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Gemeinsamkeiten verschiedener Zwei-Prozess-Theorien

2 Theoretischer Hintergrund

2.2 Prozesse kausalen Denkens in Zwei-Prozess-Theorien der Urteils- und

2.2.2 Gemeinsamkeiten verschiedener Zwei-Prozess-Theorien

Inzwischen existieren mehrere Arbeiten, die Prozess-Charakteristika verschiedener Ansätze zusammengetragen und analysiert haben (z.B. Evans, 2003, 2008; Stanovich, 1999;

Stanovich & Toplak, 2012). So unterteilt beispielsweise Evans (2008) die in der Literatur vorkommenden Eigenschaften in vier Gruppen. Dabei werden die einzelnen Eigenschaften in Abhängigkeit ihrer Ausprägung entweder dem schnellen, automatischen, unbewussten und mit hoher Kapazität ausgestatteten System 1 oder dem langsamen, bewussten und deliberierenden System 2 zugeordnet. Die erste Gruppe von Eigenschaften wird von Evans (2008, Tabelle 2) unter der Überschrift Bewusstheit (consciousness) aufgelistet und umfasst die Begriffspaare unbewusst/bewusst, implizit/explizit, automatisch/kontrolliert, hoher Aufwand/niedriger Aufwand, schnell/langsam, hohe Kapazität/niedrige Kapazität,

standardmäßige Prozesse/inhibitorische Prozesse, holistisch-wahrnehmungsbasiert/analytisch-reflektiv. Dabei bezieht sich der jeweils erste Begriff eines Paares auf die mit System 1 und der zweite Begriff eines Paares auf die mit System 2 assoziierte Eigenschaftsausprägung. In der zweiten Gruppe werden diejenigen Eigenschaften zusammengefasst, die mit der Entwicklung (evolution) der beiden Systeme in Verbindung gebracht werden können. Die aufgeführten Begriffspaare sind hier evolutionär alt/evolutionär neu, evolutionäre Rationalität/

individuelle Rationalität, geteilt mit anderen Tieren/einzigartig menschlich, nonverbal/verbunden mit Sprache, modulare Kognition/fluide Intelligenz. Die dritte Gruppe besteht aus funktionalen Merkmalen (functional characteristics) der beiden Systeme. Sie wird durch die Begriffspaare assoziativ/regelbasiert, domänenspezifisch/domänenübergreifend, kontextabhängig/Abstrakt, pragmatisch/logisch, parallel/sequenziell, sowie stereotypisch/egalitär gebildet. Die letzte Gruppe beschäftigt sich mit der Beziehung individueller Unterschiede (individual differences) zu den beiden Systemen. Sie besteht aus den Eigenschaftsausprägungen universal/vererbbar, unabhängig von allgemeiner Intelligenz/verbunden mit allgemeiner Intelligenz, unabhängig vom Arbeitsgedächtnis/begrenzt durch das Arbeitsgedächtnis.

Die Vielzahl der entstandenen Theorien und die aufälligen Gemeinsamkeiten der von ihnen angenommenen Systeme veranlassten Stanovich (1999) das auch von Evans (2008) verwendete Begriffspaar System 1/ System 2 in die Debatte einzuführen. Obwohl es in der Literatur vielfach Anwendung gefunden hat, plädiert Evans (2009, 2011) inzwischen für eine Unterscheidung zwischen Typ 1 und Typ 2 Prozessen als Komponenten von Typ 1- und Typ 2-Systemen. Der Grund hierfür liegt in möglichen falschen Interpretationen der Begriffe System 1 und System 2. Diese legen nach Evans (2011) die unrealistische Annahme nahe, dass es genau zwei distinkte Verarbeitungssysteme gibt, die in Lage sind, verschiedenste Arten von Aufgaben zu bewältigen. Darüber hinaus kann schnell der falsche Eindruck entstehen, die beiden Verarbeitungssysteme entsprechen zwei distinkten Systemen im Gehirn (Stanovich & Toplak, 2012).

Evans (2011) vertritt hingegen die Ansicht, dass verschiedene Arten von Aufgaben (z.B. Planen von Handlungen, Lesen oder das Testen von Hypothesen) von unterschiedlichen Systemen des gleichen Typs (hier: Typ 2) bearbeitet werden. Dabei können an der Bewältigung einer Aufgabe (z.B. ein komplexes Problem im Bereich des deduktiven Schließens) auch mehrere Typ 2-Systeme beteiligt sein, die auf unterschiedliche Ressourcen zugreifen. Typ 2-Systeme beinhalten immer Typ 2-Verarbeitungsprozesse und teilen dadurch

