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Auseinandersetzungen um private Besitz- Besitz-verhältnisse

Nicht nur Erbschaften, sondern auch Landübertragungen auf der Basis von Verträgen waren eine Quelle für Konflikte im Distrikt. Neben den bereits analysierten Landverkäufen entwickelten sich Auseinandersetzun-gen bei der zeitlich befristeten Übertragung der Nutzungsrechte durch Verpfändung und Verpachtung. Bei den Landverkäufen konnten schon im Vorfeld unterschiedliche Konflikte entstehen. So mußte in einigen Fällen das Besitzrecht des Verkäufers geklärt und unter Umständen auch das Vorliegen einer Verkaufslizenz überprüft werden. War ein Verkauf rechtmäßig abgeschlossen, konnten sich Streitigkeiten durch Unstimmig-keiten in bezug auf die Bezahlung des Kaufpreises entwickeln. Üblich war eine vollständige Bezahlung bei Ausstellung des Kaufvertrages. In einigen Fällen wurde aber die Summe in Raten gezahlt. Dieses Vorgehen war entweder bei Vertragsabschluß vereinbart worden oder etablierte sich im Laufe der folgenden Monate. Da die Ratenzahlungen oft über mehrere Jahre geleistet wurden, entwickelten sich Auseinandersetzungen über die Höhe der geleisteten Beträge und den Endkaufpreis teilweise erst zu einem späteren Zeitpunkt. So stritten sich 1759 zwei indianische Familien in der Stadt Cholula über ein Haus, das die eine für 15 p von der anderen erworben hatte. Es waren Raten von zwei Reales pro Monat vereinbart worden, aber keine der beiden Parteien konnte Aufzeichnungen über die tatsächlich gezahlten Beträge vorweisen. Nach fünf Jahren meinte die Käuferfamilie, daß das Haus nun ihr gehöre, während die Verkäufer mehr Geld oder eine Rückgabe des Objektes forderten. Zwar reichten beide Parteien Testamente und Verträge in Nahuatl ein, um ihre Position zu untermauern, eine Entscheidung des Falles liegt aber nicht vor.399

399 AJ-Fondo Cholula, caja año 1759, f. 1-19.

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Wenn die Abzahlung sich über viele Jahre hinzog, konnte es auch vorkommen, daß der ursprüngliche Verkäufer starb, bevor der Kaufpreis vollständig entrichtet worden war. In diesen Fällen mußten sich der Käufer und die Erben einigen, wobei auch hier Konflikte über die Höhe der bereits gezahlten Beträge und der noch ausstehenden Summe möglich waren. Als beispielsweise im Jahre 1797 Antonio Tello starb, kam es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung zwischen Maria Dominga, die ein Haus von Tello gekauft hatte, und seinen Erben. Maria Dominga wollte entweder die restlichen 23 p weiter in Raten bezahlen oder die bereits gezahlten 51 p zurückerstattet bekommen. Die Witwe Tellos und ihr Sohn erklärten sich bereit, den Verkauf anzuerkennen, wollten aber die ihrer Meinung nach noch ausstehenden 24 p in einer Summe gezahlt be-kommen. Schließlich einigten sich die Parteien darauf, den Hausverkauf anzuerkennen, sobald 24 p in Raten gezahlt sein würden. Die Käuferin, eine Witwe, hatte die bisher gezahlte Summe über einen Zeitraum von zwei Jahren in zahlreichen Einzelbeiträgen unterschiedlicher Höhe ab-gezahlt, wie die hohe Anzahl von Quittungen zeigt, die dem Vorgang beigefügt waren.400

