBE Hga 521). Das Wappen derer von Boineburg-Lengsfeld zeigt über dem schwarz-weiß quadrierten Grundwappen seit 1571 drei bekrönte Helmvisiere mit je zwei Büffelhörnern. Durch die Erhebung in den Reichsfreiherrenstand 1653 war eine Bereicherung des Wappens verbunden, das anstelle der Büffelhörner nun einen doppelten Reichsadler erhielt. Vgl. Brodbeck, Philipp Wilhelm, S.16. Nach Désirée Boyneburg, Familienchronik des Hauses Boyneburg. Wien 1997 (Typoskript), S.20, enthält das Wappen auch einen aufgerichteten Löwen.

205 Rechnungen über Buchbinderarbeiten fehlen. Ein Teil des Bestandes wurde erst nach der Übergabe der Sammlung durch den Sohn an die Erfurter Universität gebunden.

206 Die Anlage des Kataloges und der einzelnen Titelaufnahmen erschwert die genaue Ermittlung der Titelzahl erheblich. Hakemeyer, Leibniz’ Bibliotheca, S.221, ermittelte 9.840 Titelaufnahmen, Palumbo, Johann Christian von Boineburg, S.193, bei einer neuen Auszählung 10.343 bibliographische Einheiten, da sie vorallem auch die im Anschluss an einzelne Titelaufnahmen angegebenen verschiedenen Editionen eines Titels erfasste. Eine Unsicherheit in der Zählung bleibt durch die Verweise, durch die einzelne Titel doppelt gezählt sein kön-nen. Da der Leibniz-Katalog beim Druckjahr 1671 endet, fehlen hier Titel aus dem Besitz Johann Christi-ans: 1. die 1672 erschienenen Drucke (48 bisher im heutigen Bestand nachweisbare Titel), 2. die vor 1672 erschienenen Drucke, die Boineburg 1672 (nachweisbar sind bisher nur zwei Titel) erworben hat, 3. weitere heute nachweisbare Titel mit einem Erscheinungsjahr vor 1671, die im Katalog nicht gefunden werden konnten, aber zur Sammlung gehören. Ob sie bei der Katalogerstellung vorhanden oder vielleicht entliehen waren, ließ sich nicht ermitteln. Für die im Laufe der Untersuchung vorgenommenen Berechnungen wurde die von Palumbo ermittelte und von mir geprüfte Zahl zu Grunde gelegt.

207 Vgl. Anm. 79.

oder fehlen.208 Philipp Wilhelm bezifferte 1710 die von seinem Vater hinterlassene Biblio-thek auf „Neunthalb Tausend Voluminibus“,209 also auf etwa 8.500 Bände.210 1755 sollen in der Erfurter Universitätsbibliothek 7.000 bis 7.500 Bände aufgestellt gewesen sein.211 Danach müssen bereits zwischen 1710 und 1755 gut eintausend Bände verloren gegangen sein. 1782 wurden in der Universitätsbibliothek 9.364 Bände gezählt.212 Allerdings sind bei den Zahlen von 1755 und 1782 bereits der Bestand der Universitätsbibliothek selbst, die nach der Stif-tung Philipp Wilhelms mit der Bibliotheca Boineburgica zusammengeführt worden war, und die 1723 in die Universitätsbibliothek überführte Churfürstlich Mayntzische Regierungsbib-liothek213 eingerechnet.

Auch wenn die Anzahl der Bände sehr unsicher ist, erlaubt die hohe Titelzahl der Boine-burgica, sie nach ihrem Umfang zu den größten deutschen Bibliotheken von Angehörigen der Gelehrtenschicht im 17. Jahrhundert, zu denen auch die Diplomaten und Verwaltungs-beamten gehören, zu rechnen. Die 50 von Gebauer ausgewerteten Büchersammlungen, die wenigstens in Auktionskatalogen überliefert sind, enthalten zwischen knapp 250 und mehr als 15.000 Buchbindereinheiten.214 In den mehr als 2.000 Bände umfassenden Sammlungen, die bei Gebauer immerhin in knapp der Hälfte der ausgewerteten Auktionskataloge auf-scheinen, nehmen die in diplomatische oder Verwaltungstätigkeiten eingebundenen Juristen einen gleichberechtigten Platz neben den Professoren und den Theologen ein. Fehlt auch nach wie vor eine Zusammenstellung der privaten Büchersammlungen der Gelehrten im 17.

