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6. ANGEHÖRIGE

6.9. Finanzielle Belastung

Im gesundheitlichen Versorgungssystem steht die Perspektive des Kostenträgers im Vordergrund. Es besteht die Gefahr, dass es durch die Einsparung von Versorgungskosten zu einer Verschiebung von den direkten Kosten zu den indirekten Kosten kommt. Bei den Angehörigen und bei den Erkrankten entstehen dadurch vermehrte Kosten, welche zum Beispiel bei einer vorzeitigen stationären Entlassung auftreten können. Problematisch wird diese Gegebenheit bei der Überstellung von stationären und ambulanten Behandlungskosten da in der Regel jene Kosten, welche bei den Familienangehörigen durch die Betreuung des Patienten entstehen, nicht berücksichtigt werden (vgl. Wittmund & Killian, 2002, S. 171-172).

Die sozialrechtliche Absicherung wird in Österreich zum Einem aus den eigen erbrachten Leistungen durch die eigene Erwerbstätigkeit bezogen (Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Pensionsvorschuss, Weiterbildungsgeld, Invaliditäts-/Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitspension) und zum Anderen aus den Leistungen der Gesellschaft (Hilfe zum Lebensunterhalt, erhöhte Familienbeihilfe, Pflegegeld). Die staatliche Unterstützung alleine reicht in vielen Fällen nicht aus. Aus diesem Grund muss die notwendige finanzielle Unterstützung häufig von den Angehörigen selbst sicher gestellt werden.

In der Untersuchung „Die Belastung der Angehörigen chronisch psychisch Kranker“

(Angermeyer, Holzinger, & Matschinger, 1997), welche in Leipzig durchgeführt wurde, fühlte sich die Hälfte der Befragten finanziell belastet. Die finanzielle Belastung entstand am

68 häufigsten durch die Aufwendungen für den Lebensunterhalt, Fahrtkosten und für die Miete des Erkrankten. Die Höhe lag zwischen 10 und 20 Prozent des Haushaltseinkommens.

In der Fragebogenuntersuchung „Finanzielle Belastungen von Eltern und Partnern schizophrener Patienten im Vergleich“ wurden 51 Eltern und 52 Partner schizophrener Patienten befragt. Erfasst wurden die erkrankungsbedingten Ausgaben und finanziellen Einbußen und deren Bewertung durch die befragten Angehörigen. Das Durchschnittsalter der 28 männlichen Partner war 46,3 Jahre und das Durchschnittliche Alter der 24 weiblichen Partner betrug 44,8 Jahre. 73 Prozent waren mit dem Partner verheiratet und 75 Prozent hatten Kinder. Das Durchschnittsalter der befragten Eltern betrug 60,2 Jahre. In 75 Prozent der Fälle wurden die Mütter befragt, und das Durchschnittsalter der erkrankten Kinder betrug 33,2 Jahre.

Der Anteil der erwerbstätigen Partner betrug 42 Prozent und war deutlich höher als bei den Eltern. 43 Prozent der Eltern bezogen die Altersrente. 21 Prozent der Partner bezogen eine Erwerbs- oder Berufsunfähigkeitsrente, da sie zum größten Teil ebenfalls psychisch beeinträchtigt oder krank waren. Bei den Erkrankten selbst bezog ein sehr hoher Teil eine Pension.

Bei der Befragung gaben 63 Prozent der Partner und 69 Prozent der Eltern an, dass durch die Erkrankung zusätzliche Kosten entstehen. Es zeigten sich signifikante Unterschiede zwischen den Eltern und Partnern in den Bereichen der behandlungsbezogenen Mehraufwendungen. Zu den Mehraufwendungen zählen Zuzahlungen zu medizinischen oder therapeutischen Leistungen. Zu den lebenspraktischen Unterstützungen zählen Unterhaltszahlungen, Miete, Haushaltshilfe und Fahrtkosten. 44 Prozent der Partner und 18 Prozent der Eltern hatten im letzten Monate behandlungsbezogenen Mehraufwendungen. 19 Prozent der Partner und 57 Prozent der Eltern leisteten lebenspraktische Unterstützungen.

Im Verlauf des vergangenen Jahres gaben doppelt so viele Eltern als Partner eine außergewöhnliche Mehrbelastung an, welche zum Beispiel durch besondere Anschaffungen oder durch Schuldenzahlungen für den Erkrankten verursacht wurden.

Bei der Elternstichprobe zeigte sich, dass bei denn allein wohnenden erkrankten Kindern 7 Prozent der Eltern regelmäßig behandlungsbezogene Mehraufwendungen hatten. Bei einem gemeinsamen Haushalt mit dem Erkrankten hatten die Eltern in 33 Prozent der Fälle behandlungsbezogene Mehraufwendungen. In Bezug auf die lebenspraktische Unterstützung und die außergewöhnlichen Mehraufwendungen zeigten sich hinsichtlich der Haushaltszugehörigkeit des Erkrankten nur minimale Unterschiede.

