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Geomorphologie Methodisches

Im Dokument TECHNISCHER BERICHT 02-03 (Seite 145-148)

2 Regionale geologische Untersuchungen im Rahmen des Entsorgungsprogramms für hochaktive Abfälle

3 Ergebnisse der erdwissenschaftlichen Untersuchungen in der Nordostschweiz

3.5 Junge Erdkrustenbewegungen (Neotektonik)

3.5.2 Geomorphologie Methodisches

Die Morphologie der Landoberfläche wird in vielfältiger Weise von den verschiedenen exo-genen Prozessen und Ereignissen geprägt. Ihre langfristige Entwicklung wird aber letztlich von endogenen Prozessen gesteuert, deren Dynamik wesentlich kontinuierlicher ist. Deshalb wird über geologische Zeiträume, d.h. Hunderttausende bis Millionen von Jahren mit einer konti-nuierlichen Entwicklung gerechnet, und es darf auch über solche Zeiträume inter- resp. extra-poliert werden. Insbesondere regionale, aber auch lokale Vertikalbewegungen prägen die Anordnung und Entwicklung von Talsystemen und kontinentalen Ablagerungsräumen. Dabei kann eine direkte Beziehung zwischen Hebung und Erosion sowie Senkung und Ablagerung hergestellt werden. Hebt sich Region A gegenüber B, so findet in A Erosion, d.h. flächenhafter Abtrag (Denudation) und Talbildung (lineare Erosion) statt, und in B wird das Material wieder abgelagert. Als klassisches Beispiel dient die Reliefentwicklung während eines Gebirgsbil-dungszyklus mit rascher Hebung und starker Erosion während und kurz nach dem Zusammen-schub und nachfolgender, lang andauernder, aber immer kleiner werdender Erosion bis zur Einebnung. In gewissem Gegensatz zu diesem klassischen Modell der Landschaftsentwicklung basiert die moderne geomorphologische Analyse eher auf dem Konzept des dynamischen Gleichgewichts: Der Ausgleich von Hebung durch Erosion erfolgt nicht als Reaktion sondern als stetiger interaktiver Prozess. Deshalb ist die über einen gewissen Zeitraum gemittelte Erosion ein direkter Ausdruck der in der gleichen Zeit erfolgten Hebung. Diese Beziehung wird von zahlreichen sekundären Faktoren, wie Klimaentwicklung, Zusammensetzung und Hetero-genität des Felsuntergrunds, Intensität und Geometrie tektonischer Schwächezonen etc. modifi-ziert, die berücksichtigt werden müssen. Grundsätzlich ist aber davon auszugehen, dass zumin-dest ausserhalb der zentralen Gebirgsregionen, wo die Vertikalbewegungen in der Regel gering sind, die lineare Erosion mit der Hebung Schritt hält, d.h. Erosionsraten direkt als Hebungsraten bezeichnet werden können.

Dabei ist es wichtig, dass jeweils sowohl der räumliche wie auch der zeitliche Massstab berück-sichtigt und nur Gleiches mit Gleichem verglichen resp. kombiniert wird. Ist von Raten die Rede, so beruhen diese grundsätzlich auf einer linearen Interpolation über einen bestimmten Zeitabschnitt. Sie implizieren also stillschweigend einen kontinuierlichen Prozess und müssen sich auf einen definierten Referenzpunkt beziehen. Weiter wird davon ausgegangen, dass solchermassen ermittelte Raten, die sich auf die unmittelbare Vergangenheit einer bestimmten Lokalität beziehen auch für einen vergleichbaren Zeitraum der Zukunft gültig sind (Extra-polation der Vergangenheit in die Zukunft). Dieses Konzept weist jedoch zwangsläufig Grenzen auf, die mit Analogbeispielen und dem Vergleich der Daten verschiedener methodischer Ansätze diskutiert werden müssen. Je besser die Ergebnisse unterschiedlicher Methoden mit-einander übereinstimmen, desto belastbarer ist die Aussage.

