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2.2 Abstandsmessungen in der ESR-Spektroskopie

2.2.1 Das Vierpuls-DEER-Experiment

Die am weitesten verbreitete Methode f¨ur Abstandsmessungen in der ESR-Spektroskopie bildet die Zweifrequenz-Methode DEER. Der zug¨angliche Ab-standsbereich liegt zwischen 1,8 nm und 6 nm f¨ur Membranproteine und bis zu 10 nm f¨ur deuterierte Proteine [16] [18]. Zudem k¨onnen Orientierungsstu-dien von paramagnetischen Zentren durchgef¨uhrt werden [19].

Der Methode liegt die Dipol-Dipol-Wechselwirkung zwischen zwei Elektro-nenspins zugrunde. H¨aufig wird f¨ur Abstandsmessungen ein diamagnetisches System durch ortsspezifische Spinmarkierung [20] mit einem Nitroxid verse-hen. Bei Systemen mit paramagnetischen Zentren, z.B. Metalloproteinen [10], k¨onnen direkt, sonst durch Einf¨uhrung eines weiteren Spins intramolekulare Abstandsmessungen durchgef¨uhrt werden. Anhand eines nitroxidmarkierten Systems wird im Weiteren das DEER-Experiment kurz dargestellt. F¨ur de-tailliertere Informationen sei auf die einschl¨agige Literatur verwiesen [16] [21].

Der Dipol-Dipol-Wechselwirkungsterm, der zum Spin-Hamiltonian beitr¨agt, lautet [14]:

wobei A und B die wechselwirkenden Spins unterscheiden und~rden

Verbin-14 2. STAND DER FORSCHUNG dungsvektor zwischen den beiden darstellt.

F¨ur Spins in einem ¨außeren Magnetfeld erh¨alt man die Wechselwirkungsener-gie:

E = µ0µAµB

1 r3

1−3 cos2Θ, (2.2) wobei Θ den Winkel zwischen der Verbindungsachse zwischen den beiden Spins und der Richtung des externen Magnetfeldes bezeichnet (siehe Abbil-dung 2.3).

Die Dipol-Dipol-Wechselwirkungsenergie ist proportional zu 1/r3und abh¨ an-gig von Θ. Um ¨uber die Messung der Dipol-Dipol-Wechselwirkung eine Ab-standsinformation zu extrahieren, muss die Winkelabh¨angigkeit kontrolliert werden. L¨osung hierf¨ur ist, die Experimente in gefrorener Glasmatrix durch-zuf¨uhren, in der Molek¨ulorientierungen mit sin Θ gewichtet auftreten und nicht ausgemittelt werden. Die Dipol-Dipol-Wechselwirkung kann unter an-derem ¨uber das Vierpuls-DEER-Experiment bestimmt werden. Grundlegend ist, dass man A- und B-Spins unterscheiden kann, und dass die Wechsel-wirkungsenergie ¨uber einen Flip der B-Spins und die damit einhergehende Anderung des Magnetfeldes am Ort des Spins A bestimmt werden kann (sie-¨ he Abbildung 2.3).

(a) Lokales Feld, das durch einen B-Spin erzeugt wird.

(b) Invertiertes lokales Feld, das durch einen B-Spin erzeugt wird.

Abbildung 2.3: Dipole in einem ¨außeren Magnetfeld. Invertierung des lokalen Feldes eines Dipols.

2.2 ABSTANDSMESSUNGEN 15 Die Unterscheidung der addressierten Spins erfolgt ¨uber die Hyperfeinwech-selwirkung. Abbildung 2.4 zeigt einen Echo-detektierten Feldsweep (EDFS) eines Nitroxids im X-Band. Anregungen unterschiedlicher Bereiche (vgl. Ab-bildung 2.4 kleines Bild) erm¨oglichen es, A-Spins und B-Spins zu unterschei-den. Dies kann ¨uber ein Zweifrequenz-Experiment realisiert werden. In der Abbildung 2.4 sind die sogenannte Beobachterfrequenz νobs f¨ur A-Spins und die Pumpfrequenzνpump f¨ur B-Spins markiert. Zudem sind exemplarisch ein π-Pumppuls der L¨ange τπ = 12 ns und ein π-Observerpuls der L¨ange τπ

= 32 ns im Frequenzraum mit einem f¨ur Nitroxide im X-Band typischen Frequenzabstand von ∆ν = 70 MHz dargestellt. L¨ange und spektrale Positi-on der Pulse werden so gew¨ahlt, dass die spektrale ¨Uberlappung minimiert wird. So k¨onnen unerw¨unschte Magnetisierungspfade, die zu Signalartefakten f¨uhren, ausgeschlossen werden [22].

Abbildung 2.4: Echo-detektierter Feldsweep an einem Nitroxid in glasartiger Matrix (schwarze Linie), Messparameter siehe Kapitel 6.6.3. Die Nitroxid-molek¨ulorientierungen bez¨uglich des ¨außeren Magnetfeldes sind f¨ur die drei Peaks im Spektrum eingezeichnet. Mit Pfeilen markiert sind die Positionen an die die Beobachter- bzw. Pumppulssequenz angesetzt wird. Kleines Bild: Ein 32 ns und ein 12 ns Rechteckpuls dargestellt im Frequenzraum, mit 70 MHz Abstand zueinander.

