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Gesellschaftliche Polarisierung in der Pandemie

Im Dokument Politische Polarisierung in Deutschland (Seite 106-109)

Polarisierte Lager

57stimme voll

8.4 Gesellschaftliche Polarisierung in der Pandemie

Der Stress der Pandemie könnte auch das Diskussionsklima und die gesellschaftliche Polarisierung beeinflusst haben. Tatsächlich ist dies aber nicht der Fall. Das Diskussions-klima wird genauso gesehen wie vor der Pandemie und allein der Kontakt zu AfD- Wählerinnen und -Wählern wird in der Pandemie noch etwas häufiger abgelehnt als zuvor.

Abbildung 57: Vermeidung politischer Diskussionen vor und in der Pandemie

Quelle: Umfrage 1021 der Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. 2019/20 und Umfrage 1023 der Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. 2020. Angaben in Prozent. Fehlende Werte zu 100 Prozent

„weiß nicht/keine Angabe“.

Frage: „Ich nenne Ihnen jetzt nochmals einige Aussagen. Sagen Sie mir bitte jeweils, ob Sie ihnen voll und ganz zustimmen, eher zustimmen, teils-teils zustimmen, eher nicht zustimmen oder überhaupt nicht zustimmen. In letzter Zeit meide ich Gespräche zu politischen Themen, weil es dann nur Streit gibt.“

Die Brisanz von politischen Diskussionen hat sich mit der Pandemie nicht verändert.

Unverändert berichten rund die Hälfte, politische Diskussionen überhaupt nicht oder zumindest tendenziell nicht zu meiden. Auch das Muster bei den Parteianhängerschaf-ten verändert sich in der Pandemie nicht wesentlich. Es bleiben die Anhängerinnen und Anhänger der AfD, die deutlich häufiger berichten, politische Themen zu meiden.

0 10 20 30 40 50 60 70

vor der Corona-Pandemie in der Corona-Pandemie stimme voll

und ganz zu

stimme eher zu

teils-teils

stimme eher nicht zu

stimme überhaupt nicht zu

12 12 11

13

21 23

20 23

31 30

Abbildung 58: Menschen, mit denen man nichts zu tun haben möchte – vor und in der Corona-Pandemie

Quelle: Umfrage 1021 der Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. 2019/20 und Umfrage 1023 der

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

in der Pandemie vor der Pandemie Homosexuelle

Klimaaktivisten Veganer Jäger SUV-Fahrer Katholiken Hundebesitzer

Flüchtlinge

CDU-Wähler

Grüne-Wähler

AfD-Wähler 9 9

12 12

9 7

11 13

57 62 20

12 14

16 22 6

8 6 6

16

12

20

Die Bereitschaft, mit bestimmten Personengruppen in Kontakt zu sein, hat sich mit der Pandemie ebenfalls kaum verändert. SUV-Fahrer sind etwas unbeliebter geworden, wobei ein Zusammenhang mit der Pandemie nicht naheliegt. Ebenfalls leicht zugenom-men hat die Ablehnung der Wähler. Vor der Pandemie wollten 57 Prozent mit AfD-Wählern nichts zu tun haben, in der Pandemie ist dieser Anteil auf 62 Prozent gestiegen.

Damit hat die Pandemie die gesellschaftliche Polarisierung kaum verändert. Bei der Vermeidung politischer Diskussionen oder dem Kontaktabbruch aufgrund politischer Ansichten hat es in der Pandemie im Vergleich zum Zeitraum davor keine Veränderung gegeben. Die Ablehnung von AfD-Wählern hat bei einem hohen Niveau bereits vor der Pandemie noch einmal etwas zugenommen.

38 Hinter diesem Verständnis kann sich auch ein Missverständnis der Meinungsfreiheit verbergen. Schließlich geht es bei der Meinungsfreiheit gerade darum, auch harte Kritik äußern zu dürfen.

39 Vergleiche dazu auch Köhler und Roose (2019).

40 Die Frage einer mehr oder weniger offenen Diskussionsatmosphäre wird vielfach, auch in den Tiefen-interviews und Gruppendiskussionen, unter dem Begriff der Meinungsfreiheit diskutiert. Gemeint ist damit allerdings durchweg nicht eine Abwesenheit von staatlicher Zensur. Die Neutralität des Staates wird durch-weg anerkannt. Vergleiche auch Roose (2019: 16 ff.).

