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Wie entsteht ein Comic?

Im Dokument Visuelle Medien im DaF-Unterricht (Seite 108-114)

1 Was ist ein Comic?

2 Wie entsteht ein Comic?

Spielfilm-Komödien über Comic-Zeichner, wie „Der Agentenschreck“8 mit Jerry Lewis und Dean Martin, „Ich heirate meine Frau“9 mit Bob Hope und „Wie bringt man seine Frau um“10 mit Jack Lemmon präsentieren den Schaffensprozess als eine sehr unterhaltsame, lustige Angelegenheit. In Wirklichkeit ist die Comic-Pro-duktion ein langer, kreativer Arbeitsablauf in mehreren Schritten, der neben hand-werklichem Können und Talent auch viel Geduld und Disziplin verlangt. Da es viele, bis ins Detail gehende Anleitungsbücher zum Comic-Zeichnen gibt,11 wird das Thema hier nur soweit behandelt, wie es zum besseren Verständnis des Phäno-mens Comic dienlich erscheint.

Wie bei anderen Berufen auch, haben sich mit der Zeit Fachbegriffe eingebür-gert. Gute Anleitungsbücher verfügen zusätzlich zu den Erklärungen im Text über ein Glossar. Zwei „Wörterbuch“-Listen der wichtigsten Ausdrücke und ihrer in-ternationalen Übersetzungen, zusammengestellt von Pascal Lefèvre, hat Eckart Sackmann online gestellt (Lefèvre 2009).

In der Regel steht die Idee einer Geschichte am Anfang. Der/die Comic-Au-torIn (SzenaristIn) schreibt sie einem Drehbuch gleich mit möglichst vielen Anga-ben auf (Ort, Zeit, Personen, Handlung, Dialoge, etc.). Sofern reale Ereignisse, Personen, etc. vorkommen sollen, müssen die diesbezüglichen Informationen re-cherchiert werden.

Dieses Skript (Exposé) dient dem/r Comic-ZeichnerIn als Vorlage. Aus der Geschichte heraus entwickelt sich das Ensemble der benötigten Figuren. Hilfreich für die Entwicklung eines widerspruchsfreien Handlungsablaufs sind von Anfang an „Steckbriefe“ zu den Figuren, die auch Charaktereigenschaften festlegen.

Auf das Zielpublikum12 und das Genre13 hin werden das Aussehen der Figuren und der Zeichenstil bestimmt (Modell-Skizzen, Abb. 6). Aussehen und Zeichenstil sollen Atmosphäre schaffen und die Geschichte unterstützen. Manche Kreative

8 „Artists and Models“, USA 1955, Regie: Frank Tashlin.

9 „That Certain Feeling“, USA 1956, Regie: Melvin Frank, Norman Panama.

10 „How to Murder Your Wife“, USA 1965, Regie: Richard Quine.

11 Siehe z.B. die Online-Liste „Sekundärliteratur“: http://www.comicforum.de/comicforum/show thread php?s=&threadid=49125.

12 Grobe Einteilung: Kinder, Jugendliche, Erwachsene.

13 Funny, Krimi, Horror, etc.

entwerfen zuerst die Figuren, die dann die Geschichte auf den Leib geschrieben bekommen. Wenn AutorIn und ZeichnerIn eine Person sind, zeichnet er/sie die Handlung möglicherweise aus der Routine heraus gleich in Skizzen auf das Papier (Seitenentwurf, siehe nachfolgender Text). So oder so wird die Geschichte in Bild-sequenzen umgesetzt.

Abb. 6: Entwürfe für die Titelfigur der Comic-Reihe „Zepis Zaubergarten“ sowie Zepis und Schlonzkis Kopf aus verschiedenen Perspektiven.

Dabei kann die Kunstform auch gezielt eingesetzt werden, um abstrakte und kom-plizierte Sachverhalte zu veranschaulichen. Dazu ein persönliches Erlebnis:14 Wäh-rend des Psychologiestudiums erzählte ein Dozent folgende Geschichte: „Ein Zweibein sitzt auf einem Dreibein und isst ein Einbein. Da kommt ein Vierbein und nimmt dem Zweibein das Einbein weg. Da nimmt das Zweibein das Dreibein und schlägt das Vierbein.“ Wir StudentInnen sollten diese Geschichte nacherzäh-len, kamen aber angesichts der vielen Zahlen stets durcheinander. Dann erzählte uns der Dozent die Geschichte nochmal: „Ein Mensch sitzt auf einem Hocker und isst ein Hühnerbein. Da kommt ein Hund und nimmt dem Mensch das

14 Das folgende Experiment ist im Kontext Informationsverarbeitung im Gehirn und Gedächtnis-training sehr beliebt.

bein weg. Da nimmt der Mensch den Hocker und schlägt den Hund.“ Durch die Verbildlichung spielte sich das Geschehen vor unserem inneren Auge ab. Jetzt konnte jede/r die Geschichte von dem Menschen (Zweibein), dem Hocker (Drei-bein), dem Hühnerbein (Einbein) und dem Hund (Vierbein) nacherzählen, sich merken, und auch Rückübersetzen in den Zweibein-Dreibein-Einbein-Vierbein-Ablauf. Dieses Experiment kann auf Comics übertragen werden. Wenn die Mög-lichkeiten der Kunstform adäquat genutzt werden, lassen sich nicht nur unterhalt-same Geschichten erzählen, sondern u.a. auch Vorgänge aus der Chemie, Physik, Mathematik usw. zum besseren Verständnis veranschaulichen.