16 2. STAND DER FORSCHUNG Eine schematische Darstellung der zum Experiment geh¨orenden Pulssequenz findet sich in Abbildung 2.5. Auf der Beobachterfrequenz folgt nach einer Hahn-Echo-Sequenz ein refokussierender Puls. Die Intensit¨at des refokussier-ten Echos wird ¨uber ein Integrationsfenster aufgenommen. Auf der Pumpfre-quenz invertiert ein π-Puls die B-Spins und ¨andert so das Magnetfeld am Ort der A-Spins (siehe Abbildung 2.3), und moduliert, bedingt durch die Dipol-Dipol-Wechselwirkung, die Echointensit¨at. Die Echoamplitude wird als Funktion der Pumppulseinstrahlunsposition t’ gemessen.

Abbildung 2.5: Vierpuls-DEER-Pulssequenz. Die Frequenz f¨ur die Beobach-tersequenz ist mit νobs bezeichnet, die der Pumpsequenz mitνpump.

Umτ1undτ2f¨ur die zu messende Probe zu optimieren, wird eineT2-Messung durchgef¨uhrt (Abbildung 2.6). Die Echointensit¨at wird in Abh¨angigkeit vom Pulsabstand τ aufgenommen.

Abbildung 2.6: Schematische Pulssequenz f¨ur eine T2-Messung.

Eine f¨ur Nitroxide typischeT2-Messung ist in Graphik 2.7 abgebildet. Die ex-perimentellen Daten zeigen nicht nur den Echozerfall aufgrundT2-Relaxation, sondern auch Modulationen bedingt durch die Kopplung mit Deuterium- und Protonen-Kernspins. In einem solchen Fall kann die Zeitkonstante ¨uber ei-ne einh¨ullende Exponentialfunktion (wie in Abbildung 2.7 gezeigt) der Form:

2.2 ABSTANDSMESSUNGEN 17

V(τ) = V(0)e(−2τ /T2) (2.3) ermittelt werden [23]. Die Frequenz der Kernmodulationen kann ¨uber Divi-sion der experimentellen Daten durch eine angepasste Exponentialfunktion und anschließender Fouriertransformation bestimmt werden. F¨ur Deuterium-bzw. Protonen-Kernspins zeigt sich eine Frequenz von etwa 2 MHz Deuterium-bzw.

14 MHz im X-Band [24].

0 2 0 0 0 4 0 0 0 6 0 0 0 8 0 0 0

2t [ n s ]

Abbildung 2.7: Schwarz: T2-Messung an MTSL in einer Probe: 5 mM Anthracen-d10 und 0,2 mM MTSL in Toluol-d8, Messparameter siehe Ka-pitel 6.6.2. Rot: Fit gem¨aß Gleichung 2.3, T2 = 1935 ns.

Anhand der T2-Messung k¨onnen die Pulsabst¨ande τ1 und τ2 des DEER-Experiments optimiert werden. τ1 wird auf ein Kernmodulationsmaximum gesetzt und τ2 ist durch T2 limitiert. Die Wiederholrate des Experiments, invers zur sogenannten ’Shot Repetition Time’ (SRT), h¨angt von der Rela-xationszeitT1ab, also der Zeit, in der die Probe wieder ins thermodynamische Gleichgewicht zur¨uckrelaxiert.

Ein exemplarisches Ergebnis einer DEER-Messung an einem doppelt spin-markierten Modellsystem findet sich in Abbildung 2.8 a). Die DEER-Kurve enth¨alt auch Beitr¨age, die aus intermolekularen Wechselwirkungen herr¨uhren.

Um intramolekulare Abstandsinformationen zu extrahieren, muss die DEER-Kurve um diesen Hintergrund korrigiert werden. Das Echosignal V(t) setzt sich wie folgt zusammen:

18 2. STAND DER FORSCHUNG

V(t) = F(t)B(t), (2.4)

wobei F(t) als Formfaktor bezeichnet wird (Beitr¨age von Spinpaaren im glei-chen Nanoobjekt) und B(t) die Hintergrundfunktion (Beitr¨age von Wechsel-wirkungen benachbarter Nanoobjekte) darstellt [25]. F¨ur den Fall homogen verteilter Nanoobjekte ist dieser Hintergrundbeitrag durch die Funktion:

B(t) =e(−ktD/3) (2.5)

gegeben, wobeiDdie Dimension der Spinverteilung undkdie Spinkonzentra-tion darstellt. Der intermolekulare Beitrag kann auch experimentell bestimmt werden, in dem man eine DEER-Messung an einfachmarkierten Varianten des zu untersuchenden Systems durchf¨uhrt (Details hierzu siehe [26]).

