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Die Bibliothek in den letzten Lebensjahre seit dem politischen Sturz 1664

II JOHANN CHRISTIAN VON BOINEBURG UND SEINE BIBLIO- BIBLIO-THEK IN DER RESPUBLICA LITERARIA

II.4 Der Ausbau der Sammlung während der politischen Tätigkeit 1644 bis 1664

II.4.1 Die Bibliothek in den letzten Lebensjahre seit dem politischen Sturz 1664

Am 22. August 1664 wurde Boineburg zusammen mit dem Gelehrten und langjährigen Sek-retär und Vertrauten des Kurfürsten, Johannes Lincker von Lützenwick, mit dem er sich

457 „Viduae Königsmannianae faxo persolvantque 50 R[eichstaler] Si plus cum ratione et jure petit, Te arbiter, id solvam quoque, et libros 850 proxime exspectabo [...]“ Boineburg an Boecler, Mainz, 14. 7. 1664 (StUBH Sup. ep. 21, 73). Offenbar hat Boineburg auch vor 1664 Bücher von Königsmann erworben, in einem Werk ist neben Königsmanns Namenszug der von Boineburg mit der Jahreszahl 1653 eingetragen, vgl. Simon Schard, Hypomnema de fide, observantia [...] pontificum Romanorum erga imperatores Germanicos. Basileae 1566 (UBE Jus K 276). Zu Königsmann vgl. Marie-Joseph Bopp, Die evangelischen Geistlichen und Theologen in Elsaß und Lothringen von der Reformation bis zur Gegenwart. Neustadt a. d. Aisch 1959, S.304.

458 Seit Mai 1664, vgl. Wild, Der Sturz, S.88.

459 „Tum rogo, ne Tuorum, Königsmannianorum, Biccianorum, et id genus librorum obliviscare.“ Boineburg an Boecler, Mainz, 18.8.1664 (StUBH Sup. ep. 21, 76).

460 Boecler taucht auch unter den Briefpartnern Königsmanns auf, vgl. Krüger, Supellex, Teilbd.1, S.498-501.

461 Tabelle „Epistolographi, profluente latinitate“. In: Aonius Palearius, Epistolarum libri quattuor. Basileae [um 1560] (UBE Lr 2270).

462 Mehr als die Hälfte der überlieferten Inkunabeln der Boineburgica stammt aus der Königsmann-Sammlung.

Eine Wertung über die Zusammensetzung der Bibliothek kann aufgrund der geringen überlieferten Titel-zahl, eines fehlenden Kataloges und nicht zuletzt aufgrund der Aussonderungen von Dubletten aus dem Gesamtbestand der Königlich Preußischen Bibliothek Erfurt 1817 und im Zuge des Kaufs der Sammlungen durch die Stadt Erfurt 1908 nicht getroffen werden. Vgl. zu den Aussonderungen Kapitel II.3.1., S. 36.

463 Lucius Annaeus Seneca, Joannes Frobenius verae philosophiae studiosis en tibi lector optime [...] Senecae [...] lucubrationes omnes [...]. Basileae 1515 (UBE 4° Lcl 7480, handschriftliche Widmung von Erasmus an Gloner auf der Rückseite des Titelblattes; handschriftliche Widmung an Königsmann von Jakob Kugler auf dem Vorsatz).

464 Aristologia Euripidea Graecolatina [...] a Michaele Neandro. Basileae 1559 (UBE Lcl 2520, Vorsatz: Gloner hatte den Band von seinem Großvater 1637 erworben; NLB LK II, f. 217r-v).

