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(1) Wie ist die Mittagsverpflegung an öffentlichen Pflichtschulen in Österreich organisiert?

(2) Wie viel Material fließt in die Mittagsverpflegung an öffentlichen Pflichtschulen in Wien?

(3) Wie kann Gemeinschaftsverpflegung in Wiens öffentlichen Pflichtschulen zur Etablierung eines nachhaltigen Lebensmittelsystems beitragen?

(4) Wie viel Prozent der biologischen Anbaufläche würde benötigt werden, um den Großteil der Lebensmittel sowie das gesamte Tierfutter für das Wiener Schulessen in Wien und Niederösterreich anzubauen?

(5) Wie viel Prozent der biologischen Anbaufläche würde benötigt werden, um den Großteil der Lebensmittel sowie das gesamte Tierfutter für das Wiener Schulessen in Wien und Niederösterreich anzubauen?

5.T HEORETISCHER H INTERGRUND

Die Beantwortung der genannten Forschungsfragen setzt ein spezifisches Verständnis sozialer Systeme voraus: Es ist notwendig, diese (auch) also sozial-ökologische Systeme zu begreifen, also als Systeme die nicht nur sozio-ökonomischen Dynamiken unterliegen, sondern auch biophysischen Dynamiken, welche im ständigen Austausch mit natürlichen Systemen stehen. In dieser Hinsicht ist das Konzept des gesellschaftlichen Stoffwechsels hilfreich. In diesem Modell werden die Wechselwirkungen zwischen der materiellen Welt (naturaler Wirkungszusammenhang) und der menschlichen Gesellschaft (kultureller Wirkungszusammenhang) beschrieben (vgl. Fischer-Kowalski 2003). Es wird davon ausgegangen, dass Schulen sozial-ökologische Systeme sind die Rohstoffe aus ihrer natürlichen Umwelt entnehmen und diese damit verändern. Der Materialdurchsatz, der in das System Mittagsverpflegung an öffentliche Pflichtschulen in Wien fließt, wird quantifiziert. Diskutiert werden auch die Umweltveränderungen und wie diese verringert und in Richtung Nachhaltigkeit gelenkt werden könnten.

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5.1 G

ESELLSCHAFTLICHER

S

TOFFWECHSEL

Nachhaltigkeit (Sustainability) oder Nicht-Nachhaltigkeit (Unsustainability) wird als eine Eigenschaft eines Sozial-ökologischen Systems gesehen. Ein Sozial-ökologisches System entsteht durch die Interaktion einer Gesellschaft mit ihrer „natürlichen“ Umwelt (vgl.

Fischer-Kowalski/Weisz 1999). Sozial-ökologische Systeme sind komplexe sich ständig verändernde und räumlich heterogene Knotenpunkte, die aus dem Zusammenspiel einer großen Anzahl von biophysikalischen und sozioökonomischen Faktoren sowie menschlicher Entscheidungsfindung entstehen. Die Analyse des gesellschaftlichen Stoffwechsels in einem sozial-ökologischen System, sei es eine nationale Ökonomie, ein industrieller Sektor, eine Firma, ein Haushalt oder beispielsweise eine Schule, ist ein interdisziplinäres Vorhaben und braucht Konzepte und Methoden sowohl sozialwissenschaftlicher als auch naturwissenschaftlicher Disziplinen (vgl. Fischer-Kowalski 2003).

Die theoretische Konzeption des gesellschaftlichen Stoffwechsels bezieht sich auf den Ansatz der Gründungsväter der industriellen Ökonomie Ayres and Kneese (1969). Das Wort Metabolismus, in seinem ursprünglichen biologischen Kontext, bezieht sich auf die inneren Prozesse eines lebenden Organismus (vgl. Ayres/Simonis 1994). Ayres und Kneese machen darauf aufmerksam, dass das Massenerhaltungsgesetz auch für nationale Ökonomien gilt: Alle Materialen, die in die Wirtschaft eingehen, enden schließlich als Abfälle und Emissionen. Masse geht nicht verloren.

In den letzten Jahrzehnten wurden diese Grundideen weiterentwickelt und mit gesellschaftstheoretischen Überlegungen zu einer neuen Theorie des gesellschaftlichen Stoffwechsels verbunden: Gesellschaften interagieren mit ihrer „natürlichen“ Umwelt.

Sozial-ökologische Systeme haben einen permanenten Durchsatz an Material und Energie.

Aus der „natürlichen“ Umwelt werden Rohstoffe extrahiert und irgendwann wieder in Form von Abfällen an diese Umwelt abgegeben. Dadurch kommt es zu Umweltveränderungen, welche wiederum auf die Gesellschaft zurück wirken. Dieser Stoffwechsel ist wesentlich für gesellschaftliche Naturverhältnisse und Ursache vieler regionaler und globaler Umwelt- und Nachhaltigkeitsprobleme (vgl. Krausmann 2013).

