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Erbschaftsstreitigkeiten um Grund und Boden

Landbesitz im Widerstreit individueller und kollektiver

1 Erbschaftsstreitigkeiten um Grund und Boden

Die verschiedenen Konstellationen der Landvererbung konnten zu sehr unterschiedlichen Konflikten führen. Bedingt durch die Tatsache, daß die Nutznießer der Erbschaften ganz überwiegend Familienangehörige wa-ren, spielten sich die Auseinandersetzungen um Erbschaften innerhalb von Familien, meist sogar zwischen engen Verwandten ab. Häufig kam es zu Streitigkeiten zwischen der Familie eines Verstorbenen und dem hinterbliebenen Ehegatten. Die Untersuchung der Erbschaftsfälle im Dist-rikt hat gezeigt, daß die Erblasser häufig dem Ehepartner Teile ihres Be-sitzes übertrugen. Dagegen regte sich in vielen Fällen Widerstand in der Familie des Verstorbenen, besonders wenn die Ehe kinderlos geblieben war. Zwar konnte der Erblasser den Ehegatten als Universalerben einset-zen, aber aufgrund der zahlreichen Auseinandersetzungen war es nicht sicher, ob dieser seine Ansprüche auch tatsächlich durchsetzen konnte.

Eine Möglichkeit, diese Unsicherheit zu umgehen, bestand in der Besitz-übertragung an den Ehepartner noch zu Lebzeiten des Erblassers in Form einer Schenkung von Haus und Landstücken. Falls der Erblasser zu ei-nem späteren Zeitpunkt ohne Testament starb, ging der verbliebene Be-sitz automatisch an seine Blutsverwandten über. Diese bestritten dann in vielen Fällen die Existenz oder die Rechtmäßigkeit einer Schenkung an den hinterbliebenen Partner und versuchten, auch diese Immobilien der Erbmasse zuzuschlagen.

So beschwerte sich beispielsweise im Jahre 1799 ein Ehepaar aus San Lorenzo Omecatlan, Pasqual Antonio und Maria Antonia, über Versuche, ihnen Haus und Landstücke streitig zu machen. Der erste Mann Maria Antonias war ohne Testament gestorben, so daß sein gesamter Besitz an seine Schwester Isabel Maria fiel. Vor seinem Tod hatte er aber das ge-meinsame Wohnhaus und einige Felder an seine Frau überschrieben.

Diese lebte zum Zeitpunkt der Beschwerde bereits 25 Jahre mit ihrem zweiten Mann dort und wurde seit acht Jahren von ihrer Schwägerin be-lästigt, die meinte, als Universalerbin auch Anspruch auf diese Besitz-übertragungen erheben zu können.357 In einem anderen Fall war Thomasa Mathotl aus Guautlanzingo 1768 während einer Epidemie gestorben, ohne ein Testament gemacht zu haben. Ihr Mann, Francisco Totolhuan, begründete seine Rechte an ihrem Besitz damit, daß sie ihn vor mehreren Zeugen zum Universalerben eingesetzt habe. Er mußte sich in langen Rechtsstreitigkeiten mit den Verwandten seiner verstorbenen Frau ausei-nandersetzen, die das Erbe für sich beanspruchten.358 Eine Witwe, Juana Maria Zehuitzil aus San Gabriel Ometoxtlan, wurde sogar im Gefängnis festgehalten, weil sie sich geweigert hatte, die von ihr bewohnte Haus-hälfte an eine Verwandte ihres verstorbenen Mannes abzutreten. Das Haus hatte ihr Mann von seinem Großvater geerbt und, wie sie zu ihrer Verteidigung betonte, ihr in Anwesenheit von zwei indianischen Beamten überschrieben.359 Im Jahre 1760 forderten drei Indios aus San Andres den Besitz zweier Verwandter ein, die ihrer Auffassung nach ohne Testament gestorben waren. Ihre Klage richtete sich gegen die beiden Witwen der Verstorbenen, die inzwischen in zweiter Ehe wiederverheiratet waren.360

