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Gemeindeland oder Privatbesitz?

So unterschiedliche Beschreibungsmodelle wie die closed corporate com-munity oder die Machtausübung der Kaziken durch gobernadoryotl haben gemeinsam, daß sie auf der Annahme von Kollektivbesitz als der vorherr-schenden Eigentumsform in den Gemeinden basieren. Auch das für die Landverteilung in den pueblos de indios in Zentralmexiko häufig angeführte System der tierras de común repartimiento benötigte als Grundlage Ge-meindebesitz, der in Parzellen aufgeteilt werden konnte. Privatbesitz in grö-ßerem Maßstab blieb in diesen Modellen den Spaniern sowie den Kaziken und principales vorbehalten. Die Gemeinde oder die sie beherrschenden Beamten übten die Kontrolle über den Grund und Boden aus und schränkten die Verfügungsgewalt der Parzellennutzer ein. Die Nutzer hatten keine Ver-kaufsrechte; bei der Vererbung waren nur Konstellationen zulässig, die si-cherstellten, daß das Land auch künftig ausschließlich von Gemeindemit-gliedern genutzt wurde. Wie fügen sich nun die bisher für den Distrikt Cholula erhobenen Befunde über die Landverteilung in dieses Bild ein? Ü-berspitzt ließe sich sagen, sie sprengen es. Zumindest aber widersprechen sie grundlegend seiner Allgemeingültigkeit.

Beschränkungen der Vererbungsmöglichkeiten wurden für den Dist-rikt Cholula nicht festgestellt. Der Grund und Boden konnte dort sowohl innerhalb als auch außerhalb der Familie vererbt werden. Es wurde Land in gleichem Maße an Söhne und Töchter vergeben. Da in der Stadt und in den Dörfern des Distrikts kein endogames Heiratsverhalten nachgewiesen werden konnte, stellte das Vererbungsprinzip auch den Verbleib des Lan-des im Kreis der Gemeindemitglieder nicht sicher. Ein solches

Erbverhal-3. Gemeindeland oder Privatbesitz? 179

ten widerspricht den Befunden über die Landorganisation in den Ge-meinden in Calimaya, Toluca.419 Die Ergebnisse aus Toluca zeigen im Bereich der Erbschaften eine starke Bindung des Bodens an die Gemein-de. Dort wurden nur in der Zeit, als sich die ehelichen Verbindungen auf das eigene Dorf beschränkten, auch weibliche Nachkommen in den Tes-tamenten berücksichtigt; in den Phasen relativer Exogamie wurden sie de facto vom Erbrecht ausgeschlossen. Dagegen wurden in Cholula in der ausgehenden Kolonialzeit zahlreiche Ehen zwischen Partnern aus unter-schiedlichen Orten des Distrikts geschlossen, ohne daß dies die Erbschafts-ansprüche der Töchter eingeschränkt hätte. Eine Verbindung zwischen der Erbberechtigung der weiblichen Nachkommen und dem Heiratsverhalten bestand demnach in Cholula nicht. Damit stand die individuelle Verfü-gungsgewalt über derjenigen der Gemeinde.

Noch markanter als beim Erbverhalten gegenüber den Nachkommen zeigt sich das Ausmaß der Verfügungsgewalt über das Land in den unter-suchten Fällen der testamentarischen Berücksichtigung hinterbliebener Ehegatten. Für Toluca hat die Forschung gezeigt, daß Ehegatten nicht erbten, sondern lediglich als Besitzverwalter für die Nachkommen einge-setzt wurden.420 In Cholula konnten dagegen wesentlich größere Freiräu-me hinsichtlich der Erbschaftsregelung nachgewiesen werden. Der Erb-lasser konnte dem hinterbliebenen Ehegatten Besitz zur freien Verfügung hinterlassen, was die Konsequenz hatte, daß dieser später nicht automa-tisch an die gemeinsamen Kinder fiel. Im Falle einer zweiten Eheschlie-ßung bestand somit die Möglichkeit, das Land an den neuen Partner oder an Nachkommen aus dieser Verbindung zu übertragen. In einem solchen Fall ging das Land in den Besitz einer anderen Familie über, die nicht aus derselben Gemeinde stammen mußte. Für die Landvererbung in Cholula konnten mithin keine einschränkenden Regularien nachge-wiesen werden, die eine Begrenzung des Nutzerkreises auf Gemeinde-mitglieder sicherstellten.

