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Es gibt einen Unterschied zwischen dem wahrscheinlichsten Spinmarkerab-stand und dem AbSpinmarkerab-stand zwischen den wahrscheinlichsten Spinmarkerpositio-nen. Dieser Unterschied ist signifikant f¨urµ/σ <4 (siehe Abbildung 3.3) und f¨uhrt zu einem falschen Abstandsergebnis, wenn man den wahrscheinlichsten Spinmarkerabstand w¨ahlt. Dieser Sachverhalt wird bei folgendem Gedanken-experiment klar: reduziert man den Abstandµzwischen zwei gaussverteilten Spinmarkerpositionen (siehe Abbildung 3.1) auf µ = 0 nm (mit σ > 0 nm) und berechnet nun alle m¨oglichen Abst¨ande zwischen den Spinmarkerpo-sitionen, bekommt man eine Abstandsverteilung p(r) mit r ≥ 0 nm. Der wahrscheinlichste Spinmarkerabstand ist gr¨oßer als 0 und damit gr¨oßer als µ.

F¨ur den Fall, dass Rotamer-Bibliotheken oder MD-Simulationen nicht verf¨ ug-bar sind, wird hier eine alternative Herangehensweise f¨ur eine modellbasierte Analyse vorgeschlagen: die Riceverteilung. Viele Anwender der Spinmarker-ESR-Methode verwenden den Nitroxidmarker MTSL, mit einer Linkerl¨ange von etwa 0,5 nm, was in einem doppeltmarkierten System zu einer

Mar-3.4 FAZIT 37 kerflexibilit¨at von ca. 1 nm f¨uhrt. Das heißt f¨ur Abstandsverteilungen mit µ < 3 nm gilt µ/σ < 3, so dass der wahrscheinlichste Spinmarkerabstand nicht dem Abstand zwischen den wahrscheinlichsten Spinmarkerpositionen entspricht. Hierf¨ur das Maximum der Abstandsverteilung zu w¨ahlen, kann zu falschen Ergebnissen f¨uhren. Dies wurde in Kapitel 3.1 anhand von nume-risch generierten Abstandsverteilungen gezeigt. In Kapitel 3.2 ist die St¨arke der Riceverteilung gegen¨uber der Gaussverteilung mittels MD-Simulationen klar hervorgegangen und auch die Anwendung auf experimentelle Daten in Kaitel 3.3 zeigt deutliche Unterschiede zwischen Rice- und Gaussverteilung.

Die Riceverteilung wurde durch Prof. Dr. Gunnar Jeschke als modellbasierte Analysemethode in das Auswerteprogramm DeerAnalysis 2011 aufgenom-men [67], welches das verbreitetste Programm zur Auswertung von DEER-Abstandsmessungen darstellt.

I will lay me down like a bridge over troubled water.

Simon and Garfunkel

Kapitel 4

Nitroxid-Nitroxid-Abstandsmessungen zur Aufkl¨ arung intrazellul¨ arer, mechanischer

Energie¨ ubertragung

In diesem Kapitel wird gezeigt, wie Nitroxid-Nitroxid-Abstandsmessungen zur L¨osung einer biophysikalischen Fragestellung beitragen k¨onnen. Es han-delt sich dabei um die Beteiligung eines Proteins namens TonB am Ener-giehaushalt gramnegativer Bakterien. TonB ist ein 239 Aminos¨auren langes Protein, dessen N-Terminus (32 Residuen) in der inneren Membran veran-kert ist, w¨ahrend sich der Rest zwischen den Membranen aufh¨alt. Bislang ist eine komplette Strukturaufl¨osung dieses Proteins misslungen. Eine der zentralen Fragen in diesem Zusammenhang bezieht sich darauf, ob TonB eine Polyprolinhelix-Struktur aufweist und ob es lang genug ist, die inne-re und ¨außere Membran der Zelle zu verbinden. Antworten auf die offenen Fragen bez¨uglich dieses Systems k¨onnten ESR-Abstandsmessungen zusam-men mit den in Kapitel 3 etablierten Analysemethoden, sowie CD (Circular Dichroism)-Messungen geben.

Die Arbeiten zu diesem Kapitel wurden in Kooperation mit Prof. Dr. Wolf-ram Welte vom Fachbereich Biologie der Universit¨at Konstanz durchgef¨uhrt.

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42 4. NITROXID-NITROXID-ABSTANDSMESSUNGEN

Abbildung 4.1: Schematische Darstellung des Proteins TonB und der Mem-branen gramnegativer Bakterien.

4.1 TonB in gramnegativen Bakterien

Gramnegative Bakterien (z.B. Escherichia coli) zeichnen sich durch das Vor-handensein zweier Membrane aus, die das Zellinnere von der Umgebung tren-nen (eine schematische Darstellung findet sich in Abbildung 4.1). Das Bakte-rium ist nur durch die Aufnahme von Siderophoren und anderen N¨ahrstoffen

¨uberlebensf¨ahig. Diese m¨ussen von außen in das Zellinnere gelangen. TonB spielt dabei erwiesenermaßen eine entscheidende Rolle [68]. Der Transport durch die ¨außere Membran (Outer Membrane: OM) ist nur durch sogenannte Membranrezeptoren (Outer Membrane Receptor: OMR) m¨oglich, wobei je-der Rezeptor spezialisiert ist auf die Aufnahme ausgew¨ahlter Molek¨ule [69].