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Abbildung 5: Gesellschaft-Natur Interaktion

Quelle: Homepage Social Ecology, IFF

Im Gesellschaft-Natur-Interaktion Modell wird davon ausgegangen, dass Kultur, als ein System rekursiver menschlicher Kommunikation, und Natur, als ein natürliches System, dichotom sind. Die Schnittstelle dieser Wechselwirkungen zwischen der materiellen Welt (naturaler Wirkungszusammenhang) und der Gesellschaft (kultureller Wirkungszusammenhang) bilden die biophysischen Strukturen einer Gesellschaft. Der Überlappungsbereich zwischen Natur und Kultur unterliegt sowohl den durch Kommunikation vermittelten sozialen Normen/Vorschriften als auch den Vorschriften des biophysikalischen Systems in Form von Material- und Energieflüssen. Diese biophysischen Strukturen der Gesellschaft bestehen aus der Population, den Artefakten und Nutztieren (vgl. Fischer-Kowalski/Weisz 1999).

Der Kern des gesellschaftlichen Stoffwechsels bildet die systemische Betrachtung der materiellen und energetischen Input-Output-Verhältnisse zwischen Gesellschaften und ihrer „natürlichen“ Umwelt: Gesellschaften entnehmen ihrer Umwelt Rohstoffe für beispielsweise Nahrung, Infrastruktur und Energie. Diese entnommenen Rohstoffe fließen als Abfälle und Emissionen wieder zurück in die „natürliche“ Umwelt und verändern diese, was sich wiederum auf die Gesellschaft auswirkt.

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Die Theorie des gesellschaftlichen Stoffwechsels findet ihre methodisch standardisierte Darstellung in der Material- und Energieflussanalyse (MFA, MEFA) und kann auf sozioökonomische Systeme auf unterschiedlichen räumlichen Skalen angewandt werden (vgl. Krausmann 2013).

5.2 S

CHULE ALS SOZIAL

-

ÖKOLOGISCHES

S

YSTEM

In vorliegender Arbeit liegt der Untersuchungsrahmen auf dem sozial-ökologischen System Schule. Auch Schulen sind sozial-ökologische Systeme, die für ihren Fortbestand Materialen aus ihrer natürlichen Umwelt entnehmen und andererseits von sozio-kulturellen und ökonomischen Wirkungszusammenhängen geprägt sind.

Um das System zu verstehen wurden zu aller erst die rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen der Essensversorgung an Österreichischen Schulen herausgefunden.

Dies wurde gemacht, um das System ‚öffentliche Pflichtschulen in Wien‘ klar definieren und zu anderen Systemen abgrenzen zu können und auch dessen möglichen Einfluss auf den Materialfluss bestimmen zu können.

In der vorliegenden Arbeit liegt der Fokus auf den Materialien, die für die warme Mittagsverpflegung in den Wiener öffentlichen Pflichtschulen benötigt werden. Durch diese Entnahme von Rohstoffen wird die natürliche Umwelt verändert. Den physikalischen Grundgesetzen folgend, werden alle Ressourcen die in ein System Einhalt finden, früher oder später wieder an die Umwelt abgegeben, in Form von Emissionen, Abfällen oder Abwässern (vgl. Krausmann 2003). Diese Veränderungen wirken sich wiederum auf die Gesellschaft aus. Die vorliegende Arbeit ermittelt den Biomassematerialfluss, der in einem Schuljahr für die Bereitstellung eines warmen Mittagessens benötigt wird. Um herauszufinden, ob das System ‚Mittagsverpflegung an öffentlichen Pflichtschulen in Wien‘ nachhaltig ist, also die Funktionsfähigkeit von Ökosystemen erhalten kann, die für den Weiterbestand und die weitere Entwicklung der Gesellschaft notwendig sind, braucht es Indikatoren, die eine Einschätzung in Bezug auf nachhaltige Entwicklung ermöglichen (vgl. Haberl et al. 2002). Ein Indikator ist die Größe des Materialflusses. Dieser wird (auch in dieser Arbeit) mit Hilfe der Methode der Materialflussanalyse ermittelt.

In dieser Arbeit werden zusätzlich zur Analyse der Materialflüsse in der schulischen Essensversorgung anhand der Diskussion folgender Aspekte der Frage nachgegangen, wie

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die Mittagsverpflegung an öffentlichen Pflichtschulen nachhaltiger gestaltet werden könnte: lokale und biologische landwirtschaftliche Erzeugung; Fleischkonsum; Transport und Lebensmittelabfall und –verschwendung. Die Bedeutung dieser Aspekte für Lebensmittelsysteme wird im Folgenden diskutiert.