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2. Psychische Störungen

2.3. Depressive Symptomatik

Innerhalb der psychischen Störungen ist die depressive Symptomatik von besonderer Bedeutung. Eine geschätzte Lebenszeitprävalenz, also wie viele Personen im Laufe ihres Lebens an einer depressiven Symptomatik leiden, von 25% bei Frauen und 12% bei Männern verdeutlicht die Relevanz dieser Erkrankung. Manche Schätzungen zur Punktprävalenz von ca.

9%, also wie viele Personen aktuell gerade an einer Erkrankung leiden, unterstreichen dies (Deisenhammer & Hausmann, 2012, S. 153). Expert*innen gehen davon aus, dass die Dunkelziffer noch weitaus höher liegen könnte. Laux (2007, S. 1333) führt an, dass die

depressive Symptomatik nur bei 50% aller betroffenen Personen diagnostiziert wird. Als Grund sieht der Autor das breite Spektrum an Symptomen, wodurch die depressive Symptomatik oftmals falsch oder gar nicht diagnostiziert wird (vgl. Kapitel 2.3.3).

2.3.1. Arten der Depression

Die depressive Symptomatik (manchmal auch als „unipolare Depression“ oder als „major depression“ bezeichnet) wird in der ICD-10 Klassifikation den affektiven Störungen zugeordnet, welche Störungsbilder mit veränderter Affektivität (Stimmung) zusammenfassen.

Innerhalb der affektiven Störungen werden folgende Unterarten als depressive Symptomatik geführt (DGPPN, BÄK, KBV & AWMF, 2015, S. 12; Laux, 2007, S. 1333) (vgl. Abbildung 2):

• Depressive Episode (F32)

• Rezidivierende (kurze) depressive Störungen (F33 bzw. F38.1)

• Dysthymia (F34.1)

• Bipolar affektive Störung (F31)

• Zyklothymia (F34.2)

Abbildung 2: Einteilung und Klassifikation affektiver Störungen nach „ICD-10“ (Laux, 2007, S. 1333)

Eine Besonderheit stellt die bipolar affektive Störung dar. Hierbei ist ein Wechsel zwischen

„Manie“ und depressiver Symptomatik charakteristisch. Diese beiden Phasen dauern zumindest für einige Wochen an. Während der manischen Phasen ist bei den Betroffenen eine außergewöhnlich gute Stimmung, Geselligkeit und Selbstüberschätzung festzustellen. Die depressive Phase geht mit den klassischen Kennzeichen einer depressiven Symptomatik einher (vgl. Kapitel 2.3.3). Die Zklyothymia definiert sich als bipolar affektive Störung mit chronischem Verlauf (Groen & Petermann, 2013, S. 442).

2.3.2. Verlaufsformen

Charakteristisch für alle Arten der depressiven Symptomatik ist ein wellenförmiger Verlauf der Erkrankung. Die Erkrankung beginnt in den allermeisten Fällen schleichend und kann sich im Laufe der Zeit weiter verstärken. Aber auch akute Ausbrüche, vor allem in Folge besonders belastender Lebensereignisse sind in der Literatur beschrieben (Friedrichs & Knöchel, 2016, S.

34).

Statistisch betrachtet erlebt ein Drittel aller Betroffenen eine einmalige depressive Episode mit einer durchschnittlichen Dauer von ca. 5 Monaten. Bei einem weiteren Drittel ist eine rezidivierende depressive Störung, also wiederkehrende depressive Episoden (in teilweiser abgeschwächter Form), zu beobachten. Das letzte Drittel ist trotz medizinischer Behandlung von einem chronischen Verlauf betroffen. Hier bleibt eine (Teil-) Remission, obwohl eine medizinische Behandlung erfolgte, aus. Im schlimmsten Fall kann es hier aufgrund der extremen Ausprägung der Symptomatik zum Suizid kommen (Stäblein at al., 2016, S. 57-58).

