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7. EMPIRISCHER TEIL

7.2. ERGEBNISSE

7.2.5. Angehörigenwunsch

Die Schizophrenie gehört zu jenen Krankheiten, die das Leben der Erkrankten und deren Angehörigen am meisten belastet (vgl. Simm, 2008, S. 532). So unterschiedlich die Verlaufstypen der Schizophrenie sind, so vielfältig sind auch die Belastungen der Angehörigen. Die Analyse der Interviews zeigte, dass sich Angehörige in erster Linie patientenbezogene Unterstützung wünschen.

Angehörige wünschen sich engagierte, einfühlsame und erfahrene Ärzte. Sie wünschen sich, dass sie mit den behandelnden Ärzten leichter in Kontakt treten können, und dass eine gute Zusammenarbeit mit ihnen möglich ist. Den Angehörigen ist es wichtig, dass sie eine größere Wertschätzung von ihnen erfahren. Sie wünschen sich, dass sie bereits vor der Entlassung darüber informiert werden, wann diese geplant ist und was ihre Erkrankten nach dem Krankenhausaufenthalt benötigen. Ebenso wäre es wichtig, dass den Erkrankten bei der Entlassung, besonders wenn diese an einem Wochenende stattfindet, die verordneten Medikamente für die nächsten zwei Tage mitgegeben werden (Interview 4).

Angehörige wünschen sich, dass der behandelnde Arzt dazu verpflichtet ist, dass bei einer nicht Einhaltung der vereinbarten Termine der Erkrankten, die Angehörigen und der betreuende Sozialarbeiter verständigt werden. Angehörige wünschen sich, dass eine notwendige Krankenhausaufnahme leichter durchgeführt werden kann (Interview 2). Bei einer guten Vernetzung und Zusammenarbeit von Arzt, Sozialarbeiter und Angehörige wäre die notwendige Aufnahme in ein Krankenhaus sicher leichter durchzuführen.

Angehörige wünschen sich engagierte und verlässliche Sozialarbeiter. Um eine sichere Versorgung und Betreuung der Erkrankten zu gewährleisten, sollten notwendige Arztbesuche und Behördengänge sowie die Kontrolle der Medikamenteneinnahme bei Bedarf durch einen Sozialarbeiter unterstützt werden (Interview 2, Interview 4).

Angehörige wünschen sich, dass die Polizei mehr Information im richtigen Umgang mit psychisch kranken Menschen erhält (Interview 2, Interview 4).

Für Angehörige wäre der standardmäßige Einsatz eines Koordinators (Case Management) begrüßenswert. Um nicht wertvolle Wochen nach dem Krankenhausaufenthalt verstreichen zu lassen, wäre es sinnvoll, dass bereits vor der Entlassung aus dem Krankenhaus mit dem behandelndem Team und dem zuständigen Koordinator gemeinsam besprochen wird, was der Erkrankte zu Hause benötigt und welche Aufgaben er übernehmen muss (Interview 4).

Angehörige wünschen sich einen besseren Ausbau der extramuralen Versorgung (Wohnen, Arbeit, Beschäftigung, Therapie), da sehr häufig eine lange Wartezeit auf spezielle Angebote

140 besteht (Interview 4). Ebenso wünschen sich Angehörige einen leichteren Umgang mit Behörden (Interview 2, Interview 4).

Eine Mutter äußerte im Interview, dass sie sich für die Psychiatrie das Prophetenteam wie in Kärnten wünscht:

„De soin des so mochn wie in Kärnten, do geht da Berg zum Propheten. Des Prophetenteam in Kärnten. Des bräucht mah in da Psychiatrie überhaupt.“ (Interview 4).