Einen signifikanten Einfluss hatte das Verwandtschaftsverhältnis auf behandlungsbezogene Mehraufwendungen und Ausgaben für lebenspraktische Unterstützung im letzten Monat.

69 Partner hatten mit einer 50-prozentigen höheren Wahrscheinlichkeit behandlungsbezogene Ausgaben und Eltern hatten eine 46-prozentige höhere Wahrscheinlichkeit von Ausgaben im Bereich der lebenspraktischen Unterstützung.

In 40 Prozent der Fälle entstanden Aufgrund der Berentung des Erkrankten bei den Angehörigen langfristige finanzielle Einbußen. Partner nannten dieses Problem doppelt so häufig als Eltern. 38 Prozent der Partner und 43 Prozent der Eltern erleben durch die Erkrankung finanzielle Einbußen. Diese finanzielle Belastung erlebten zwei Drittel der Angehörigen als eine seelische Belastung und die Hälfte dieser Angehörigen empfanden diese finanziellen Nachteile als Ungerechtigkeit.

Die qualitative Auswertung der Untersuchung „Finanzielle Belastungen von Eltern und Partnern schizophrener Patienten im Vergleich“ (Jungbauer J. , Bischkopf, Mory, Stelling, Wittmund, & Angermeyer, 2006) zeigte dass Angehörige von sich aus sehr wenig über ihre finanzielle Situation sprechen. Eltern von jüngeren Erkrankten und Partner in Familien mit einem deutlich unterdurchschnittlichen Einkommen sprachen eher über ihre gravierenden finanziellen Belastungen. Objektiv vorhandene finanzielle Einschränkungen wurden von den Angehörigen oft nicht als solche empfunden. Viele Eltern sehen die finanzielle Unterstützung als eine Selbstverständlichkeit an und sie werden in ihrer Bedeutung häufig relativiert. Eine weit größere Bedeutung hatte für die Befragten die Sorge und Belastung bezüglich des Krankheitsverlaufs und die Zukunftsperspektive des Erkrankten.

Die Eltern betreuten häufig Kinder mit einem frühen Erkrankungsbeginn. Aus diesem Grund hatten die Erkrankten häufig keine Ausbildung, keine Pensionsansprüche und sie lebten bei den Eltern zu Hause. Die finanzielle Unterstützung empfinden Eltern als ärgerlich, wenn sie Schwierigkeiten haben zu unterscheiden, ob die Erkrankten einen „Entwicklungsstillstand“

haben oder die Erkrankung als „Vorwand“ benützen um sich der Verantwortung entziehen zu können für ihren eigenen Lebensunterhalt selbst zu sorgen. Eltern im fortgeschrittenen Lebensalter machen sich Sorgen um die Versorgung und die materielle Absicherung des Erkrankten nach ihrem Tod. Ebenso befürchten Eltern nach ihrem Tod, dass die Erkrankten nicht in der Lage sind ihre zur Verfügung stehenden Mittel (Pension, Ersparnisse, geerbtes Vermögen) vernünftig einteilen zu können.

In der Untersuchung waren die befragten Partner berufstätig und die meisten Erkrankten bezogen eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Einige empfanden den Bezug der Pension als eine regelmäßige finanzielle bescheidene Absicherung. Durch den Rentenbezug wird eine Verbesserung der finanziellen Situation erlebt, im Vergleich zu der Möglichkeit des Alleinlebens. Diese positive Bewertung der Erwerbsunfähigkeitsrente durch die Partner wurde vor allem bei sozial schwacher Schicht wahrgenommen. In jenen Fällen, in denen der

70 Erkrankte einer beruflichen Tätigkeit nachging, äußerten die Partner Sorgen über die ungewisse finanzielle Zukunft der Familie und sie hatten Angst vor einer gravierenden Verschlechterung des gemeinsamen Lebensstandards.

Wenn die ökonomische Situation (Schulden, geringes Einkommen, Arbeitslosigkeit, hohe Ausgaben) der Familie insgesamt als schwierig bewertet wird, werden die krankheitsbedingten finanziellen Kosten und Ausfälle als ein zentrales Problem definiert.

Eine existentiellere Bedeutung haben die Probleme, welche durch das Zusammenleben mit dem Patienten entstehen. Es wird davon ausgegangen, dass es eine subjektive Belastungshierarchie gibt bei der die finanziellen Nachteile meist nicht an der Spitze stehen.

Angehörige können schwer zwischen „Betreuung“ und „tatsächlich verbrachter Zeit“

differenzieren. Diese beanspruchten „Unterstützungsstunden“ kann jedoch nicht aus der Pflegeversicherung rückvergütet werden, da sich diese erst einer entsprechenden Modifikation, im Hinblick auf die Bedürfnisse und den Unterstützungsbedarf psychisch kranker Menschen, unterziehen müsste.