Dieses Abtragen der Kaufsumme durch Kleinbeträge kam nur bei Käufern aus der Gruppe der macehuales vor. Ein bereits erwähnter Haus-kauf der india principal Thomasa de la Cruz Valiente wurde mit monatli-chen Raten von 15 p finanziert.401 Dagegen stand ein Landkauf von Phe-lipe Guatli aus San Miguel Cosme, der 6 p in Naturalien abbezahlte: „Un cerdo mediano por un peso seis reales, un tercio de mais en nuebe reales, en cinco reales de chile y otros.“402 Im Fall von Thomasa de la Cruz Va-liente belief sich der Gesamtkaufpreis auf 1.400 p, von dem die Käuferin beim Tod des Verkäufers erst 279 p abgetragen hatte. Die Erben bestan-den auf der Zahlung des Restbetrages in einer Summe. Da Thomasa Va-liente die ausstehenden 1.121 p nicht aufbringen konnte, wurde das Haus beschlagnahmt. Es wurde für 150 p jährlich vermietet; die Einnahmen erhielt die Familie des Verkäufers. Nach neun Jahren forderte die india principal das Haus mit der Begründung zurück, ihre Schulden seien jetzt abbezahlt. Der Distriktbeamte ordnete 1760 die Freigabe des Hauses an,

400 AJ-Fondo Cholula, caja año 1799, f. 1-10.

401 AJ-Fondo Cholula, caja años 1763-64.

402 „Ein mittelgroßes Schwein für einen Peso sechs Reales, ein Tercio Mais für neun Reales, für fünf Reales Chili und anderes.“ AJ-Fondo Cholula, caja año 1799, f. 1-5.

ohne daß die Erben darauf reagierten. Auch eine weitere Aufforderung vier Jahre später wurde von ihnen nicht ausgeführt, da sie sich immer noch als die rechtmäßigen Besitzer sahen. Diese Konstellation ist typisch für Konflikte bei Ratenzahlungen, da die Frage nach der Verfügungsge-walt, dem Nutzungsrecht und der Verwendung der Miete oder der land-wirtschaftlichen Erträge zwischen den Parteien häufig umstritten war.

Diese Fragen entwickelten sich auch bei verpfändetem und verpachte-tem Land sowie bei vermieteten Häusern häufig zu Streitpunkten. Die Vertragspartner vertraten gegensätzliche Positionen in bezug auf die Nut-zungsrechte und die Frage, wem die Einnahmen aus der Nutzung eines Grundstückes oder eines Hauses zustanden. Im Jahre 1790 verklagte Mi-guel Saucedo aus San Luis Tehuiloyan Andres Moyol aus San Gregorio Sacapexpam wegen der Nutzung eines Landstücks, das er dem Beklagten Jahre zuvor verpfändet hatte:

... hipotequé a Andres Moyotl [...] un pedaso de tierra sitio en un llano nombrado Zempoaltecatlan en que cabe una Quartilla de maiz de sembradura por la cantidad de treinta pesos que me prestó para subve-nir una urgencia que yo tenia entre manos. En todos estos once años ha estado sembrando dicho Moyotl trigo en el mencionado pedaso de tierra.403

Nach diesen elf Jahren bat Saucedo Andres Moyotl, auf dem Landstück nicht länger zu säen, um den Boden nicht mehr zu belasten, und bot die Rückzahlung des Geldes in Raten an. Moyotl bestand aber auf einer Aus-zahlung der 30 p in einer Summe und auf einer weiteren Nutzung des Landes. Saucedo berief sich dagegen auf die Vorschrift, daß verpfändetes Land entweder brachliegen mußte oder seine Erträge auf die Schulden angerechnet wurden. Im Laufe des Verfahrens wurden verschiedene Zeu-gen u. a. danach befragt, ob das Landstück von den Eltern Saucedos ge-kauft worden war und ob es jemals den Status tierra de comunidad hatte.

Drei indianische Zeugen aus San Luis bestätigten die Version Saucedos und sagten aus, daß das Land von den Eltern gekauft worden war, es nie der Gemeinde gehört hatte und es auch nie zu irgendwelchen Ansprüchen

403 „... ich verpfändete Andres Moyotl [...] ein Landstück in einer Ebene mit Namen Zempoaltecatlan auf das eine Quartilla Mais ausgesät werden kann für den Betrag von dreißig Pesos, die er mir lieh, um eine Notlage zu überwinden. In all den elf Jahren hat besagter Moyotl auf dem erwähnten Landstück Weizen angebaut.“

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der Gemeinde gekommen war.404 Eine Lösung im Konflikt über die Nut-zung des Landes während der Verpfändung ist allerdings nicht überliefert.405