Dem/r ZeichnerIn stehen zahlreiche textliche und graphische Mittel und staltungsmöglichkeiten zur Verfügung: Zeichen wie Bewegungslinien (= Ge-schwindigkeit), Sterne (= Schmerz), Spiralen (= Benommenheit), Noten (= Musik), Glühbirne (= Geistesblitz), Herz (= Liebe), Eiszapfen (= Gemütskälte), Zeichen wie Sprech- und Gedankenblase, Panel- und Blockrand, Sehlinien und Hinweis-pfeile, Frage- und Ausrufezeichen (= sich fragen/sich wundern und etwas erken-nen/verstehen), Onomatopöien (lautmalende Pengwörter), und vieles mehr. Die jeweiligen Bildmotive können durch Bildaufbau, Perspektive, Ausschnitt, Größe, Nah-/Fern-Einstellung etc. gestaltet werden.15 Das Anleitungsbuch „How to draw Comics the Marvel way“ zeigt im Kapitel Komposition anhand von Gegen-überstellungen, wie durch den gezielten Einsatz dieser Mittel und Gestaltungs-möglichkeiten die Dramatik der Handlung durch die Bilder gesteigert werden kann (vgl. Buscema; Lee 1986: 109-123).

Alle diese Mittel und Gestaltungsmöglichkeiten können, aber sie müssen nicht verwendet werden. So gibt es Comics, die auch ohne Panelränder um die Bilder herum funktionieren. Der/die AutorIn und ZeichnerIn kann Text einsetzen oder auch darauf verzichten.16 Gesprochener Text kann in einer Sprechblase eingefan-gen sein, aber auch ohne diese frei im Bild oder an/unter den Bildrand plaziert sein, solange gewährleistet ist, dass er der sprechenden Figur zugeordnet werden kann.

Nicht nur die Bildsequenzen an sich, auch ihre organische Verteilung auf dem Papier17 sind für das Funktionieren des Comics wichtig. Der Seitenentwurf (Seiten-aufriss) soll sich an der Handlung orientieren und die Vermittlung unterstützen.

Z.B. kann der Fluss der Bilder dynamischer oder ruhiger verlaufen, je nachdem welcher Rhythmus gebraucht wird. Es können auch Layouts entstehen, die sich weit vom üblichen Neben- und Untereinander der Panels entfernen.

15 Dass diese Gestaltungsmöglichkeiten auch aus anderen Kunstformen (Malerei, Fotographie, Film, etc.) bekannt sind, nimmt dem Comic nicht seine Eigenständigkeit, denn diese Gestaltungsmöglich-keiten stehen diesen anderen Kunstformen ebenfalls lediglich nur zur Verfügung.

16 Gerade hierin liegt ein Vorteil des Comics gegenüber anderen Kunstformen. Ein Beispiel: Die Bild-sequenzen auf den Flugzeug-Sicherheitsanweisungen zeigen bzw. erklären ohne Text und dadurch international verständlich, wie man sich bei Notsituation verhalten soll.

17 Oder was immer als Trägermedium dienen soll.

Dazu Beispiele des integrierenden Prinzips:18 In „Elektra Lives Again“ zeigt ein die ganze Seite füllendes Panel eine über mehrere Stockwerke gehende Treppe (Miller;

Lynn 1991: 15; Online-Abb. s. Gravett 2009). Ein Mann steigt diese Treppe hinun-ter und zieht sich dabei einen Bademantel über. Der Mann ist in seiner Bewegung gleichzeitig an neun Stellen in diesem einen Panel zu sehen. Auch so kann eine Sequenz zustande kommen. In „Amazing Spider-Man Spidey Sunday Spectacular“

Nr. 1 zeigt eine Doppelseite die gesamte Wohnung Spider-Mans (Lee; Marcos 2011: 8-9). Dieser ist in diesem einen Grundriss-Panel sieben Mal zu sehen: Als eine Sequenz gezeichnet kommt er durchs Fenster ins Wohnzimmer, wechselt im Schlafzimmer seine Kleidung, wäscht sich im Bad die Hände und geht in die Kü-che.

Abb. 7: Eckart Sackmann hat den Ablauf des Leidensweges Jesu Christi im Simul-tanbild „Turiner Passion“ gekennzeichnet (Sackmann 2006/2009 und Sackmann 2006: 9-10; für die s/w-Abb. modifiziert)

In „Basel Beach“ ist auf einer ganzen Seite ein Flussufer zu sehen, während die Figuren bis zu fünf mal in diesem einen Panel vorkommen (Mawil 2004: k.S.a.).

