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6. ANGEHÖRIGE

6.12. Angehörigenbedarf

Die Untersuchung „Der Bedarf der Angehörigen Schizophrenie-Kranker“ (Unger, et al., Der Bedarf der Angehörigen Schizophrenie-Kranker, 2005) kam zu dem Ergebnis, dass zahlreiche Interventionen nicht oder nur teilweise erhalten werden. Zu den häufigsten Problemen der Angehörigen zählten „Trauer bzw. Enttäuschung über den „Krankheitsverlauf"

und „Zukunftssorgen“ (76,3 Prozent). Die Hälfte der Befragten war durch vorangegangene Ereignisse belastet, beziehungsweise gab rund die Hälfte der Angehörigen an, selbst psychisch oder körperlich krank zu sein. Jene Angehörige, deren Erkrankte sich zum Zeitpunkt des Interviews in stationärer Behandlung befanden, äußerten „Probleme im Zusammenhang mit Krankheitsrückfällen oder Krisen“. Die am häufigste benötigte Intervention war die Beratung durch einen Mitarbeiter des Behandlungsteams (73,3 Prozent).

In der Untersuchung bestand aus Sicht der Angehörigen am häufigsten ein ungedeckter Bedarf für „schriftliches Informationsmaterial“. Aus Sicht der Interviewer bestand allerdings in 28,9 Prozent der Fälle ein ungedeckter Bedarf an „Angehörigen-Selbsthilfe-Gruppen“. Die

„Beratung und Unterstützung des Angehörigen“ war sowohl aus Sicht der Interviewer als auch aus der Sicht der Angehörigen nur teilweise gedeckt. Die Autoren beschrieben, dass dieses Ergebniss auf Mängel im psychiatrischen Versorgungssystem hinweist. Ebenso

75 berichteten Angehörigen darüber, dass ihnen in vereinzelten Fällen „unnötige“ oder „nicht hilfreiche Hilfen“ angeboten wurden.

Es bestand ein Informationsmangel über die Erkrankung und über mögliche Rehabilitations- und Behandlungsmaßnahmen. Häufig bestand der Bedarf an einer individuellen Psychoedukation, an einer expertengeleiteten Angehörigenrunde und an gemeinsamen Familiengesprächen. Aus der Sicht der Angehörigen und aus der Sicht der Interviewer war der Bedarf an den benötigten Interventionen häufig nicht, oder nur teilweise gedeckt.

In der Untersuchung zur Lebensqualität der Angehörigen (Fischer, Kemmler, & Meise,

"Schön, dass sich auch einmal jemand für mich interessiert". Eine Erhebung der Lebensqualität von Angehörigen langzeitig an Schizophrenie Erkrankter, 2004) war der wichtigste Wunsch der Angehörigen, dass es einen „aufsuchenden psychiatrischen Krisendienst“ rund um die Uhr gibt. Am zweithäufigsten wurde der Wunsch geäußert, eine bessere Information über psychische Erkrankungen zu erhalten. Die befragten Angehörigen wünschten sich Empfehlungen für einen förderlichen Umgang mit den Erkrankten und mehr Aufklärung in der Öffentlichkeit. Sie erhoffen sich dadurch, dass mehr Verständnis für psychisch Kranke und ihre Familien geschaffen wird und dass die Stigmatisierung reduziert wird. Angehörige wünschten sich Erholungs- und Urlaubsmöglichkeiten. Um diesem Bedürfnis nachgehen zu können wünschen sie sich entsprechende Betreuungsangebote für die Erkrankten in dieser Zeit. Viele Angehörige berichteten über eine „problematische Kommunikation mit den professionellen Mitarbeitern“. Die meisten Angehörigen wünschten sich daher mehr Wertschätzung und eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Professionellen. Einen großen Stellenwert haben der bessere Ausbau der regionalen extramuralen Einrichtungen und das Schaffen von abgestuften Arbeitsmöglichkeiten für die Erkrankten. Für ältere Angehörige ist es ein wichtiger Wunsch zu wissen, wer die Betreuung des Erkrankten nach ihrem Tod übernimmt.

Besonders zum Erkrankungsbeginn sollten den Angehörigen verstärkt Unterstützungs- und Kooperationsangebote bereitgestellt werden. Es sollten verstärkt routinemäßige, ausführliche und individuelle Einzelgespräche mit den Angehörigen (Angehörigensprechstunde, Angehörigenvisite, wöchentliche Gruppengespräche mit dem behandelnden Arzt) durchgeführt werden (vgl. Jungbauer J. , Bischkopf, Mory, Stelling, Wittmund, & Angermeyer, 2006, S. 48).