Im Falle von gemeinsamen Kindern war die Position des hinterbliebe-nen Ehepartners deutlich stärker. Wenn ein Ehegatte verstarb, ohne ein Testament gemacht zu haben, konnte sich der Witwer oder die Witwe darauf berufen, den Besitz für die Kinder zu verwalten, und mit diesem Argument die Ansprüche anderer Verwandter abwehren. So beschwerte sich Diego Julian aus San Andres über seinen Schwager Diego Paez, den Bruder seiner verstorbenen Frau Josefa Paez. Seine Ehefrau war ohne

357 AJ-Fondo Cholula, caja año 1799, f. 1-3.

358 AJ-Fondo Cholula, caja años 1765-68, f. 1-47.

359 „Cuia donacion me hiso en presencia del escribano de dicho pueblo... y de Santiago Castillo, merino pasado.“ AJ-Fondo Cholula, caja años 1769/70, f. 1.

360 AJ-Fondo Cholula, caja año 1760, f. 1-2.

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Testament gestorben, dennoch blieb Diego Julian mit den gemeinsamen Kindern in dem Haus wohnen, das seine Frau von ihren Eltern geerbt hatte. Als plötzlich sein Schwager erschien und ihn aufforderte, das Haus zu räumen, wandte sich Diego Julian mit Erfolg an die spanische Justiz.

Diego Paez wurde ermahnt, seinen Schwager nicht länger zu belästigen, während Diego Julian sein Wohnrecht im Haus bestätigt bekam.361

Bei den Konflikten zwischen den Blutsverwandten und dem hinter-bliebenen Ehegatten spielte die Herkunftsgemeinde des angeheirateten Partners keine Rolle; es wurden in den vorliegenden Fällen niemals Be-sitzrechte mit dem Argument abgestritten, daß der Nutznießer der Erb-schaft nicht aus derselben Gemeinde stammte wie der verstorbene Partner.

Weder die Verwandten noch die Gemeinde machten mit dieser Begrün-dung Ansprüche geltend. Dieses Verhalten unterschied sich stark von dem Vorgehen der Gemeinden im Hochbecken von Toluca, in denen Landbesitz an den Status hijos del pueblo gebunden war, den nur Männer, die in der betreffenden Gemeinde geboren waren, erhielten. So war in Toluca die Situation der hinterbliebenen Ehepartner oft prekär. Im Ge-gensatz zu Cholula, wo auch Ehemänner in die Gemeinde ihrer Ehefrau wechselten, verließen in Toluca fast immer die Frauen ihre Herkunftsge-meinde, so daß sich die Landkonflikte zwischen der Witwe und der je-weiligen Gemeinde des verstorbenen Mannes abspielten. Die Witwen erhielten bestenfalls die Nutzungsrechte über das Land zugesprochen, wenn sie Kinder versorgen mußten, andernfalls hatten sie keinerlei An-sprüche. Im erstgenannten Fall fiel das Land später an die erwachsenen Söhne. Aber auch wenn Kinder vorhanden waren, konnte die Gemeinde versuchen, den Anspruch der Witwe auf die Landnutzung zu bestreiten, indem sie die Besitzrechte des verstorbenen Mannes anzweifelte.362 Da-gegen wurden in keinem der Konflikte um Landbesitz in Cholula, an denen eine Witwe oder ein Witwer beteiligt waren, vergleichbare Argumente vorgebracht. Diese Auseinandersetzungen waren rein innerfamiliäre Ange-legenheiten, in denen die Gemeinde keine eigenen Interessen vertrat.

Eine andere Konfliktsituation nach dem Tod eines Ehepartners bezog sich auf die Versorgung der gemeinsamen Kinder. Wenn der hinterblie-bene Partner nicht noch einmal heiratete, kam es im Normalfall nicht zu Auseinandersetzungen, da die Kinder damit rechnen konnten, nach