Zahlenm¨aßig ¨ubertreffen die Rezeptoren TonB mit einem molaren Verh¨ alt-nis von 12,5 [70]. Die Rezeptoren besitzen eine r¨ohrenartige Struktur in der Membran, in deren Inneren eine Korkdom¨ane die R¨ohre verschließt (Ab-bildung 4.2). F¨ur den Transport der N¨ahrstoffe durch den Rezeptor muss die Korkdom¨ane entfernt oder entfaltet werden, wozu Energie notwendig ist.

Diese Energie liegt in Form eines Protonengradienten ausschließlich zwischen Periplasma (Membranzwischenraum) und Zytoplasma (Zellineres) vor. Seit vielen Jahren bearbeiten Wissenschaftler die Fragestellung, wie Energie von der inneren, zytoplasmatischen Membran ¨uber das Periplasma an die ¨außere Membran ¨ubertragen werden kann [71] [72]. Die komplexbildenden Proteine ExbB, ExbD und TonB [73] [74] spielen dabei eine wichtige Rolle. Es ist be-kannt, dass der C-Terminus des TonB-Proteins ¨uber eineβ-Faltblattstruktur an die sogenannte TonB-Box des Rezeptors binden kann, sobald Liganden an den Rezeptor andocken (siehe Abbildung 4.2). Die TonB-Box wird von den

4.1 TONB IN GRAMNEGATIVEN BAKTERIEN 43 letzten ca. 7 Residuen des N-Terminus des Rezeptors gebildet, gefolgt von der Korkdom¨ane. Spinmarker-ESR-Messungen zeigen die leichte Zug¨anglichkeit der TonB-Box f¨ur die Wechselwirkung mit TonB [75]. ¨Uber die TonB-Box k¨onnte TonB einen Einfluss auf die Struktur der Korkdom¨ane und damit auf den Molek¨ultransport haben.

Abbildung 4.2: Komplex aus Außenmembranrezeptor FhuA und TonB. Die FhuA-Korkdom¨ane ist in gr¨un dargestellt (Residuen 19-160), die verbleiben-den Residuen (8-18 und 161-725) in blau. TonB ist in gelb gezeichnet (Resi-duen 158-235). Die Ansichtsebene ist senkrecht zur Außenmembran gew¨ahlt.

β-Faltblattstrukturen sind als flache Pfeile gezeichnet, helikale Strukturen als flache Spiralen [76].

Verschiedene Modelle, wie es zu einer Energie¨ubertragung des Protonengra-dienten zur ¨außeren Membran kommen kann, wurden bereits vorgeschlagen.

Das ’shuttle model’ legt eine energetisierte Konformation von TonB zugrun-de, die aus der Wechselwirkung mit dem Proteinkomplex ExbB/ExbD und dem Protonengradienten zustande kommt. Diese ’geladene Feder’ trennt sich von der inneren Membran und wandert ¨uber das Periplasma zum Rezeptor und ¨ubertr¨agt dort Energie [71].

Ein anderes Modell arbeitet mit der ¨Ahnlichkeit der Proteine ExbB und ExbD mit den Motorproteinen MotA und MotB im Flagellenmotor [77].

ExbB und ExbD k¨onnen mittels des Protonengradientens ein Drehmoment

44 4. NITROXID-NITROXID-ABSTANDSMESSUNGEN auf TonB aus¨uben, welches sich dann, gebunden an den Rezeptor, windet und die Korkdom¨ane entfaltet und so den Weg f¨ur die Siderophore freigibt.

Diese Hypothese ist unter dem Namen ’propeller model’ bekannt [72]. Zwei Varianten dieses Modells sind in Abbildung 4.3 dargestellt.

Abbildung 4.3: Schematische Darstellung des Propellermodellansatzes. Ein TonB-Dimer mit a) einem einzigen Komplex des Trimers aus ExbB/ExbD oder b) zwei Komplexen aus ExbB/ExbD [72].

Gumbart et al. [78] untersuchten mittels MD-Simulationen das Herausziehen der Korkdom¨ane aus dem Rezeptor, indem sie eine ziehende Kraft auf den gebundenen C-Terminus von TonB senkrecht zur Membran, anwandten.

Die dieser Arbeit zugrundeliegende und von Wolfram Welte entwickelte Ar-beitshypothese basiert auf der Tatsache, dass TonB einen prolinreichen Mit-telteil von ca. 100 Aminos¨auren besitzt. Mit einem Prolinanteil von 33 % ist dieser Abschnitt der Sequenz ¨uberdurchschnittlich prolinreich. Eine pro-linreiche Sequenz in w¨assriger Umgebung l¨asst auf eine PolyprolinII-Helix-Struktur (PPII) schließen (siehe auch Kapitel 3.3.1). Die PPII-Konformation ist auch noch mit einem gewissen Anteil anderer Aminos¨auren [66] [62] sta-bil. Der Prozess k¨onnte wie folgt aussehen: der Komplex aus ExbB/ExbD

¨ubt mittels Protonengradientens ein st¨andiges Drehmoment auf das TonB-Protein aus. Sobald TonB an die TonB-Box des Rezeptors gebunden wird, f¨uhrt die Fixierung an beiden Enden des Proteins dazu, dass die Drehung ei-ne Konformations¨anderung von PPII zu PPI induziert. Die Verk¨urzung des Proteins k¨onnte dann die Korkdom¨ane aus der Rezeptorr¨ohre ziehen. In die-sem Fall w¨are im Gegensatz zum Propellermodell nur ein TonB-Monomer beteiligt.

4.2 CD-MESSUNGEN AN TONB-FRAGMENTEN 45