Im Gegensatz zur Ermittlung von Absenkraten verfügt man bei der Bestimmung von Hebungs-raten nicht über eine Gesteinsabfolge, die den entsprechenden Zeitraum direkt dokumentiert, sondern es müssen in älteren Abfolgen Indizien für die Dauer und das Ausmass der Hebungs-geschichte gesucht werden (Maturitätsstudien, Kap. 3.3), oder die Hebungsraten werden anhand von Erosionsformen und Resten älterer, über das Niveau des rezenten Sedimentationsbereichs herausgehobener Ablagerungen rekonstruiert.

Analysen junger, noch anhaltender Hebungen beziehen sich in der Regel auf kontinentale Gebiete, deren Meereshöhe zwar heute, nicht aber zu Beginn der betrachteten Hebungszeit bekannt ist. Es handelt sich deshalb um Relativbewegungen gegenüber einem lokalen Bezugs-punkt (z.B. heutige Geländeoberfläche einer Tiefbohrung) oder einer regionalen Bezugsebene

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(heutiges Talniveau = Sedimentationsebene), deren Meereshöhe sich im Laufe der Hebungs-geschichte ebenfalls verändert haben kann. Bei Maturitätsstudien an marinen Sedimentabfolgen ist ein direkter Bezug unter Umständen gegeben. Bei geomorphologischen Analysen innerhalb der Kontinente, wie dies auch in der Nordschweiz der Fall ist, muss die Anbindung an das Meeresniveau über die Hauptentwässerungsrinne erfolgen. Für die Nordschweiz ist diese Bezugslinie zumindest seit Beginn des Pleistozäns vor ca. 2.6 Ma der Rhein.

Der Vergleich älterer, höher liegender Talböden und entsprechender Flusslaufprofile mit dem heutigen Talniveau ergibt ein Mass für die lineare Erosion innerhalb eines betrachteten Gebiets.

Entspricht diese lineare Erosion im eingangs erwähnten Sinne einer kontinuierlichen Entwick-lung, so kann aus der Erosion direkt auf die relative Hebung des Gebiets gegenüber seiner Erosionsbasis, d.h. dem tiefsten Punkt des jeweiligen Talquerschnitts geschlossen werden.

Erosionsraten entsprechen dann den regionalen Hebungsraten. Die Bestimmung der absoluten Hebung oder entsprechender Hebungsraten erfordert zusätzlich Angaben über die Bewegung der regionalen Erosionsbasis gegenüber dem Meeresspiegel. Für die geologischen Langzeit-szenarien, insbesondere die Erosionsszenarien ist dies aber nur von Bedeutung, falls die Wahrscheinlichkeit besteht, dass die zukünftige Entwicklung anders verlaufen könnte, d.h. nicht linear extrapoliert werden darf; dann aber sind die Grundvoraussetzungen der Methode nicht erfüllt.

Soll die Annahme Erosionsraten = Hebungsraten nicht nur relativ, d.h. für ein geschlossenes, sich in einem dynamischen Gleichgewicht befindendes System wie es für die Nordschweiz an-genommen wird, sondern auch absolut gelten, so muss eine weitere Bedingung erfüllt sein: Die Erosion muss mit der Hebung Schritt halten. Ist die tatsächliche Hebung eines Gebiets grösser als die lineare Erosion entlang seiner Haupttäler, so wird sich dieses gegenüber der globalen Erosionsbasis – für die Nordschweiz ist dies heute die Nordsee – relativ herausheben. Ein dyna-misches Gleichgewicht herrscht zwar auch bei diesem Prozess, aber sobald die Hebungs-geschwindigkeit nachlässt, kann eine zeitlich verzögerte Rückerosion eintreten. Wann eine solche eintritt, hängt davon ab, wieviel Zeit bis zum erneuten Ausgleich, d.h. bis zur Etablierung eines neuen Gleichgewichtsprofils entlang des gesamten Flusslaufs vergehen wird. In der Fachliteratur finden sich unterschiedliche Ansätze zur Lösung dieser Frage. Abgesehen vom Einfluss zahlreicher endogener wie exogener Faktoren besteht heute die Tendenz zur Annahme, dass das Erreichen eines Gleichgewichtsprofils viel rascher, d.h. innerhalb einiger 100'000 Jahre erfolgt, als dies früher angenommen wurde (viele Jahrmillionen). Kann also für ein Teilsystem, z.B. den Hochrhein (Rheinstrecke Bodensee–Basel) mit Erosionsbasis in Basel, nachgewiesen werden, dass über eine wesentlich längere Zeit ein Gleichgewichtszustand geherrscht hat, so ist anzunehmen, dass dies für das gesamte System bis zur globalen Erosionsbasis auch der Fall war. In der Nordschweiz wird zumindest für die vergangenen 2 Ma seit Ablagerung der höheren Deckenschotter eine kontinuierliche Talentwicklung postuliert. Es ist deshalb naheliegend, dass diese Entwicklung im Gleichgewicht mit dem gesamten Rhein stattgefunden hat.