361 AGN, ramo de tierras, vol. 955, exp. 6, f. 93-95.

362 Siehe dazu die Beispielsfälle bei Kanter, Native Female Land Tenure, S. 608-613.

sen Tod auch das verbleibende Erbe anzutreten. Anders stellte sich die Situation im Falle einer Wiederverheiratung dar. Dann mußten die Kinder befürchten, daß Teile des Besitzes an den neuen Partner oder eventuell aus der Verbindung hervorgehende Halbgeschwister fallen konnten. Um diese Gefahr zu vermeiden, forderte beispielsweise Pascual Antonio aus San Gabriel Ometoxtlan im Jahr 1762 die Zuteilung des väterlichen Erbes für sich und seine zwei minderjährigen Geschwister ein, nachdem seine Mutter wieder geheiratet hatte. Auf sein Drängen hin wurde ein Inventar erstellt und der Wert des Landes sowie des Wohnhauses und des Hausrats geschätzt. Dabei entwickelte sich ein Streit um die von der Witwe ver-kauften Pulque-Agaven. Pascual Antonio forderte, die Summe vom Erb-teil seiner Mutter abzuziehen, während diese argumentierte, das Geld zur Versorgung der Familie gebraucht zu haben. Der Gesamtwert des Erbes betrug etwa 630 p. Eine Entscheidung über die verkauften Agaven blieb offen, genau wie eine Zuteilung des Landes an die einzelnen Erben.363 In einem anderen Fall erhob der Sohn aus erster Ehe seine Ansprüche erst, als er erfuhr, daß die Mutter das vom Vater geerbte Haus und einige Landstücke an die Tochter aus zweiter Ehe übertragen wollte. Daraufhin wandte sich Pasqual Saucedo aus Tonanzintla im Jahr 1799 an den Dist-riktsbeamten in Cholula und forderte sein Erbe ein. Seine Mutter, Maria Azcal, bestritt seine Ansprüche und betonte, daß das Haus und das Land ihr ordnungsgemäßes Erbe seien, über das sie frei verfügen könne. Eine Entscheidung in diesem Konflikt ist nicht belegt.364

Zu heftigen Auseinandersetzungen kam es in der Stadt Cholula inner-halb der Familie von Petrona Coyotl. Im Jahr 1769 forderte eine der Töchter aus erster Ehe, Josepha Aguilar, zusammen mit ihrem Ehemann Joseph Aguatl eine Auszahlung ihres Erbteils noch zu Lebzeiten der Mut-ter. Sie strengten einen Prozeß gegen die Mutter an, in dem sie ihr vor-warfen, einige Jahre mit ihrem jetzigen Gatten in incontinencia (Un-keuschheit) gelebt zu haben. Außerdem forderten sie Petrona Coyotl auf, ihr Vermögen um den Betrag von 100 p zu erhöhen. Diese Summe hatte sie nach Ansicht der Kläger verwendet, um ihren zweiten Ehemann von einer Hacienda freizukaufen. Um sich angemessen verteidigen zu kön-nen, entstanden der Mutter 150 p Prozeßkosten. Um diesen Betrag zahlen zu können, verkaufte sie für 75 p magueyes und lieh sich die verbliebene

363 AJ-Fondo Cholula, caja años 1760-62, f. 15-26.

364 AJ-Fondo Cholula, caja año 1799, f. 1-4.

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Summe von Matheo Toriques aus Cholula. In ihrem Testament verfügte Petrona Coyotl, daß ihr Sohn das Wohnhaus und einige Landstücke be-kommen solle. Dieses Erbteil wurde mit einer capellanía verknüpft, die das Lesen von Messen und die regelmäßige Stiftung einiger Kerzen vor-sah. Das Haus mit dem zugehörigen Landstück durfte weder verkauft noch aufgeteilt werden. Außerdem erhielt der Sohn weiteres Land ohne Auflagen sowie das Ackergerät und den kompletten Viehbesitz. Auch die Töchter bekamen Landstücke zugesprochen, fühlten sich aber gegenüber ihrem Bruder benachteiligt. Josepha Aguilar wiederholte außerdem ihre Beschwerde wegen der 100 p, die für den zweiten Mann der Mutter ge-zahlt worden waren. Bei einem ungefähren Gesamtwert der Erbmasse von 700 p bedeutete diese Summe eine erhebliche Veränderung der je-weiligen Anteile. Es entstand ein umfangreicher Schriftverkehr, in dem die einzelnen Parteien ihre Position darlegten, ohne daß es zu einer Ent-scheidung kam.365

Alle überlieferten Konflikte um Besitzrechte im Falle einer zweiten Ehe bezogen sich auf die Wiederverheiratung der Mutter. Aus den Tes-tamenten der Männer läßt sich ablesen, daß auch sie häufig ein zweites oder sogar ein drittes Mal heirateten. Dennoch liegen keine Dokumente über Auseinandersetzungen in bezug auf das mütterliche Erbe vor. Ein möglicher Grund dafür könnte in dem unterschiedlichen Aufbau der Tes-tamente in bezug auf die Vermögenssteigerung im Laufe der Ehe liegen.

