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Obwohl es aktuell nur sehr wenige wissenschaftliche Studien bzw. Überblicksarbeiten zur Wirksamkeit des therapeutischen Kletterns auf die psychische Gesundheit gibt, konnte in dieser Arbeit ein positiver Zusammenhang nachgewiesen werden (vgl. Tabelle 9). Dieser geht sowohl aus den untersuchten Interventionsstudien, aus den deskriptiven Praxisberichten, als auch aus den Überblicksarbeiten hervor (vgl. Kapitel 7.1, 7.2 & 7.3) und konnte bereits aufgrund der nachgewiesenen positiven Wirksamkeit der Bewegung- und Sporttherapie bei psychischen Erkrankungen vermutet werden (vgl. Kapitel 3). Die unterschiedlichen Studiendesigns, die teilweise geringe wissenschaftliche Qualität der untersuchten Publikationen und die allgemein sehr kleine Anzahl an relevanten Studien müssen allerdings limitierend angemerkt werden. In diesem Kapitel werden die zusammengeführten Ergebnisse der Interventionsstudien, der deskriptiven Praxisberichte, sowie der Übersichtsarbeiten in Verbindung mit dem Modell der

„Erlebnisqualitäten des Kletterns“ nach Kowald und Zajetz (2015, S. 20.40) (vgl. Kapitel 5.2.4) gebracht und Schlussfolgerungen abgeleitet.

Die positive Wirksamkeit des Kletterns begründet sich aufgrund eines breiten und multifaktoriellen Wirkungsfeldes (vgl. Kapitel 5.2). Klettern hebt sich von anderen Bewegungs- und Sporttherapien aufgrund einer großen Palette an auftretenden Emotionen wie Angst, Unsicherheit oder Freude, während dem Tun ab. Diese „emotionale Intensität“ ist die Grundlage für das enorme therapeutische Potential des Kletterns (Book & Luttenberger, 2015, S. 31). So werden die Patient*innen gezwungen sich mit ihren individuellen Ängsten, und in weiterer Folge auch intensiv mit sich selbst, auseinanderzusetzen. Eine erfolgreiche Kletter-therapie weckt unterschwellige Emotionen (z.B. Selbstzweifel), enthüllt charakteristische Muster der Patient*innen (z.B. Vermeidungsverhalten bei Angststörungen) und ermöglicht den Patient*innen neue Erfahrungen zu machen (z.B. Exposition: Bewegungen in Ausgesetztheit), welche einen therapeutischen Nutzen für einen positiven Heilungsverlauf haben (Karg et al., 2020, S. 1-13). Auf Grundlage der Ergebnisse dieser Arbeit kann therapeutisches Klettern nachweislich das Selbstvertrauen, die Selbstwirksamkeit, die Emotionsregulation, den all-gemeinen Affekt bzw. die Stimmung, den Vertrauensaufbau zu anderen und zu sich selbst („Verbesserung der positiven Beziehungsgestaltung“), die Konzentration bzw. die

116 Fokussierung auf das Wesentliche und das Körperbild verbessern. Des Weiteren wird eine allgemeine Antriebslosigkeit vermindert (vgl. Tabelle 4 & Tabelle 7).

Im Hinblick auf die spezifisch untersuchten Krankheitsbilder, der depressiven Symptomatik und der Angststörung, konnte ebenfalls ein positiver Effekt des therapeutischen Kletterns bei beiden Krankheitsbildern gezeigt werden. Diese Schlussfolgerung wird zum einen aus den zusammengeführten Ergebnissen der Interventionsstudien (vgl. Kapitel 7 bzw. Tabelle 4), sowie aus der Analyse der deskriptiven Praxisberichte (vgl. Kapitel 7.2 bzw. Tabelle 7), und zum anderen durch die in der Literatur beschriebenen „Wirkungsebenen des therapeutischen Kletterns“ (vgl. Kapitel 5.2), gestützt. Bezugnehmend auf die in dieser Arbeit untersuchte Forschungsfrage kann schlussgefolgert werden, dass das therapeutische Klettern als be-gleitende Methode der Intervention bei psychischen Erkrankungen, insbesondere bei einer depressiven Symptomatik oder Angststörung, eingesetzt werden kann (vgl. Kapitel 3.6).

