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3 Die gobernadores von Don Manuel Axcotlan bis Don Simon Zaccarias: Die indianische

Selbstver-waltung als Machtmonopol der Kaziken?

In Cholula war es im Zuge der Conquista zu besonders einschneidenden Veränderungen in der Nobilität gekommen, da durch die matanza de Cholula die vorspanische Führungsschicht erheblich dezimiert worden war. Nur Familien, die sich Cortés gegenüber als loyal erwiesen hatten, erhielten ihren Status von den Spaniern bestätigt, daher war die Gruppe des indianischen Adels in Cholula kleiner als in vielen anderen altepetl.

Durch das zunächst weiterbestehende Prinzip der Ämterrotation wurde die Vorherrschaft eines Adelsgeschlechts verhindert. Stattdessen domi-nierten im 16. Jahrhundert die vier Kazikenfamilien Acapixohiatzin, Chi-chimecayotl, Tecuanhuehuetzin und Llamantecuhtli die politische Füh-rung in Cholula.178 Zwei dieser Namen lassen sich in abgeänderter Form bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts weiterverfolgen. In Santos Reyes lebte die bereits erwähnte Familie Tecuanhuehue, deren Mitglieder als indios principales bezeichnet wurden. Da das Suffix „-tzin“179 im Nahuatl lediglich verwendet wird, um Respekt auszudrücken, und keinen festen Bestandteil des Namens bildet, ist anzunehmen, daß sich diese Endung im Laufe einer zunehmenden Hispanisierung verloren hat. Daher besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, daß es sich in Santos Reyes um Nachkommen der genannten Kaziken handelt, zumal der Name außerhalb dieses Ortes in den Quellen nicht erwähnt wurde und somit selten gewe-sen zu sein scheint. Die Familien Chichimecayotl und Acapixohiatzin verlieren sich dagegen völlig, während für die Llamantecuhtli ebenfalls

178 González Hermosillo, Cholula, S. 26/27.

179 Rémi Siméon, Diccionario de la lengua náhuatl o mexicana, Mexiko-Stadt 1994 (Erstausgabe: Paris 1885), S. 728.

die Möglichkeit einer Kontinuität besteht, die aber nicht so eindeutig zu klären ist wie im Falle der Tecuanhuehue. In Coronango finden sich unter den Amtsinhabern im cabildo sehr viele Teuctle und in Cholula tragen zwei gobernadores den Namen Teuctli.180 Entfernt man das spanische

„llaman“ könnte es sich durchaus um Nachkommen der Kazikenfamilie Llamantecuhtli handeln. Allerdings wird kein Mitglied der genannten Familien im 18. Jahrhundert als Kazike bezeichnet, noch verfügten die Familien zu jener Zeit über großen politischen Einfluß in Form von Mo-nopolisierung eines politischen Amtes.

Kazikenstatus erhielten im 16. Jahrhundert meist nur die Herrscher der altepetl, die tlatoque, während die übrigen Adligen als principales be-zeichnet wurden. Beide Gruppen wurden nach der Conquista den spani-schen hidalgos gleichgestellt und genossen innerhalb der Gruppe der Indianer zahlreiche Privilegien. Sie waren von den Tributzahlungen aus-genommen und unterlagen nicht dem Rechtsstatus von Minderjährigen.

Zudem durften sie spanische Kleidung und Waffen tragen und reiten;

Vorrechte, die den macehuales verwehrt blieben, und von denen daher viele Adlige Gebrauch machten, um sich von den einfachen Indianern abzuheben.181 Die Spanier erkannten außerdem mit Einschränkungen den Landbesitz der Adelsschicht an.182 Als sich die Machtposition der Kazi-ken mit der Etablierung der spanischen Herrschaft veränderte, ver-schwand die Differenzierung in zwei Gruppen allmählich. Stattdessen setzte sich die Doppelbezeichnung cacique y principal durch.183

Auch in Cholula wurde im 18. Jahrhundert der Titel des Kaziken kaum noch ohne Zusatz verwendet. Wesentlich häufiger war die Kombi-nation cacique principal. Mitglieder folgender Familien aus dem Distrikt Cholula wurden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Kaziken oder caciques principales bezeichnet: Acxotlan, Aparicio, Chantes, Leon

180 Vgl. die Wahldokumente für den Distrikt Cholula, INAH, Serie Archivo Judicial de Puebla, Mikrofilm Rolle 49, Elecciones Cholula und BN-Fondo Reservado, Tenencia de la tierra en Puebla, Dokument 7/344 und 41/1097.

