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Geodäsie

Im Dokument TECHNISCHER BERICHT 02-03 (Seite 148-154)

2 Regionale geologische Untersuchungen im Rahmen des Entsorgungsprogramms für hochaktive Abfälle

3 Ergebnisse der erdwissenschaftlichen Untersuchungen in der Nordostschweiz

3.5 Junge Erdkrustenbewegungen (Neotektonik)

3.5.3 Geodäsie

Die zusammenhängende Auswertung des Schweizerischen Landesnivellements liefert einen Datensatz über rezente Hebungen und Senkungen in einem Beobachtungszeitraum von beinahe 100 Jahren. Geodätische Messungen sind zwar Momentaufnahmen der jüngsten tektonischen Aktivität. Deren Analyse im Zusammenhang mit den Kenntnissen zur regionalen Geologie erlaubt aber Rückschlüsse über die Bewegungen der oberen Erdkruste während der jüngsten Erdgeschichte. und Erosionsbasis Rhein bei Koblenz Interpolation zwischen Basis Höhere der heutigen Erosionsbasis in m/Ma 65

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Das landesweite Netz der Nivellementlinien wurde zwischen 1903 und 1930 erstellt und durch das Bundesamt für Landestopographie in diesem Zeitraum erstmals vermessen. Seit 1943 werden alle Linien sukzessive nachgemessen. Aufgrund dieser Nachmessungen ergaben sich erste Hinweise auf rezente vertikale Krustenbewegungen in der Schweiz. Die Messungen des Landesnivellements beziehen sich auf den vom Bundesamt für Landestopographie gewählten Referenzpunkt bei Aarburg. Jeanrichard (1972) konnte erstmals zeigen, dass sich der Alpen-raum gegenüber dem Mittelland und dem Jurasüdfuss hebt. Mit zunehmender Datendichte konnte das Bild wesentlich verfeinert werden (Gubler 1976 und 1991, Schlatter 1999). Die aktuellste Darstellung der rezenten Vertikalbewegungen zeigt gegenüber dem Referenzpunkt bei Aarburg eine Hebungszone mit Werten bis zu 1.5 mm/a im Raum der Zentralalpen (oberes Rhonetal, Vorder- und Hinterrheintal) und im Engadin (Müller et al. 2002). Vom Alpenkamm bis ins Mittelland nehmen die Werte der relativen jährlichen Höhenänderungen deutlich ab und liegen im Tafeljura bei ± Null. Im Gebiet des Westschweizer Juras (Delémont bis Genf) zeigen die Daten mehrheitlich relative Senkungstendenzen.

Bei den von der Nagra in Auftrag gegebenen Analysen der Nivellementmessungen in der Nord-schweiz (Gubler et al. 1984, Schneider et al. 1992, Schlatter 1999) und den angrenzenden Gebieten von Baden-Württemberg (Mälzer et al. 1988) wurde ein Referenzpunkt im Kristallin bei Laufenburg gewählt. Dieser senkt sich gegenüber dem gesamtschweizerischen Referenz-punkt bei Aarburg mit 0.18 mm/a (Beil. 3.5-1). Der ReferenzReferenz-punkt bei Laufenburg selbst besitzt aber auch keine fixe Lage gegenüber dem Geoid resp. dem Meeresspiegel. So weist er bezüglich seiner Erosionsbasis, dem Rhein bei Laufenburg eine geringe mit geomorphologischer Metho-dik ermittelte Hebungsrate von ca. 0.065 mm/a auf (Kap. 8.3.4, Fig. 8.3-1).

Die Auswertung der Nivellementmessungen (Beil. 3.5-1) widerspiegelt das strukturgeologische Bild der Nordschweiz und des angrenzenden Auslands. Im Südschwarzwald zeigen Horststruk-turen Hebungstendenzen an (z.B. Schauinsland−Feldberg-Horst, Horst von Hochfirst bei Neu-stadt), Gräben sind durch relative Absenkung gekennzeichnet (z.B. Bonndorf−Hegau− Boden-see-Graben, Albtal-Graben). Generell hält die Aufdomung des Schwarzwalds, wenn auch dif-ferenziert, weiter an. Die östlich anschliessende Schwäbische Alb weist demgegenüber Senkungstendenz auf. Alle diese Daten beziehen sich auf den Referenzpunkt bei Laufenburg.