Regionale Studien Nordschweiz

Aus der Anordnung und dem Gefällsverlauf der in den Hochrhein einmündenden Schwarzwald-flüsse fanden Haldimann et al. (1984) deutliche Hinweise für die These, dass sich die junge Hebung des Südostschwarzwalds und eine damit verbundene zunehmende Verkippung der Randzonen bis in die jüngste Zeit fortsetzte. Im zentralen Schwarzwald besteht eine deutliche Beziehung zwischen dem Verlauf der herzynisch streichenden Horst- und Grabenzonen und den Flussläufen. Im Südostschwarzwald werden die Flussläufe aber zunehmend im Uhrzeigersinn nach Süden abgelenkt, was im Sinne einer radialen Entwässerung bedingt durch eine Hebung im zentralen Schwarzwald und entsprechende Übersteilung des Reliefs in den Randzonen interpretiert wurde (Beil. 3.2-1 und 3.5-1). Die grösste relative Hebung erfolgte im Gebiet des

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Feldbergs (Schauinsland–Feldberg-Horst), aber auch im oberen Wutachgebiet kann noch eine deutliche junge Hebung gegenüber dem Hochrhein festgestellt werden (Aare–Donau-Schotter).

Die Übersteilung der Flusslaufprofile im Südschwarzwald ist ein klarer Hinweis auf eine Grenz-zone zwischen zwei Gebieten mit unterschiedlichen Hebungsraten. Dabei muss auch der Über-gang vom verwitterungsresistenten Kristallin zu den teilweise doch wesentlich erosionsan-fälligeren Lithologien des Tafeljuras berücksichtigt werden (Diebold & Müller 1985).

Studien über die Höhenlage von Schotterterrassen im Umfeld des unteren Aaretals zeigen Unregelmässigkeiten, die mit Aufschiebungszonen des östlichen Faltenjuras, insbesondere der Mandacher Überschiebung (Vorfaltenzone) in Zusammenhang gebracht werden können. Dies gilt als Hinweis auf einen bis in jüngste Zeit aktiven Fernschub (Haldimann et al. 1984, Graf 1993).

Weitere wichtige Daten zur jungen Hebungsgeschichte der Nordschweiz ergeben sich aus der Rekonstruktion der plio- bis pleistozänen Landschafts- bzw. Talgeschichte. Vor allem der Ver-such einer chronostratigraphischen Gliederung und morphostratigraphischen Korrelation der fluviatilen und fluvioglazialen Ablagerungen und deren Bezug zum heutigen Erosionsniveau hat wichtige neue Erkenntnisse zur endogenen Dynamik der Nordschweiz gebracht (Müller et al.

