• Keine Ergebnisse gefunden

Molekulare Zust¨ande, in welchen zwei ungepaarte Elektronen zu S = 1 kop-peln werden Triplettzust¨ande genannt. Durch Anlegen eines starken ¨außeren Magnetfeldes wird eine Aufspaltung in mS = 0 und ±1 induziert. Die Si-tuation im Nullfeld (ohne magnetisches Feld) ist in Abbildung 2.10 in einem Jablonski-Diagramm dargestellt. Vom GrundzustandS0 k¨onnen Molek¨ule in angeregte Singulettzust¨ande gehoben werden (in der Abbildung ist der erste angeregte SingulettzustandS1, ohne Schwingungszust¨ande, zu sehen). Durch Fluoreszenz kann das Molek¨ul wieder in den Grundzustand fallen, oder es fin-det ein strahlungsloser Prozess in einen Triplettzustand statt, das sogenannte Inter System Crossing (ISC) (die Abbildung zeigt den energetisch niedrigsten Triplettzustand).

2.3 ESR AN TRIPLETT-SYSTEMEN 21 In Abbildung 2.10 ist die Entartung des Triplettzustandes aufgehoben. Grund hierf¨ur ist die Dipol-Dipol-Wechselwirkung zwischen den beiden ungepaarten Elektronen [35] [36] [37].

Abbildung 2.10: Jablonski-Diagramm f¨ur ein Singulett-Triplett-System.

Um den Spin-Hamiltonian f¨ur ESR an Triplett-Systemen aufstellen zu k¨onnen, m¨ussen vor allem zwei Wechselwirkungen ber¨ucksichtigt werden: die Zeeman-und die Spin-Spin-Wechselwirkung. Der Hamilton-Operator hat dann die Form [35]:

Hˆ =gβH·(S1+S2) +g2β2

(S1S2

r3 − 3(S1~r)(S2~r) r5

)

, (2.6)

wobei ~r den Abstandsvektor zwischen den beiden Elektronen darstellt. Die Kopplung von S1 und S2 resultiert in einem Gesamtspin ˆS. Die dipolare Wechselwirkung kann mittels eines effektiven Hamiltonians der Form:

D= ˆS·D·S,ˆ (2.7) ausgedr¨uckt werden (vgl. Gleichung 2.1), wobeiD den Nullfeldaufspaltungs-Tensor bezeichnet. In einem Hauptachsensystem, welches D diagonalisiert, kann Gleichung 2.7 umgeschrieben werden in:

22 2. STAND DER FORSCHUNG

D =D

Sz2− 1 3Sˆ2

+E(Sx2−Sy2), (2.8) wobeiD und E als Nullfeldaufspaltungsparameter bezeichnet werden (siehe auch Abbildung 2.10) und die Form haben:

D = 1

2(X+Y)−Z (2.9)

E = −1

2(X−Y) (2.10)

und X, Y und Z die Triplett-Energieniveaus im Nullfeld bezeichnen. Gr¨oße und Vorzeichen von D und E h¨angen von der Symmetrie des Molek¨uls ab. Eine detailliertere Darstellung dieses Zusammenhangs kann bei [38] in Kapitel 19 nachgelesen werden. In Abbildung 2.11 a)-c) ist die Zeeman-Aufspaltung der Triplett-Energieniveaus f¨ur D = 2184,3 MHz und E = -253,8 MHz in Abh¨angigkeit der Molek¨ulorientierung bez¨uglich des ¨ auße-ren Magnetfeldes zu sehen mit den zugeh¨origen Niveau¨uberg¨angen f¨ur ESR im X-Band. F¨ur jede Orientierung finden sich zwei ¨Uberg¨ange mit ∆m =

±1 (siehe hierf¨ur [39]). Die Simulationen wurden mit dem Matlab-basierten Programm EasySpin durchgef¨uhrt. Die Nullfeldaufspaltungsparameter ent-sprechen einem Molek¨ul, das inx-Richtung gestreckt und scheibenf¨ormig ist.

Ein ESR-Absorptionsspektrum f¨ur eine Pulverprobe wurde berechnet und abgebildet, siehe Abb. 2.11 d). Die Markierung der Peaks f¨ur die kanoni-schen Orientierungen des Molek¨uls erfolgt nach der Festlegung: ¨Uberg¨ange

|−1i ↔ |0i sind mit ’1’ abgek¨urzt, |0i ↔ |+1i mit ’2’.