181 Recopilación de Leyes de los Reynos de las Indias, 3 Bde, Madrid 1791, Faksimiledruck Madrid 1943, Libro VI, Título I, Ley XXXI und XXXIII; sowie Gibson, The Aztecs, S. 155.

182 Siehe zum Landbesitz und den damit verbundenen Abhängigkeitsverhältnissen aus-führlich Kapitel III.1. dieser Arbeit.

183 Josefina Muriel, Las Indias Caciques de México, Mexiko-Stadt 1963, S. 19-27 und Lockhart, The Nahuas, S. 133-138.

3. Die indianische Selbstverwaltung 85

y Mendoza, Mani, Nolasco Motolinia, Palafox Mendoza, Rodrigo, Rol-dan, Roldan Motolinia, Rojas, Tenancali, Teocuitla, Tequapetla, Vasques, und Xiucoscatl. Die so gekennzeichneten Personen wurden aber nur in einigen Dokumenten mit diesem Titel genannt, in anderen wurden sie lediglich als indio principal bezeichnet. In jedem Fall wurde aber für sie die Anrede „Don“ oder „Doña“ verwendet. Andere Mitglieder der glei-chen Familien werden ebenfalls als indio principal oder als „Don“ in den Quellen verzeichnet. In dieser Verwendung kann indio principal als Syn-onym für caciques y principales verstanden werden. Häufiger war dage-gen die Verwendung als eidage-genständige Kategorie, d. h. die Mehrheit der Adligen wurde weder als Kazike noch als cacique y principal, sondern als indio principal bezeichnet.184 In den Tributmatrikeln von 1805 wird die Zahl der Kaziken für Cholula mit nur drei angegeben, dort wird aller-dings auch die strenge Definition im Rahmen der bourbonischen Refor-men angewendet, die darauf abzielte, die AusnahRefor-men von der Tribut-pflicht zu begrenzen.185 Diese geringe Zahl von Kaziken in Kombination mit der festgestellten Verschmelzung der Adelsbezeichnungen zu einem Doppeltitel zeigt für Cholula, daß gegen Ende der Kolonialzeit der Dist-rikt nicht von Adligen beherrscht wurde, die einen offiziellen Kazikensta-tus besaßen. Dieser Befund stützt aber nicht notwendigerweise die These von einem Einflußverlust dieser Familien im Laufe der Kolonialzeit.

Bei der Beurteilung dieser Frage muß berücksichtigt werden, daß sich die Machtposition der Kaziken am Ende der Kolonialzeit in anderer Form zeigte als im 16. Jahrhundert, als sich die spanische Herrschaft fast völlig auf die Mittlerfunktion des indianischen Adels stützte. Die Spanier hatten noch vor der Einführung der Munizipalordnung in den Gemeinden das Amt des go-bernador geschaffen, das speziell auf die Fortsetzung der Machtausübung durch die vorspanischen Herrscher der altepetl zugeschnitten worden war.

Den spanischen Vorschriften entsprechend sollten die gobernadores jedes Jahr neu gewählt werden, aber diese Form der Amtswechsel fand nur in Orten mit einer komplexen vorspanischen Struktur wie in der Stadt Cholula statt, in denen die Herrschaft traditionell rotiert hatte.186 In den meisten

184 Dies gilt auch für Adlige, die sehr häufig in dem vorliegenden Quellenmaterial er-wähnt werden, daher ist es unwahrscheinlich, daß sie in anderen Zusammenhängen als Kaziken bezeichnet werden.