Positiv auf das Krankheitsbild der depressiven Symptomatik wirkt vor allem die „spielerische Grenzerweiterung“ im Zuge der Klettertherapie (Schnitzler, 2010, S. 51-58). Die Patient*innen erkennen im Therapieverlauf ihre individuelle Leistungsgrenze. Sie werden sich bewusst, dass sie diese mithilfe des*der Therapeut*in und durch die Verbesserung ihrer persönlichen Fähig- und Fertigkeiten im Zuge der Klettertherapie immer weiter verschieben können. Dies hat eine Verbesserung des Selbstvertrauens und der Selbstwirksamkeit zur Folge (Schnitzler, 2010, S.

51-58). Des Weiteren wirken vor allem die Verminderung der Antriebslosigkeit und die Verbesserung des Affekts bzw. der allgemeinen Stimmung positiv auf die depressive Symptomatik. Im „multifaktoriellen Erklärungsmodell depressiver Störungen nach Hautzinger (1998)“ nehmen verminderte Coping-Strategien zur Stress-Bewältigung eine zentrale Rolle bei der Entstehung einer depressiven Symptomatik ein (vgl. Kapitel 2.3.5). Die nachgewiesene Entwicklung von Bewältigungsstrategien im Zuge der Klettertherapie wirkt den verringerten Coping-Strategien entgegen und ist ein wichtiger Baustein im Therapieverlauf. Die Verbesserung der Konzentration bzw. die „Fokussierung auf das Wesentliche“ hat zur Folge, dass die typische „Negativspirale der Depression“ durchbrochen wird und die Patient*innen ihren Kopf von hemmenden Gedanken und Gefühlen „frei bekommen“ (vgl. Kapitel 5.2.4.4) (Kattan, 2020, S. 18; Kowald & Zajetz, 2015, S. 22-24; Schnitzler, 2009, S. 51-58). Die Wirksamkeit des therapeutischen Kletterns auf die depressive Symptomatik wird des Weiteren auch in der Überblicksarbeit von Book und Luttenberger (2015, S. 30-34) bekräftigt.

117 Im Hinblick auf das Krankheitsbild der Angststörung wirkt sich insbesondere die unmittelbare Konfrontation mit der Angst während dem Klettern positiv auf die Krankheitssymptomatik aus.

In der Literatur wird diese Konfrontation mit „unangenehmen Persönlichkeitsanteilen“ im Modell der „systematischen Desensibilisierung“, welches Ansätze aus der Verhaltenstherapie bzw. der Psychologie beinhaltet, zusammengefasst (Lukowksi, 2017, S. 113). Umgelegt auf die Klettertherapie bedeutet dies, dass Patient*innen durch das Klettern Strategien im Umgang mit der Angst entwickeln. Durch zielgerichtete Therapiearbeit können die Patient*innen diese Strategien auf Alltagssituationen transferieren. Dadurch wird die Symptomatik einer Angststörung nachhaltig reduziert oder bestenfalls sogar gänzlich zurückgedrängt (vgl. Kapitel 5.2.4.2). Überblicksarbeiten, welche gezielt die Wirksamkeit auf das Krankheitsbild der Angststörung untersuchen, fehlen leider noch gänzlich.

Aus den Studienergebnissen ist zu sehen, dass therapeutisches Klettern vor allem in Kombination mit herkömmlichen Therapieformen wie Psychotherapie oder medikamentöser Behandlung, sowohl bei depressiver Symptomatik als auch bei Angststörungen, sehr gute Ergebnisse erzielt. Inwieweit sich das therapeutische Klettern auch als alleinige Therapieform, bei einem oder eventuell bei beiden Krankheitsbildern eignet, konnte auf Grundlage der vorhandenen Ergebnisse dieser Arbeit nicht eruiert werden. Interessanterweise errechneten Luttenberger et al. (2015, S. 1-10) in ihrer Studie, dass die Klettertherapie eine vergleichbare Effektstärke wie andere gängige Therapieverfahren zur Behandlung einer depressiven Symptomatik erzielt. Dies würde darauf hindeuten, dass das therapeutische Klettern auch als alleinige Behandlungsmethode bei einer depressiven Symptomatik eingesetzt werden kann. Für die Patient*innen würde somit eine Alternative zu den oftmals mit starken Nebenwirkungen behafteten Antidepressiva geschaffen werden. Es bleibt zu hoffen, dass dies in näherer Zukunft detailliert untersucht wird, um valide Aussagen dahingehend treffen zu können.