2.3 ESR AN TRIPLETT-SYSTEMEN 23

Abbildung 2.11: EasySpin-Simulationen f¨ur D > 0 und E < 0. Abbil-dungen a)-c): Zeeman-Aufspaltung f¨ur die drei kanonischen Orientierun-gen des Molek¨uls im Verh¨altnis zum ¨außeren Magnetfeld B. In rot sind die erlaubten ESR- ¨Uberg¨ange mit ∆m ± 1 f¨ur eine Mikrowellenfrequenz von ν = 9.3531 GHz eingezeichnet. d) entsprechend simuliertes ESR-Absorptionsspektrum einer Pulverprobe.

Die ersten ESR-Experimente an dem Singulett-Triplett-Molek¨ul Naphtalen wurden schon 1958 von Hutchison et al. ver¨offentlicht [40]. Die Kombination eines optisch aktiven Molek¨uls mit ESR-Spektroskopie fand schnell Anwen-dung, z.B. f¨ur ODMR (Optically Detected Magnetic Resonance) [41] [42].

Untersuchungen an Singulett-Triplett-Molek¨ulen im Zusammenhang mit bio-logischen Systemen sind ebenfalls bekannt [43] [44].

Die physikalischen Modelle unterscheiden sich von der Realit¨at wie die geographischen Karten von der Erdoberfl¨ache.

L´eon Brillouin

Kapitel 3

Analyse von

Abstandsverteilungen

ESR ist eine wirkungsvolle Methode, wenn es um die Untersuchung ungeord-neter Systeme geht [45]. Man erh¨alt Abstandsverteilungen im Bereich von 0,5 nm bis 10 nm; speziell mittels der Doppel-Elektron-Elektron-Resonanz (DEER)-Technik [13] [21] [46] wurden in den letzten Jahren große Erfol-ge erzielt. Inter- und intramolekulare Abst¨ande angebrachter Spinmarker k¨onnen ¨uber die Dipol-Dipol-Wechselwirkung extrahiert werden, siehe dazu Kapitel 2.2. F¨ur flexible Systeme oder lange Linker der gebundenen Mar-ker k¨onnen breite Abstandsverteilungen das Resultat sein. Deren Analyse kann modellbasiert oder ¨uber modellfreie Ans¨atze [47] [48], wie beispiels-weise die Tikhonov-Regularisierung, erfolgen. Ist die Struktur oder ein Mo-dell des Systems bekannt, z. B. mit Hilfe der Kristallographie, k¨onnen die Abstandsverteilungen auch ¨uber Rotamer-Bibliotheken ausgewertet werden [25] [29]. Modellbasierte Ans¨atze [46] [49] greifen oft auf eine gaussf¨ ormi-ge Abstandsverteilung zur¨uck. Das Maximum der Abstandsverteilung (der wahrscheinlichste Abstand) wird dem Abstand der wahrscheinlichsten Spin-markerpositionen gleichgestellt.

Im folgenden Kapitel wird diese Vorgehensweise untersucht und es wird sich zeigen, dass sie problematisch, wenn nicht sogar fehlerhaft ist. Es wird eine alternative Analysemethode vorgestellt, basierend auf der Riceverteilung. Die Verwendung der Riceverteilung ist in anderen Disziplinen der Wissenschaft verbreitet, darunter Kristallographie [50] [51], Einzelmolek¨ ulfluoreszenz-Spek-troskopie [52] [53] oder Magnetresonanzbildgebung [54] [55].

27

28 3. ANALYSE VON ABSTANDSVERTEILUNGEN

Abbildung 3.1: Schematische Darstellung zweier statistisch positionierter Va-riablen, die dreidimensional gaussverteilt sind. Die Zentren der Verteilungen sind durch den Abstand µ voneinander getrennt. Beide Verteilungen haben dieselbe Standardabweichung σ inx-,y- und z-Richtung [56].

3.1 Numerische Simulationen

Um die Problematik bei der Untersuchung von Abstandsverteilungen, die aus Abstandsmessungen zwischen Spinmarkern resultieren, darzustellen, geht man im einfachsten Fall von zwei gaussverteilten Spinmarkerpositionen aus.