neben Dienstangelegenheiten auch über Neuigkeiten aus der gelehrten Welt ausgetauscht hatte, verhaftet und eingekerkert.465 Neben den Intrigen seiner Gegner am kurmainzischen Hof hatten eigenmächtige Handlungen, verbale Insubordinationen und die derart verletzte Eitelkeit seines Dienstherren sowie, als schwerwiegendster Vorwurf, die Annahme von spa-nischen Bestechungsgeldern in Höhe von 22.000 Reichstalern zu seinem Sturz geführt. Nicht zuletzt spielten die gegenüber Johann Philipp erheblich divergierenden Auffassungen zu einer der Kernfragen der Mainzer Politik, nämlich der Haltung zu den Großmachtbestre-bungen Frankreichs unter Ludwig XIV. eine gewichtige Rolle.466 In einer Situation, in der die Haltung Boineburgs sich nachteilig auf die politischen Pläne Johann Philipps auszuwirken drohte, nämlich als die Stadt Erfurt 1664 durch gewaltsame Einnahme wieder der alten kur-mainzischen Oberhoheit unterstellt werden sollte, war Boineburg für seinen Dienstherren nicht länger tragbar. „Boineburg, jahrelang die treibende Kraft der Mainzer Annäherung an Frankreich, war wegen seiner jetzt angeknüpften Kontakte zu Wien und Madrid der franzö-sischen Regierung suspekt geworden. Erzbischof Johann Philipp brauchte aber Frankreichs Hilfe für seinen Strafzug gegen Erfurt. Er erhielt die Hilfe, nachdem Boineburg gestürzt war.“467

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Erfurt gehörte seit dem Mittelalter zum Besitz des Mainzer Erzbischofs und hatte sich, die Interessen der umliegenden Territorien nutzend, eine weitgehend autonome Position gegen-über dem Landesherren erobert, die die Stadt allerdings – nicht zuletzt aufgrund innerstädti-scher Auseinandersetzungen – im Zeitalter der Territorialherrschaft und des Landesfürsten-tums nicht länger aufrechterhalten konnte. Nach dem Westfälischen Friedenskongress war die Beseitigung der autonomen Stellung Erfurts für Johann Philipp zu einer Frage des Presti-ges geworden, die er – sonst vorsichtig taktierend – durch eine gewaltsame Einnahme der Stadt mit Hilfe Frankreichs herbeiführte. Dieser Hilfe opferte Johann Philipp seinen Minis-ter, der diese Unterwerfung auch Jahre nach seinem Sturz für einen verhängnisvollen Fehler der Politik Schönborns hielt.468

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465 Vgl. zu Boineburgs Sturz Karl Wild, Der Sturz, besonders S.600-605, S.78-104. Zum Briefwechsel mit Lüt-zenwick vgl. Kapitel I.3., Anm. 83. LütLüt-zenwick schied nach seiner Freilassung aus kurmainzischen Diensten aus. Von ihm, der wie Boineburg zum katholischen Glauben konvertiert war, finden sich keine Spuren in der überlieferten Bibliothek Boineburgs.

466 Vgl. zu den unterschiedlichen Auffassungen zum Verhältnis zwischen Boineburg und Johann Philipp von Schönborn Carl Haase, Leibniz als Politiker und Diplomat. In: Wilhelm Totok / Karl Haase (Hgg.), Leibniz.

Sein Leben, sein Wirken, seine Welt. Hannover 1966, S.195-226, hier: S.202-203.

467 Jürgensmeier, Johann Philipp, S.253-255. Zur Unterwerfung Erfurts durch Kurmainz Wilhelm Johann Albert von Tettau, Die Reduction von Erfurt und die ihr vorausgegangenen Wirren (1647-1665). Erfurt 1863. Boineburg kommt allerdings hier nicht vor. Ich folge der Darstellung von Volker Press, Zwischen Kurmainz, Kursachsen und dem Kaiser – Von städtischer Autonomie zur „Erfurter Reduktion“ 1664. In: Ulman Weiß (Hg.), Erfurt 742-1992. Weimar 1992, S.385-402.

468 Vgl. die von Leibniz ausgeführte Schrift De foedere Rhenano. In: AA IV, 1, S.499-500, die Boineburgs Haltung wiedergibt.