Eine andere Ursache für Auseinandersetzungen konnten Meinungs-verschiedenheiten darüber bilden, ob es sich bei Zahlungen um Miete bzw. Pacht oder um Ratenzahlungen für einen Kauf handelte. Bedingt durch gegensätzliche Interpretationen entwickelten sich zahlreiche Pro-zesse über die Frage, wem nach jahrelangen Zahlungen eine Immobilie gehörte. So verklagte im Jahre 1799 Maria Dominga Perez den oben er-wähnten Phelipe Gautli auf die Herausgabe des ihrer Meinung nach nur verpfändeten Landstücks. Gautli hatte es vor mehr als zwanzig Jahren von Maria Perez’ Mutter übertragen bekommen. Als die Mutter starb, vererbte sie das Landstück an ihre Tochter, die 1791 ohne Erfolg ver-suchte, es wieder in ihren Besitz zu bekommen. Da Gautli das Land über so viele Jahre zum Anbau von magueyes und Mais genutzt habe, sei der Ertrag viel höher gewesen als die gezahlten 6 p Pfand. Erst bei der Wie-deraufnahme des Verfahrens 1799 präsentierte Phelipe Gautli einen Kaufvertrag auf Nahuatl, der aus dem Jahre 1783 datierte. Danach hatte Gautli das Land in dem betreffenden Jahr für 8 p gekauft. Bei der gericht-lichen Untersuchung bestätigte ein damaliger Gemeindebeamter den Ver-kauf, bei dem alle Gemeindebeamten als Zeugen anwesend gewesen sei-en. Seiner Aussage nach hatte die Verkäuferin das Land von ihren Eltern geerbt und war dueña absoluta, d. h. unumstrittene Eigentümerin, des Bodens. Auf der Grundlage dieser Aussage und des übersetzten Kaufver-trages wurde der Verkauf für rechtmäßig erklärt.406

Es sind weitere Konflikte überliefert, die ähnlich gelagert waren. Ei-ner der Beteiligten bestand darauf, ein Landstück verpfändet oder ver-pachtet zu haben, während die Gegenpartei behauptete, das betreffende Objekt gekauft zu haben. Es kam zum Streit um die Frage, wer die

404 Eine Besonderheit bei diesen Vernehmungen war die Besetzung des Dolmetscherpost-ens, den in diesem Fall nicht der offizielle Übersetzer des Distrikts, Miguel Angel Casco, wahrnahm, sondern der escribano der Gemeinde. Saucedo hatte die Beteiligung Cascos am Verfahren erfolgreich zurückgewiesen, da dieser als consuegro (Gegen-Schwieger-vater) des Beklagten befangen war.

405 Für einen vergleichbaren Konflikt über die Verwendung der Mieteinnahmen aus einem verpfändeten Haus siehe AJ-Fondo Cholula, caja años 1803/04, f. 1-6.

406 AJ-Fondo Cholula, caja año 1799, f. 1-5.

tumsrechte für den Grund und Boden besaß.407 Teilweise gelang es den Pächtern bzw. Käufern, Zeugen beizubringen, die die Besitzübertragung bekräftigten. Diese Auseinandersetzungen folgten dem Schema, mit dem in den vorangegangenen Jahrhunderten große Landflächen aus indiani-schem Besitz in spanische Hände gelangt waren. Grund und Boden, den die Spanier zunächst gepachtet hatten, wurde später von ihnen als käuflich erworbener Besitz deklariert. Dies gilt neben unumstrittenen Landkäufen und gewaltsamer Besetzung als ein weiterer wichtiger Mechanismus spani-scher Landaneignung.408 Alle für den Distrikt Cholula vorliegenden Fälle spielten sich dagegen innerhalb der Gruppe der macehuales ab und zei-gen damit, daß diese Manipulationen und Auseinandersetzunzei-gen keines-wegs auf die Konstellation „landhungriger Spanier versus ausgebeuteter Indianer“ beschränkt blieben. Auch unter der indianischen Bevölkerung fanden solche umstrittenen Formen des Landbesitzwechsels statt, und zwar nicht nur innerhalb des Distrikts, sondern auch innerhalb einer Ge-meinde. Die indianische Beteiligung an umstrittenen Pfändungs- und Pachtverträgen beschränkte sich in Cholula daher nicht auf die Besetzung der Opferrolle.