Aufgrund der endlichen Anregungsbandbreite des Pumppulses (siehe kleines Bild in 2.4) wird nur ein Teil des Spektrums angeregt und der Formfaktor F(t) f¨allt auf einen von Null verschiedenen Wert 1-λ ab, siehe Abbildung 2.8 b), wobei λ die Modulationstiefe bezeichnet. F¨ur einen Pumppuls der L¨ange 12 ns ist f¨ur ein doppelt nitroxidmarkiertes Nanoobjekt ein Wert von λ = 0,49 zu erwarten [27].

Um aus dem Formfaktor bzw. der dipolaren Entwicklung die Abstandsinfor-mation zu extrahieren, muss eine genaue Datenanalyse vorgenommen wer-den. Die Verbindung zwischen Abstand und Dipol-Dipol-Wechselwirkung ist nicht direkt, sondern h¨angt zudem vom Winkel Θ ab. Ein definierter Abstand resultiert in einer einzigen Modulationsfrequenz und kann direkt ¨uber die Fouriertransformation der experimentellen Daten bestimmt werden. Durch die Orientierungsabh¨angigkeit resultiert die Fouriertransformation in einem Pake-Pattern, wie es simuliert in Abbildung 2.9 zu sehen ist. Der Weg von der DEER-Messung (die aus einer Abstandsverteilung resultiert) zur Ab-standsbestimung ist hingegen nicht eindeutig, da alle Beitr¨age, wie z.B. das Rauschen, ausgewertet werden. Die Berechnung einer Abstandsverteilung aus dem Formfaktor erfordert ein gutes Signal-zu-Rausch-Verh¨altnis und stellt ein (leicht) unterbestimmtes Problem dar. Zur L¨osung kann die Tikhonov-Regularisierung herangezogen werden [28]. ¨Uber einen Regularisierungspara-meter α wird die Gl¨attung der Abstandsverteilung beeinflusst. Das richtige Verh¨altnis zwischen zu starker und zu schwacher Gl¨attung ist nicht bekannt, und wird ¨uber ein L-Kurven-Kriterium bestimmt (f¨ur Details siehe [25]). In Abbildung 2.8 c) ist das Ergebnis der Abstandsanalyse per Tikhonov-Regula-risierung zu sehen.

2.2 ABSTANDSMESSUNGEN 19 Alternativ kann eine Analyse ¨uber einen modellbasierten Ansatz durchgef¨uhrt werden. Hier wird z.B. eine gaussf¨ormige Abstandverteilung zugrunde gelegt und das Maximum der resultierenden Kurve als

”mittlerer Abstand“ ausge-wertet. Der Vorteil liegt darin, dass die Gausskurve nur durch zwei Parameter definiert wird. Hier sei auf Kapitel 3 verwiesen.

Um von der gewonnenen Abstandsverteilung auf die Struktur des Makro-molek¨uls schließen zu k¨onnen, sollte eine Analyse der Spinmarkerflexibilit¨at vorgenommen werden. F¨ur Proteine stehen hierf¨ur Rotamer-Bibliotheken zur Verf¨ugung, in Abh¨angigkeit benachbarter Aminos¨auren [29]. F¨ur diese Ana-lyse ist ein Strukturmodell des Proteins notwendig.

0 , 0 0 , 5 1 , 0 1 , 5 2 , 0 2 , 5 3 , 0 3 , 5

(a) Normierte Echoamplitude als Funk-tion von t’ (schwarze Kurve). Rot: Hin-tergrundfunktion, die von dreidimensio-nal homogen verteilten Spins ausgeht.

0 , 0 0 , 5 1 , 0 1 , 5 2 , 0 2 , 5 3 , 0 3 , 5 = 100) in rot dargestellt.

1 , 5 2 , 0 2 , 5 3 , 0 3 , 5 4 , 0 4 , 5 5 , 0 5 , 5 6 , 0

(c) Aus der Tikhonov-Anpassung resul-tierende Abstandsverteilung f¨ur einen α-Parameter von 100.

Abbildung 2.8: Messergebnis und Auswertung eines DEER-Experiments an einem doppelt nitroxidmarkierten Polyprolinpeptid (AP6C) in D2O, Mess-parameter siehe Kapitel 6.6.1.

20 2. STAND DER FORSCHUNG

Abbildung 2.9: Simuliertes Pake-Pattern. Θ bezeichnet den Winkel zwischen Spin-Spin-Verbindungsvektor und ¨außerem Magnetfeld (aus [14] entnom-men).

Das große Interesse an ESR-Abstandsmessungen f¨uhrt zu Bestrebungen die-se Methode weiterzuentwickeln. Ein Ansatzpunkt, den viele Arbeitsgruppen verfolgen, ist die Entwicklung neuartiger Spinmarker [9] [30] [31] [32] [33].

Z. B. zeigt der Trend, Messungen in der lebenden Zelle durchzuf¨uhren, dass Nitroxide hier nicht immer die beste Wahl darstellen, da die Zellumgebung den Spinmarker reduziert [34].