Der südlich des Schwarzwalds liegende Tafeljura zeigt leichte Subsidenz bis stagnierende Verhältnisse gegenüber Laufenburg (Müller et al. 2002). Die Daten der Messlinien über den östlichen Faltenjura ergeben Hebungen des Faltenjuras gegenüber dem Tafeljura und könnten als Ausdruck einer andauernden Aufschiebung dieses jungen Gebirgskörpers interpretiert werden. Aufgrund der Hebungsraten ergeben Berechnungen, dass im Bereich des östlichen Faltenjuras die Überschiebungsgeschwindigkeit des über den Evaporiten des Mittleren Muschelkalks abgescherten Sedimentstapels in der gleichen Grössenordnung liegt wie seit Beginn der Juraaufschiebung (Müller et al. 2002).

Im Gebiet Limmattal–Zürichsee korrelieren die Vertikalbewegungen mit den Anti- und Synkli-nalen der Molasse. Dies kann als weiterer Hinweis auf eine noch aktive Kompressions- und Ab-scherungstektonik des Mittellands gedeutet werden (vgl. Kap. 3.4 und Beil. 3.2-1). Auch die deutlichen Hebungstendenzen am Hochrhein bei Weiach–Eglisau und bis ins unterste Thurtal könnten als Ausdruck einer aktiven Vorfaltenzone im Untergrund des Molassenordrands gedeutet werden.

Falls diese Beziehung zwischen den Nivellementdaten und den neotektonischen Prozessen tatsächlich besteht, kann angenommen werden, dass die rezente Hebungszone im Bodenseeraum durch interne Deformation des Deckgebirges, infolge anhaltender alpiner Kompression verur-sacht wird. Diese Hebungszone der Ostschweiz reicht im Norden bis zum Hochrhein und ins

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westliche Bodenseegebiet hinein. Der Einfluss der alpinen Kompression reicht also bis auf eine nicht genauer definierte Linie, die von der Vorfaltenzone aus in ENE-Richtung nördlich von Benken vorbei gegen den Bodensee zieht (Beil. 3.2-1).

Das Zürcher Weinland selbst befindet sich im Übergangsbereich zwischen der mittelländischen Zone mit Hebungstendenz und dem Bereich des Hegau–Bodensee-Grabens, in welchem Senkungstendenz vorherrscht. Das Gebiet um Schaffhausen, nördlich der beiden Strukturele-mente Wildensbucher Flexur und Neuhauser Störung (vgl. Kap. 4.1), weist Senkungstendenzen mit Werten zwischen -0.05 und -0.2 mm/a gegenüber Laufenburg auf. Südlich des Unter-suchungsgebiets Zürcher Weinland gelangt man in die erwähnte Hebungszone des unteren Thurtals, wobei Werte von 0.1 mm/a und mehr erreicht werden, die in Richtung Winterthur (> 0.2 mm/a) stetig zunehmen.

Die Auswertungen der bisherigen GPS-Messungen zeigen, dass für das Zeitintervall 1988–1995 keine signifikanten Bewegungsrichtungen und -beträge als rezente Horizontalbewegungen erkannt werden können (Beil. 3.5-1 und Wiget et al. 1996). Die Koordinatenänderungen sind noch innerhalb der Messfehler der Basismessung 1988. Zumindest kann aber bereits gezeigt werden, dass die rezenten horizontalen Bewegungsraten sehr klein sein müssen.

Generell kann festgestellt werden, dass die geodätisch ermittelten Hebungsraten (Beil. 3.5-1 und Müller et al. 2002) eine gewisse Übereinstimmung mit den Resultaten der geologisch-geomor-phologischen Studien (Fig. 3.5-1) zeigen.

3.5.4 Seismologie

Die Analyse von Erdbeben ermöglicht Aussagen über rezent aktive Störungszonen, Herd-mechanismen und das rezente Spannungsfeld. Die Aussagekraft einer solchen Analyse hängt von der Zahl und Lokalisierungsgenauigkeit der erfassten Erdbeben ab. Der Schweizerische Erdbebendienst verfügt seit ca. 1975 über ein landesweites Netz von Seismographen, die auch Kleinbeben bis zu einer Magnitude von 1.6 auf der Richter-Skala zuverlässig erfassen. 1983 wurde im Auftrag der Nagra in der Nordschweiz ein zusätzliches modernes Mikroerdbebennetz mit neun Stationen installiert (Mayer-Rosa et al. 1984), damit auch in einem Gebiet mit geringer Erdbebenaktivität genügend Daten für eine Auswertung zur Verfügung stehen. Mithilfe beider Netze war es nun möglich, im Untersuchungsgebiet der zentralen Nordschweiz, Erdbeben sehr schwacher Magnitude (< 1.0 auf der Richter-Skala) zu erfassen und die Lokalisierungs-genauigkeit wesentlich zu verbessern (Deichmann & Renggli 1984). Die Erdbebenaktivität und die Resultate der Analysen wurden in Deichmann & Renggli (1984), Pavoni (1984), Deichmann (1987 und 1990) sowie Deichmann et al. (2000) publiziert.