41 Für die Befragung war es aufgrund der maximal zumutbaren Fragebogenlänge nicht möglich, für die ver-schiedenen Personengruppen jeweils eine männliche und eine weibliche Person zu benennen, also beispielsweise CDU-Wählerin und als weitere Frage CDU-Wähler. Dies hätte möglicherweise interessante Hinweise auf eine geschlechtsabhängige Wahrnehmung bestimmter Personengruppen ergeben. Diese Frage steht aber nicht im Zentrum dieser Studie und konnte aus Kapazitätsgründen nicht weiter verfolgt werden. Um den Einfluss der geschlechtsabhängigen Wahrnehmung auszuschließen, wird jeweils für die Personengruppe eine männliche Person genannt, soweit die Formulierung eine Identifikation des Geschlechts erfordert.

42 Bei den Anhängerinnen und Anhängern der AfD geben 66 Prozent an, selten oder nie in Gesprächen mit der Person, mit der am häufigsten politische Themen besprochen werden, unterschiedlicher Meinung zu sein. Bei den Anhängerschaften der anderen Parteien liegt dieser Anteil zwischen 30 Prozent (CDU/CSU) und 38 Prozent (FDP) (Hirndorf 2020a: 14).

43 Diese und die weiteren berichteten Zusammenhänge wurden in einem multivariaten Modell geprüft. In dem Modell sind folgende Variablen enthalten: Alter, Bildung, Migrationshintergrund, Betroffenheit von mehr als sechs Monaten Arbeitslosigkeit in der Berufsbiografie, Erreichbarkeit einer Hausärztin bzw. eines

Gesellschaftlicher Zusammenhalt, auch über Meinungsunterschiede hinweg, schlägt sich nicht zuletzt in der Wahrnehmung der eigenen Situation nieder. In einer pluralen Gesell- schaft können nicht alle damit rechnen, ihre eigene Meinung durchzusetzen, aber eine angemessene Behandlung dürfen durchaus alle erwarten.

In welchem Maße Menschen den Eindruck haben, Teil der Gesellschaft zu sein und ange- messen behandelt zu werden, wird abschließend in vier Weisen betrachtet. Die summa-rische Betrachtung ist das Gefühl einer gerechten Behandlung in der Gesellschaft. Kon-kreter bezogen auf die politische Debatte ist das Gefühl, in den Medien mit den eigenen Ansichten angemessen vorzukommen, und das Gefühl einer angemessenen Repräsen-tation in der Demokratie. Das Gefühl, ausgegrenzt zu sein, ist schließlich die stärkste Form, nicht Teil des gesellschaftlichen Zusammenhalts zu sein. Das Gefühl einer Gruppe in der Gesellschaft, benachteiligt und von Lebenschancen ausgeschlossen zu werden, macht Polarisierung sowohl wahrscheinlicher (McCoy/Somer 2019a: 15) als auch folgen-reicher, weil sie die Wahrscheinlichkeit einer tiefen Spaltung der Gesellschaft und einer Beschädigung der Demokratie erhöhen (McCoy/Somer 2019b: 237 ff., Lütjen 2021).

In der Gesellschaft kann es vielfältige Gründe geben, nicht in vollem Maße dazuzugehö- ren oder nach eigener Einschätzung nicht den angemessenen Anteil von ihr zu bekom- men. Soziale Ungleichheit, Diskriminierung aufgrund der Herkunft und andere Aspekte können dabei eine Rolle spielen. Der Eindruck einer Schlechterstellung relativ zu ver- gleichbaren anderen wird in den Sozialwissenschaften unter dem Begriff der relativen Deprivation (Walker/Smith 2001; Pettigrew 2015) diskutiert. Meist ist damit eine mate-rielle Schlechterstellung gemeint, doch mit Blick auf politische Polarisierung wäre auch ein Gefühl der Zurücksetzung in Hinblick auf politische Positionen, gerade Randposi- tionen, denkbar. Die Leitfrage für die empfundene Ausgrenzung ist daher, ob aus-schließlich ungünstigere Lebenschancen oder auch politische Meinungen diesen Ein-druck, ausgegrenzt zu sein, wahrscheinlicher machen.

Im Dokument Politische Polarisierung in Deutschland (Seite 106-109)