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Die Theorie der kausalen Verarbeitung (White, 1989)

2 Theoretischer Hintergrund

2.4 Berücksichtigung kognitiver Prozesse in kausalen Theorien

2.4.4 Theorien der kausalen Intuition und Deliberation

2.4.4.1 Die Theorie der kausalen Verarbeitung (White, 1989)

Eine frühe Theorie der kausalen Informationsverarbeitung, die neben Aspekten der kausalen Intuition auch solche der kausalen Deliberation aufnimmt, stammt von Peter White (1989). Er betont, dass es in seiner Theorie nicht darum geht, die Natur tatsächlich existierender Kausalbeziehungen in der Welt, sondern das von Menschen geteilte alltägliche Verständnis kausaler Verbindungen zu untersuchen. In seiner Causal Powers Theory of Causal Processing geht White davon aus, dass Menschen kausale Informationen in Abhängigkeit von verschiedenen Faktoren sowohl mittels Typ 1- als auch mittels Typ 2-Systemen verarbeiten. Die Theorie basiert auf der Annahme der Existenz eines allgemein geteilten Konzeptes von Kausalität, in dem generative Mechanismen die Erzeugung von Effekten durch ihre Ursachen ermöglichen. Der Vorgang, durch den eine Ursache einen Effekt erzeugt wird als die Freisetzung einer kausalen Kraft (causal power) interpretiert, die unter bestimmten auslösenden Bedingungen (releasing conditions) erfolgt. Diese auslösenden Bedingungen treten dabei oft in Form von Ereignissen auf. So ist beispielsweise beim Lackmustest der Vorgang des Vermischens von Lackmus-Tinktur und zu testender Flüssigkeit die auslösende Bedingung. Die Fähigkeit von Säure (mit einem pH-Wert von kleiner als 4,5), Lackmus rot zu färben, stellt hingegen eine kausale Kraft dar. Die kausale Kraft wird als eine stabile Eigenschaft von Dingen (wie physischen Objekten oder Personen) verstanden. Sie wirkt jedoch nicht direkt auf den Effekt, sondern vermittelt durch eine Übertragung (transmission) einer Kraft oder Energie von der Ursache auf den Effekt (White, 2009). Neben der kausalen Kraft ist in diesem Konzept von Kausalität noch die ebenfalls als Eigenschaft verstandene Empfänglichkeit (liability) eines Objektes von Bedeutung. Die Empfänglichkeit kann als Fähigkeit verstanden werden, bestimmten Veränderungen unterzogen werden zu können. So ist nach White (1989) die Formbarkeit von Kupfer im Sinne einer Empfänglichkeit für bestimmte Veränderungen in der äußeren Gestalt nach Bearbeitung mit einem Hammer zu verstehen. Im oben genannten Beispiel des Lackmustests ist die Fähigkeit der Lackmus-Tinktur sich zu verfärben als Empfänglichkeit zu verstehen. In einer konkreten Situation wird das soeben vorgestellte basale Kausalitäts-Konzept mit Kontext-spezifischen Annahmen gefüllt.

White (1989) nimmt an, dass kausale Verarbeitung auf Grundlage generativer Beziehungen zwischen Ursache und Effekt über einen Entwicklungsprozess in der Kindheit erlernt wird. Zunächst würden Kinder kausale Verarbeitung auf der Basis eines Eigenschaftstransfers zwischen zwei Objekten durchführen. Die Grundlage dieses Transfers

bilden Wahrnehmungen von kontinuierlichen Bewegungscharakteristika, die sich über zwei als getrennt wahrgenommene Objekte ausdehnen. Dabei besteht eine kontinuierliche Beziehung wenn die kausalen Cues zeitliche Kontiguität, räumliche Kontiguität, zeitlicher Vorrang der ‚Ursache‘ vor dem ‚Effekt‘ und Ähnlichkeit der kausal relevanten Eigenschaften vor und nach dem Transfer (vgl. Abschnitt 2.1) vorliegen.

Automatische kausale Verarbeitung findet nach White (1989) beispielsweise (aber nicht ausschließlich) im Bereich der wahrgenommenen Kausalität statt. Wird z.B. beobachtet, wie ein Hammer ein Glas zerschlägt, so wird der Hammerschlag automatisch als Ursache für die Zerstörung des Glases wahrgenommen. In diesem Fall ist die automatische kausale Verarbeitung somit ein Teil automatisch ablaufender perzeptueller Prozesse. White identifiziert zwei Voraussetzungen für automatisch ablaufende kausale Verarbeitung. Zum einen muss ein basales Konzept von Kausalität, wie das der oben erläuterten generativen Mechanismen, vorhanden sein. Zum anderen ist die Existenz Kontext-spezifischer Annahmen über die eine Situation betreffenden kausalen Kräfte, Empfänglichkeiten, auslösenden Bedingungen und möglichen Effekte vonnöten. White zufolge erwerben Menschen Wissen über die kausalen Kräfte einer Vielzahl von Dingen bzw. Arten von Dingen. Dieses Wissen kann ebenso wie das Wissen über bestimmte auslösende Bedingungen oder mögliche Effekte mit zunehmender Vertrautheit im Rahmen des geschilderten automatischen kausalen Verarbeitungsprozesses genutzt werden. Der Erwerb von Wissen über kausale Kräfte erfolgt dabei entweder durch die Abstrahierung von über kausale Cues (s.o.) erworbenen Informationen oder durch direktes Lernen.