Ebensowenig wie bei der Vererbung sind solche Beschränkungen bei den untersuchten Fällen von Landverkäufen nachzuweisen. Es ist im Distrikt kein Fall belegt, in dem ein Gemeinderat Einspruch gegen eine

419 Loera, La herencia indígena, S. 16/17.

420 Dieses Erbverhalten zeigte sich nicht nur in den Gemeinden Calimayas, sondern auch in den von Wood untersuchten Testamenten, die aus dem gesamten Hochbecken von Toluca stammen. Wood, Matters of Life, S. 170.

Bodenübereignung erhob. Die Verkäufe wurden auf der Basis spanischer Rechtsformen abgewickelt und teilweise durch Einbeziehung spanischer Institutionen geregelt. Dabei wurde Land nicht nur an Bewohner der Ge-meinde vergeben, sondern auch an Interessenten, die aus einem anderen Ort des Distrikts stammten. Die für Cholula herausgearbeitete Vorge-hensweise widerspricht den Ergebnissen der Forschung zu den Anforde-rungen, die in vielen pueblos Zentralmexikos galten.421 In ihnen war es nicht nur üblich, vor einem Verkauf die Zustimmung sowohl der Familie als auch der Gemeinde einzuholen, zudem blieb dort die Möglichkeit des Verkaufes auf das eigene Dorf beschränkt. Die Notwendigkeit, eine sol-che formale Erlaubnis der Familie oder der Gemeinde zu erwerben, wur-de für Cholula nicht nachgewiesen. Teilweise beantragten die Verkäufer allerdings eine Verkaufslizenz bei den kolonialen Behörden. In einem dieser Genehmigungsverfahren machte der spanische Distriktsbeamte die Erteilung einer Verkaufserlaubnis von der Zustimmung des gobernador und der Familie der Antragstellerin abhängig. Da diese Auflagen bei an-deren Verfahren aber nicht erteilt wurden und zudem viele Verkäufe ohne eine spanische Lizenz durchgeführt wurden, ist nicht davon auszugehen, daß die Gemeinderäte über den Umweg der spanischen Bürokratie in großem Ausmaß Einfluß auf Landverkäufe in Cholula nahmen. Mit einer Ausnahme sind auch keine abschlägigen Entscheidungen der Distriktsbe-amten in den Genehmigungsverfahren in Cholula bekannt, so daß auch von den spanischen Behörden die Verkäufe kaum eingeschränkt wurden.

Obwohl demnach die Gemeinderäte im Distrikt nicht in ein verpflichten-des formales Zustimmungsverfahren einbezogen waren, spricht die Tat-sache, daß zahlreiche Verträge von Gemeindebeamten testiert wurden, für eine implizite Zustimmung des Rates zu den Landverschiebungen und gegen eine grundsätzliche Ablehnung der Verkäufe, wie sie in anderen Gemeinden Zentralmexikos anscheinend bestand.

Zu den in Cholula vorherrschenden Formen der Besitzübertragungen – Erbschaften und Verkäufe – kamen zahlreiche Fälle von Verpachtung und Verpfändung, die einen Nutzerwechsel auf Zeit bedeuteten. Die Gül-tigkeit aller genannten Freiheiten auch für diese Formen von Besitzüber-tragungen erfüllt alle Kriterien von Privatbesitz und widerspricht den bisher bekannten Vorgehensweisen hinsichtlich des Landbesitzes

421 Menegus Bornemann, Comunidad, pueblo o corporación, S. 55-58 gibt einen Über-blick über den Forschungstand zu verschiedenen Region Mexikos und stellt eine generelle Tendenz zu starker Kontrolle der Ressource Land durch die Gemeinden fest.