Die während der letzten 25 Jahre instrumentell erfassten Erdbeben der Nordschweiz (Fig. 3.5-2a: 1975–1982, ohne Nagra-Netz und Fig. 3.5-2b: 1983–1999, mit Nagra-Netz) zeigen eine Konzentration von Beben in der Region um Basel und den südlichen Teil des Oberrhein-grabens inkl. Dinkelberg, die sich nach Süden bis zum Hauenstein verfolgen lässt. Eine weitere Zone erhöhter Erdbebenaktivität erstreckt sich vom unteren Teil des Bodensees bis in die Zentralschweiz hinein. Der zentrale Teil der Nordschweiz inklusive dem Zürcher Weinland hat sich dagegen in den letzten 25 Jahren seismisch vergleichsweise wenig bemerkbar gemacht. Das Bild der räumlichen Verteilung seismischer Aktivität des letzten Vierteljahrhunderts entspricht etwa demjenigen der makroseismisch erfassten Beben der letzten 120 Jahre (Deichmann et al.

2000). Das Untersuchungsgebiet Zürcher Weinland gehört aufgrund der historischen wie auch der instrumentell erhobenen Daten zu den seismisch ruhigen Gebieten der Schweiz.

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Fig. 3.5-2: Epizentren der instrumentell erfassten Erdbeben seit der Inbetriebnahme des Nagra-Stationsnetzes.

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Fig. 3.5-3: Überblick über die Orientierung des rezenten Spannungsfelds in der Nordschweiz.

Die Hypozentren der analysierten Herdflächenlösungen der Nordschweiz liegen fast aus-schliesslich im Sockel (Beil. 1 in Deichmann et al. 2000). Dominante Mechanismen sind Blatt-verschiebungen (ca. 2/3) und etwas untergeordnet Abschiebungen, wobei letztere z.T. auch Hori-zontalkomponenten aufweisen. Im Mittelland und in der Nordschweiz fehlen Anzeichen von Aufschiebungen oder Überschiebungen.

Die Streichrichtungen der möglichen Bruchflächen, die sich aus Herdflächenlösungen ergeben, liegen für die Nordostschweiz im Sektor zwischen 290° und 040°, wobei die beiden dominanten Bruchsysteme eine NW-SE- (Hegau–Bodensee-Graben, herzynische Richtung) und eine NNE-SSW-Streichrichtung aufweisen (Fig. 4.24 in Deichmann et al. 2000). In der Nordwestschweiz liegt der Sektor zwischen 270° bis 030°, wobei dort die rheinischen (N-S bis NNE-SSW) und flachherzynischen (WNW-ESE) Bruchsysteme dominieren. In beiden Teilgebieten liegen die ENE-WSW ausgerichteten Strukturen, insbesondere die Randbrüche des Nordschweizer Permo-karbontrogs, nicht im Bereich der neotektonisch aktiven Strukturen. Die Ausrichtung des aus den Herdflächenlösungen abgeleiteten Spannungsfelds (Fig. 3.5-3) weist von Osten nach Westen eine leichte Drehung im Gegenuhrzeigersinn auf.

3.5.5 Spannungsmessungen

Direkte Messungen des Spannungsfelds können mit verschiedenen Methoden entweder in Ober-flächenaufschlüssen oder in Bohrungen vorgenommen werden. Für die Konstruktion eines regionalen Spannungsfelds sollten nur Daten von Herdflächenlösungen oder aus Tiefbohrungen verwendet werden. Die zahlreichen Messungen nahe oder an der Oberfläche (z.B. Becker &

Werner 1995, Becker 2000) wurden nicht berücksichtigt, weil diese aufgrund der Ober-flächeneffekte (Entlastung, Beeinflussung durch die Topographie etc.) oft schwer interpretierbar sind.