Die in der „sozialen Unterstützungshypothese“ beschriebenen positiven Effekte auf die psychische Gesundheit im Zuge der Bewegungs- und Sporttherapie konnten auch in den untersuchten Studien dieser Arbeit nachgewiesen werden (Fuchs & Klaperski, 2016, S. 11) (vgl. Kapitel 3.5.3.1). Aus den Ergebnissen der deskriptiven Praxisberichte ist ersichtlich, dass bei beiden psychischen Erkrankungen, neben dem bereits geschilderten Erleben der

„emotionalen Intensität“ und weiterer allgemeiner Wirkfaktoren, wie die Steigerung des Selbstvertrauens bzw. Selbstwirksamkeit, vor allem der positive Effekt auf sozialer Ebene von zentraler Bedeutung ist (vgl. Kapitel 5.2.2 & Kapitel 7.2). Book und Luttenberger (2015, S.

30-118 34) fordern daher in ihrer Überblicksarbeit, dass die Klettertherapie unbedingt im „Gruppen-Setting“ durchgeführt werden sollte. Aus den in dieser Arbeit untersuchten Studien ist zu sehen, dass Patient*innen dadurch von zahlreichen Folgeeffekten, aufgrund sozialer Interaktion, profitieren. Sie verbessern ihre sozialen Kompetenzen, erleben sozialen Rückhalt und können so eine für beide Erkrankungen oftmals charakteristische soziale Isolation durchbrechen.

Insbesondere aus den eingeschlossenen deskriptiven Praxisberichten geht hervor, dass der Therapieprozess unbedingt von professionellen Feedback- und Reflexionsgesprächen begleitet werden sollte (vgl. Tabelle 7) (Hansen & Parker, 2009, S. 17-55; Schnitzler, 2009, S. 51-58;

Wallner, 2010, S. 396-404). Dadurch können auftretende Gefühle und Erlebnisse der Patient*innen während dem Klettern in der Gruppe besprochen und in Verbindung mit der jeweiligen psychischen Erkrankung gebracht werden. Die Patient*innen erlernen somit Strategien zur Bewältigung spezifischer Krankheitssymptome, welche sie idealerweise auf Alltagssituationen transferieren können. Des Weiteren werden durch die Reflexion in der Gruppe Attribute wie Ermutigung, Trost, Verständnis und Motivation erlebt, welches in weiterer Folge zu einer positiven Wahrnehmung von sozialer Beziehung führt (Kleinstäuber et al., 2017, S. 277-281; Luttenberger et al., 2015, S. 1-10; Mollenhauer et al., 2011, S. 453-461;

Stoll et al., 2003, S. 12-17). Die Reflexionsarbeit sollte dabei die auftretenden Emotionen während den Klettereinheiten behandeln und die dabei individuell erarbeiteten Bewältigungsstrategien besprechen. Besonderes Augenmerk sollte auf krankheitsrelevante Themen, wie zum Beispiel „Umgang mit Angst, Vertrauen und Verantwortung“, „Selbst-wirksamkeit: Die Kraft von kleinen Schritten“, „Selbstwertgefühl“, „Stressregulation“,

„Umgang mit Druck/Erwartungen und Emotionen“ oder „Furcht, Angst und Panik: Was mache ich in diesen Situationen?“, gelegt werden. Dies kann auch in Verbindung mit Psychoedukation, Achtsamkeitsübungen oder Mediation erfolgen (Luttenberger et al., 2015, S. 1-10; Soravia et al., 2016, S. 34-39).

Ebenso kann das Durchsteigen einer zuvor unmöglich anmutenden Kletterpassage, aufgrund von hartnäckigem Üben einer schwierigen Kletterpassage, therapeutisch verarbeitet werden. Im Gespräch kann dabei herausgearbeitet werden, dass durch die Attribute Beharrlichkeit und Willenskraft unmöglich anmutende Situationen bewältigt werden können (Lukowksi, 2017, S.