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halb der pueblos. Der Nachweis uneingeschränkter Verfügungsgewalt über das Land belegt für Cholula die Existenz von Privateigentum. Auf-grund der Vielzahl der Fälle, in denen um Landflächen in Privatbesitz verhandelt oder gestritten wurde, ist diese Eigentumsform für den hier gewählten Untersuchungszeitraum als zentrale Landbesitzkategorie im Distrikt anzusehen und nicht die Form der tierras de común repartimiento.

Über den Prozeß der Entstehung des Privatbesitzes auch unter den macehuales des Distriktes enthalten die vorliegenden Quellen nur wenige Angaben. Sie zeigen lediglich, daß seine Wurzeln weiter zurückreichen.

So heißt es in einem Dokument aus dem Jahr 1799, daß die Besitzerin dueña absoluta des Grundstücks sei und sie das Landstück von ihren Eltern geerbt habe.422 Auch in einem anderen Fall aus dem Jahre 1790 wird erwähnt, daß der Kläger das Land von den Eltern geerbt und daß diese wiederum es gekauft hatten. Außerdem wird betont, daß der betref-fende Grund und Boden niemals Gemeindeland gewesen sei noch sich jemals im Besitz der Gemeinde befunden habe.423 Besagte Quelle liefert keinen Ansatzpunkt festzustellen, auf welchen Zeitraum sich dieses

„niemals“ und „nie“ bezieht. Die Tatsache aber, daß ein Zeuge diesen Umstand erwähnt, deutet darauf hin, daß in der Gemeinde zwischen Pri-vatbesitz mit langer Tradition und Besitz, der aus Gemeindeland entstan-den war, differenziert wurde.

Es ist für Cholula nicht eindeutig zu klären, ob sich der Privatbesitz überwiegend aus ehemals korporativem Landbesitz entwickelt hat, aber die spanische Landpolitik und die Datierung der Besitzerweiterung der Gemeinden läßt dies vermuten. In einem untersuchten Konfliktfall aus dem Jahr 1799 über die Zuteilung der 600-varas an die Gemeinde San Bernabe Temoztitlan beklagte sich ein Ortsteil, daß die dort lebenden Familien von der Nutzung der Landflächen ausgeschlossen worden sei-en.424 Es ist zu vermuten, daß der Boden in diesem Fall in Form von Par-zellen an Familien des Ortes vergeben wurde und zunächst noch von der Gemeinde kontrolliert wurde. Der Befund, daß sich im Distrikt große Teile des Landes in Privatbesitz befanden, obwohl viele Gemeinden ihre

422 AJ-Fondo Cholula, caja año 1799, f. 1-5.

423 Ytem saben que nunca ha sido dicha tierra de la comunidad de Naturales de San Gregorio Zacapechpan, ni la han poseydo estos en manera alguna. AJ-Fondo Cholula, caja años 1790/91, f. 1-6.

424 AJ-Fondo Cholula, caja año 1799, f. 1-4.

600-varas Land zugeteilt bekommen hatten, spricht aber für eine allmäh-liche Ausweitung der Verfügungsgewalt zugunsten der Familien auf Kos-ten der Gemeinde. Die klassischen MöglichkeiKos-ten zur Landerweiterung hatten die größeren Gemeinden des Distrikts schon im 17., spätestens jedoch Anfang des 18. Jahrhunderts ausgeschöpft, so daß die Verteilung der Parzellen bereits einige Jahrzehnte zurücklag und in den Quellen aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts keine Erwähnung mehr findet.

Um die Entstehung des Privatbesitzes in Cholula zu klären, bedarf es daher einer umfassenden Untersuchung des innergemeindlichen Landbe-sitzes im 16. und 17. Jahrhundert.425

Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts ist die weitverbreitete Existenz von Privatbesitz in den Gemeinden des Distrikts sicher nachgewiesen. Dieser Nachweis von Privateigentum in großem Ausmaß führt zu der Frage, ob damit den Gemeinderäten die Kontrolle über die landwirtschaftlichen Nutzflächen in Cholula völlig entzogen worden war. Gegen die Annahme einer völligen Verdrängung von Gemeindeland durch Privatbesitz spricht die Tatsache, daß in einigen Quellen kollektiv genutztes Land der Ge-meinde Erwähnung findet, v. a. in seiner Verwendung als Viehweide.