Während in den Testamenten von Familienvätern sehr häufig genau ver-zeichnet wurde, wie die Besitzverhältnisse zum Zeitpunkt der Hochzeit aussahen und wie sie sich im Laufe der Ehe veränderten, fehlten diese Passagen in den Testamenten der Frauen. Der Letzte Wille des Vaters bot also den Kindern aus erster Ehe mehr Rechtssicherheit, da dort in vielen Fällen genau zwischen den Ansprüchen der Kinder aus den unterschiedli-chen Verbindungen unterschieden wurde. Das Fehlen dieser Aufstellun-gen und DifferenzierunAufstellun-gen bot den Müttern anscheinend eine größere Verteilungsfreiheit hinsichtlich ihres Besitzes. Zudem erbten Frauen häu-figer und mehr von ihren Ehemännern als umgekehrt. Daher barg eine Wiederverheiratung der Mutter ein wesentlich höheres Konfliktpotential als eine nochmalige Eheschließung des Vaters.

Die oben beschriebene Auseinandersetzung in der Familie Coyotl/Agui-lar ist auch typisch für das Verhalten von Geschwistern bei

365 AJ-Fondo Cholula, caja años 1769/70, f. 1-20.

len. Besonders häufig kam es zu Klagen unter Brüdern und Schwestern.

Bedingt durch die Praxis, Landstücke nicht zu teilen und ein Haus an zwei oder mehr Erben gleichzeitig zu vergeben, mußten die Hinterbliebe-nen häufig eiHinterbliebe-nen Kompromiß hinsichtlich der Verwendung der Erbmasse finden. Daraus resultierten zahlreiche Konflikte. So wollte Marcelina Toriquez ihrer Schwester Antonia den Wert ihrer Haushälfte auszahlen, um dann ihrem eigenen Sohn das Gebäude als Wohnhaus anbieten zu können. Antonia lehnte dieses Ansinnen ab und wollte die Verfügungs-gewalt über das väterliche Erbe behalten, statt mit 30 p ausbezahlt zu werden.366 Bei gemeinsamem Hausbesitz konnte es auch zum Konflikt kommen, wenn eines der Geschwister die Immobilie ohne Zustimmung der anderen verkaufte. Im Jahre 1760 verklagte beispielsweise Teresa Maria Garcia aus San Bernardino Chalchiapan ihren Bruder, weil dieser das gemeinsam vom Vater geerbte Haus ohne ihre Zustimmung an Migu-el XMigu-elhua verkauft hatte.367

Wenn das Haus und die Landstücke nur von einer Partei genutzt wur-den, konnte es noch Jahrzehnte später zu Forderungen der Gegenpartei kommen. In einem Fall warf der Bruder seine Schwester und ihren Ehe-mann nach 25 Jahren aus dem gemeinsamen Haus und forderte rückwir-kend Miete. Dem Ehepaar gelang es unter Berufung auf das Gewohn-heitsrecht, einen richterlichen Beschluß zu erwirken, der ihnen das Recht auf Wiedereinzug zusprach.368 In einem anderen Fall forderte 1799 die Witwe Maria Dolores Tepos aus San Gregorio Atzompan ihren Bruder auf, ihr nach 31 Jahren endlich ihren Teil von Haus und Land freizuma-chen oder einen unabhängigen Schätzer einzusetzen, um den Wert ihres Anteils zu bestimmen. Dem Streitfall beigefügt ist eine detaillierte Auf-listung aller magueyes und Tiere, die ihr Bruder in den zurückliegenden Jahren verkauft hatte. Maria Tepos forderte, den Wert dieser Verkäufe ihrem Anteil zuzuschlagen. Als Käufer der magueyes nannte sie in zwei Fällen die bereits erwähnte Familie Tecuanhuehue aus dem nahegelege-nen Santos Reyes.369

In einem Prozeß aus dem Jahre 1799 klagte Juana Petrona aus San Ju-an GuatlJu-anzingo gegen ihren Bruder Nicolas JuliJu-an. Vier Jahre nach dem

366 AJ-Fondo Cholula, caja año 1775, f. 1-12.

367 AJ-Fondo Cholula, caja años 1760-62, f. 1-5.

368 AJ-Fondo Cholula, caja año 1759, f. 1.

369 AJ-Fondo Cholula, caja año 1799, f. 1-7.

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Tod der Mutter versuchte der Bruder, ihr das geerbte Landstück mit Ge-walt zu entziehen und ebenso wie seinen Anteil am Erbe zu verkaufen.

