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5 DISKUSSION

5.5.3 Ursachen selbstbefruchteter Nachkommen

5.5.3.1 Generelle Faktoren

Für PROCTOR und YEO (1973) gelten Diözie, Heterostylie und Inkompatibilität zu den effek-tivsten Mechanismen zur Vermeidung von Selbstbefruchtung. Die Linde verfügt weder über ein diözisches Sexualsystem noch über Heterostylie, an welcher man sporophytische Inkom-patibilität unmittelbar erkennen könnte. Diözie wäre für eine typische Mischbaumart wie die Linde viel zu riskant. Dafür ist sie zu selten und zu verstreut in natürlichen

Waldgesellschaf-ten verbreitet. Diözie würde die Anzahl der poWaldgesellschaf-tentiellen Paarungspartner zusätzlich ein-schränken und damit die Entfernungen zwischen den potentiellen Paarungspartnern vergrö-ßern. Für Hermaphroditen wie die Linde sind für LLOYD und WEBB (1986) Dichogamie und Synchronie der Blüte der Populationsmitglieder probate Mechanismen zur Vermeidung von Geitonogamie. Die Synchronie der Blüte aller Populationsmitglieder wird an den Luftbild-aufnahmen der Winterlinden des Versuchsbestandes Schwiegershausen offensichtlich (s. Kap.

2.7). Zudem berichtet EISENHUT (1957) bei der Winterlinde von geringen individuellen Unter-schieden der Blühtermine. Mit Protandrie verfügt die Linde über eine Form der Dichogamie (Kap. 2.6.1). Die Protandrie einer Lindenblüte ist jedoch nicht immer vollständig ausgeprägt;

denn Pollen wurden noch aus den Antheren entlassen, während die Narbe schon rezeptiv war.

Die räumliche Trennung von Griffel und Staubbeuteln (Herkogamie) dürfte nur bei der Ver-meidung von Autogamie wirksam sein (Kap. 2.6.1). In einer blühenden Lindenkrone können alle Phasen der Anthesis beobachtet werden; eine Blühsynchronie ist für große Teile der Blü-ten also auch in ein und derselben Krone gegeben (Kap. 2.7). Selbstbestäubung durch Geito-nogamie ist daher problemlos möglich. Ein bereits erwähntes Problem einer massenblühenden Baumart wie der Linde ist das große Nahrungsangebot, das für Insekten keinen Anreiz gibt, zu einem anderen Populationsmitglied zu wechseln. Für DE JONG et al. (1992) ist daher das Anbieten von wenig Blüten pro Individuum auf vielen Populationsmitgliedern zu einer Zeit ein Ausweg aus diesem Dilemma. Die Hauptphase der Lindenblüte kann allerdings nicht den Eindruck erwecken, es würden nur wenige Blüten zu einer Zeit blühen; die Lindenkrone gleicht einem weißen Blütenmeer. Die Winterlinde behilft sich anderer Mittel, das Nahrungs-angebot nicht allzu üppig zu gestalten: In Kap. 2.6.1.3 werden die Periodizität und die räumli-che Variation der Nektarproduktion und –konzentration der Linde ausführlich beschrieben.

Diese Variation bedingt Folgendes: Eine hohe Attraktivität für eine Fernorientierung der In-sekten ist durch eine optische Präsenz der zahlreichen Blüten gegeben, aber nur ein kleiner Teil der Blüten bietet die Nektarmenge bzw. -konzentration für die jeweilige Insektengruppe (vgl. Kap. 2.8.1). Die Insekten sammeln nur von einem relativ kleinen Anteil der Blüten Nah-rung und suchen relativ schnell die nächste NahNah-rungsquelle auf. FRANKIE und HABER (1983) nennen auch für neotropische Baumarten eine im Tagesverlauf, innerhalb der Krone eines Baumes und zwischen Populationmitgliedern variierende Nektarproduktion und – konzentration als Gründe für einen Flug der Insekten zwischen Individuen innerhalb einer Art (Kap. 2.8.5.1). Zumindest für Honigbienen, Hummeln und Fliegen wurden nicht nur eine Pe-riodizität des Blütenbesuchs, sondern auch eine wechselnde Bevorzugung bestimmter

Berei-Bestäuber können den Anteil der Selbstbestäubung beeinflussen: Bienen sind imstande, die Nektarmenge und -Konzentration zu riechen (H 1983, SEELEY 1997); sie fliegen leere Blü-ten nicht mehr an, indem sie besuchte BlüBlü-ten mit Duft markieren (GIURFA 1992). Hummeln können pollenleere Blüten optisch erkennen und meiden diese (Kap. 2.8.5.3). Diese für die Insekten nützlichen Eigenschaften steigern durch gezieltes Anfliegen noch nicht besuchter Blüten bei der Linde die Fremdbefruchtung. Fremdbefruchtung wird auch durch die Direkti-onalität der Insekten bei ihren Futterflügen gefördert. Die große Anzahl der von der Linde angelockten Insekten führt zu einer intra- und interspezifische Konkurrenz der Insekten.