Besteht die Erkrankung bei einem Elternteil, benötigen diese Eltern Unterstützung zur Stärkung der Erziehungssicherheit. Es muss dabei jedoch berücksichtigt werden, dass besonders Mütter bei bekanntwerden von krankheitsbedingten Problemen mit der Kindererziehung, Angst vor einem Entzug des Sorgerechts haben. Es ist wichtig, dass sich

76 die betroffenen Familien nicht zurückziehen und offen mit ihren Problemen umgehen. Es ist für die Kinder von erkrankten Eltern besonders wichtig, dass sie Kontakte zu anderen Menschen haben (vgl. Fischer & Gerster, Vergessen und überfordert: Kinder psychisch Erkrankter, 2005, S. 166).

Viele Angehörige, welche minderjährige Geschwister in der Familie haben wünschen sich professionelle Hilfe bei der Erziehung und Beratung. Besonders wünschen sie sich Unterstützung, um den betroffenen Kinder dass krankheitsbedingte Verhalten besser erklären zu können (vgl. Krautgartner, et al., 2007, S. 269).

Nicht nur Krankheits- sondern auch beziehungsspezifische Bedürfnisse sollen in den professionellen Unterstützungsangeboten mehr berücksichtigt werden. Bei den Hilfsangeboten für Partner sollten folgende Themeninhalte verstärkt berücksichtigt werden:

die mögliche Veränderung in der Beziehung der Partner zu einander, die Probleme bei der Organisation von Familie und Haushalt, Kindererziehung und die eventuell auftretende Beeinträchtigung der Sexualität (vgl. Jungbauer J. , Bischkopf, Mory, Stelling, Wittmund, &

Angermeyer, 2006, S. 48-49).

Auch Geschwister benötigen Aufklärung und Unterstützung im Umgang mit dem Erkrankten selbst und in Konfliktsituationen mit den Eltern. Geschwister wünschen sich mehr Unterstützung ihrer Eltern durch professionelle Helfer, da sie sich um ihre Eltern sorgen und sie sich durch den Unterstützungswunsch der Eltern oft überfordert fühlen (vgl Schmid, Schielein, Spießl, & Clemens, 2006, S. 183). Geschwister wertschätzen ebenso die Möglichkeit eines gegenseitigen Erfahrungsaustausches mit anderen betroffenen Geschwistern (vgl. Schrank, Sibitz, Schauffer, & Amering, 2007, S. 217).

Es fehlt für Geschwister von Schizophrenen, eine adäquate professionelle Hilfe (vgl.

Schrank, Sibitz, Schauffer, & Amering, 2007, S. 224)

6.12.1. Belastungsreduktion

Damit Angehörige eine Reduktion ihrer Belastungen erleben, müssen sie individuell unterstützt werden (vgl. Spießl, Schmid, Wiedermann, & Cording, 2005, S. 216).

Es wurde belegt, dass Interventionen zur Unterstützung der Angehörigen und Interventionen zur Verbesserung der Kommunikation mit dem Erkrankten eine positive Wirkung auf das Belastungserleben der betroffenen Angehörigen haben (vgl. Wancata, et al., 2008, S. 83).

77 In der Untersuchung „Kann die Belastung von Angehörigen psychisch Kranker reduziert werden?“ (Lauber, Keller, Eichenberger, & Rössler, 2002) gab keiner der Befragten an, dass die Gesamtbelastung vollständig abgegeben werden kann.

41 Prozent glauben, dass ihre Belastung um die Hälfte verringert werden könnte, wenn sie entsprechende Hilfen erhalten würden. Ein Fünftel sieht jedoch keine Möglichkeit einer Belastungsreduktion. Auch wenn mehr als die Hälfte der Aufgaben delegiert werden könnten, muss auch bei den Angehörigen die Bereitschaft bestehen Betreuungstätigkeiten abzugeben. Jene Angehörigen die glauben, dass ein großer Teil der Belastung abgegeben werden könnte, sind auch eher dazu bereit Unterstützung anzunehmen.

Je größer die Autoaggression des Erkrankten ist, desto geringer ist aus Sicht der Angehörigen die abzugebende Belastung. Die Autoren sehen eine mögliche Erklärung darin, dass sich die Angehörigen „selbst verantwortlich“ fühlen und den Betroffenen selbst beistehen wollen, und sie daher diese Belastung nicht abgeben können.

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