Ermittelte S -Richtung aufgrund von BohrdatenH Grundgebirge Sondierbohrungen Permokarbontrog

Deckgebirge

SH Sh

Orientierung des Spannungsfelds aufgrund der Analyse von Herdflächenlösungen

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Fig. 3.5-4: Geodynamisches Konzept Nordschweiz.

Rhein

Benken

Abscherung und Hebung im Deckgebirge durch Fernschub (seismisch kartierbar) Nordrand des Alpenkörpers mit aktiver Hebung und Krustenverkürzung

Kompression und Hebung im Deckge-birge (gemäss Neotektonik-Datensatz)

Gebiete mit Vorherrschen von Transtension und Absenkung Oberrheingraben

Gebiete mit Vorherrschen von Transpression und Hebung Übergangszone ohne Daten (Tafeljura)

Nordrand der Kompressionszone Orientierung der horizontalen Haupt-spannung in der oberen Kruste Gebiete mit rezenter Hebung Gebiete mit rezenter Absenkung Gebiete mit minimalen

Vertikalbewegungen

Reaktivierung von Sprödstrukturen als:

Dextrale Transversalstörungen Sinistrale Transversalstörungen Abschiebungen

Farbcodierung:

Violett = Grund- und Deckgebirge von Mesoeuropa

Blau =

Rot = Deckgebirge im Alpenvorland

Seismotektonische Indizien aus der tieferen Kruste 20 km

Störung Flexur Aufschiebung Antiklinale

Schematische Darstellung der bevorzugten Bewegungen im herrschenden Spannungsfeld Nordrand des Fernschubs seismisch kartierbar

*

*

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Die Analyse von Bohrlochrandausbrüchen in den Nagra-Sondierbohrungen der zentralen Nord-schweiz (Blümling 1986, Müller et al. 1987) ergeben folgende Resultate (Fig. 3.5-3) für die Richtung der grössten horizontalen Hauptspannung (SH):

- Im kristallinen Grundgebirge liegen die Azimutwerte zwischen 125° und 145°.

- Im Bereich des Nordschweizer Permokarbontrogs und in der Sedimentabfolge des Tafel-juras weisen sie gegenüber dem Grundgebirge eine geringe Rotation im Uhrzeigersinn von ca. 20° bis 30° auf.

- Die Daten aus der Sondierbohrung Schafisheim, die südlich des Faltenjuras liegt und in welcher die Abscherhorizonte der Juraüberschiebung durchteuft wurden, zeigen deutlich verschieden orientierte Spannungsfelder unterhalb und oberhalb des Abscherhorizonts resp.

im Deckgebirge (SH = 7°) und im Grundgebirge (SH = 135°). Diese Entkopplung des Span-nungsfelds betrachten Müller et al. (1987) als weiteres Indiz für noch aktiven Fernschub im Deckgebirge.

In der Bohrung Benken kamen verschiedene Methoden für die Bestimmung des rezenten Span-nungsfelds zum Einsatz (Kap. 4.4). Die Werte der Hydrofrac-Messungen (Klee & Rummel 2000) weisen auf Kompression hin und ergeben für SH eine Richtung von annähernd N-S (178°

± 14°). Dass das Deckgebirge im Zürcher Weinland auch über geologische Zeiträume unter Kompression stand, wird durch das Auftreten von markanten Horizontalstylolithen bestätigt, deren Achsen ebenfalls eine N-S-Orientierung (1° ± 10°) aufweisen (Bürgin 2000). Zudem ist dies ein wichtiger Hinweis darauf, dass sich das Spannungsfeld seit längerer Zeit nicht bedeutend geändert hat. Auch die Analysen der Bohrlochrandausbrüche, der induzierten Risse (Albert 2000) und der S-Wellengeschwindigkeitsanisotropie (Hagood 2000) bestätigen eine generelle N-S-Richtung für die grösste horizontale Spannungskomponente im Deckgebirge (Kap 4.4).

Aus der Analyse der Deformationsrichtungen und aus der Orientierung des Spannungsfelds auf-grund der Methode der Spannungsinversion (Deichmann et al. 2000) ergibt sich die Tendenz einer leichten Drehung der Richtung maximaler horizontaler Kompression von NW-SE in der Nordwestschweiz auf NNW-SSE bis N-S in der Nordostschweiz (Fig. 3.5-3). Diese Änderung der Kompressionsrichtungen korreliert mit der Drehung der Streichrichtung des Alpenbogens.

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