Die Spinmarkerpositionen sind gaussverteilt in drei Dimensionen (x,yundz), mit einer Standardabweichung σ um zwei Mittelpunkte mit einem definier-ten Abstand µ (siehe Abbildung 3.1). Die resultierende Verteilung zwischen beiden Markern p(r) mit r = (∆x2 + ∆y2 + ∆z2)1/2 entspricht nicht ei-ner Gaussverteilung sondern eiei-ner Riceverteilung [57]. Dar¨uberhinaus weist die Abstandsverteilung ein Maximum auf, welches dem wahrscheinlichsten Abstand entspricht, aber von µ abweicht. Die Abweichung wird f¨ur kleine µ/σ-Verh¨altnisse gr¨oßer. Analog dazu gilt, dass das Maximum einer gauss-f¨ormigen Abstandsverteilung bei Abst¨anden auftritt, die gr¨oßer sind als der Abstand zwischen den wahrscheinlichsten Spinmarkerpositionen.

Die Abstandsverteilungp(r) kann mathematisch mittels einer Riceverteilung inn Dimensionen beschrieben werden, die wie folgt definiert ist:

p(r) = µ

3.1 NUMERISCHE SIMULATIONEN 29 mit der modifizierten Bessel-Funktion I. F¨ur drei Dimensionen entspricht dies:

Die Auswirkung auf die Verteilung f¨ur eine Erh¨ohung der Standardabwei-chung σ sieht man in Abbildung 3.2. Hier werden numerisch simulierte Ab-st¨ande zwischen gaussverteilten Markerpositionen mit den zugeh¨origen Fits laut Gleichung 3.2 gezeigt. F¨ur große Werte von µ/σ, z.B. µ/σ = 10 (Ab-bildung 3.2 schwarze Kurve), ist die Verteilung ann¨ahernd gaussverteilt und das Maximum entspricht dem Abstand µ gut. F¨ur kleiner werdende Werte von µ/σ (Abbildung 3.2 Kurven gr¨un und blau), wird die Verteilung breiter und die Position des Maximums weicht stark von µab.

0 1 2 3 4

r

Abbildung 3.2: Numerische Simulation der Abstandsverteilungp(r) zwischen zwei gaussverteilten Positionen in drei Dimensionen (siehe dazu Abbildung 3.1). Der Abstand zwischen den Zentren der zwei Gaussverteilungen be-tr¨agt µ = 1 (rote Linie). Die Standardabweichungen wurden variiert: σ = 0,1 (schwarz), σ = 0,3 (gr¨un) und σ = 0,5 (blau).

Das bedeutet, dass f¨ur experimentell erlangte, schmale Abstandsverteilungen das Maximum der Verteilung oder das Zentrum der angepassten Gausskurve gut mit dem Abstand der wahrscheinlichsten Spinmarkerposition ¨ uberein-stimmt, f¨ur breite Abstandsverteilungen aber eine starke Abweichung re-sultiert. Dieser Sachverhalt ist in Abbildung 3.3 zusammengefasst. Gezeigt

30 3. ANALYSE VON ABSTANDSVERTEILUNGEN werden die Anpassungen von Gauss- und Riceverteilungen an numerisch ge-nerierte Spinmarkerpositionen in drei Dimensionen. Die Standardabweichung wurde konstant aufσ= 0,5 festgelegt. F¨ur kleineµ/σ-Werte f¨uhrt der Fit mit einer Gausskurve zu erheblichen Abweichungen vom Abstand µ. In diesem Bereich empfiehlt sich der Gebrauch einer Gaussverteilung also nicht und das Abstandsergebnis weicht stark ab. Die Anpassung mit einer Riceverteilung entspricht f¨ur gaussf¨ormig verteilte Spinmarkerpositionen der analytischen L¨osung und liefert damit f¨ur alle Werte vonµ/σ den korrekten Abstand.

0 , 5 1 , 0 1 , 5 2 , 0 2 , 5 3 , 0 3 , 5 4 , 0 4 , 5

Abbildung 3.3: Vergleich verschiedener Fitmodelle. F¨ur jeden festgesetzten Abstand µ zwischen den Zentren der gaussverteilten Variablen mit einer Standardabweichung von σ = 0,5. Ein Histogramm der Abst¨ande zwischen beiden dreidimensionalen Gaussverteilungen wurde simuliert (wie f¨ur Abbil-dung 3.2). Eine Rice- und eine Gaussverteilung wurde an diese Histogramme angepasst. Die zugeh¨origen Fit-Ergebnisseµisind aufgetragen (gr¨une Kreise:

Gauss, rote Kreise: Rice). Die Ursprungsgerade (schwarze Linie) entspricht dem Simulationsparamter µ.