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2 STAND DER FORSCHUNG

2.8 Die Bestäubungsökologie der Winterlinde

2.8.4 Art des Pollentransportes

Die Frage über die Art des bestäubungseffektiven Pollentransportes bei der Winterlinde kann anhand bisher erschienener Literatur nicht eindeutig beantwortet werden.

Als grundlegende und viel zitierte Arbeit über die Bestäubungsökologie der Linde kann die Dissertation von EISENHUT aus dem Jahre 1957 gelten. Seit dieser Arbeit wird die Linde bis heute als überwiegend windbestäubt angesehen. Nach seinen Ergebnissen sind Insekten als Pollenvektoren nicht notwendig. Ein voller Fruchtansatz werde durch eine alleinige Pollen-verbreitung über den Wind erreicht.

Die Untersuchungen von ANDERSON (1976) haben die Aussagen EISENHUTs relativiert. Nach seinen Ergebnissen wird die Linde überwiegend von Insekten bestäubt. Bei seinen Bestäu-bungsversuchen erreichte eine ausschließliche Windbestäubung weniger als ein Drittel des Samenansatzes des durch Insekten bestäubter Blüten. Oft sind in der jüngeren Literatur beide Arbeiten mit ihren konträren Untersuchungsergebnissen zitiert.

Die Argumentation EISENHUTs (1957) für eine effektive Windbestäubung bei der Linde ba-siert im wesentlichen auf der seiner Auffassung nach tendenziell anemophilen Pollenproduk-tion und -morphologie der Linde im Vergleich zu anderen anemophil und entomophilen Baumarten und auf die Ergebnisse seiner durchgeführten Bestäubungsversuche. Nach seiner Ansicht zeichnen sich windbestäubte gegenüber insektenbestäubten Baumarten durch ein we-sentlich höheres Pollen/Eizellen-Verhältnis aus. Diese hohe Pollenproduktion sieht er auch bei der Linde gegeben und verweist dabei auf die von POHL (1936) ermittelten Werte. Eine einzelne Blüte der Winterlinde produziere demnach mehr Pollen als die Blüten der windbe-stäubten Quercus petrea, Carpinus betulus, Fraxinus excelsior und Betula verrucosa. Ein weiteres Indiz für Anemophilie sieht EISENHUT (1957) in dem von ihm gezählten durch-schnittlichen Pollenanflug von ca. 5700 Pollenkörnern je cm2 in der Krone einer frei stehen-den Winterlinde, wobei er REMPE (1937) u. a. mit den Worten zitiert: „Ihr Pollenanflug im Kronenraum kann durchaus (von der größeren Häufigkeit von Gruppen abgesehen) demjeni-gen von Eiche, Ulme und Buche zur Seite gestellt werden.“ Wobei anzumerken ist, daß ge-nannte Baumarten allesamt Windbestäuber sind. REMPE (1937) selber beobachtete mit

1200-gut entwickelter, kräftig blühender und frei stehender Linden für die Dauer der gesamten Blühperiode (s. Tab. 2.5). Er setzte den gemessenen Pollenanflug anschließend aber noch in Relation zur der absoluten Pollenproduktion von Winterlinden und kommt zu folgender Schlußfolgerung, die indes von EISENHUT (1957) nicht zitiert wird: „Eine auffällige Unstim-migkeit liegt in der Stellung der Linde und des Bergahorns vor, da beide Bäume nach POHL

besonders große Pollenmengen erzeugen, ihr Anflug dagegen gering blieb. Doch ist dies, wie auch POHL unter Hinweis auf die Stellung der Linde bei HESMER betont, leicht erklärlich, da bei diesen insektenblütigen Bäumen eben offenbar nur ein geringer Teil des Pollens verweht wird.“

Tab. 2.5 Pollenanflug in den Kronen blühender Bäume (nach REMPE 1937).

Art

20. Acer monspessulanum 12,2

21. Acer italum 4,4

22. Acer pseudoplatanus 0,73 – 1,7 23. Acer platanoides 0,44 – 0,94 24. Tilia cordata/platyphyllos 1,2 – 6,8

25. Malus toringo 2,0

26. Pyrus communis 1,7

EISENHUT verweist weiterhin auf die geringe Aggregation und Sinkgeschwindigkeit des Pol-lens (s. Kap. 2.6.1), die für Einzelpollen der Linde im Rahmen windbestäubter Baumarten liegen. Zudem sollen die Narben einiger Lindenarten eine klebrige Oberfläche besitzen, wel-ches ebenfalls auf eine anemogame Eignung hinweise. Ferner macht er darauf aufmerksam,

daß Lindenpollen im Honig unterrepräsentiert sei. Er schließt daraus auf eine geringe Effekti-vität der Honigbiene als Bestäuber der Linde. Bei den Bestäubungsversuchen hat er Zweige mit einem sechseckigen Maschengeflecht mit einer Maschenweite von 1,9 mm gegen Insek-ten isoliert. Der komplette Ergebnisteil seiner Bestäubungsversuche stellt sich folgenderma-ßen dar: „An allen eingebeutelten Zweigen bildeten sich normale Früchte; die Früchte unter-schieden sich weder mengen- noch gütemäßig, vor allem auch nicht in der Keimfähigkeit, von jenen, die aus ungeschützten Blüten entstanden.“

Für ANDERSON (1976) dagegen spielt die Windbestäubung bei der Linde nur eine untergeord-nete Rolle. Bei seinen Bestäubungsversuchen an Tilia americana bildeten nur 0,9 % der ge-gen Insekten geschützten Blüten fertile Früchte, während der Samenansatz bei den unge-schützten Blüten 3 % erreichte. Als Isoliermaterial gegen einen Insektenbesuch verwendete er Nylongewebe mit einer Maschenweite von 1,2 mm.

PIGOTT und HUNTLEY (1980) untersuchten die Pollendeposition auf dem Waldboden in der Umgebung einer isolierten, sehr stark blühenden Winterlinde in einem Mischbestand aus Quercus petraea, Larix decidua und Acer pseudoplatanus. Der meiste Pollen wurde von Quercus- und Betula- Arten deponiert, der Pollen der Winterlinde war ab einer Entfernung von 60 m vom Baum nicht mehr signifikant vertreten. Selbst direkt unterhalb der Baumkrone konnte nur 9 % Winterlindenpollen gefunden werden, 91 % des Pollens wurde von anderen Baumarten eingetragen. Sie führen diese geringe Pollenverbreitung über den Wind auf die im Vergleich zu anderen Baumarten relativ geringe Pollenproduktion der Winterlinde, auf die Aggregation des Pollens und der damit verbundenen geringen Vermischung mit der Luft so-wie auf die Filterwirkung des belaubten Kronendaches zurück.

Fazit

Lindenpollen wird in mäßigen Mengen in die Atmosphäre entlassen und nur kleinräu-mig verbreitet. Sollte der Pollen in der Phase der Windverbreitung noch befruchtungs-fähig sein, so kann er nur in der Krone des Baumes selbst oder in direkt benachbarten Lindenkronen effektiv sein. Eine Windbestäubung hätte größtenteils Selbstbefruchtung zur Folge. Für einen weitaus effektiveren Transport des Lindenpollens durch Insekten sprechen die entomophile Morphologie der Lindenblüten (vgl. Kap. 2.6), die große An-zahl und der Artenreichtum der sie besuchenden Insekten (vgl. Kap. 2.8.2) und, bis auf die Arbeit von EISENHUT (1957), die Ergebnisse aller bisherigen Untersuchungen.