Zu diesem Drittel wird auch die Dysthymia gezählt, welche einen chronischen Verlauf mit teilweise abgeschwächten Symptomen beschreibt. Dabei sind bei den Betroffenen teilweise auch kurze Zeitfenster ohne depressive Symptomatik zu beobachten (Hautzinger, 2011, S. 566).

2.3.3. Kennzeichen einer depressiven Symptomatik

Eine einheitliche Definition der depressiven Symptomatik ist aufgrund der vielen Unterkategorien und dem sehr breiten Spektrum von möglichen Symptomen schwierig zu formulieren (Deisenhammer & Hausmann, S. 2012, S. 162). Prinzipiell bezeichnet der Begriff depressive Symptomatik eine „Gefühlsstörung, welche sich in Form von Niedergeschlagenheit, Verstimmung, Hoffnungslosigkeit und Gedanken der Sinnlosigkeit“ manifestiert (Butschek, 2000, S. 147-148). Für Groen und Petermann (2013) sind folgende drei Hauptkennzeichen für eine depressive Symptomatik ausschlaggebend:

„Depressive Verstimmung: Eine andauernde deutliche emotionale Niedergeschlagenheit oder Traurigkeit und deutlich erhöhte Reizbarkeit.

Anhedonie: Eine eingeschränkte Möglichkeit Freude, Lust und Interesse zu empfinden.

Antriebsmangel: Ein verminderter Antrieb, weniger Aktivität und leichtere Erschöpfung bzw. Ermüdbarkeit (S. 439-440).“

Zusätzlich zu den drei Hauptkennzeichen sind noch weitere Veränderung in Bezug auf das Erleben bzw. Verhalten beschrieben. Diese lassen sich auf emotionaler, verhaltensbezogener,

körperlich/neurovegetativer und kognitiv/motivationaler Ebene beobachten (vgl. Abbildung 3) (Groen & Petermann, 2013, S. 595-598).

Auf emotionaler Ebene ist vor allem, dass verminderte Selbstwertgefühl und ein herabgesetztes Selbstvertrauen von besonderer Relevanz. Betroffene sind nicht mehr in der Lage einfachste Tätigkeiten durchzuführen, da ihnen die innere Überzeugung fehlt diese zu schaffen und von andauernden Versagensängsten geplagt werden. Dies kann in weiterer Folge zu starken Selbstzweifeln und zu Schuldgefühlen gegenüber Angehörigen, Freund*innen oder dem*der Lebenspartner*in führen. Im fortgeschrittenen Stadium ist auch ein starker sozialer Rückzug von Betroffenen zu beobachten (Deisenhammer & Hausmann, 2012, S. 163-164; Groen &

Petermann, S. 2013, S. 595; Stäblein et al., 2016, S. 55-56).

Abbildung 3: Die drei Hauptkennzeichen einer depressiven Symptomatik (Depressive Verstimmung, Anhedonie, Antriebs-mangel) mit begleiteten Veränderungen auf emotionaler, kognitiv/motivationaler, körperlich/neurovegetativer und verhaltensbezogener Ebene (Groen & Petermann, 2013, S. 595).

Auf kognitiver/motivationaler Ebene ist für die depressive Symptomatik laut Stäblein et al.

(2016, S. 55-56) eine verminderte Gedächtnisleistung in Form von Konzentrations-schwierigkeiten und ständiges Grübeln charakteristisch. Dieses ständige Grübeln ist eine Folge der auftretenden Versagensängste bzw. der möglichen Selbstzweifel und wird in der Literatur oftmals als Negativspirale der Depression zusammengefasst (Kattan, 2020, S. 18). Des Weiteren ist auf kognitiver/motivationaler Ebene typisch, dass sich Betroffene nur sehr schwer für Aktivitäten jeglicher Art motivieren können. Herausfordernde Tätigkeiten oder Leistungsvergleiche mit anderen werden vermieden. Aufgrund der Antriebs- bzw.

Motivationslosigkeit ist es den Betroffenen fast unmöglich sich eigene Ziele zu setzen und diese zu verfolgen (Deisenhammer & Hausmann, 2012, S. 55-56).

