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Geschäftsunfähigkeit

Im Dokument Leitfaden zum WBVG (Seite 62-68)

I.2. Die vorvertraglichen Informationen

I.3.2. Geschäftsunfähigkeit

In der Regel ziehen Men -schen deshalb in eine be-treute Wohnform, weil sie einen Hilfebedarf haben.

Das bedeutet, dass vor allen Dingen den Menschen Schutz geboten werden soll, die sich nicht mehr selbst um die Einhaltung ihrer Rechte kümmern können.

Bei der vom WBVG

er-fassten Verbrauchergruppe kann es daher möglich sein, dass der Einzelne bei Umzug in eine Einrichtung nicht (mehr) ge

-schäftsfähig ist. Geschäftsunfähigkeit bedeutet, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher die rechtliche Tragweite, die mit einem Vertragsschluss verbunden ist, insbesondere auch die Reichweite und Folgen einer rechtsverbindlichen Erklärung, nicht mehr verstehen und einschätzen können. Nach § 104 Nr. 2 BGB ist geschäftsunfähig, „wer sich in einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestä -tigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist“. In diesen Fällen sieht das WBVG zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor, dass ihre Vertragserklärungen zunächst „schwebend unwirksam“ sind.

War die Verbraucherin oder der Verbraucher bei Abschluss des Vertrages geschäftsunfä -hig, so hängt die Wirksamkeit des Vertrages nach § 4 Absatz 2 Satz 1 WBVG von der Genehmigung ihres bzw. seines Bevollmächtigten oder Be -treuers ab. Erst mit der erteilten Genehmigung wird die schwe -bende Unwirksamkeit beseitigt und der geschlossene Vertrag entfaltet seine volle Wirksamkeit, § 4 Absatz 2 Satz 3. Die Genehmigung unterliegt keiner besonderen Form.

Exkurs

Eine Bevollmächtigte oder ein Bevollmächtigter ist eine Per -son, die die Verbraucherin oder der Verbraucher zu ihrer/seiner Stellvertretung in bestimmten Angelegenheiten eingesetzt hat.

Eine Bevollmächtigung kann beispielsweise auch vorsorgend 104 Nr. 2

durch eine Vorsorgevollmacht ausgesprochen werden. Diese so bevollmächtigte Person wird vorsorglich benannt für den Fall, dass man selbst nicht mehr in der Lage ist, seine Angelegenheiten zu regeln.

Wenn keine Vollmacht erteilt wur -de o-der keine Vorsorgevollmacht

vorliegt, kann das Gericht eine rechtliche Betreuerin oder einen rechtlichen Betreuerin bestellen, wenn der Betroffene nicht mehr in der Lage ist, seine Angelegenheiten selbst zu regeln.

Der durch die geschäftsunfähige Person zunächst „schwebend unwirksam“ abgeschlossene Vertrag wird nun von der Betreue -rin bzw. dem Betreuer oder der/dem Bevollmächtigten geneh -migt. Diese Genehmigung sollte aus Gründen der Rechtssicher -heit nicht allein der oder dem Geschäftsunfähigen gegenüber erklärt werden, sondern auch gegenüber der Unternehmerin oder dem Unternehmer. Erst dadurch entsteht Rechtsklarheit.

Erklärt die bevollmächtigte Per -son oder die Betreuerin bzw. der Betreuer dies nämlich nicht von selbst, kann die Unternehmerin oder der Unternehmer ihn auf -fordern, den Vertragsschluss zu genehmigen. Zu beachten ist hier der § 108 Absatz 2 BGB, auf den der § 4 Absatz 2 Satz 2 WBVG

verweist: Fordert die Unternehmerin oder der Unternehmer die bevollmächtigte Person oder die Betreuerin bzw. den Betreuer dazu auf, den geschlossenen Vertrag im Falle der Geschäfts -unfähigkeit zu genehmigen, so kann die Genehmigung nur bis

zum Ablauf von zwei Wochen nach dem Empfang der Aufforderung gegenüber der Unternehmerin oder dem Unternehmer erfolgen. Andernfalls gilt die Genehmigung als verweigert.

Beispiel

Herr O. ist kognitiv eingeschränkt, insbesondere kann er seine finanziellen Verhältnisse nicht mehr überschauen bzw. eine Überschuldung erkennen. Aus diesem Grund wurde bereits vor einiger Zeit sein Cousin als Betreuer u.a. mit den Aufga-benbereichen Aufenthaltsbestimmung und finanzielle Angele-genheiten eingesetzt. Da Herr O. anderen Menschen gegen-über sehr zugewandt ist und eloquent auftritt, ist es auch zu einem Gespräch in einer Seniorenresidenz gekommen, nach dessen Abschluss er einen Residenzvertrag unterschrieben hat. Mit dem Einzug von Herrn O. fällt auf, dass die finanziel-len Möglichkeiten ungeklärt geblieben und nicht sichergestellt sind. In diesem Zusammenhang wird auch das Bestehen einer Betreuung festgestellt. Die Einrichtungsleitung fordert darauf-hin den Betreuer von Herrn O. auf, den Vertragsschluss zu genehmigen. Dieser reagiert gar nicht, in der Auffassung, dass Herr O. ohnehin kein Geld hat und woanders wohnen muss.