Bei seiner Verhaftung wurden neben seinen Papieren auch „privat bücher“ konfisziert, die er wohl zum großen Teil nach seiner Entlassung zurückerhalten hat.469 Nach Verhören und Haft auf der Martinsburg am Rheinufer von Lahnstein, bei der ihm auch Tinte und Feder untersagt worden waren, unterschrieb Boineburg ein Schuldeingeständnis.470

Nach dem für ihn günstig verlaufenen Prozess und seiner Entlassung am 14. Januar 1665, die allerdings unter anderem mit den Auflagen verbunden war, innerhalb der Grenzen des Erzbistums zu bleiben, keine Briefe mit deutschen oder fremden Diplomaten zu wechseln und ohne die Erlaubnis des Kurfürsten keine Dienste anderer anzunehmen,471 zog sich Boi-neburg ins Privatleben, zunächst nach Frankfurt am Main,472 zurück und bekleidete bis zu seinem Tod 1672 keine öffentlichen Ämter mehr. Sofort nach seiner Entlassung nahm er die Fäden der Korrespondenz mit seinen gelehrten Freunden wieder auf, stürzte er sich gerade-zu in seine gelehrten Aktivitäten, gerade-zu denen auch die Auswertung von Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt zählte.473

Neben Conring war es besonders der Polyhistor und protestantische Professor der Ge-schichte und Eloquenz an der Universität Straßburg, Johann Heinrich Boecler, mit dem Boi-neburg sich auch nach seinem politischen Sturz über „gelehrten Staub“,474 wie Boineburg es nannte, austauschte. Boecler, den Boineburg mindestens seit 1646 kannte, zählte bis zu sei-nem Tod zu Boineburgs besten Freunden und engsten Vertrauten;475 er war Schüler von Matthias Bernegger – einem der „‚Häupter‘ des deutschen Späthumanismus“476 – und gehör-te selbst zu den „maßgeblichen Repräsentangehör-ten der politisch-historischen Philologie des deutschen Späthumanismus“.477 Boineburg unterstützte Boecler mit Ratschlägen und finan-ziellen Mitteln bei seinen schriftstellerischen Aktivitäten und gab bei ihm Abhandlungen in Auftrag.478 Er vermittelte Boecler 1662 die Stellung eines Rates am Hofe des Mainzer Kur-fürsten und 1663 eine Pension des französischen Königs, die Boecler bis zu seinem Tod bezog. In den zahlreichen Briefen tauschten die beiden hauptsächlich Informationen aus der

469 Vgl. Kapitel I.3, S. 17.

470 „Ich Johann Christian Freiherr von Boineburg bekenne hiermit offentlich [...]“. Schuldeingeständnis, Mainz, 14.1.1665 (StAWü KAJP 3286); Dort nennt Boineburg die Martinsburg sein Gefängnis, nicht wie in der biographischen Literatur immer wieder angegeben, die Festung Königstein. Nach seiner Entlassung verfass-te Boineburg sofort ein Schreiben Wider den Reverssverfass-teller, worin er das unverfass-ter Druck entstandene Schriftstück widerrief. Vgl. zur Haft ausführlich nach den Quellen Wild, Der Sturz, S.102-105.

471 Vgl. Schuldeingeständnis, Mainz, 14.1.1665 (StAWü KAJP 3286).

472 Die ersten Briefe nach seiner Entlassung schrieb er noch in Mainz. Vgl. StUBH Sup. ep. 21, 77-81.

473 Vgl. Boineburg an Boecler, Mainz 19.1.1665 (StUBH Sup. ep. 21, 77).

474 „Obsecro, mitte quid eruditi pulveris, quo negotiorum, qua distringor, turba nonnihil mitescat animusque possit, totiens fessus, exhilarescere.“ Boineburg an Boecler, Mainz 25.3.1669 (StUBH Sup. ep. 21, 124).