Darüber hinaus wird in vielen Testamenten und Landverträgen zur Be-schreibung der Landgrenzen der Terminus tierras de comunidad verwen-det. Diese Bezeichnung läßt allerdings offen, ob es sich dabei um kollek-tiv genutztes Land handelte oder um die tierras de común repartimiento, die individuell bearbeitet wurden. Mit Sicherheit waren zahlreiche Ge-meinden auch mit propios ausgestattetet, d. h. mit Besitztümern, deren Erträge der Auffüllung der Gemeindekassen dienten. Im Distrikt Cholula handelte es sich bei diesen propios vorwiegend um Häuser und um Land, über deren Verwendung der betreffende cabildo zu entscheiden hatte.

425 Die Spanier hatten zwar nach der Conquista Privatbesitz anerkannt, aber dieses Vorge-hen beschränkte sich mehrheitlich auf die Ländereien der adligen Indianer. Zwar sind für den Wechsel vom 16. zum 17. Jahrhundert für Cholula viele Landverkäufe von Einzelper-sonen an Spanier dokumentiert, darunter auch von vielen macehuales. Bei diesen Verkäu-fen bleibt aber ofVerkäu-fen, wieweit sie den de-jure-Besitzverhältnissen entsprachen oder eher den de-facto-Machtverhältnissen in der Zeit des großen indianischen Bevölkerungsrück-gangs. Die Tatsache, daß die spanische Landzuteilungspolitik im 16. und 17. Jahrhundert nicht darauf ausgerichtet war, den Landbesitz einzelner macehuales zu garantieren, son-dern den indianischen Gemeinden eine Landbasis zu schaffen, spricht gegen eine parallele Entstehung von Privatbesitz in großem Ausmaß neben dem Gemeindeland schon in die-sem Zeitraum und für eine allmähliche Umwandlung zumindest von Teilen des Gemein-delandes in Privatbesitz.

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Diese Belege zeigen, daß es neben dem Individualbesitz in den Gemein-den Cholulas auch korporativen Landbesitz gab. Die Form seiner Nut-zung ist auf der Grundlage der vorliegenden Fälle allerdings nicht zu bestimmen.

Die Bearbeitung der von der Gemeinde vergebenen Parzellen konnte im System der tierras de común repartimiento mit verschiedenen Aufla-gen verbunden sein, beispielsweise mit der Zahlung einer monatlichen Abgabe, mit der Pflicht zur Tributzahlung oder mit bestimmten Arbeits-leistungen. Für Cholula liegt nur ein Beleg über eine an Verpflichtungen gekoppelte Landnutzung vor. Im Jahre 1767 beschwerten sich die Ge-meindebeamten aus Santorum beim Distriktsbeamten in Cholula über Juan Francisco Mani, „quien sin embargo de hallarse disfrutando aquellas Tierras comunes de el Pueblo que se le asignaron a sus assendientes co-mo a particulares miembros que lo formavan y componían“ seine Ver-pflichtungen nicht erfüllte. Er bezahle weder die wöchentliche Abgabe für die Sonntagsmesse noch leiste er den vorgeschriebenen Arbeitsdienst für den Kirchenbau oder stelle einen Ersatzmann.426 Dieser Konfliktfall aus der Gemeinde Santorum ist der einzige, in dem sowohl die Vergabe von Gemeindeland an die Vorfahren als auch die an diese Zuteilung ge-koppelten, immer noch geltenden Verpflichtungen erwähnt wurden. Diese beiden Faktoren entsprechen zwar der Praxis des Landverteilungsystems der tierras de común repartimiento. Allerdings war in Santorum die Par-zellenvergabe nicht an die Pflicht gekoppelt, den Tributforderungen der spanischen Krone nachzukommen. Es wurden lediglich Zahlungen und Arbeitsleistungen für die Kirche aufgelistet, nicht aber Verpflichtungen weltlichen Institutionen gegenüber. Diese Tatsache wiederum spricht gegen eine Landzuteilung gemäß des Systems der tierras de común re-partimiento in Santorum, da bei diesem die Tributleistung der Parzellen-nutzer an die Krone eine zentrale Bedingung für die Zuteilung der Nutz-flächen darstellte. Der von der Gemeinde in Santorum vergebene Besitz hatte dagegen offensichtlich die Funktion, die Gemeindekasse bei den Ausgaben für religiöse Zwecke zu entlasten. Da in keinem weiteren Fall aus Cholula die Verbindung zwischen der Landnutzung und der Erfüllung religiöser Verpflichtungen Erwähnung findet, steht zu vermuten, daß die Gemeinde Santorum eine Ausnahme innerhalb des Distriktes bildete.