deren gemeinsames Merkmal des Zugriffes auf ein singuläres, zentrales Arbeitsgedächtnissystem. Diese Notwendigkeit der Beteiligung des Arbeitsgedächtnisses an Typ 2-Systemen kann Evans zufolge auch als Notwendigkeit kontrollierter Aufmerksamkeit verstanden werden. Neben den Typ 2-Verarbeitungsprozessen beinhalten Typ 2-Systeme überdies auch Typ 1-Prozesse, die außerhalb des Arbeitsgedächtnisses operieren. Als ein Beispiel nennt Evans den Vorgang des Lesens, der auf der einen Seite Aufmerksamkeit erfordert und damit ein Typ-2 System konstituiert. Auf der anderen Seite sind aber am Lesen auch Typ 1-Prozesse (z.B. während der Informationsaufnahme und des Sprachverständnisses) beteiligt. Typ Systeme bestehen somit aus einer Kombination von Typ 1- und Typ 2-Verarbeitungsprozessen. Damit lassen sie sich auch gegen Typ 1-Systeme abgrenzen, die keinen Zugriff auf das Arbeitsgedächtnis benötigen, da sie ausschließlich aus Typ 1-Verarbeitungsprozessen bestehen. Inzwischen wird das Begriffspaar Typ 1- / Typ 2-Prozess in der Literatur zu Zwei-Prozess-Theorien zunehmend genutzt (vgl. Evans, 2009, 2011;

Samuels, 2009; Stanovich, 2011; Stanovich & Toplak, 2012). Daher soll es auch im weiteren Verlauf dieser Arbeit Anwendung finden.

Neben den Anforderungen an das Arbeitsgedächtnis gibt es noch weitere charakteristische Merkmale von Typ 1- bzw. Typ 2-Prozessen, die den zuvor beschriebenen Eigenschaften von System 1 bzw. System 2 entsprechen. Evans (2009, 2011) charakterisiert Typ 1-Prozesse zusammenfassend als schnell, unabhängig von Arbeitsgedächtnis und kognitiven Fähigkeiten, mit hoher Kapazität ausgestattet und automatisch ablaufend. Als zentrale Eigenschaft betrachtet er dabei die Unabhängigkeit vom Arbeitsgedächtnis (Evans, 2008, 2011). Dagegen laufen Typ 2-Prozesse langsam und kontrolliert ab und sind abhängig von individuellen kognitiven Fähigkeiten. Überdies benötigen sie Zugang zu einem einzelnen, in seiner Kapazität begrenzten Arbeitsgedächtnissystem.

Eine umfassende Analyse von in der Literatur postulierten Merkmalen beider Prozesse wird von Stanovich und Toplak (2012) vorgenommen. Dabei trennen sie diejenigen Eigenschaften, die die beiden Typen von Prozessen nach ihrer Auffassung definieren von denjenigen, die sie lediglich als Korrelate der Prozesse ansehen. Sie kommen zu dem Schluss, dass Autonomie die entscheidende Eigenschaft von Typ 1-Verarbeitungsprozessen darstellt.

Dies bedeutet, dass Typ 1-Prozesse bei Vorhandensein der sie auslösenden Stimuli zwingend ablaufen und dann unabhängig von Informationen kognitiver Systeme höherer Ordnung operieren. Hingegen seien die tyischerweise Typ 1-Prozessen zugeordneten Eigenschaften Schnelligkeit und große Verarbeitungskapazität, sowie ihr assoziativer Charakter lediglich als

Korrelate und nicht als definitorische Merkmale anzusehen. Typ 2-Prozesse haben Stanovich und Toplak zufolge zwei entscheidende Eigenschaften. Zum einen sind sie in der Lage, die Ergebnisse von Typ 1-Prozessen zu unterdrücken, wenn dies z.B. durch die Situation erforderlich erscheint. Zum anderen sind sie in der Lage, Repräsentationen der realen Welt von Repräsentationen als Resultat mentaler Simulationen zu unterscheiden. Diese Fähigkeit wird als kognitives Abkuppeln (cognitive decoupling) bezeichnet (vgl. Stanovich & Toplak, 2012). Die üblicherweise mit Typ 2-Prozessen assoziierten Eigenschaften langsamer Ablauf, sequentielle Verarbeitung und hohen rechnerischen Anforderungen stellen nach Stanovich und Toplak (2012) hingegen lediglich Korrelate von Typ 2-Verarbeitungsprozessen dar.

Insgesamt kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass sich die grundsätzliche Trennung zwischen zwei Arten von Prozessen und zwei Arten von Systemen in einer Vielzahl von Theorien aus unterschiedlichen Bereichen der Psychologie wiederfinden lässt. Darüber hinaus ähneln sich die Eigenschaften der postulierten Prozesse bzw. Systeme über die Ansätze hinweg. Die Analyse von Stanovich und Toplak (2012) stellt in diesem Zusammenhang einen Versuch dar, die Vielzahl der angenommenen Eigenschaften der beiden postulierten Verarbeitungsprozesse auf wenige, elementare Merkmale herunterzubrechen. Ob sich die von ihnen angenommenen definitorischen Merkmale in der Debatte gegen die Annahmen anderer Autoren (z.B. Evans, 2008, 2011) durchsetzen werden bleibt abzuwarten.