72-73). Grundlage dafür ist, an die eigenen Fähigkeiten zu glauben und Vertrauen in sich selbst zu entwickeln. Im Optimalfall werden erreichte Ziele, Meilensteine oder Leistungen vom*von der Therapeut*in ausdrücklich gewürdigt, um den erreichten Fortschritt deutlich

119 hervorzuheben. Dadurch wird die erfahrene Selbstwirksamkeit bewusster gemacht (Kern, 2019, S. 200-202; Kowald & Zajetz, 2015, S. 37-38).

Aufgrund der großen Wirksamkeit auf sozialer Ebene und der Erarbeitung von individuellen Bewältigungsstrategien liegt die Vermutung nahe, dass der positive Effekt über die Therapiezeit hinaus auf die jeweilige Erkrankung wirkt. Die Ergebnisse von Luttenberger et al.

(2015, S. 1-10) unterstreichen diese Vermutung. In ihren Ergebnissen konnte nachgewiesen werden, dass der positive Effekt einer kombinierten Boulder-Psychotherapie auch noch 16 Wochen nach Beendigung der Intervention positiv auf die depressive Symptomatik wirkt (vgl.

Kapitel 6.2.1.1). Dieser Zusammenhang muss jedoch noch in weiteren „randomisiert kontrollierten Follow-Up-Studien“ bestätigt werden. Ebenso ist davon auszugehen, dass therapeutisches Klettern nicht nur eine positive Wirkung in der Rehabilitation entfaltet, sondern auch, aufgrund der nachgewiesenen psychischen Wirkfaktoren, präventiv bei psychischen Erkrankungen wirken könnte (vgl. Kapitel 7.1 & Tabelle 4).

Die Ergebnisse aus den analysierten Interventionsstudien zeigen, dass sowohl eine einmalige Klettereinheit als auch regelmäßige Therapieeinheiten über einen längeren Zeitraum positive Effekte auf die psychische Gesundheit haben (Karg et al., 2020, S. 1-13; Kleinstäuber et al., 2017, S. 277-281; Luttenberger et al., 2015, S. 1-10).

Bezüglich der bevorzugten Kletterart kann aufgrund der analysierten Publikationen keine allgemein gültige Aussage getätigt werden. Die Studienergebnisse belegen für beide Kletterarten positive Effekte, sowohl im Hinblick auf die allgemeine psychische Gesundheit als auch bei einer Depression oder Angststörung (vgl. Kapitel 7). Schnitzler (2009, S. 57) schildert in ihrem Modell der „positiven Beziehungserfahrung im Zuge der Klettertherapie“, dass speziell Seil-Klettern den Vertrauensaufbau fördert (vgl. Kapitel 5.2.4.6). Um befreit klettern zu können müssen die Patient*innen zum einen Vertrauen in das Material (Klettergut, Seil, Karabiner, Sicherungsgerät, etc.) aufbauen und zum anderen sich ebenso auf die sichernde Person verlassen können. Werden die Rollen getauscht wird so nicht nur das „Vertrauen erleben“, sondern auch das „Vertrauen geben" geschult (Mitmannsgruber, 2002, S.28;

Mittelsdorf & Axmann, 2016, S. 35-36). Dieser in der Literatur beschriebene Effekt, deckt sich mit den Ergebnissen der in dieser Arbeit untersuchten Studien (Mollenhauer et al., 2011, S.

453-461; Reiter et al., 2014, S. 1-5). Beim Seil-Klettern ist unbedingt darauf zu achten, dass zunächst „im Nachstieg (Top-Rope)“ begonnen wird. Im Therapieverlauf kann, bei ausreichend Sicherungs-Kenntnissen der Patient*innen und dem bereits aufgebauten Vertrauen in den*die

120 Sicherungspartner*in bzw. in das Material, auf das „Vorstiegs-Klettern (Lead-Klettern)“

umgestellt werden. Ganz nach dem pädagogischen Prinzip „vom Leichten zum Schwerem“

(Lukowski, 2017. S. 60-62).