Groen und Petermann (2013, S. 595) geben außerdem an, dass bei Betroffenen oftmals Entscheidungsprobleme festgestellt werden können. Auch hierfür ist das reduzierte Selbstbewusstsein ausschlaggebend. Betroffene haben Angst, dass sie falsche Entscheidung treffen und dies weitreichende negative Folgen auf ihren weiteren Lebensverlauf haben könnte.

Auf kognitiver/neurovegetativer Ebene sind vor allem somatische Begleiterscheinungen, wie zum Beispiel Appetitlosigkeit und der damit einhergehende Gewichtsverlust, Schlaflosigkeit, Magen-Darm-Störungen, wiederkehrende Kopfschmerzen, anhaltende Müdigkeit oder Rückschmerzen, typisch (Butschek, 2000, S. 149). Diese Begleiterscheinungen sind auch bei einigen anderen chronischen Erkrankungen charakteristisch und erschweren dadurch die Diagnose einer depressiven Symptomatik.

Eine vorliegende depressive Symptomatik kann in einem ärztlichen Anamnese-Gespräch meist nur sehr schwer diagnostiziert werden, da sich die eindeutige Abgrenzung von anderen Erkrankungen sehr schwierig gestaltet. Oftmals werden dadurch fälschlicherweise andere somatische Störungen mit ähnlichen Symptomen diagnostiziert und auf die depressive Symptomatik „vergessen“ (Deisenhammer & Hausmann, 2012, S. 164).

Auf verhaltensbezogener Ebene sind bei Betroffenen eine verlangsamte Motorik und Sprache zu erkennen. Das allgemeine Verhalten wird von Außenstehenden als verlangsamt und träge wahrgenommen (Groen & Petermann, 2013, S. 595; Stäblein et al.,2016, S. 55-56).

2.3.4. Diagnose

Die Kriterien für die Diagnose einer depressiven Symptomatik nach „ICD-10“ setzt eine Dauer der auftretenden charakteristischen Symptome von mindestens zwei Wochen voraus. Dabei müssen zumindest zwei der der Hauptkennzeichen einer depressiven Symptomatik (vgl.

Kapitel 2.3.3) vorliegen. Des Weiteren müssen noch zwei weitere Symptome beobachtet werden, welche sich auf die verhaltensbezogene, kognitiv/neurovegetative, kognitiv/motivationale oder die emotionale Ebene zuordnen lassen. Die Diagnose wird zumeist durch ein ärztliches Anamnese-Gespräch gestellt. Auch neurologische Testungen und standardisierte Fragebogen, kommen zur Abgrenzung von anderen Erkrankungen bei der Diagnose einer depressiven Symptomatik zur Anwendung. Die bekanntesten hierbei sind (Paulitsch, 2008, S. 133-134):

• „Beck-Depressions-Inventar-Fragebogen (BDI)“

• „WHO-5-Wohlbefindens-Index (WHO-5)“

• „Symptom-Checkliste von Derogatis (SCL-90-R)“

• „Montgomery-Asberg Depression – Fragebogen (MADRS)“

2.3.5. Ätiologie

In der Literatur sind viele unterschiedliche Modelle und Theorien zur Entstehung einer depressiven Symptomatik existent. In den letzten Jahren hat sich allerdings die Annahme einer multifaktoriellen Ursache in der Wissenschaft durchgesetzt. Grundlage dafür ist das multifaktorielle Erklärungsmodell depressiver Störungen nach Hautzinger (vgl. Abbildung 4).

Hautzinger (1998) geht davon aus, dass für die Entstehung einer depressiven Symptomatik allen voran „Prädispositionen“, wie zum Beispiel Überbeanspruchung im Beruf oder traumatische Erlebnisse, relevant sind. Des Weiteren ist er der Ansicht, dass „psychosoziale Bedingungsfaktoren“ in Form akuter Stressoren, wie zum Beispiel der Tod einer nahestehenden Person, bei der Entstehung einer depressiven Symptomatik ebenso ausschlagegebend sind.