Neben der bloßen Präsenz anderer Insekten kann auch das schneller aufgebrauchte Nahrungs-angebot zu kürzeren Besuchszeiten auf einer Pflanze führen (ARROYO 1976, FRANKIE 1976, FREE 1970). Es ist somit nicht auszuschließen, daß überwiegend als Nektar- und Pollenräuber fungierende Insekten durch die interspezifische Konkurrenz bestäubungseffektive Insekten zu kurzen Besuchszeiten veranlassen und unter evolutionären Aspekten als ein Teil der Bestäu-bungsökologie der Linde zu sehen sind.

Zum Verhaltensmuster der Insekten muß auch die Konditionierung von Insektengruppen auf eine Pflanzenart gezählt werden (s. Kap. 2.8.5.3). Eine Konditionierung (Blütenkonstanz) der Insekten hat ANDERSON (1976) bei der Linde festgestellt und ist auch durch VON DER OHE

(1993) über hohe Lindennektaranteile im Bienenhonig nachgewiesen worden (s. Kap. 2.8.1).

STEPHENSON (1982) beschreibt die Wirkungsweise und Effektivität einer Konditionierung folgendermaßen: Die Anfangs- und Hauptphase der Blühperiode dient dazu, Insekten anzulo-cken und auf eine Nahrungssuche auf einer Baumart zu konditionieren. In der Hauptphase ist das Nahrungsangebot so groß, daß überhaupt nicht alle Blüten angeflogen werden und der Anreiz für Futterflüge zwischen Bäumen gering ist. In dieser Phase ist ein hoher Anteil an Selbstbestäubung obligatorisch. In der Endphase kommt es dann zu einem schnellen Rück-gang der Blütenneubildung und zusätzlich fallen die schon bestäubten Blüten durch vorzeitige Seneszenz aus. Die Folge ist ein geringeres Nahrungsangebot eines Baumes für die mittler-weile konditionierten Insekten. Die relative kleine Zahl der verbliebenen rezeptiven Blüten wird von der noch großen Zahl der Insekten deutlich intensiver besucht und effektiver be-stäubt. Das reduzierte Nahrungsangebot zwingt die Insekten vermehrt zu Futterflügen zwi-schen den Bäumen und fördert dadurch Fremdbefruchtung. Die von STEPHENSON (1982) er-wähnte vorzeitige Seneszenz bzw. Verlust der Attraktivität der Blüten nach Bestäubung er-klären BOTHA und WHITEHEAD (1992) mit einem durch die Bestäubung der Narbe induzierten Anstieg der Ethylenproduktion. HEINRICH (1975) beobachtete, daß Insekten schon bestäubte Blüten meiden. EISENHUT (1957) berichtet bei der Winterlinde von Einstellung der

Nektar-produktion nach Degeneration des Griffels. Zudem wird die Rezeptivität der Narbe mit einer sehr breiten Spanne von 2 bis 7 Tagen angegeben (ANDERSON 1976, EISENHUT 1957). Die Vermutung liegt nahe, daß auch bei der Linde nach Bestäubung der Narbe vorzeitige Senes-zenz eingeleitet wird. Diese vorzeitige SenesSenes-zenz bestäubter oder befruchteter Blüten wurde im Rahmen dieser Arbeit nicht explizit untersucht. Trotzdem ist vorzeitige Seneszenz zumin-dest in Form einer geringeren Attraktivität für Insekten über optische (z. B. Welke der Blü-tenblätter) oder olfaktorische Reize (Einstellung der Produktion des Duftstoffes Farnesol o. ä.) bzw. durch die Einstellung der Nektarproduktion nicht nur bei der Linde zu vermuten.

Als ein nicht zu unterschätzender Faktor für die Steigerung von Fremdbefruchtung muß zu-dem sicherlich das sog. Carry-over von Pollen durch Insekten gelten. Bei zu-dem Besuch einer Blüte nimmt das Insekt unfreiwillig Pollen auf seinen Körper auf. Die Pollen werden beim Besuch der nächsten Blüten nicht vollständig auf diese deponiert, sondern ein Teil der Pollen wird erst bei späteren Blütenbesuchen erfolgreich auf Narben transportiert. Nachweislich konnten Pollentransporte bis zur 54. Blüte beobachtet werden (s. Kap. 2.8.5.4).