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Geschichte und Bedeutung der Street-Art-Subkultur

Im Dokument Visuelle Medien im DaF-Unterricht (Seite 177-180)

Comics

Arbeitsblatt 4: Anne Franks Tagebuch

2 Geschichte und Bedeutung der Street-Art-Subkultur

Graffiti und Street-Art sind eine künstlerische Ausdrucksform der Urban-Art im öffentlichen Raum. Das Wort Graffiti kommt aus dem italienischen „graffiare“, d.h. kratzen, das seinerseits aus dem griechischen „graphein“, d.h. schreiben, stammt (Schneider 2006: 10). Die Realisierung von Graffitis, die sowohl aus Buch-staben als auch aus Namen bestehen, begann Ende der 60er Jahre in Philadelphia,

verbreitete sich in New York während der 70er Jahre und ist seit den letzten vier-zig Jahren unbestreitbarer Bestandteil der urbanen Kultur in den meisten Ländern der Welt. Die Idee, direkt und spontan auf einer Wand zu schreiben, ist überhaupt nicht neu. Graffitis weisen vielfältige historische Bezüge auf. Man findet sie als Ritzzeichnungen auf Dolmen oder Einritzungen auf Höhlenwänden aus der Alt-steinzeit, als Wandkritzeleien auf Häuserwänden in der Römischen Zeit, wie die Ruinen von Pompeji beweisen können, als christliche Pilgergraffitis in Sakralbau-ten des Mittelalters, als Polemiken und Beschimpfungen auf dafür freigegebenen Wänden in der Renaissance, als politische Graffitis an Wänden und Zäunen wäh-rend der Französischen Revolution, als Durchhalteparolen im Dritten Reich (vgl.

Schneider 2006: 14). Auch die Wandmalerei, die als Methode die zeitgenössische Kunst beeinflusst hat, hat eine lange Tradition und besitzt seit der Antike eine politische Dimension. Besonders deutlich ist dieser politische Wert bei den Wand-bildern, die im Laufe des 20. Jahrhunderts realisiert worden sind, wie die „Murales“

von Diego Rivera in Mexiko oder die Malereien an der Berliner Mauer, die politi-sche Protestaktionen ersetzen wollten (vgl. Lorenz 2009: 34).

Heute findet der Begriff Graffiti für legale und illegale Beschriftungen Verwen-dung, die mit Filzstiften oder Spraydosen auf städtische Wände gezeichnet werden.

Das „Tag“, d.h. die Stilisierung des Namens, meistens des Pseudonyms oder Spitznamens des Writers, ist die einfachste Realisierung für einen Writer, da es einfarbig ist und eine lineare Entwicklung hat. Solche Tags, die oft innerhalb eines U-Bahn-Waggons oder an der Außenwand eines Zuges angebracht werden, haben Graffitis beim größten Teil der Bevölkerung in Verruf gebracht und dazu geführt, dass man mit Verachtung von Schmierereien und Vandalismus spricht. Aus dieser elementarsten Form des linearen Graffitis haben sich komplexere Kunstformen wie Throw-Ups und Pieces entwickelt. Throw-Ups sind größere Versionen von Tags, die aus einem Schriftzug mit Fill-Ins und Rahmen bestehen und mit zwei oder mehreren Farben ausgefüllt werden. Pieces, Abkürzung von Masterpieces, sind stilistisch anspruchsvollere Arbeiten, die den Namen des Sprayers mit anderen Elementen kombinieren, etwa mit Slogans oder Darstellungen von Menschen-gestalten. Diesen Realisierungen ist die Zentralstellung des Namens ihres Autors gemeinsam. Paradoxerweise bleibt aber der Hersteller von Graffitis anonym, weil er mit einem Decknamen seine Identität schützt. Der Writer verfolgt mit seinen Ausdrucksmitteln bestimmte Ziele: Er will seinen Existenzbeweis visuell expli-zieren, das Pseudonym als Selbstdarstellung bekannt machen und damit das Terri-torium markieren. Ruhm und Respekt von den Mitgliedern seiner Gruppe, auch Crew genannt, müssen mit dem Beweis von Geschicklichkeit erworben werden.

Alle Sprayer halten sich an einen Ehrencodex und respektieren ungeschriebene Regeln. Das Anfertigen illegaler Graffitis kann als Behauptung der eigenen Exis-tenz in der Anonymität der Großstadt und als Rebellion gegen etablierte Formen der Kunst bewertet werden. Es wird mit dieser künstlerischen Leistung keine poli-tische Intention verfolgt. Graffitis sind eine gesetzlich verbotene Aktivität. Man riskiert dabei, ertappt zu werden – das ist der Spieleinsatz.