426 Die weiteren Beschwerden, die die Gemeindebeamten gegen Juan Francisco Mani vor-brachten, hatten keinen Bezug mehr zum Landbesitz, sondern drehten sich um verschiedene Konflikte mit anderen Gemeindebewohnern. AJ-Fondo Cholula, caja años 1765-68, f. 1-7.

Abschließend zu klären ist dies nicht. In keinem einzigen vorliegenden Fall aber wurde eine Verbindung zwischen Tributleistungen und Landzu-teilungen erwähnt.

Damit scheint eine wichtige Funktion der tierras de común reparti-miento – die Sicherstellung der Tributzahlungen der Gemeindemitglieder im Gegenzug zur Landzuteilung – in Cholula zumindest nicht in großem Ausmaß gegeben gewesen zu sein. Die Verantwortung für die Erwirt-schaftung des Tributes lag bei den einzelnen Familien. Verfügten sie nicht über ausreichend Land, mußten sie das Geld auf andere Weise ver-dienen. Da allerdings die gobernadores im spanischen Tributsystem mit ihrem Vermögen für nichtgezahlte Beträge haften mußten, war es für sie von Bedeutung, daß die Familien in ihrem Amtsbereich über eine ausrei-chende wirtschaftliche Grundlage verfügten. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, an welcher der beiden beschriebenen Nutzungsfor-men die Gemeinden als Kollektiv und die führenden Gemeindebeamten ein größeres Interesse hatten: an der gemeinschaftlichen Nutzung des Bodens oder an der Aufteilung in Parzellen, die an landlose Gemeinde-bewohner vergeben wurden.

Zumindest in der Landpolitik gegenüber der spanischen Verwaltung spielte die zweite Option eine wichtige Rolle. So beriefen sich die Ge-meinden in Cholula bei Konflikten mit Haciendabesitzern oder indiani-schen Adligen darauf, landlose Familien in ihrem Dorf mit Grund und Boden versorgen zu müssen, appellierten an die entsprechende Verpflich-tung der Krone und verwiesen auf die daraus resultierende Schutzgesetz-gebung. Dies belegt der bereits dargestellte Konflikt zwischen der Ge-meinde Santa Barbara Almoloya und dem indio principal Don Phelipe Tlilan. Santa Barbara hatte – wie gesagt – die Landknappheit in der Ge-meinde angeführt und argumentiert, das umkämpfte Land unter ihren Familien verteilen zu wollen und sich für ihr Vorgehen („repartimiento de las referidas Tierras“) auf die real cédula von 1687 zu den 600-varas berufen. Daran, daß die Argumentation auch der tatsächlichen Absicht entsprach, sind allerdings Zweifel angebracht. Schließlich wurde der Boden nach seinem Erwerb 1763 als kollektive Viehweide genutzt. Der Widerspruch zwischen den Ankündigungen der Gemeinde und der tat-sächlichen Nutzung läßt vielmehr den Schluß zu, daß hier die Berufung auf die Versorgung landloser Familen mit landwirtschaftlicher Nutzfläche lediglich als ein erfolgversprechendes Argument gegenüber der kolonia-len Rechtsprechung eingesetzt wurde.