185 Estado general de tributos y tributatarios, S. 10.

186 Gibson, The Aztecs, S. 166/67 und Lockhart, The Nahuas, S. 30-33.

pueblos dominierten im 16. Jahrhundert einzelne Kazikenfamilien den Posten des gobernador oft über Jahrzehnte. In Cholula dagegen funktio-nierte die Rotation bis Anfang des 18. Jahrhunderts. Erst in den ersten Jahrzehnten des neuen Jahrhunderts kam es zu einer Monopolisierung des Amtes durch einzelne Kaziken.187

In den vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts, für die die Besetzung des Amtes lückenlos dokumentiert ist, vollzog sich ein ständiger Amtswech-sel zwischen drei gobernadores. Die Kaziken Francisco Roldan Motoli-nia und Sebastian de Soto amtierten jeweils drei Jahre, während für den Kaziken Juan de Leon Mendoza zwei Amtsjahre nachgewiesen sind.188 Der vierte Amtsträger, der nur für ein Jahr gewählt wurde, Don Antonio Roldan, könnte ein Verwandter von Francisco Roldan Motolinia gewesen sein. Die vierziger Jahre entsprechen damit weitgehend dem Modell einer Ämterrotation zwischen konkurrierenden Kazikenfamilien. Für die nächsten dreieinhalb Jahrzehnte zeigt sich eine dominante Position des Kaziken Manuel Felis Grande Acxotlan, der zumindest während der Jah-re 1750-51, 1758-60, 1769, 1774, 1776-77, 1779 und 1784 gobernador in Cholula war. Für diesen Zeitraum sind nur noch wenige weitere Namen bekannt, für viele Jahre kann die Besetzung des Amtes nicht ermittelt werden. In den sechziger Jahren war der Kazike Esteban Rodrigo 1763 und 1765 gobernador, Don Juan Antonio Atlautem 1764. In den achtzi-ger Jahren waren 1782 der Sohn Acxotlans, Don Manuel, und 1783 Don Juan Roman Lopes gobernador. Diese Angaben sprechen für die sechzi-ger Jahre gegen eine völlige Beherrschung des Stadtrats durch Axcotlan, da auch zwei Vertreter anderer Adelsfamilien für drei Jahre in Folge nachgewiesen sind. In den siebziger und Anfang der achtziger Jahre sind dagegen nur Amtsjahre für Axcotlan dokumentiert. Verstärkt wurde die Bedeutung seiner Familie noch durch die Tatsache, daß 1782 auch sein Sohn das Amt ausübte. Diese Monopolisierung des gobernador-Posten endete erst mit dem Tod Don Manuel Felis’ im Jahr 1784 und dem seines Sohnes kurze Zeit später.189

187 Hermosillo, La élite indígena, S. 69-82.

188 Vgl. die Auflistung der Amtsinhaber in der Tabelle „Gobernadores in Cholula“ auf den beiden folgenden Seiten.

189 Im Jahre 1791 versuchte der Enkel Don Manuel Felis Axcotlans, die Privilegien des Kazikenstatus einzuklagen, und erwähnte dabei auch seinen verstorbenen Vater. AJ-Fondo Cholula, 1791. Zitiert nach Castillo Palma, Los Estatutos, S. 127/28.

3. Die indianische Selbstverwaltung 87 Tabelle 2: Gobernadores in Cholula (1741-1820)

Jahr Name Titel Quelle 1741 Roldan Motolinia, Francisco Don, Cacique Principal GH

1742 Leon y Mendoza, Juan de Don, Cacique Principal GH

1743 Soto, Sebastian de Don GH

1744 Leon y Mendoza, Juan de Don, Cacique Principal GH

1745 Roldan, Antonio Don GH

1746 Roldan Motolinia, Francisco Don, Cacique Principal GH 1747 Roldan Motolinia, Francisco Don, Cacique Principal GH

1748 Soto, Sebastian de Don GH

1749 Soto, Sebastian de Don GH

1750 Acxotlan, Manuel Grande Don, Cacique Principal GH 1751 Acxotlan, Manuel Felis Grande Don, Cacique Principal GH 1758 Acxotlan, Manuel Grande Don, Cacique Principal FCh 1759 Acxotlan, Manuel Felis Grande Don, Cacique Principal FCh, GH 1760 Acxotlan, Manuel Felis Grande Don, Cacique Principal FCh, GH 1763 Rodrigo, Esteban Don, Cacique Principal GH