Die Comic-Sonntagsbeilagen mehrerer US-amerikanischer Zeitungen präsentierten am 25. März 1934 diese Folge von Frank Kings Comic-Serie „Gasoline Alley“: Auf der ganzen Zeitungsseite entfaltete sich eine große Baugrube, wobei die Gesamtan-sicht wie bei einem Puzzle aus zwölf Panels zusammengesetzt war (Online-Abb.

King 1934.) In jedem Panel waren Frank Kings Figuren zu sehen und trugen die Handlung voran. Diese Seitengestaltung wurde wiederholt: Am 15. April 1934 war

18 Es gibt natürlich noch viel mehr als die hier genannten Beispiele.

der Hausbau schon so weit gediehen, dass der erste Teil eines Holzgerüstes zu sehen war. Am 22. April 1934 wurde schließlich ein zweistöckiges Holzhaus ge-zeigt, auf dem und um das herum die Kinder spielten, in jedem der zwölf Panels (Gravett 2009).

Gleich, ob sich die enge Bildfolge auf einer Treppe, in den Zimmern einer Wohnung, an einem Ufer, oder in und um ein Haus herum abspielt; ob sie in einem Comic-Album, einem Comic-Heft oder einer Zeitungsbeilage abgebildet wird: man hat es mit einem Comic zu tun. Auch das Gemälde „Turiner Passion“

geht in diese Richtung: Das Motiv zeigt die Leidensgeschichte Jesu Christi in dreiundzwanzig Szenen, die vor und in eine Stadt als Hintergrund plaziert wurden.19 Einige Stationen sind vom Ablauf her sehr eng miteinander verbunden (Abb. 7).

Dem Seitenentwurf folgt die Roh- bzw. Vorzeichnung, traditionell mit Bunt- oder Bleistift und moderner via Zeichenprogramm am Computer. Der/die Zeich-nerIn legt sich in Bezug auf die Bildelemente fest und Panel für Panel nehmen die Details Gestalt an. Sofern die Comic-Geschichte in keiner reinen Phantasie-Welt spielen soll, dienen Bilder von Schauplätzen, Kleidung, Möbeln, Maschinen, usw.

bis hin zu zeit- und ortsbedingten Verhaltensweisen, Gesten, Mimik, usw. als Vor-lagen für die eigene Darstellung (Abb. 8). Bei Bedarf werden die Stellen für den Text eingezeichnet20 bzw. freigehalten, der im nächsten Schritt eingefügt wird.

Abb. 8: Eisschrank-Detail-Skizze für die Comic-Folge „Zepis Zaubergarten“ für

„Weite Welt – Magazin für Aufgeweckte“ Sept. 2009 (Nemeth 2009), mit Bleistift.

19 „Turiner Passion“ (um 1470) von Hans Memling. Siehe Sackmann 2006.

20 Sprech- und Gedankenblasen usw.

Bei der anschließenden Reinzeichnung werden die vorgezeichneten Konturen und entsprechenden Flächen schwarz nachgezeichnet (Abb. 9), mit Tuschefeder, Filz-stift oder am Computer. Dabei sind noch Korrekturen möglich, etwa wenn ein eingefügter Text über die vorgezeichneten Ränder einer Sprechblase hinausgeht, wird diese jetzt entsprechend größer gemacht. Um eine schwarz/weiß-Version des Comics als Ergebnis zu erhalten, werden danach die Buntstiftstriche herausgefiltert oder wie die Bleistiftstriche wegradiert.

Manche Comics bleiben schwarz/weiß, weil die Kontraste zur Geschichte pas-sen. Oder Zeichnungen bekommen durch graue Flächen Plastizität verliehen. Eine oder mehrere Schmuckfarben können Akzente setzen. Meistens sollen Comics bunt sein und werden entsprechend mit Pinsel, Farbstiften oder am Computer ein-gefärbt.

Im Rahmen einer Arbeitsteilung bzw. Team-Arbeit werden die einzelnen Ar-beitsschritte von verschiedenen bzw. mehreren KollegInnen geleistet. Soweit der kreative Teil. Danach fängt der technische Teil der Produktion an, an dessen Ende dann in der Regel der gedruckte Comic steht.

Wer sich auf Comics einlässt kann auf mehreren Ebenen ein sinnliches Er-lebnis haben. Formen und Flächen in Farben oder auch nur schwarz/weiß, Bilder voller Dynamik, und dazu die eigentliche Comic-Geschichte. Und unter bestimm-ten Bedingungen kann die Kunstform den RezipientInnen auch multi-sensorische Eindrücke vermitteln. Indirekt sieht, hört, riecht, schmeckt und fühlt der/die RezipientIn dann mit den Figuren mit. Das Phänomen heißt Synästhesie.

Abb. 9: Reinzeichnung der Comic-Folge „Zepis Zaubergarten“ für „Weite Welt – Magazin für Aufgeweckte“ Ausgabe September 2009 (Nemeth 2009), mit Tusche.

Im Dokument Visuelle Medien im DaF-Unterricht (Seite 108-114)