Typisch für die Konflikte, die aus Verpfändungen und Verpachtungen resultierten, waren gerichtliche Auseinandersetzungen, die erst Jahre oder sogar Jahrzehnte nach Abschluß der Vereinbarungen geführt wurden.

Bedingt waren diese langen Zeiträume durch die teilweise sehr langen Laufzeiten der Verträge. Häufig war mindestens bei einer Partei schon die Erbengeneration am Verfahren beteiligt. Ein Beispiel für die langen Zeiträume, über die das Wissen um eventuell bestehende Ansprüche wei-tergegeben wurde, ist die gerichtliche Auseinandersetzung, die 1794 in Cholula zwischen Juan Macuil und Sevastiana Peres stattfand. Beide stammten aus San Andres und stritten um ein Landstück, das Juan Macu-ils Großvater für einen Zeitraum von 45 Jahren gegen 20 p an Pasqual Peres, den Vater der Beklagten, verpfändet hatte. Nach dem Tod ihres Vaters im Jahre 1787 hatte Sevastiana Peres das Landstück an wechseln-de Pächter weitergegeben und sollte einmal sogar 20 p Pacht geforwechseln-dert haben. Da der Kläger einen Vertrag über die Verpfändung vorlegen konn-te, der 1752 auf Nahuatl abgefaßt worden war, entschied der

407 Siehe beispielhaft für dieses Konfliktmuster AJ-Fondo Cholula, caja años 1769/70, f.

1-15; AJ-Fondo Cholula, caja año 1789, f. 1-8, AJ-Fondo Cholula, caja año 1794A, f. 1-2.

408 Martínez, Codiciaban la tierra, S. 156

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amte in Cholula, daß der letzte Pächter das Land an Juan Macuil zurück-geben mußte.409

Auch bereits laufende Rechtsstreitigkeiten über Landstücke, die zu keinem Abschluß gekommen waren, wurden von den Erben nach länge-rer Zeit wiederaufgenommen. So verlangte die in erster Ehe mit José Mariano Mino verheiratete Pasquala Maria Castañeda im Namen ihrer vier Kinder die Wiederaufnahme eines Verfahrens, das ihr verstorbener Schwiegervater Jahrzehnte zuvor um ein Landstück geführt hatte und das immer noch nicht abgeschlossen war.410

Bei den hier vorliegenden Auseinandersetzungen handelte es sich fast ausschließlich um Konflikte innerhalb der Gruppe der macehuales. Strei-tigkeiten, in die indianische Adlige oder Spanier einbezogen waren, bil-deten die Ausnahme. Dabei muß allerdings berücksichtigt werden, daß die Mehrheit der Verpfändungen und Verpachtungen, an denen macehua-les beteiligt waren, nur einen engen finanziellen Rahmen umfaßte. An Geschäften dieser Größenordnung waren aber indianische Adlige und Spanier nicht interessiert: weder an der Pacht noch an der Verpachtung zersplitterter Flächen, wie sie zwischen den macehuales vergeben wur-den. Sie hatten wesentlich größeres Interesse am Kauf von kleinen Grundstücken als an ihrer temporären Nutzung. Anders stellte sich die Interessenlage bei ausgedehnten Ländereien mit einem höheren Wert dar, so beispielsweise bei dem Konflikt zwischen dem Spanier Don Josef de Anaya und dem indio principal Don Diego Grijalva, der für 50 p Land an Anaya verpachtet hatte. In diesem Fall handelte sich um ein rancho. Als Anaya erfuhr, daß das betreffende Land zur Erbmasse der verstorbenen Kazikin Doña Maria de la Presentacion Rodrigo gehörte, forderte er sein Geld zurück, da er die Kompetenz Grijalvas als Testamentsvollstrecker bezweifelte, den rancho zu verpachten.411

Als Fazit der Konflikte zwischen Einzelpersonen über Landbesitzkon-trakte läßt sich feststellen, daß innerindianische Auseinandersetzungen überwogen. Die Streitigkeiten spielten sich mehrheitlich zwischen mace-huales ab, sehr häufig zwischen Bewohnern desselben Dorfes. Die Land-konflikte zeigen keine innergemeindliche Harmonie, sondern Spannungen