475 Brief Boineburgs an Boecler, Paris 4.4.1646 (StUBH Sup. ep. 24, 304). Vgl. auch Brief Boineburgs zum Tod Boeclers an dessen Sohn Samuel und dessen Schwiegersohn Ulrich Obrecht, Mainz, 3.11.1672 (StUBH Sup.

ep. 21, 286). Über Boecler vgl. Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 2, Leipzig 1875, S.792-793, und Neue Deut-sche Biographie. Bd. 2, Berlin 1955, S.372-373, sowie Ernst Jirgal, Johann Heinrich Bökler. In: Mitteilungen des Insti-tuts für österreichische Geschichtsforschung 45 (1931), S.322-384, besonders S.328.

476 Kühlmann, Gelehrtenrepublik, S.44. Zur Person vgl. Erich Berneker, Matthias Bernegger, der Straßburger Histori-ker. In: Friedrich Merzbacher (Hg.), Julius Echter und seine Zeit. Würzburg 1973, S.283-314; Carl Bünger, Mat-thias Bernegger. Ein Bild aus dem geistigen Leben Straßburgs zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Straßburg 1893.

477 Kühlmann, Geschichte als Gegenwart, S.325.

478 Vgl. dazu die in den weiteren Kapiteln dieser Arbeit aufgeführten Arbeiten Boeclers.

Respublica literaria aus, zum Beispiel über das Sortiment des Straßburger Verlegers Simon Pauli, bei dem Boineburg seit spätestens 1663 Bestellungen aufgab.479 Boineburg arbeitete dessen Angebote, so auch den Verlagskatalog von 1670 durch.480 Pauli brachte Boineburg dann die Bestellungen nach Frankfurt mit.481 Andere Bücher- und Briefsendungen wurden unter anderem auch nach Boineburgs Sturz über den Mainzer kurfürstlichen Rentmeister und Kammerrat Edmund Rokoch erledigt.482 Boineburg besuchte weiterhin die Frankfurter Messe.483 Reisende Gelehrte bat er wie ehedem, über neue Bücher zu berichten, wie etwa Ezechiel Spanheim (gest. 1710) aus Italien.484 Spanheim schenkte Boineburg auch sein be-deutendes numismatisches Werk Dissertationes de praestantia et usu numismatum antiquorum.485

Sind nur in 24 Bänden Erwerbungsjahre zwischen 1665 und 1672 eingetragen,486 so ge-ben die langen Titel- und Namenslisten aus den Briefen an Conring487 Auskunft über die ungebrochene und breite Anschaffung von „geographischen, astronomischen, mathemati-schen, physikalimathemati-schen, chemischen und aszetischen“ Werken durch Boineburg.488

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Auch den jungen Gottfried Wilhelm Leibniz spannte Boineburg für Bücherkäufe ein489 oder vermittelte ihm Aufträge, Bücher zu besorgen.490 Leibniz war seit der zweiten Hälfte des Jahres 1667 mit Boineburg bekannt, arbeitete für und mit ihm.491 Boineburg schätzte Leibniz

479 „In meiner stub im Schloß ligt ein schreibn vom Straßburg buchfürer, Simone Pauli, [...]“. Boineburg an Johann Lincker von Lützenwick, Köln 20.5.1663 (StAWü KAJP 3049). Vgl. auch Boineburg an Boecler, Mainz 3.12.1671 (StUBH Sup. ep. 21, 212). Über Pauli vgl. Benzing, Die deutschen Verleger, Sp. 1232.

480 Catalogi librorum in bibliopolio Argentinensi Simonis Paulli venalium. Argentorati 1670 (UBE L 4405; NLB LK II, f. 135r).

481 „Hos libros omnes velim, si habet, Pauli secum afferat Francofurtum. Emam paratam pecuniam.“ Boine-burg an Boecler, Mainz, 23.3.1672 (StUBH Sup. ep. 21, 236).

482 Vgl. z.B. Boineburg an Boecler, Köln, 8.8.1667 (StUBH Sup. ep. 21, 108).

483 Vgl. Boineburg an Boecler, Frankfurt am Main, 27.8.1669 (StUBH Sup. ep. 21, 131) und „In nundinis pro-ximis expecto libros condictos[...]“ Boineburg an Prueschenk, o. O., 1.9.1671 (StUBH Sup. ep. 43, 308).