Der örtliche Pfarrer bestätigte die Beschwerde in einem Brief an den Distriktsbeamten und betonte außerdem, daß Nicolas Julian in der Ge-meinde dafür berüchtigt sei, ständig unberechtigte Geldforderungen zu stellen und Unruhe zu stiften.370

Diese innerfamiliären Streitigkeiten wurden entweder zwischen zwei Geschwistern oder zwischen einem Bruder bzw. einer Schwester und der übrigen Familie ausgetragen. Alle dokumentierten Fälle wurden nicht innerhalb der Kernfamilie geregelt, sondern vor den kolonialen Rechtsin-stitutionen ausgetragen. Dies unterstreicht die Bedeutung von Land- und Hausbesitz für die Bevölkerung Cholulas. Auch Geschwister schreckten nicht davor zurück, den anderen Familienmitgliedern Besitz vorzuenthal-ten oder diesen einzuklagen. Zumindest in den dokumentiervorzuenthal-ten Fällen war also das Streben nach Grundbesitz stärker ausgeprägt als innerfamili-äre Solidarität oder der Wunsch, Fremde von internen Angelegenheiten fernzuhalten. Durch das Prinzip der Erbteilung und eine gewisse Zutei-lungsfreiheit der Erblasser ergaben sich die Hauptkonflikte durch geteil-ten Haus- und Landbesitz. Weitere Streitpunkte entstanden durch Genera-tionskonflikte, durch die Verwaltung von Bargeld aus der Erbmasse und durch die Frage, welche vom Erblasser zu dessen Lebzeiten erhaltene Zu-wendungen dem Anteil der einzelnen Erben angerechnet werden sollten.

Nach der geltenden Erbfolge war vorgesehen, daß die Kinder an Stelle eines Elternteils erbten, wenn dieser bereits verstorben war. Sehr häufig gab es Fälle, in denen Neffen und Nichten gegen ihre Onkel und Tanten klagten, da sie sich bei der Verteilung des Erbes der Großeltern übergan-gen fühlten. So klagte Miguel Mendoza aus Santa Maria Coronango ge-gen seine Tante Josepha Mendoza, da sie das gesamte Erbe ihrer verstor-benen Mutter für sich behalten habe, statt – wie im Testament vorgesehen – die Kinder ihres verstorbenen Bruders zu berücksichtigen. Auf Drängen des Neffen wurde von einigen Gemeindebeamten ein Inventar erstellt und der Besitz zwischen allen im Testament genannten Erben aufgeteilt.371

Im Extremfall waren bereits alle Vertreter der Kindergeneration ge-storben und es kam zu Auseinandersetzungen zwischen den Enkeln um

370 AJ-Fondo Cholula, caja año 1799, f. 1-10.

371 AJ-Fondo Cholula, caja años 1760-62, f. 1-4.

das Erbe des verstorbenen Großvaters oder der verstorbenen Großmutter.

Nach dem Tod von Pedro Ocelotl aus San Bernardino Tlaxcalantzingo im Jahre 1795 stritten sich zum Beispiel sechs Enkel um die Verteilung sei-nes Erbes, da sie alle ein bestimmtes Landstück zugewiesen bekommen wollten.372 Durch die zahlreichen Epidemien, von denen der Distrikt in der ausgehenden Kolonialzeit betroffen war, konnte sich die Familien-struktur allerdings auch derart verändern, daß die Großeltern von ihren Enkeln erbten. Die Witwe Luisa Rosa Guapan aus San Diego Guachoyot-la machte im Jahre 1763 als nächste Verwandte Ansprüche auf das Erbe ihres Enkels Juan Lorenzo geltend, der ledig und ohne ein Testament gemacht zu haben verstorben war. In mehreren Schreiben forderte sie eine Untersuchung des Falles, ohne daß eine Entscheidung über ihre Ein-gaben belegt ist.373