Automatische kausale Verarbeitung wird von White (1989) als der Verarbeitungsstandard angesehen. Eine kontrollierte kausale Verarbeitung (im Sinne eines Typ 2-Prozesses) von Ereignissen, die prinzipiell auch automatisch verarbeitet werden können, findet der Theorie zufolge nur statt, wenn entweder die kausalen Kräfte, die Empfänglichkeiten, die auslösenden Bedingungen oder eine Kombination dieser Faktoren in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt werden. Dies geschieht im Rahmen der bewusst ablaufenden Identifikation von Ursachen eines eingetretenen Ereignisses. Darüber hinaus können kontrollierte kausale Verarbeitungsprozesse auch stattfinden, wenn eine automatische kausale Verarbeitung nicht möglich ist, da ein Ereignis z.B. unerwartet auftritt oder unbekannt ist. White schlägt in diesem Zusammenhang zwei Regeln vor, die das Auftreten kontrollierter kausaler Verarbeitung in einem Individuum bestimmen, das sich in einer Situation befindet, in der eine automatische kausale Verarbeitung nicht möglich ist. Zum einen muss das Ergebnis

der kausalen Verarbeitung (die Identifikation einer Ursache) eine praktische Relevanz (practical concern) für das Individuum besitzen. Andererseits muss dem Individuum die zu identifizierende Ursache als mögliche Ursache des zu erklärenden Effektes bekannt und nicht durch verfügbare Informationen (zu Recht oder zu Unrecht) ausgeschlossen sein (applicability of an existing causal belief). Ein für die verarbeitende Person adäquates Ergebnis kontrollierter kausaler Verarbeitung basiert somit erstens auf einer allgemeinen Konzeption einer kausalen Verbindung als generativer Beziehung, die das Wirken einer kausalen Kraft einer Entität repräsentiert. Zweitens beinhaltet es die Identifikation einer spezifischen kausalen Kraft, auslösenden Bedingung oder Empfänglichkeit (bzw. einer Kombination einiger oder aller dieser Konzepte) als in Frage kommende Ursache. Drittens wird es durch praktische Belange gesteuert und trägt zu ihrer Erfüllung bei. Viertens ist die identifizierte Ursache bereits als mögliche Ursache des zu erklärenden Effektes bekannt und wird nicht durch vorhandene Informationen als Ursache ausgeschlossen.

Zusammenfassend nimmt der Ansatz von White (1989) eine Trennung von Typ 1- und Typ 2-Prozessen der kausalen Informationsverarbeitung vor. Allerdings geht aus der Theorie nicht eindeutig hervor, ob die Ergebnisse der automatischen kausalen Verarbeitung bewusstseinsfähig sein können, da White davon ausgeht, dass bereits die Identifikation von Ursachen Prozesse vom Typ 2 erfordert: „What people report as the cause is whatever is identified in controlled, not automatic, causal processing, simply because it is that to which attention is given“ (White, 1989, S. 442). Diese Aussage legt nahe, dass White Aufmerksamkeit als das wesentliche Unterscheidungsmerkmal zwischen automatischer und kontrollierter kausaler Verarbeitung ansieht. In diesem Fall wäre es dann nicht möglich, dass Ergebnisse automatischer Verarbeitungsprozesse ins Bewusstsein gelangen..Somit wären auch die für die vorliegende Arbeit relevanten Aspekte kausalen Denkens der Theorie von White zufolge unweigerlich mit Prozessen vom Typ 2 verbunden. Whites Standpunkt stünde damit im Widerspruch zur z.B. von Kahneman und Frederick (2002) vertretenen Ansicht, dass Ergebnisse von Typ 1-Prozessen sehr wohl bewusst zugänglich sein können, während der Prozess an sich nicht bewusst wahrnehmbar ist. Trotz dieser Einschränkung ist die Theorie der kausalen Verarbeitung von White (1989) von Bedeutung für die vorliegende Arbeit, da sie nach dem Wissen des Autors die erste kausale Theorie darstellt, die davon ausgeht, dass kausale Informationen sowohl mittels automatischer (Typ 1-) Prozesse als auch mittels kontrolliert ablaufender (Typ 2-) Prozesse verarbeitet werden können.