Dem Bouldern in der Gruppe wird vor allem, aufgrund des gemeinsamen Lösens von „Boulder-Problemen“, die Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit zugeschrieben (Wallner, 2010, S.

396-404). Das Erleben von Kooperation in der Gruppe und die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft beim Bouldern aktivieren bzw. verstärken den durch die Klettertherapie gestarteten „Sozialisation-Prozess“ weiter (Kowald & Zajetz, 2015, 20-25).

Ob einer der beiden Kletterarten eine erhöhte Wirksamkeit auf eines der beiden untersuchten Krankheitsbilder aufweist, konnte anhand der vorliegenden Datenlage, nicht beantwortet werden. Dies Frage könnte Gegenstand zukünftiger Untersuchungen sein.

Bezugnehmend auf das „Quadranten-Modell des Flow-Erlebens“ nach Csikszentmihalyi (1990, S. 4) muss bei der Klettertherapie zwingend darauf geachtet werden die ideale Balance zwischen gestellter Anforderung und den bereits vorhandenen Fähigkeiten der Patient*innen zu finden. Nur dadurch ist es möglich, dass sich bei den Patient*innen ein meditativ wahrgenommener Bewusstseinszustand („Flow“), welcher positiv auf die psychische Gesundheit wirkt, einstellt. Aus Sicht des*der Klettertherapeut*in ist dafür, dass „Stress-Zonen-Modell“ nach Lukowski (2017, S. 60-62) relevant. Hierbei ist darauf zu achten, dass die Patient*innen niemals in die enorm angstbesetze Situation der „Stress-Zone“ kommen (vgl.

Kapitel 5.2.4.1). Dies wäre für den Heilungsverlauf bei beiden untersuchten Krankheitsbildern kontraproduktiv und würde einen positiven Therapieverlauf akut gefährden.

Bei Patient*innen mit Angststörungen ist unbedingt darauf zu achten angstbesetzte Situationen nur sehr bedacht und kontrolliert einzusetzen (vgl. Kapitel. 5.2.4.1). Für die Klettertherapie ist die Behandlung in der „Komfort-Zone“ eigentlich ausreichend. Hier treten bereits angstbesetzte Situationen auf, welche in der therapeutischen Arbeit verwertet werden können (vgl. Abbildung 19). Im Therapieverlauf ist es eventuell vereinzelt sinnvoll, dass die Patient*innen den emotional intensiveren Zustand in der „Dyskomfort-Zone“ wahrnehmen und kennenlernen.

Mithilfe einer professionell angeleiteten Reflexion durch den*die Therapeut*in können die erlebten Situationen aufgearbeitet, Rückschlüsse auf persönliche Krankheitssymptome gezogen und Bewältigungsstrategien erarbeitet werden. Die Patient*innen erkennen so, getreu dem

„Modell der spielerischen Grenzerweiterung“, dass sie durch die neu erlernten Fähigkeiten im Zuge der Klettertherapie eine Tätigkeit an ihrer individuellen Leistungsgrenze geschafft haben.

121 Sie lösen „Probleme“ (Kletterrouten, Boulder), welche zu Beginn der Klettertherapie noch unmöglich schienen, ausschließlich durch die Verbesserung ihrer eigenen Fähig- und Fertigkeiten (vgl. Kapitel 6.2.2.2) (Kowald & Zajetz, 2015, S. 25-26; Schnitzler, 2010, S. 51-58).

Das Klettern in der „Dyskomfort-Zone“ bringt, aufgrund der Auslotung der eigenen körperlichen Grenzen, ebenso eine Verbesserung des Körperbilds mit sich (vgl. Kapitel 5.2.4.3). Hierbei werden wahrgenommene Gefühle wie zum Beispiel „sicher auf den eigenen Beinen stehen“ oder „mutig und engagiert den nächsten Schritt bzw. den nächsten Zug machen“

therapeutisch genutzt. Des Weiteren sind die Patient*innen in körperlich und mental fordernden Situationen, während dem Klettern gezwungen bewusst Entscheidungen zu treffen, um das sichere Vorankommen zu gewährleisten. Das permanente Bewerten von immer neuen Situationen bewirkt das komplette Sein im Moment. Kowald und Zajetz (2015, S. 22-24) sind der Auffassung, dass sich durch die ständige Wahrnehmung und Neubewertung des Moments eine erhöhte Sensibilisierung für die eigenen geistigen und psychischen Vorgänge einstellt.