409 AJ-Fondo Cholula, caja año 1794 B, f. 1-7.

410 AJ-Fondo Cholula, caja años 1803/04, f. 1-2.

411 AJ-Fondo Cholula, caja año 1789, f. 1-3.

zwischen Gemeindemitgliedern, die durch unterschiedliche Besitzver-hältnisse bedingt waren. An den Auseinandersetzungen beteiligten sich Frauen ebenso wie Männer. Beide Geschlechter betrachteten die kolonia-le Justiz als Entscheidungsinstanz. In alkolonia-len dokumentierten Landkonflik-ten wurde sie in Anspruch genommen, um eine Lösung der Auseinander-setzungen zu erreichen. Diese Tatsache spricht für eine große Akzeptanz des kolonialen Rechtssystems innerhalb der indianischen Bevölkerung und gegen den Fortbestand vorspanischer Regulierungsmechanismen. In den zahlreich dokumentierten Fällen wurde diesem System eine größere Bedeutung zugemessen als möglichen informellen Konfliktregelungsstra-tegien der Gemeinden oder der Autorität der indianischen cabildos. Das galt nicht nur für Streitigkeiten, bei denen ein Beteiligter zu der Gruppe der Spanier gehörte, sondern auch für die innerindianischen Konfliktfälle.

Aus der Inanspruchnahme der kolonialen Justiz folgte aber keine Gering-schätzung der Autorität indianischer Beamter. In einigen Fälle wurde beispielsweise der amtierende gobernador Cholulas von einer der Kon-fliktparteien zum Beauftragten ernannt, der sie vor Gericht vertreten sollte.412

Nicht nur Streitigkeiten von macehuales aus verschiedenen pueblos, sondern auch von Mitgliedern derselben Gemeinde wurden vor die spani-sche Verwaltung gebracht. Dabei sind nicht nur die hier behandelten Landkonflikte auf vertraglicher Basis zu nennen, sondern auch die zahl-reichen Auseinandersetzungen über Erbschaften, die sich innerhalb der indigenen Familien abspielten. In allen vorliegenden Fällen wurden nicht die comunidad oder die indianischen Beamten zur Konfliktregelung he-rangezogen, sondern die spanische Distriktsverwaltung. Für die einzelnen Familien zeigen die untersuchten Fälle die gleiche selbstverständliche Inanspruchnahme des kolonialen Rechtssystems, wie es von der For-schung bereits ausführlich für die Gemeinde als korporativer Organisati-on dargestellt worden ist. Das individuelle Verhalten unterschied sich in diesem Bereich nicht vom Vorgehen des Kollektivs, und zwar unabhän-gig davon, ob die Einschaltung der spanischen Justiz von einem indiani-schen Adligen oder einem macehual ausging. Die koloniale Rechtspre-chung wurde also keinesfalls als ein feindliches System, sondern als

412 Dabei handelte es sich in zwei Fällen um den jahrzehntelang das Amt des gobernador beherrschenden Manuel Felis Grande Axcotlam und in einem Fall um seinen Sohn, Ma-nuel Alexo Axcotlam, der mindestens im Jahre 1782 gobernador war. AGN, ramo de tierras, vol. 1225, exp. 4, f. 1-5, AJ-Fondo Cholula, caja año 1759, f. 1-2, und AJ-Fondo Cholula, caja año 1775, f. 1-4.

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nützliches Instrument zur Durchsetzung der eigenen Interessen angese-hen. Es kann daher keine Dichotomie zwischen spanischer Justiz und interner indianischer Konfliktregelung festgestellt werden. Wie bei den korporativen Organisationen dürfte auch bei den Individuen das Wissen um die weitreichende Macht spanischer Rechtsentscheidungen eine wich-tige Rolle gespielt haben.