2002). Durch die Korrelation höhengleicher Schottervorkommen konnten verschiedene Tal-niveaus unterschieden und dank einiger Datierungen auch zeitlich grob gegliedert werden. So wird angenommen, dass das älteste postmolassische Talsystem, nämlich das einer nach Osten entwässernden Aare–Donau, vor ca. 5 Ma durch östliche Ausläufer der Schwarzwald-Hebungs-zone unterbrochen wurde. Die Aare wurde nach Westen abgelenkt und bildete mit den Zuflüssen aus dem Bodenseegebiet das bis heute dominierende Entwässerungssystem des Schweizer Mittellands und der Zentralalpen. Reste von Aare–Donau-Schottern mit alpinem Geröllanteil, die im Bereich der damaligen Erosionsbasis abgelagert wurden, liegen heute bei Blumberg auf ca. 900 m ü.M. Dies ergibt gegenüber der heutigen, regionalen Erosionsbasis Hochrhein bei Koblenz eine Differenz von ca. 600 m. Für das Gebiet um Blumberg, das heute etwa auf der Wasserscheide zwischen Hochrhein und Donau liegt, lässt sich daraus eine über die letzten 5 Ma gemittelte Hebungsrate von ca. 0.12 mm/a ableiten. Die Aare–Donau-Rest-schotter vom Geissberg bei Villigen im unteren Aaretal liegen dagegen mit ca. 700 m ü.M. nur etwa 350 m über der heutigen Erosionsbasis. Daraus resultiert für das Gebiet des unteren Aaretals gegenüber der Erosionsbasis Hochrhein, eine durchschnittliche Hebungsrate von ca. 0.07 mm/a (Fig. 3.5-1).

Die Datierung der Höheren Deckenschotter am Irchel ergab ein Mindestalter von ca. 2 Ma (Bolliger et al. 1996). Diese Zeitmarke bildet einen sehr wichtigen Eckpfeiler für die Rekon-struktion und Datierung der pleistozänen Talgeschichte der Nordschweiz und die daraus abgeleiteten durchschnittlichen Erosions- resp. Hebungsraten. Zudem wurde angenommen, dass vor Beginn der Vorlandvereisungen an der Wende vom Plio- zum Pleistozän, vor ca. 2.5 Ma das Alpenvorland einer Flusslandschaft ohne grossem Relief entsprach. Damit lässt sich in grober Vereinfachung durch die heutige "Gipfelflur", d.h. die Korrelation der höchsten Molasseberge, eine präpleistozäne Landebene definieren, die etwa der damaligen Erosionsbasis entspricht.

Aufgrund der Niveaudifferenzen zwischen dem heutigen Talniveau der Hauptflüsse Rhein, Aare, Limmat und Thur, das für jeden Punkt in diesem Gebiet die lokale Erosionsbasis bildet, und den drei definierten älteren Talniveaus (Aare–Donau-System: 5 Ma, Ostschweizer Gipfel-flur an der Grenze Plio-/Pleistozän: 2.5 Ma, Höhere Deckenschotter: 2 Ma) können Hebungs-raten für das Plio- bis Pleistozän der Nordschweiz ermittelt werden. Diese lokalen HebungsHebungs-raten sind in Figur 3.5-1 zusammenfassend dargestellt (s. auch Müller et al. 2002). In diese Karte sind auch die gemittelten Hebungsraten, die sich aus Maturitätsstudien an den Sedimentabfolgen der

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Nordschweizer Tiefbohrungen ergaben (Kap. 3.3 und Leu et al. 2001), eingetragen. Diese resultieren aus einer linearen Interpolation über den gesamten Zeitraum seit dem Ende der Molassesedimentation vor ca. 10 Ma.

Fig. 3.5-1: Hebungsraten in m/Ma nach geomorphologischen und geologischen Kriterien (Zeitraum: Spätes Miozän bis Pleistozän).

Figur 3.5-1 zeigt ein ziemlich konsistentes Bild mit minimalen Hebungsraten von 60–80 m/Ma für einen SW–NE streichenden Korridor, der sich vom untersten Aaretal bis zum nördlichen Ende des Bodensees erstreckt. Gegen Südosten steigen die Werte generell an und erreichen am Ostschweizer Alpennordrand etwa 200 m/Ma (0.2 mm/a).

Diese direkte Ableitung von Hebungsraten aus der Erosion ist nur zulässig, falls angenommen wird, dass das Gefälle der Hauptentwässerungsrinnen über den gesamten Zeitraum einem dynamischen Gleichgewicht entsprach, das Ausdruck eines gleichförmigen endogenen Prozes-ses ist (vgl. Abschnitt "Methodisches"). Bei der Verwendung der Daten für die geologischen Langzeitszenarien wird daher vorausgesetzt, dass es sich über eine von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft kontinuierlich weiterlaufende Entwicklung handelt.

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