Dadurch wird sowohl die Wahrnehmung, als auch das Bewerten von aufkommenden Gedanken, Gefühlen und Sinneseindrücken geschult. Vor allem bei Depression und Angststörung kann dies helfen festgefahrene Denkmuster zu durchbrechen. Diese Erfahrungen sollen Auslöser für psychische Entwicklungsschritte sein und so den Heilungsverlauf bei den beiden untersuchten Krankheitsbildern beschleunigen (Kowald & Zajetz, 2015, S. 27-29).

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Tabelle 9:Wirkfaktoren des therapeutischen Kletterns auf die psychische Gesundheit, auf die depressive Symptomatik und auf Angststörungen nach Auswertung aller untersuchten Interventionsstudien, deskriptiven Praxisberichte & Überblicksarbeiten (eigene Darstellung)

Wirkfaktoren des therapeutischen Kletterns

Psychische Gesundheit

Positiver Effekt dem Erleben von „emotionaler Intensität“ (Luttenberger et al., 2015, S. 1-10) o Selbstbewusstsein

o Selbstwirksamkeit

o Positiv Beziehungsgestaltung („Vertrauensaufbau zu anderen bzw. zu sich selbst“) o Verbesserung des Affekts bzw. der Stimmung

o Emotionsregulation o Soziale Kompetenz o Körperbild

o Verbesserte Handlungsplanung und Problemlösestrategien

o Stärkung der Konzentration bzw. Fokussierung auf das Wesentliche o Verminderung der Antriebslosigkeit

Kein Unterschied bezüglich der Wirkung bei Bouldern und Seil-Klettern

o Seil-Klettern fördert tendenziell den Vertrauensaufbau („Positive Beziehungserfahrung im Zuge der Klettertherapie“ nach Schnitzler (2009, S. 2009, S. 59)

o Seil-Klettern zu Beginn im Nachstieg, erst im Therapieverlauf Vorstiegs-Klettern o Bouldern fördert tendenziell die Kommunikationsfähigkeit

Bereits eine einmalige Klettereinheit hat positive Effekte auf die psychische Gesundheit

Depressive Symptomatik

Nachgewiesener positiver Effekt in allen relevanten Studien

„Spielerische Grenzerweiterung“ im Zuge der Klettertherapie“ (Schnitzler, 2010, S. 51-58) o Verschieben der eigenen Leistungsgrenze

o Selbstwirksamkeit o Selbstvertrauen

Durchbrechen der „Negativspirale der Depression durch Fokussierung auf das Wesentliche und Verbesserung der Konzentration

Therapeutisches Klettern in Kombination mit anderen etablierten Behandlungsmethoden (Psychotherapie oder medikamentöser Behandlung) sinnvoll

„Gruppen-Setting“ ist gegenüber dem „Einzel-Setting“, aufgrund der Förderung von sozialen Kompetenzen, zu präferieren

Feedback/Reflexions-Runden durch ausgebildetes Personal sinnvoll, um erlernte Handlungsweisen auf den Alltag transferieren zu können

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Angststörung

Nachgewiesener positiver Effekt in allen relevanten Studien (jedoch noch keine Überblicksarbeiten veröffentlicht)

Konfrontation mit der Angst im Zuge der Klettertherapie“ (vgl. Modell der „systematischen Desensibilisierung“ nach Lukowksi (2017, S. 124))

o Verschieben der eigenen Leistungsgrenze o Selbstwirksamkeit

o Selbstvertrauen

Therapeutisches Klettern in Kombination mit anderen etablierten Behandlungsmethoden (Psychotherapie oder medikamentöser Behandlung) sinnvoll

„Gruppen-Setting“ ist gegenüber dem „Einzel-Setting“, aufgrund der Förderung von sozialen Kompetenzen, zu präferieren

Feedback/Reflexions-Runden durch ausgebildetes Personal sind sinnvoll, um erlernte Handlungsweisen auf den Alltag transferieren zu können

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