Entscheidend hierbei sind die beiden Attribute der „Stressexposition“ und der „individuellen Stressbewältigung“. Die Stressexposition gibt dabei die Dauer der einwirkenden Stressoren auf eine Person an. Dieser wirkt die individuelle Stressbewältigung bzw. individuelle „Coping-Strategien“ entgegen. Solche Coping-Strategien können helfen mit herausfordernden Lebensereignissen umzugehen und diese zu verarbeiten. Fehlen einer Person die nötigen

„Coping-Strategien“ nach akut auftretenden Stressoren ist laut Hautzinger (1998) eine Zunahme der Selbstaufmerksamkeit und in weiterer Folge eine „dysphorische Stimmung“ zu beobachten. Dies beschreibt eine Vorstufe der eigentlichen depressiven Symptomatik und manifestiert sich in einer veränderten emotionalen Grundstimmung, geprägt von Missmut und Bedrücktheit.

Ebenso entscheidend für die Entstehung einer depressiven Symptomatik sind personenbezogene Risikofaktoren („Vulnerabilitätsfaktoren“) in Form von prägenden Momenten in der Vergangenheit. Verlusterlebnisse oder die verminderte Fähigkeit (negative) Gefühle zu regulieren, können die emotionale Grundstimmung weiter verstärken. In weiterer Folge entwickelt sich die klassische depressive Symptomatik mit all ihren Begleiterscheinungen aus. Depressionstypische Kennzeichen wie die “Negativspirale der Depression“ können die Erkrankung weiter verstärken (vgl. Kapitel 2.3.3). (Deisenhammer &

Hausmann, 2012, S.158-159; Groen & Petermann, 2013, S. 448; Stäblein et al., 2016, S. 57-58).

Aufgrund von erhöhten Prävalenzraten im familiären Umfeld von Betroffenen wird auch von genetischen Faktoren bei der Entstehung einer depressiven Symptomatik ausgegangen. So konnte in einigen Studien gezeigt werden, dass Kinder mit einem depressiven Elternteil ein erhöhtes Risiko besitzen ebenfalls eine depressive Symptomatik auszubilden (Deisenhammer

& Hausmann, 2012, S. 154-155; Groen & Petermann, 2013, S. 446). Des Weiteren sind Groen

und Petermann (2013, S. 448) der Auffassung, dass auch gesellschaftliche bzw. soziale Einflüsse für die Ausprägung einer depressiven Symptomatik entscheidend sind. So können zum Beispiel belastende gesellschaftliche Wertvorstellung in Form eines übertriebenen Leistungsdrucks oder ein falsch vermitteltes Körperideal die Entstehung einer depressiven Symptomatik begünstigen.

Abbildung 4: Ätiologisches Modell für unipolare affektive Störungen (depressive Symptomatik) nach Hautzinger (1998) (Stäblein et al., 2016, S. 59)

2.3.6. Therapie

Bei der Behandlung einer depressiven Symptomatik haben sich sowohl biologische Therapieverfahren als auch psychologische Interventionen etabliert. Die gängigste Form der biologischen Therapieverfahren ist die Pharmakotherapie mithilfe von Antidepressiva. In mehreren Studien konnte zwar eine hohe Wirksamkeit von Antidepressiva auf die depressive Symptomatik nachgewiesen werden. Allerdings sind die dabei möglichen Nebenwirkungen, wie zum Beispiel Kopfschmerzen, Diarrhö, Schlafprobleme oder Übelkeitsgefühl, nicht unerheblich. Auch andere Formen, wie die Lichttherapie, Schlafentzugstherapie oder die Elektrokonvulsionstherapie, werden den biologischen Therapieverfahren zugeordnet (Caspar, Pjanic & Westermann, 2018, S. 59-61).

Bei den psychologischen Interventionen werden vor allem Psychotherapieverfahren angewandt. Hierzu zählen die kognitive Verhaltenstherapie, interpersonelle Psychotherapie und paar- und familientherapeutische Anwendungen (Caspar, Pjanic & Westermann, 2018, S. 59-61; Laux, 2007, S. 1336-1337).