1667 erwirbt Boineburg auf der „Frankfurter Ostermess“ den Band von Damvilliers, Les imaginaires. Liege 1667 (UBE T.pol. 12° 103; NLB LK II, f. 234r).

484 „Optarem libenter aliquam illi accessionem fieri, ex Itinerarii mei Italici, aut librorum, in eo tractu recenter editorum, quorum notitiam petis, commemoratione.“ Spanheim an Boineburg, Mannheim, 21.7.1665. In:

Gruber, S.1165-1166.

485 Amstelodami 1671 (UBE Hs 1060, handschriftlicher Eintrag Boineburgs am Ende des Textes; NLB LK III, f. 378r).

486 Z.B. François Paul de Lisola, Bouclier d‘estat et de justice. o. O. [Bruxelles] 1667 (UBE Hga 580; erworben am 3.8.1668; NLB LK III, f. 252v).

487 Z.B. Boineburg an Conring, Frankfurt am Main, 6.10.1665. In: Gruber, S.1171-1175.

488 „Certe Geographicis, Astronomicis, Mathematicis in universum, Physicis, Chymicis item intra modum, ac sacris, et praecipue Asceticis studiis, mihi in hoc otio nihil iucundius; optatius nihil sane.“ Boineburg an Conring, Frankfurt am Main, 6.10.1665. In: Gruber, S.1172-1173.

489 Z.B. „Emi pro me velim, si placet [...]“. Boineburg an Leibniz, Mainz, 6.6.1672. In: AA I, 1, S.274-277, hier: S.276.

490 Leibniz übernahm durch Vermittlung Boineburgs für Pierre de Carcavy, den königlichen Bibliothekar und Berater Colberts in Paris, Bücherbesorgungen in Deutschland. Vgl. zum Briefwechsel der beiden Stein-Karnbach, G.W. Leibniz, Sp. 1257.

491 Zur Bekanntschaft von Leibniz und Boineburg vgl. Wiedeburg, Der junge Leibniz, T. I/2, Anm. 110, S.80-87.

Leibniz nannte Boineburg „un des grands hommes du siecle, et qui m’honoroit d’une amitié toute particu-liere [...]“. Leibniz an Herzog Christian von Mecklenburg, o. O., März 1675. In: AA I, 1, S.476-477, hier:

S.476. Zum Umfang der Tätigkeiten für Boineburg vgl. Leibniz an Jacob Münch anlässlich ausstehender Gelder für Leibniz nach dem Tod Boineburgs, Hannover, Ende Dezember 1673 (?). In: AA I, 1, S.375-379, besonders S.376: „Habe ich nicht mehr als die helffte meiner Zeit bey oder vor ihn zubracht; theils in seinen verrichtungen, theils zu seinem plaisir?“ Zu den einzelnen Projekten von Leibniz und Boineburg vgl. die weiteren Kapitel dieser Arbeit.

als einen „Mann von großer Gelehrsamkeit, treffsicherem Urteil und großer Arbeitskraft“.492 Leibniz arbeitete während seiner Mainzer Zeit an zahlreichen Projekten, unter ihnen einige