Nach Ablauf der zwei Wochen gilt die Genehmigung des Ver-trags als verweigert, Herr O. muss ausziehen.

108 Abs. 2

§

BGB

Wird ein Vertrag wie in dem vorgenannten Beispiel nicht genehmigt, kann er aber nicht einfach rückab -gewickelt werden. Vielmehr bleiben die erbrachten Leistungen sowie der Anspruch darauf, Zahlungen zu erhalten (sofern nicht bereits geschehen), bestehen.

Die Unternehmerin oder der Unternehmer können auch nicht einfach unmittelbar die Versorgungsleis-tungen einstellen, da sie die Verbraucherin oder den Verbraucher in ihre Obhut genommen und damit eine Garantenstellung eingenommen haben. Das bedeu -tet, dass sie im Rahmen ihrer Tätigkeit dafür Sorge zu tragen haben, dass den ihnen anvertrauten Verbraucherinnen und Verbrauchern nichts geschieht. In diesem Fall heißt das z. B., dass notwendige Pflegemaßnahmen nicht unterbleiben dürfen.

Die Unternehmerin oder der Unternehmer haben aber einen An -spruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen sowie auf Räumung.

Nun gibt es viele Fälle, in denen die oder der Geschäftsun -fähige weder eine bevollmächtigte Person benannt hat, noch bereits eine Betreuerin oder ein Betreuer bestellt ist. Der oben dargestellte Schwebezustand kann also einige Zeit andauern, bis das Gericht eine Betreuerin oder ein Betreuer bestellt hat.

Leistungen (in der Regel Wohnraumüberlassung, Verpflegung, Betreuung, Pflege) und Gegenleistungen (in der Regel das Entgelt für die erhaltenen Leistungen), die in der Schwebe

-zeit erbracht werden, gelten als mit Rechtsgrund erbracht.

Das bedeutet, die Leistungen können nicht wegen fehlender Rechtsgrundlage zurückgefordert oder hierfür Schadensersatz gefordert werden. Dadurch kann die geschäftsunfähige Ver -braucherin oder der geschäftsunfähige Verbraucher in der Ein -richtung verbleiben. Das WBVG gewährt durch diese Regelun -gen der oder dem Geschäftsunfähi-gen den gebotenen Schutz.

In der Praxis wird es kaum vorkommen, dass ein recht aufwän -diges und kostenträchtiges Betreuungsverfahren allein deshalb in Gang gesetzt wird, um einen Vertrag zu genehmigen. Zudem müsste eine Geschäftsunfähigkeit erst einmal gutachterlich fest -gestellt werden. Das gilt umso mehr, wenn Verwandte engen Kontakt zu der oder dem Betroffenen halten und sich in deren oder dessen Interesse um die tatsächlichen und rechtlichen Angelegenheiten als vollmachtlose Vertreterin oder Vertreter kümmern. In diesen Fällen wird der Schwebezustand tatsäch -lich zum Dauerzustand. Solange der Vertrag nicht wirksam geschlossen worden ist, d. h. also während des

Schwebezustandes, kann der Unternehmer das

„Vertragsverhältnis“ gemäß § 4 Absatz 2 Satz 4

nur aus wichtigem Grund für gelöst erklären. Auf diese Auflösung sind die Kündigungsregelungen in den §§ 12 und 13 Absatz 2 und 4 WBVG ent -sprechend anzuwenden

Zusammenfassung

Ein mit einer geschäftsunfähigen Person geschlossener Vertrag

• gilt als schwebend unwirksam

s. Kap. IV.2.2.

4 Abs. 2 S. 4

§

WBVG

• bis er von einer oder einem Bevollmächtigten oder einer Be -treuerin bzw. einem Betreuer genehmigt wird.

• Die geschäftsunfähige Person wird während des Schwebe -zustands geschützt und kann in der Versorgung verbleiben, es sei denn,

• die oder der Bevollmächtigte bzw. die oder der Betreuer genehmigt den Vertrag nicht oder reagiert auf eine Aufforde -rung zur Genehmigung nicht innerhalb von zwei Wochen.

Im Dokument Leitfaden zum WBVG (Seite 62-68)