1764 Atlautem, Juan Antonio Don FCh

1765 Rodrigo, Esteban Don, Cacique Principal FCh 1769 Acxotlan, Manuel Felis Grande Don, Cacique Principal FCh 1774 Acxotlan, Manuel Felis Grande Don, Cacique Principal GH 1776 Acxotlan, Manuel Felis Grande Don, Cacique Principal GH 1777 Acxotlan, Manuel Felis Grande Don, Cacique Principal GH 1779 Acxotlan, Manuel Felis Grande Don, Cacique Principal GH

1782 Acxotlan, Manuel Alexo Don FCh

1783 Lopes, Juan Roman Don FCh

1784 Axcotlan, Manuel Felis Grande Don, Cacique Principal FCh 1789 Atlautem, Luciano (Antonio) Don, Indio Principal FCh

1789 Fermin Suarez, Pedro Don GH

1790 Tzilin, Juan Don FCh, GH

1791 Atlautem, Antonio Don GH

1794 Lopes, Juan Don FCh, GH

1795 Fermin Suarez, Pedro Don FCh

Jahr Name Titel Quelle

1796 Tzilin, Juan Don FCh

1797 Guatlayotl, Gregorio Antonio Don FCh

1798 Atlautem, Luciano Don FCh

1798 Franques Serrano, Juan Don GH

1798 Texeda, Pedro (Nolasco) Don FCh

1799 Guatlayotl, Gregorio Don FCh

1799 Zaccarias, Simon Don FCh

1800 Ayaquica, Juan Eucebio Don FCh+GH

1801 Tzilin, Juan Don FCh

1803 Sarmiento, Antonio Don FCh

1804 Sarmiento, Antonio Don FCh

1805 Zaccarias, Andres Jesus de Don FCh, GH

1806 Texeda, Pablo Don GH

1807 Cortes, Laureano Don GH

1808 Sarmiento, Antonio Don GH

1809 Texeda, Pedro de Don GH

1810 Serrano, Francisco Xavier Don GH

1811 Cortes, Laureano Don FCh

1811 Lopes, Antonio Don GH

1812 Cortes, Laureano Don GH

1812 Teuctli, Marcelo Don FCh

1813 Teuctli, Matheo Don GH

1815 Sarmiento, José Don GH

1816 Cortes, Laureano Don FCh, GH

1817 Texeda, Antonio Don GH

1818 Garcia, Pedro Don GH

1819 Sarmiento, José Don GH

1820 Sarmiento, Antonio Don GH

Quelle: FCh = AJ Fondo Cholula; GH = Gonzàlez Hermosillo, Supervivencia étnica, S. 134

3. Die indianische Selbstverwaltung 89

Die neunziger Jahre und die beiden ersten Jahrzehnte des neuen Jahr-hunderts zeigen dagegen ein anderes Muster bei der Besetzung des Am-tes.190 In diesem Zeitraum fand ein jährlicher Amtswechsel statt, und es lassen sich ungefähr 20 verschiedene gobernadores nachweisen.191 Auch hier kann aber bei Gleichheit der Familiennamen von Verwandtschafts-beziehungen ausgegangen werden. Die Zahl der Familien liegt unter die-ser Voraussetzung nur noch bei zehn, so daß sich für die ausgehende Kolonialzeit immer noch die Beschränkung des Amtes auf eine kleine Gruppe Adliger feststellen läßt. Besonders auffällig wird dies bei der Untersuchung der Wahlen zum gobernador. Der ausscheidende go-bernador mußte jeweils drei Vorschläge für die Neubesetzung seines Postens machen. Bei der Durchsicht dieser Vorschläge zeigt sich, daß auch die unterlegenen Kandidaten ganz überwiegend aus dem Kreis der aufgelisteten gobernadores stammten.192 Damit entspricht Cholula der bereits für einige indianische Städte nachgewiesenen Tendenz, die Herr-schaft in der ausgehenden Kolonialzeit auf mehrere Familien zu verteilen, aber dennoch die politische Macht in einer eng begrenzten Gruppe zu halten.193 Seit den neunziger Jahren ist nur ein Fall einer Wiederwahl nachgewiesen (1803/04), da die spanischen Behörden die Einhaltung des jährlichen Wechsels scharf kontrollierten. So unternahm die Wahlver-sammlung in Cholula 1789 zwei erfolglose Versuche, den amtierenden gobernador, Don Luciano Atlautem, wiederzuwählen, die beide am Ein-spruch des Intendanten Flon scheiterten.194