Während der 90er Jahre hat sich eine Post-Graffiti-Bewegung entwickelt, die Street-Art genannt wird und eine neue Art von Kunstproduktion im öffentlichen Raum bezeichnet. Im Gegensatz zu Graffitis, in dem die Mittel sich auf Spray-dosen und Marker beschränken und dessen Ziel darin besteht, den Namen des Künstlers bekannt zu machen, tritt Street-Art als facettenreiches Phänomen auf.

Diese andersartige Bewegung kann nicht als völlig neu definiert werden, weil sie von vielen kunstgeschichtlichen Avantgarden beeinflusst wurde. Street-Art ist vie-les zugleich: „verspielt wie Dada, politisch agitierend wie die Situationisten, werbe-ästhetisch-knallig wie Pop-Art oder reviermarkierend und namensfixiert wie das Graffiti Writing“ (Lorenz 2009: 50). Der größere Unterschied zu der Signatur-Graffiti-Bewegung ist die Vorliebe für figurative Arbeiten, die von realistischen zu stilisierten und Comic-ähnlichen Figuren reichen. Außerdem benutzen Street-Ar-tists unterschiedliche Techniken und Methoden, um ihre künstlerischen Ideen zu realisieren: Schablonen oder Stencils, Plakate und Aufkleber, direkten Farbauftrag auf einer kleinen Wand bis zu breiten Wandflächen wie bei den Murals.

Die Arbeit mit Schablonen ist die am meisten verbreitete Technik der Street-Art und hat ihren Ursprung in Italien: während des Faschismus benutzten An-hänger von Mussolini Schablonen, um sein Gesicht auf die Mauern der Städte zu reproduzieren. Der wichtigste und weltbekannte Künstler, der die besten Ergeb-nisse mit dieser Technik erhalten hat, ist der Engländer Bansky. Er strebt nach einer politischen Wirkung der Stencils und benutzt die Stencils, um gegen Kon-formismus, Krieg und Establishment und für den Frieden Stellung zu nehmen (vgl.

Bansky 2005).

Die Intention von vielen Street-Art-Künstlern besteht hauptsächlich darin, un-mittelbare Reaktionen auf gesellschaftspolitische und kulturelle Situationen zum Ausdruck zu bringen. Während Graffitis davon motiviert sind, dass Jugendliche eine Nische innerhalb ihrer Gemeinschaft und in der Stadt besetzen wollen, sind die meisten Street-Art-Hersteller eher politisch animiert.

Graffitis werden oft mit Vandalismus verbunden und bieten dem Betrachter keinen wirklichen Zugang, sie werden als kryptische Ausdrucksformen gesehen.

Street-Art ist visuell und konzeptuell einfacher zu verstehen und übermittelt eine Vielzahl von aktuellen Ideen. Sie kann nämlich satirisch, politisch, figurativ, iro-nisch sein. Die meisten Street-Artists wenden sich an die Bevölkerung insgesamt und nicht an eine bestimmte Gruppe innerhalb der Stadt, sie wollen in einen Dia-log mit den Passanten treten, sie amüsieren und gleichzeitig zum Nachdenken an-regen. Street-Art tritt für Meinungs- und Redefreiheit ein und propagiert in einer indirekten Weise soziale Verantwortung.

Street-Art-Künstler setzen sich in ihren Arbeiten häufig explizit mit der Kom-merzialisierung des Raumes auseinander. Die Bildsprache einer Stadt besteht in erster Linie aus Werbetafeln, Straßenschildern, Reklame, Plakaten, Geschäfts-schildern, die die Bewohner als Kaufinteressenten oder als Gesetzempfänger be-handeln. Street-Art-Arbeiten werden als Alternative zur Massenkultur betrachtet.

Die Adressaten werden nicht als Konsumenten verstanden, sondern als

intelligen-tes Publikum, das sich mit dem Kunstwerk auseinandersetzen kann. Deshalb sind die Künstler gezwungen, den öffentlichen Raum als Schaubühne zu wählen und geschlossene, private Orte zu vermeiden. Darüber äußert sich der berühmte fran-zösische Street-Art-Künstler Blek Le Rat: „Das Problem mit Galerien ist, dass Street-Art von 99 Prozent der urbanen Künstler als Sprungbrett für Galerien be-nutzt wird. Das ist ein verhängnisvoller Fehler, weil sie in Galerien von 40 Leuten gesehen werden, in Museen von 10, aber auf der Straße werden sie von 100.000 Menschen gesehen. Darin liegt die Integrität der Arbeit eines Künstlers: dass sie gesehen wird. Nicht dass sie verkauft oder in einem Museum anerkannt wird – sondern dass sie von der Welt gesehen wird“ (Wacławek 2012: 70). Street-Art bleibt trotzdem eine illegale und nicht autorisierte Kunstform, und ihre Aktivisten müssen anonym oder unter Pseudonym arbeiten.

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