„alte Boineburgsche Wünsche, für die bisher nur die rechte Feder gefehlt hatte“.493 Boine-burg vermittelte Leibniz an einflussreiche Gönner,494 empfahl ihn in der Gelehrtenrepublik495 und nicht zuletzt seinen gelehrten Freunden. Bei Conring führte er Leibniz mit der Übersen-dung von dessen Nova methodus discendae docendaeque iurisprudentiae ein, mit der sich Leibniz seinerseits mittels einer Widmung beim Kurfürsten von Mainz vorgestellt und dessen Auf-merksamkeit, unabhängig von Boineburg, erworben hatte. Ein Exemplar der Schrift hatte Boineburg auch in seiner Bibliothek.496 Leibniz’ Aufsatz Confessio naturae contra atheistas schick-te Boineburg an einen Schüler Boeclers, den Theologen Philipp Jakob Spener (gest. 1705), der ihn dann an seinen gelehrten Freund, den Theologen Gottlieb Spizel (gest. 1691), weiter-gab. Spizel veröffentlichte ihn ohne Angabe eines Verfassers im Anhang seiner Schrift über die Ausrottung des Atheismus, der auch in Boineburgs Besitz war.497 Ein Exemplar von Leibniz‘ erweiterter Habilitationsschrift, De arte combinatoria, schenkte Boineburg 1667 dem Kölner Jesuitenkolleg. Da die Schrift, 1666 erstmalig erschienen und noch wenig verbreitet war, dürfte Boineburg sie nur vom Autor selbst erhalten haben. Zwei weitere Exemplare hatte Boineburg in seiner Sammlung.498 Außerdem besaß Boineburg die Leibnizschen Dispu-tationes juridicae de conditionibus von 1665499 sowie dessen Altdorfer Dissertation von 1666500 und die Einladung zur feierlichen Verleihung des Doktorgrades am 12. Februar 1667.501 In seiner Sammlung hatte er auch eine von ihm initiierte politische Denkschrift von Leibniz

496 Francofurti 1667 (UBE Jus M 48; NLB LK III, f. 313r).

492 „Auctor mihi notissimus est, Doctor Iuris 22 annorum; eruditus, bene philosophus, assiduus, speculari validus et promptus. Iam meo suasu apparat elementa Iurisprudentiae solito curatiora. Est certe multae doc-trinae vir, subacti iudicii et magni laboris. Moguntiae nunc degit, nec extra meam curam.“ Boineburg an Conring, , Köln, 26.4.1668. In: Gruber, S.1208-1209.

493 Max Frischeisen-Köhler / Willy Moog, Die Philosophie der Neuzeit bis zum Ende des XVIII. Jahrhunderts. Berlin 1924, S.309. Vgl. „[...] il [Boineburg] prenoit encor plaisir de me parler des affaires, et de me faire mettre par écrit quelques unes de ses pensées et de miennes.“ Leibniz an Herzog Johann Friedrich von Hannover, Hannover, 29.3./8.4.1679. In: AA I, 2, S.153-161, hier: S.155.

494 Vgl. z.B. „Als ich unlängst meine wenige meditation, vom freien willen des menschen [...] auch dem Herrn Baron von Boineburg zu lesen geben, hat wohlgedachter Herr von Boineburg Ew. Hochfürstliche Durch-laucht solches gleich zugeschickt, um der zeitgewinnung [...]“. Leibniz an Herzog Johann Friedrich von Hannover, o. O., 13. 2.(?) 1671. In: AA II, 1, S.83-84, hier: S.83.

495 So vermittelte Boineburg z.B. den Kontakt von Leibniz zur Londoner Royal Society über deren Sekretär Heinrich Oldenburg im Juli 1670. Vgl. Alan Cook, Leibniz and the Royal Society. In: Kurt Nowak / Hans Po-ser (Hgg.), Wissenschaft und Weltgestaltung. Hildesheim 1999, S.21-32, hier: S.22-23.

497 De atheismo eradicando. Augustae Vindelicorum 1669, S.125-135 (UBE 1an T.as. 8° 292; NLB LK I, f. 5r).

Vgl. dazu Wallmann, Philipp Jakob Spener. Briefe, S.149.

498 Gottfried Wilhelm Leibniz, Dissertatio de arte combinatoria. Lipsiae 1666 (UStadtBK P 5/84, UBE Nm 394, 1an Jus G 271; NLB LK II, f. 139v). Vgl. Quarg, Gottfried Wilhelm Leibniz, S.45.