Don Luciano Atlautem war der einzige aus der Gruppe der goberna-dores, die seit den neunziger Jahren dem Stadtrat vorsaßen, der noch als indio principal bezeichnet wurde. Alle anderen wurden nur als „Don“ in den Dokumenten erwähnt. Zwei von ihnen konnten nicht schreiben und ließen den escribano an ihrer Stelle unterzeichnen. Ein solches Vorgehen wurde für keinen Amtsinhaber der vorangegangenen Jahrzehnte erwähnt.

190 Für die zweite Hälfte der achtziger Jahre gibt es nur eine Angabe, die zusätzlich noch einen Zweifelsfall darstellt, vgl. die Tabelle „Gobernadores in Cholula“ auf S. 87/88.

191 Aufgrund nicht eindeutig zu ermittelnder Amtsträger für die Jahre 1798, 1811 und 1812 lassen sich keine exakten Werte angeben.

192 Vgl. die Wahldokumente für den Distrikt Cholula, INAH, Serie Archivo Judicial de Puebla, Mikrofilm Rolle 49, Elecciones Cholula und BN, Fondo Reservado, Tenencia de la tierra en Puebla, Dokument 7/344 und 41/1097.

193 Haskett, Indigenous Rulers, S. 53-58.

194 INAH, Serie Archivo Judicial de Puebla, Mikrofilm Rolle 49, Elecciones Cholula.

Vermutlich führte die verstärkte Kontrolle der Ämterrotation durch die spanischen Behörden zu einer Erweiterung der Gruppe, die Zugang zu dem gobernador-Amt hatte. Das vorliegende Quellenmaterial erlaubt nur in einem Fall die Erschließung familiärer Verbindungen, sonst läßt sich nicht klären, ob die neuen politischen Führer unabhängig von den alten Familien agierten oder ob sie durch verwandtschaftliche Bindungen und Klientelbe-ziehungen mit der vorherigen Führungsgruppe verbunden waren.195

Eine Arbeit über die Kaziken in Atlacomulco im Tal von Toluca belegt für die dortigen Kaziken einen früheren politischen Machtverlust als in Cholula und Amtübertragungen an macehuales, die einhergehen mit dem wirtschaftlichen Niedergang der beiden über Jahrhunderte herrschenden Familien.196 Eine Studie über die Region Cuernavaca hat dagegen gezeigt, daß die Kaziken dort auch Ende des 18. Jahrhunderts eine starke Position hatten und nur auf die stärkere Kontrolle der spanischen Bürokratie mit der Ämterbesetzung durch Verwandte oder ihnen durch das Klientelwesen verbundene Adlige reagierten. Die Herrschaft lag damit zwar nicht mehr bei einer Person, wurde aber immer noch von einer kleinen Gruppe eng miteinander verbundener Familien ausgeübt.197 Ein häufiger Wechsel im Amt des gobernador muß also nicht unbedingt als ein Zeichen für einen gravierenden Machtverlust der Kaziken verstanden werden.