Jahrhundert,215 können doch aus Einzeldarstellungen weitere Vergleichszahlen gewonnen werden. Ebenfalls zu den großen Sammlungen zählt die des Braunschweiger Beamten

Jo-208 Ein positives Beispiel für die Rekonstruktion eines Bandes bieten die unter dem Schlagwort „Orationes“ im Leibniz-Katalog aufgeführten 22 einzelnen Schriften (NLB LK I, f. 77r). Die erste Schrift ist mit nachge-stelltem „post“ als angebundene Schrift ausgewiesen und im heutigen Erfurter Bestand nachweisbar. Die anderen 21 Titel stehen im Katalog ohne weitere Angaben. Die nur gelegentliche Verzeichnung einer Jah-reszahl vor 1500 legt die Vermutung nahe, dass es sich hier größtenteils um Inkunabeln handelt. Da die Ti-tel nicht in der überlieferten Erfurter Bibliothek zu finden sind, wurde das Akzessionsjournal der Königlich Preußischen Bibliothek zu Berlin von 1909, in dem die dorthin abgegebenen Erfurter Bestände aufgeführt sind, herangezogen (StBB PK, Abteilung historische Drucke). Dort finden sich tatsächlich unter den Num-mern 627 bis 646 21 Titel, die allerdings nicht vollständig mit denen aus dem Leibniz-Katalog übereinstim-men. Eine Klammer im Akzessionsjournal um die Nummern zeigt an, dass diese Titel bei der Aufnahme in das Journal 1908 in einem Band vereint waren. An den Rand wurde notiert: „Der Band 627-646 ist aufge-löst.“ Diese Inkunabeln sind heute nicht mehr in Berlin nachweisbar (Auskunft von Ninon Suckow, StBB PK vom 2.9.2002).

209 Philipp Wilhelm von Boineburg an Lothar Franz von Schönborn, Konzept, o. O. [Erfurt], 28.7.1710 (LAMW Rep. A 37b I Abt. II Tit. III Nr. 25a vol. II, f.119r) und Kopie desselben Schreibens, Schlangen-bad, 28.7.1710 (StAWü KALF 1490).

210 Vgl. Johann Weber, Kurtz Bedencken wie und aus was Gründe, eine [...] Becken Ordenung [...] kan [...] angestellt werden. Erffurdt 1592, f. 36 (StadtA Erfurt 4-1/VII-3). Für den Hinweis danke ich Herrn PD Dr. Hartmut Roloff, Universität Erfurt.

211 Vgl. Seebach, Historie, S.134.

212 Vgl. „Numerus et Signatura voluminum librorum“. In: Catalogus Bibliothecae Academiae Erfurtensis Boineburgicae confectus 1782. Tomus 1. [Erfurt, 1782], f. 7r (UBE Bereich Sondersammlung).

213 Vgl. Stange, Die königliche Bibliothek, S.8.

214 Vgl. Gebauer, Bücherauktionen, S.102-104 (zu den Unsicherheiten bei der Ermittlung von Vergleichszahlen:

S.100-101). Der Umfang der Sammlungen ist hier mit der Anzahl der Losnummern im jeweiligen Auktions-katalog beschrieben, die, so Gebauer, S.101, „allenfalls über den vorhandenen Bestand an Buchbinderein-heiten informieren“ kann.

215 Eine geringe Auswahl bietet Buzás, Deutsche Bibliotheksgeschichte, S.90-91.

hann Camman d. J. (gest. 1649) mit 9.557 Titeln.216 Aus dem Umfeld Boineburgs kann auf-grund der gegenwärtigen Forschungslage lediglich die Bibliothek seines gelehrten Freundes Conring herangezogen werden, der 4.622 Titel in 3.264 Bestandseinheiten besaß.217