499 Lipsiae 1665 (UBE 2an Jus G 271, 3an Jus G 271; NLB LK III, f. 299v).

500 Disputatio inauguralis de casibus perplexis in iure. Altdorfi 1666 (UBE Jus G 271; NLB LK III, f. 298v-299r).

501 De foeliciter anuente. Lipsiae 1667 (UBE 4an Jus G 271).

anlässlich der polnischen Königswahl, zu der Boineburg im April 1669 aufbrach, in drei Ex-emplaren.502

In dem in der Boineburgica überlieferten handschriftlichen Journale avec la description du voy-age en Pologne berichtet ein nicht näher bekannter Schreiber Boineburgs von dieser dreimona-tigen Reise, die von Neuburg über Prag nach Warschau und zurück über Leipzig nach Würzburg führte.503 Neben der täglichen Schilderung der Reiseroute mit ihren Sehenswür-digkeiten und Rastplätzen, besonderen Vorkommnissen wie einem Radbruch an der Kut-sche, und natürlich den zahlreichen Gesprächen, Verhandlungen und Paraden zur Königs-wahl in Warschau, bei denen Boineburg mit den Gesandten aller beteiligten Parteien zusam-mentraf, erwähnt das Journale auch die Besichtigung zweier Bibliotheken auf dem Rückweg.

Am 6. und 7. Juli besuchte Boineburg in Leipzig die „schöne Bibliothec alda, worinnen viel raritäten zu sehen“.504 Welche der zahlreichen Leipziger Bibliotheken gemeint sein könnte, ist nicht eindeutig ersichtlich. Boineburgs Urteil könnte sowohl auf eine der berühmten Kunstkammern von privaten Sammlern wie auch auf die Universitätsbibliothek hinweisen, deren umfangreicher Bestand an Texten antiker Autoren und aristotelischer Philosophie Boineburgs Neigungen sehr entgegengekommen sein dürfte.505 Am 9. Juli kommt die Reise-gesellschaft nach Jena, wo „sonsten nichts da zu sehen, alß die Bibliothec worinnen auch aller handt rarer sachn, sonderlich zeigen sie auch ein stück von der Mutter Gottes hehrem rock“.506

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Politisch tätig war Boineburg nach seinem Sturz für den Kurfürsten von Trier, Karl Kaspar von der Leyen (gest. 1676), in dessen Haus in Köln Boineburg mit seiner Familie von An-fang August 1667 bis AnAn-fang März 1668 wohnte.507 Nur zwei Bände sind nachweislich wäh-rend Boineburgs Kölner Aufenthalt gekauft worden.508

Der Neffe Karl Kaspars, Johann Friedrich von Orsbeck, heiratete später übrigens Boine-burgs Tochter Charlotte (gest. 1740). BoineBoine-burgs Tochter Sophie (gest. 1729) heiratete im Juli 1668 den kurmainzischen Obermarschall und Neffen des Kurfürsten von Mainz,

Mel-502 Specimen demonstrationum politicarum pro eligendo rege Polonorum. Vilnae [vielm. Königsberg] 1659 [vielm. 1669]

(UBE an Lcl 6496, 1an Hi 540, Hsl 1925; NLB LK III, f. 383). Vgl. zu dieser Schrift auch Kapitel II.4.4.7.

Zu weiteren Schriften von Leibniz, die mit Boineburg im Zusammenhang stehen, vgl. die weiteren Kapitel dieser Arbeit.

503 Journale avec la description du voyage en Pologne. Handschrift, o. O., 11.4. bis 13.7.1669 (UBE CE 8° 30). Bei der Station Würzburg bricht das Tagebuch ab. Boineburg nahm also nicht, wie Guhrauer, Leibnitz’s deutsche Schriften. Berlin 1838, S.83, schreibt, auf dem Rückweg einen Umweg über Wien, während die übrige Ge-sandtschaft den Weg über Prag nahm, sondern über Leipzig.