Der neue Amtsinhaber setzte sich bei den Wahlen in der Stadt Cholula oft nur knapp gegen seine Konkurrenten durch. Es läßt sich allerdings nicht klären, inwieweit es sich dabei um echte Wahlentscheidungen gehandelt hat. Eine wichtige vorspanische Tradition im Nahua-Raum bestand darin, sich in Verhandlungen auf einen Konsens zu einigen, und nicht über Ent-scheidungen abzustimmen. In Cuernavaca reagierten die Indianer bei-spielsweise auf den steigenden Druck der spanischen Beamten, „echte“

Wahlen abzuhalten, mit im voraus getroffenen Wahlentscheidungen, die dann mit fingierten knappen Ergebnissen öffentlich bestätigt wurden.198 Ob ein solches Verfahren auch in der Stadt Cholula durchgeführt wurde, kann auf der vorliegenden Quellengrundlage nicht entschieden werden. Es

195 Don Marcelo Teuctli, der gobernador des Jahres 1812, war mit einer Tochter Don Manual Felis Grande Axcotlan verheiratet. AJ-Fondo Cholula, caja año 1794B, f. 28-70.

196 Anne Bos, The Demise of the Caciques of Atlacomulco, Mexiko, 1598-1821. A Re-construction, Leiden 1998, S. 203-220.

197 Haskett, Indigenous Rulers, S. 145-150 und Lockhart, The Nahuas, S. 138.

198 Haskett, Indigenous Rulers, S. 53-58 und S. 199.

3. Die indianische Selbstverwaltung 91

steht aber ein auffälliger Kontrast zu den Wahlen in den übrigen repúblicas de indios im Distrikt. In diesen Gemeinden waren einstimmige Ergebnisse oder eine nur geringe Anzahl von Gegenstimmen die Regel. Diese Resulta-te sprechen gegen eine strikResulta-te Kontrolle der Wahlen durch die spanischen Beamten und deuten damit auf ein geringeres Interesse der Kolonialverwal-tung an den Vorgängen in der Peripherie hin.199

Der gobernador wurde von einer Wahlversammlung gewählt, die sich überwiegend aus ehemaligen Beamten des Gemeinderats zusammensetz-te. Der neugewählte gobernador ernannte alle weiteren indianischen Be-amten in der cabecera und in den sujetos. Die sujetos verfügten meist über je einen alcalde, fiscal und escribano. Die Amtsausstattung des Stadtrates in Cholula lag deutlich über der in den anderen Gemeinden des Distrikts. Sie unterschied sich aber auch von der Ämterverteilung Ende des 16. Jahrhunderts; es waren neue Posten dazugekommen und einige etablierte weiter unterteilt worden. Diese Ausgestaltung der Ämter war typisch für die pueblos de indios während der bourbonischen Refor-men.200 In Cholula führten alle Amtsträger den Titel „Don“, während dies in den übrigen Gemeinden nur bei den gobernadores der Fall war. Der Zugang zum cabildo war in der Stadt Cholula den Adligen vorbehalten;

eine Regelung, die auch für andere bedeutende indianische repúblicas galt.201 Die Ämter im Stadtrat waren dort auch mit wesentlich größerer Verantwortung verbunden als in kleinen Gemeinden, da die Amtsträger für die pünktliche Tributzahlung mit ihrem Vermögen hafteten.

Abgesehen vom gobernador entsprachen alle hohen Ratsämter der von der Kolonialverwaltung eingeführten spanischen Munizipalordnung. Die Art der Amtsausübung durch die indianischen Beamten deutet aber auf den Fort-bestand einiger vorspanischer Regierungsprinzipien hin. Gerade im Bereich der hohen Funktionen vermieden die indianischen Gemeinderäte klare Kom-petenzabgrenzungen zwischen den Beamten, da die Führungsebene stark von der vorspanischen Tradition der Austauschbarkeit der Ämter geprägt war.

Auf untergeordneter Ebene waren die Aufgabenbereiche klarer voneinander

199 Als es beispielsweise bei einer Wahl in Tlaxalanzingo zu Unregelmäßigkeiten kam und eine Überprüfung angeordnet wurde, stellte sich heraus, daß entgegen der Vorschriften kein spanischer Beamter vor Ort gewesen war. AJ-Fondo Cholula, caja año 1794A, f. 1-4.