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Obwohl aus dem Stiftungsfonds Philipp Wilhelm von Boineburgs Bücher angekauft wurden, über deren Umfang allerdings keine Zahlen vorliegen,218 ist die Bandzahl heute erheblich kleiner als die uns aus der Stiftungsphase bekannte Zahl: Zum einen wurde eine Vielzahl von Schriften erst nach dem Tod beider Boineburgs zu Buchbinderbänden vereinigt, wodurch sich die Bandzahl verringert haben dürfte.219 Zum anderen wurden im 19. Jahrhundert im Zuge der Neuordnung des gesamten Universitätsbibliotheksbestandes Bücher ausgeschie-den.220 1817 wurden auf einer Versteigerung in Erfurt 1.082 Titel aus der Universitätsbiblio-thek angeboten.221 Außerdem schmälerte die Ausgliederung von Bänden des 16. Jahrhun-derts durch die Königlich Preußische Bibliothek Berlin, im Zuge des Kaufs der gesamten Erfurter Königlichen Bibliothek durch die Stadt Erfurt im Jahr 1908,222 den Erfurter Bestand beträchtlich. Nicht zuletzt könnten auch die mehrmaligen Umlagerungen der Bibliothek zu Verlusten geführt haben.

216 Werner Arnold, Gelehrtes Beamtentum in Braunschweig. Johann Camman d. J. (1584-1649) und seine Bibliothek. In:

Beiträge zur Buch- und Bibliotheksgeschichte 25 (2000), H. 2, S.61-80.

217 Vgl. Paul Raabe, Die Bibliotheca Conringiana. Beschreibung einer Gelehrtenbibliothek des 17. Jahrhunderts. In: Stolleis, Hermann Conring (1606-1681), S.413-434.

218 Die Ermittlung dieser Zahlen kann, wenn es die Aktenlage überhaupt hergibt, erst bei der Darstellung der Geschichte der Universitätsbibliothek geleistet werden.

219 Zahlreiche der heute in Sammelbänden zusammengebundenen Werke sind im Leibniz-Katalog ohne den Zusatz „post“ und die dann folgende erste Schrift des Sammelbandes aufgeführt, z.B. die 23 Angebinde von UBE Te 15.

220 Ein als dublett ausgeschiedener Band mit den typischen Tabellen Johann Christian von Boineburgs und dem Exlibris seines Sohnes steht heute in der Universitätsbibliothek Kiel (UB Kiel 15 the 517/Cb 4180;

Auskunft von Dr. Else Wischermann vom 20.12.1999). Tatsächlich ist ein Exemplar des Titels in der über-lieferten Bibliothek Boineburgs in Erfurt vorhanden, der Katalog verzeichnet auch das zweite Exemplar:

David Blondel, Familier esclaircissement de la question si une femme a esté assise au siege papal de Rome. Amsterdam 1649 (UBE Th 2600; NLB LK II, f. 232).

221 Vgl. Verzeichniß einer Sammlung größtentheils seltner Bücher aus allen Wissenschaften welche den 6ten Januar 1817 und folgende Tage Nachmittag von 2 bis 5 Uhr zu Erfurt in Neuenwerk Nr. 35 öffentlich versteigert werden sollen. Erfurt 1816. Der Druck befindet sich in der Akte Bibliothek der ehemaligen Universität und deren Verbindung mit der Gym-nasial und Boineburg-Bibliothek 1816-1828 (ThStA Gotha, Regierung zu Erfurt 9165, f. 13r-44v); vgl. die An-zeige der Versteigerung in: Allgemeiner AnAn-zeiger der Deutschen (17.11.1816), Sp. 3253-3254. Vom Auktionskata-log wurden 400 Exemplare gedruckt, vgl. die Rechnung über Buchbinderarbeiten (ThStA Gotha, Regierung zu Erfurt 11390, f. 368r); vgl. zur Versteigerung insgesamt Heinrich August Erhard an die Universitäts-Aufhebungs-Kommission. Erfurt, 3.1. und 23.1.1819 (ThStA Gotha, Regierung zu Erfurt 9165, f. 27r, 30r).

Hinweise auf die Akten bei Fritz Wiegand, Die Vermögenswerte der ehemaligen Universität Erfurt um das Jahr 1816.

In: Beiträge zur Geschichte der Universität Erfurt 13 (1967), S.149-216.

222 Vgl. Kapitel IV.