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Bestätigt wird diese Lesart durch das Verhalten der Prozeßgegner in dem bereits ausführlich dargestellten Verfahren zwischen der Gemeinde Santos Reyes und den beiden indios principales Don Bernardino Linares und Don Augustin Tecuanhuehue. Gegen deren privates Landgeschäft hatte die Gemeinde Beschwerde eingelegt und für sich das Recht bean-sprucht, das betreffende Land zu kaufen. Auch sie berief sich auf die angeblich im Dorf herrschende Landknappheit und die Regelungen zu den 600-varas. Die umfangreiche Argumentation der Beklagten zur Ent-kräftung der gegnerischen Position belegt den hohen Stellenwert dieser Begründung. Sie stellten die Bemühungen der Gemeinde als Resultat eines Komplottes gegen Augustin Tecuanhuehue dar und bezweifelten, daß tatsächlich Landlosigkeit unter den Einwohnern der Gemeinde herrschte. Für diesen Fall sei die Zuweisung der 600-varas zu beantragen, statt ein privates Landgeschäft zu stören. Den Drahtziehern gehe es näm-lich vielmehr darum, einerseits Tecuanhuehue zu schaden und anderer-seits die Gemeindebewohner für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, indem man diese das für eigene Zwecke gedachte Land durch eine Umla-ge finanzieren lasse. Es wurde damit auf zwei Ebenen versucht, die Ar-gumentation der Gemeinde zu widerlegen. Erstens wurde die Anwend-barkeit der Regelungen zu den 600-varas auf diesen Fall bestritten und zweitens das gemeinschaftliche Interesse der Gemeinde an diesem Land-geschäft angezweifelt. Die Strategie der Verteidigung, nicht nur die eige-ne Position zu erklären, sondern auch massiv die Glaubwürdigkeit der Gemeinschaftsinteressen in Frage zu stellen, belegt einerseits die Zug-kraft dieser Argumentation gegenüber den kolonialen Behörden. Ande-rerseits zeigt sie ein bei den Zeitgenossen existierendes Bewußtsein für die Instrumentalisierung zugunsten individueller Wirtschaftsinteressen.

Sehr aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß sich die Gemeinden bei Konflikten mit macehuales nicht auf den Status von tierras de común repartimiento beriefen, sondern ihre Besitzansprü-che mit der Allmende-Nutzung begründeten. Dies belegt die Beschwerde der Gemeinde Tlaxcalanzingo 1794 über zwei Bewohner, Dionicio Oso-rio und José Tocal, in der die beiden macehuales beschuldigt wurden, widerrechtlich ein Landstück besetzt zu haben, obwohl sie auch noch anderes Land besäßen. Der umstrittene Boden hatte einer Familie gehört, die während einer Epidemie gestorben war, ohne einen Erben zu hinter-lassen. Daher war das Land an die Gemeinde gefallen, die es als Vieh-weide genutzt hatte. Die beiden „Landbesetzer“ begründeten ihr Vorge-hen mit der Landverteilung in der Gemeinde: Sie seien die einzigen

Dorfbewohner ohne eigenen Boden und hätten daher einen Anspruch auf das als Weide genutzte Gelände, das zuvor immer als Feld bearbeitet worden sei. Die Gemeinde wandte sich nach der Landaneignung an die spanische Justiz und forderte ihr Land zurück. Dabei betonte sie auch die wirtschaftliche Bedeutung der Viehweide für die Familien der Gemeinde, die dort ihre Arbeitstiere weiden ließen. Das Gericht entschied zugunsten der Gemeinde; und der Vertreter der beiden Beklagten riet ihnen von einem Widerspruch ab, da das Verfahren teuer werden würde und von ungewissem Ausgang sei.427

Im vorliegenden Fall beriefen sich also zwei Gemeindebewohner auf das Landzuteilungsverfahren der tierras de común repartimiento, wäh-rend sich die Gemeinde diesen Ansprüchen heftig widersetzte. In ihrer Beschwerdeschrift betonten die Gemeindebeamten nachdrücklich, die beiden Beklagten besäßen noch weiteres Land, die umstrittene Parzelle sei also nicht das einzige Feld, das ihnen zur Verfügung stünde.

Im vorliegenden Fall beriefen sich also zwei Gemeindebewohner auf das Landzuteilungsverfahren der tierras de común repartimiento, wäh-rend sich die Gemeinde diesen Ansprüchen heftig widersetzte. In ihrer Beschwerdeschrift betonten die Gemeindebeamten nachdrücklich, die beiden Beklagten besäßen noch weiteres Land, die umstrittene Parzelle sei also nicht das einzige Feld, das ihnen zur Verfügung stünde.