200 Gibson, The Aztecs, S. 190.

201 Haskett, Indigenous Rulers, S. 30/31, Gibson, The Aztecs, S. 175/76 und Tutino, Creole Mexico, S. 277.

getrennt. Diese Ämter wiesen bereits formal stärkere Übereinstimmungen mit der vorspanischen Amtsorganisation auf und trugen teilweise sogar indiani-sche Bezeichnungen.202 Eine weitere Übertragung vorspanischer Traditionen zeigte sich in dem erweiterten Verständnis der politischen Repräsentation, in der die gesamte Gruppe des Adels Verantwortung für das Wohlergehen der Gemeinschaft trug. Die Arbeit für die Gemeinden beschränkte sich nicht auf die amtierenden cabildo-Beamten, auch die ehemaligen Amtsinhaber nah-men viele Funktionen wahr, so beispielsweise die Vertretung der Gemeinde-interessen bei spanischen Behörden.203

Die wichtigsten Aufgaben der indianischen Selbstverwaltung bestan-den während der gesamten Kolonialzeit in der Tributeinziehung für die spanische Krone, der Regelung interner Gemeindeangelegenheiten und der Erfüllung bestimmter Verpflichtungen gegenüber der Kirche. Der weitere Aufgabenbereich der Munizipalverwaltung umfaßte unter anderem den Bau und die Instandhaltung von öffentlichen Gebäuden und Wegen, die Regelung und Kontrolle der Märkte und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Dazu besaßen der gobernador und die alcaldes die Gerichtsbarkeit bei leichteren Vergehen und bei zivilrechtlichen Streitig-keiten zwischen indianischen Gemeindebewohnern, die meist vom go-bernador wahrgenommen wurde. Der cabildo vertrat die Gemeinde auch vor spanischen Gerichten, beispielsweise bei Prozessen um die Höhe der Tribute oder bei der Verteidigung des kommunalen Landbesitzes. Einzel-ne Ratsmitglieder fungierten auch als Zeugen bei privaten Landverkäufen oder bei Testamenten. Dabei spielten ebenfalls die ehemaligen Amtsin-haber eine wichtige Rolle.204 Ein bedeutendes Amt war das des Schrei-bers, des escribano, der die Gemeindeakten führte und alle Schriftstücke für die Gemeinde und für Einzelpersonen aufsetzte, beispielsweise die Protokolle des cabildo, Wahldokumente, Pacht- und Kaufverträge,

Die wichtigsten Aufgaben der indianischen Selbstverwaltung bestan-den während der gesamten Kolonialzeit in der Tributeinziehung für die spanische Krone, der Regelung interner Gemeindeangelegenheiten und der Erfüllung bestimmter Verpflichtungen gegenüber der Kirche. Der weitere Aufgabenbereich der Munizipalverwaltung umfaßte unter anderem den Bau und die Instandhaltung von öffentlichen Gebäuden und Wegen, die Regelung und Kontrolle der Märkte und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Dazu besaßen der gobernador und die alcaldes die Gerichtsbarkeit bei leichteren Vergehen und bei zivilrechtlichen Streitig-keiten zwischen indianischen Gemeindebewohnern, die meist vom go-bernador wahrgenommen wurde. Der cabildo vertrat die Gemeinde auch vor spanischen Gerichten, beispielsweise bei Prozessen um die Höhe der Tribute oder bei der Verteidigung des kommunalen Landbesitzes. Einzel-ne Ratsmitglieder fungierten auch als Zeugen bei privaten Landverkäufen oder bei Testamenten. Dabei spielten ebenfalls die ehemaligen Amtsin-haber eine wichtige Rolle.204 Ein bedeutendes Amt war das des Schrei-bers, des escribano, der die Gemeindeakten führte und alle Schriftstücke für die Gemeinde und für Einzelpersonen aufsetzte, beispielsweise die Protokolle des cabildo, Wahldokumente, Pacht- und Kaufverträge,