504 Journale, f. 63v.

505 Zur Leipziger Bibliothekslandschaft und zur Universitätsbibliothek vgl. Detlef Döring, Der junge Leibniz und Leipzig. Berlin 1996, S.30-39; hier: S.34.

506 Journale, f. 65v.

507 Vgl. Wiedeburg, Der junge Leibniz, T. I/2, Anm. 110, S.82.

508 Carolus Paschal, Legatio Rhetica. Paris 1620 (UBE Hh 310, 27.10.1667; NLB LK III, f. 372v); zu Hugo Gro-tius, De iure belli ac pacis. Amstelaedami 1667, vgl. Kapitel II.4.4.6., S. 170-171.

chior Friedrich von Schönborn.509 Sechs Bände, die den handschriftlichen Besitzvermerk Melchior Friedrichs tragen, sind erst nach dem Tod Johann Christians in die Bibliothek ge-kommen.510 Über Melchior Friedrich hatten sich seit 1667 Boineburg und Kurfürst Johann Philipp von Schönborn wieder angenähert, die Heirat bedeutete gleichzeitig Versöhnung und Rehabilitierung Boineburgs, der im Anschluss daran auch nach Mainz zurückkehrte. Politi-schen Einfluss erlangte er allerdings in Mainz nicht mehr.511

Den Herzog von Hannover, Johann Friedrich (gest. 1679), konnte Boineburg nach sei-nem Sturz gelegentlich in politischen Fragen beraten. Auf einer Rückreise von Hannover besuchte Boineburg Anfang 1671 den hoch gebildeten und vielseitig interessierten Bischof von Paderborn, Ferdinand von Fürstenberg (gest. 1683), mit dem er sich seit spätestens 1657 über Neuerscheinungen und literarische Projekte austauschte, Bücher schickte512 und über die Ausstattung von Bibliotheken wie der des römischen Kardinals Barberini oder die des Gelehrten Lucas Holstein ins Schwärmen geriet.513 Boineburg hatte eine 1671 herausgegebe-ne Gedichtsammlung des Bischofs in seiherausgegebe-ner Bibliothek514 sowie sechs Bände, die ihm Fürs-tenberg geschenkt hatte.515

Ende 1668 beauftragte Boineburg Leibniz, seine Bibliothek zu ordnen.516 Inwiefern Leib-niz schon vor diesem Zeitpunkt mit bibliothekarischen Aufgaben betraut gewesen ist, lässt sich nicht ermitteln. Offenbar beschäftigte Boineburg auch keinen seiner im Haus Angestell-ten, etwa den Hofmeister seines Sohnes oder seinen Sekretär, mit solchen Arbeiten.517

Im März 1672 reiste Leibniz dann in Boineburgs Auftrag nach Paris. Er sollte dem fran-zösischen König Ludwig XIV. das so genannte Consilium Aegyptiacum vorstellen, ihren ge-meinsamen Plan, die französischen Expansionsbestrebungen von Deutschland auf Ägypten zu lenken. Außerdem sollte er sich um Boineburgs gesperrte Pensionen auf sein Gut in den Ardennen518 kümmern und, nicht zuletzt, den Sohn Philipp Wilhelm in Paris unterrichten.519 Selbst wollte Boineburg offensichtlich nicht nach Paris reisen, möglicherweise weil er schon

509 Zur Heirat der Tochter Charlotte vgl. Wiedeburg, Der junge Leibniz, T. II/3, S.60, zur Heirat der Tochter Sophie, einer „Liebesheirat“, der 18 Kinder entsprangen, vgl. Wiedeburg, Der junge Leibniz, T. I/1, S.144-145.

510 Z.B. Louis Maimbourg, Histoire de la décadence de l'empire aprés Charlemagne. 2 Bde. Paris 1680 (UBE Hg 977).

511 Bei der Versöhnung Boineburgs mit dem Kurfürsten hatte sicher auch die Abwendung Johann Philipps von

511 Bei der Versöhnung Boineburgs mit dem Kurfürsten hatte sicher auch die Abwendung Johann Philipps von