Als Instanz zur Lösung von Landkonflikten spielten die Gemeinden im Distrikt also keine wichtige Rolle. Wie verhielten sie sich aber in den Fällen, bei denen sie selbst an den Auseinandersetzungen als interessierte Partei beteiligt waren? Bei der Frage nach der Beteiligung von indiani-schen Adligen oder Spaniern an Verpachtungen und Verpfändungen wurde bereits deutlich, daß sie nicht an Geschäften mit geringem finan-ziellen Umfang interessiert waren. Für den Distrikt liegen aber Fälle vor, in denen die Gemeinden größere Landstücke oder ranchos von einem indianischen Adligen oder Spanier pachteten oder kauften. Auch hier kam es zu Konflikten über die Zahlung der Pacht- bzw. Kaufraten und über die Nutzung des Landes. So beschwerte sich im Jahre 1794 Josef Antonio Vasques, cacique principal aus Cholula, über die Gemeinde San Pablo Ahuatempan. Nach dem Tod seiner Mutter, der Kazikin Doña Ma-ria Antonia, war die Gemeinde bestrebt gewesen, ein rancho aus der Erbmasse zu kaufen, der direkt auf dem Gebiet des pueblo lag. Sie hatte vor 20 Jahren 20 p angezahlt und nutzte seitdem das Land, ohne weitere Zahlungen zu leisten. Vasques forderte 1794 rückwirkend 30 p Pacht pro Jahr, d. h. die Zahlung von insgesamt 600 p oder die Vorlage eines Be-sitztitels. Da die Gemeinde diesen nicht vorweisen konnte, mußte sie die Pacht zahlen.413

Ein umfangreiches Geschäft war zwischen der Gemeinde Santa Bar-bara Almoloya und Don Phelipe Tlilan, indio principal aus Cholula, zustandegekommen. Die Gemeinde hatte im Jahre 1763 acht Landstücke im Gesamtwert von 420 p von Tlilan gekauft. Dazu hatten alle Familien wöchentlich Geld aufgebracht. Nach dem Kauf wurden die Landstücke als Weidefläche für das Vieh der Gemeindemitglieder genutzt. Im Jahre 1769 fühlte sich die Gemeinde dann vom örtlichen Pfarrer unter Druck

413 AJ-Fondo Cholula, caja año 1794 A, f. 1-2. Ein ähnlicher Fall, der bereits in Punkt III.1. vorgestellt wurde, hatte sich in Malacatepeque zwischen der Gemeinde und der Kazikenfamilie Chantes abgespielt. In beiden Fällen waren die Auseinandersetzungen mit den Kaziken Teil weitergehender Landkonflikte, die auch für Ahuatempan bereits unter III.1. diskutiert wurden.

gesetzt und verpachtete das Land auf sein Drängen an den ehemaligen Verkäufer, Phelipe Tlilan, der aber in den folgenden Jahren nicht mehr als 20 p Pacht zahlte. Vier Jahre später beschloß die Gemeinde aufgrund der steigenden Landknappheit im pueblo, das Land unter den Familien zur individuellen Nutzung zu verteilen. Gegen diese Entscheidung setzte sich Tlilan zur Wehr und erreichte durch Einschaltung des Distriktsbeam-ten die Verhaftung von drei indianischen GemeindebeamDistriktsbeam-ten. Erst gegen Zahlung einer Kaution wurden sie wieder freigelassen. Die Gemeinde wandte sich an die spanische Justiz und forderte eine Legitimierung die-ser Landverteilung und eine Anweisung an den Distriktsbeamten, sie in Ruhe zu lassen und künftig vor Phelipe Tlilan zu schützen.414

Die beiden Beispiele zeigen, daß die Gemeinden sowohl Beklagte als auch Kläger in Streitigkeiten mit einer Einzelperson sein konnten, und daß die Konfliktlage sich in vielen Punkten nicht von Auseinanderset-zungen zwischen Individuen unterschied. So wird deutlich, daß die Ge-meinden sowohl Pacht schuldig blieben als auch die Position eines Gläu-bigers innehaben konnten. Die Auseinandersetzung mit dem indio principal Phelipe Tlilan demonstriert aber auch die Unterschiede zu

Die beiden Beispiele zeigen, daß die Gemeinden sowohl Beklagte als auch Kläger in Streitigkeiten mit einer Einzelperson sein konnten, und daß die Konfliktlage sich in vielen Punkten nicht von Auseinanderset-zungen zwischen Individuen unterschied. So wird deutlich, daß die Ge-meinden sowohl Pacht schuldig blieben als auch die Position eines Gläu-bigers innehaben konnten. Die Auseinandersetzung mit dem indio principal Phelipe Tlilan demonstriert aber auch die Unterschiede zu