Unabhängig von der Generationszugehörigkeit waren alle Erben dar-auf bedacht zu klären, ob die anderen erbberechtigten Verwandten bereits zu Lebzeiten des Erblassers Geld oder Land erhalten hatten, das auf ihren Anteil angerechnet werden konnte. In der Familie des indio principal Don Felipe Coyolchi aus Cholula, der 1789 im Alter von 80 Jahren ge-storben war, kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Erben. Die Witwe Coyolchis und ihr ältester Sohn kümmerten sich als Testamentsvollstrecker um die Erstellung eines Inventars. Der Gesamt-wert des Erbes betrug ungefähr 1.200 p. Da einer der Söhne nicht mehr lebte, erbte statt seiner ein Enkel Coyolchis. Von dem ihm zustehenden Anteil wurden 145 p 5 r zur Deckung der Ausgaben für den Arzt und die Beerdigung seines bereits vor längerer Zeit verstorbenen Vaters abgezo-gen. Umstritten unter den Erben war die Frage, von wem ein anderer Sohn Coyolchis, Felipe Bartholome Coyolchi, 126 p für einen Grund-stückskauf erhalten hatte. Er selbst behauptete, das Geld von seinem Schwiegervater bekommen zu haben, während die übrigen Erben anga-ben, daß sein Vater ihm die Summe gegeben habe. Bis zur Klärung dieser Streitfrage wurden die Anteile nicht an die einzelnen Erben übergeben.

Daraufhin klagten Felipe Bartolome und eine seiner Schwestern auf Her-ausgabe des Erbes; es kam zu einem umfangreichen Schriftverkehr zwi-schen allen Beteiligten und den spanizwi-schen Behörden.374

372 AJ-Fondo Cholula, caja año 1785, f. 1-20.

373 AJ-Fondo Cholula, caja años 1763/64, f. 1-7.

374 AJ-Fondo Cholula, caja año 1789, f. 1-82.

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Um diese Form der Streitigkeiten zu vermeiden, machten einige Erb-lasser in ihren Testamenten Angaben über bereits gezahlte Beträge und nicht oder nur teilweise zurückgezahlte Kredite, die einzelne Kinder er-halten hatten. Darüber hinaus kam es auch zu Schenkungen von maguey-es und Großvieh, von deren Erträgen die Bmaguey-eschenkten bereits vor dem Tod des Erblassers profitieren konnten. Keine Angaben wurden über die Versorgung der Töchter mit einer Mitgift gemacht, obwohl viele Frauen eine solche in die Ehe einbrachten. Zu juristischen Auseinandersetzungen kam es in Fällen, in denen die übrigen Erben die Bevorzugung eines Er-ben vermuteten, ohne daß im Testament des Erblassers AngaEr-ben dazu gemacht worden waren. Die Aufklärung dieser Auseinandersetzungen war sehr schwierig, wenn keine Belege über bereits geleistete Zahlungen vorgelegt werden konnten und damit Aussage gegen Aussage stand. Ein Beispiel für eine Übertragung großer Teile des Erbes vor dem Tod der Erblasserin ist der Fall von Franca Casares aus Cholula. Sie hatte ihren jüngst verheirateten Sohn mit dem Geld aus dem Verkauf von fünf Landstücken beim Aufbau eines Geschäfts unterstützt. Nach nur einem Jahr Ehe starb ihr Sohn plötzlich. Unter diesen Bedingungen forderte Franca Casares daraufhin aus seiner Hinterlassenschaft das Geld mit der Begründung zurück, daß die veräußerten Grundstücke ihren Lebensun-terhalt sichern sollten und ihre übrigen Kinder sich über den Verkauf beschwert hätten.375

Ein weiteres Konfliktmuster konnte aus der Tätigkeit eines Testa-mentsvollstreckers oder Vormundes entstehen. So klagte Thomasa de Santhiago Sencama gegen Petrona Motol, die Frau ihres Onkels Pasqual

Ein weiteres Konfliktmuster konnte aus der Tätigkeit eines Testa-mentsvollstreckers oder Vormundes entstehen. So klagte Thomasa de Santhiago Sencama gegen Petrona Motol, die Frau ihres Onkels Pasqual