An dieser Stelle erscheint es mir sinnvoll, dass ich auf das Prophetenteam in Kärnten näher eingehe. Der Erkrankte wird im Spezialteam des Psychiatrischen Not- und Krisendienstes

„Prophet“ genannt. Der Grundgedanke dahinter ist, dass wenn der Prophet nicht zum Berg kommen will, muss der Berg zum Propheten gehen. Das Prophetenteam wurde im Frühling 1996 gebildet. Seit der Gründung wurden bis März 2005 64 Patienten betreut. 81 Prozent der betreuten Patienten hatten eine Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis. 50 Prozent waren paranoid schizophrene Menschen. Als Anerkennung ihrer Arbeit wurde ihnen im Jahr 2001 der Österreichische Schizophreniepreis unter dem Moto „Reintegration als Ziel“

verliehen (vgl. Oberlechner, 2005, S. 8-10).

19 Mitarbeiter betreuen 25 Patienten. Die Prophetenteamsitzungen finden alle zwei bis drei Monate statt. Die 60 Euro brutto pro Stunde werden über das Krisendienstbudget finanziert.

Prim. Dr. Thomas Patz bespricht mit den Mitarbeitern gemeinsam die Art, Frequenz und Ausmaß der Kontakte. Die oft jahrelangen kontinuierlichen Besuche hinterlassen ihre Spuren. Patienten entwickeln mehr Selbstwertgefühl durch einen verlässlichen, vertrauenswürdigen und konstanten Kontakt.

Durch die Arbeit im Krisendienst konnte die Erfahrung gesammelt werden, dass es viele Klienten gibt, welche lange Phasen von krisenhaften Zuständen durchleben. Obwohl diese erkrankten Menschen bedrohliche Zustandsbilder für Selbst- und Fremdgefährdung zeigten, fielen diese durch alle Maschen des psychosozialen und gesetzlichen Versorgungsnetzes durch. Besonders durch den Leidensdruck der Umgebung wird das Prophetenteam veranlasst einzugreifen. Die Arbeit des Prophetenteam kann auch als eine „Art unaufgeforderte Langzeitkrisenintervention“ bezeichnet werden. Es wird nach dem Prinzip des „Care Managements“ gearbeitet. Durch die partnerschaftliche Betreuungsform werden die soziale Kompetenz und das Selbstwertgefühl der Erkrankten gesteigert. Die Arbeit reicht von der vorsichtigen Kontaktaufnahme, ein vorsichtiges Beziehungsangebot, ein vorsichtiges Arbeiten im sozialen Umfeld bis hin zu einer Zusammenarbeit mit verschiedenen Institutionen (Bauamt, Polizei, Bezirkshauptmannschaft). Ist die protrahierte Krise gelöst, wird der erkrankte Mensch in die Hände der Nachbetreuung oder Ambulanz übergeben. Ziel der Arbeit ist Deeskalation von chronischen krisenhaften Zuständen und weniger Heilung

141 und Krisenlösung (vgl. Oberlechner, 2005, S. 17-18). Angehörige fühlen sich durch die Betreuung entlastet und sie können Verantwortung abgeben (vgl. Oberlechner, 2005, S. 11-12).

Vielleicht werden wir in naher Zukunft in ganz Österreich ein Prophetenteam haben. Auf diesem Weg wäre für die erkrankten Menschen die notwendige Versorgung gesichert und Angehörige können ihre alleinige Verantwortung dem Erkrankten gegenüber abgeben und sie würden auf diesem Weg deutlich entlastet werden.

Zitat über die Begegnungen mit den Propheten von Mag. Dr. Oberlechner (2005, S. 13):

„Es waren wunderbare Begegnungen, intensive, traurige, ängstigende, erfreuliche, bizarre, denen allen eines gemeinsam war, sie haben mich an Grenzen gebracht, an Grenzen meiner Vorstellungswelten, an die Grenzen meines Verhaltens- und Gefühlsrepertoires, an

die Grenzen meines Unbewussten, sie haben mich gezwungen, meine Grenzen wahrzunehmen, und oft ist es mir dank dieser Menschen auch gelungen, sie zu erweitern.“

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