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Fallstudie Start-up: audibene GmbH

Im Dokument MKBEin Stück vom Kuchen (Seite 120-124)

VI. F ALLSTUDIEN D EUTSCHLAND

2. Fallstudie Start-up: audibene GmbH

Die Datenerhebung für die zweite Fallstudie fand zwischen September und November 2019 statt. Im Vorfeld wurde mittels öffentlich verfügbarer Dokumente und Informationen über das Unternehmen (insbesondere im Internet) recherchiert. Nach einem Erstkontakt des Zweitautors per Mail und Telefon führte dieser ein Telefon-Interview mit einem der beiden Geschäftsführer, Dr. Marco Vietor (im Folgenden GF). Am 6. November fand ein persönlicher Besuch der beiden Autoren in der Zentrale von audibene in Berlin statt. In diesem Zusammenhang gab es eine Begehung/Besichtigung des Unternehmens sowie mehrere Interviews mit GF, dem „Head of Finance“ sowie mehreren Mitarbeiter. Alle Interviews wurden auf Tonband aufgezeichnet und anschließend transkribiert. Darüber hinaus stellte das Unternehmen den Autoren umfangreiches Dokumentenmaterial zur Verfügung. Zudem stand GF für Nachfragen zur Verfügung. Die Auswertung des Datenmaterials erfolgte ebenfalls anhand der Methodik von Eisenhardt (1989).

2.1 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Audibene (Namenszusatz: einfach gut hören) ist der weltweit größte Online-Anbieter von Hörgeräten und das am schnellsten wachsende Hörpflegeunternehmen. Seit dem Start 2012 ist der Umsatz p.a. um das Zweifache gestiegen, der aktuelle Umsatz von audibene liegt bei ca.

EUR 150 Mio. Audibene hat 2019 zum ersten Mal in seiner siebenjährigen Firmengeschichte einen Gewinn gemacht. Für 2020 plant die Unternehmensleitung diesen Gewinn von EUR 1 Mio. auf 16 Mio. zu steigern. Aus Sicht der befragten Mitarbeiter ist das ein sehr ambitioniertes Ziel, mit dem sich nicht jeder Mitarbeiter identifizieren kann, sie hätten aber „schon viele kleine audibene-Wunder erlebt“. „Wir haben das Potenzial, und die Mittel sind da, oder die Mittel werden in dem Zeitraum noch entwickelt. Wir vertrauen darauf. Wir haben es in den letzten Jahren jedes Jahr geschafft.“

Audibene wurde 2012 von zwei Schulfreunden als GmbH (beide 50%) gegründet. In 2012 gab es mit einigen Business Angels drei Finanzierungsrunden zu je EUR 300.000. Nach acht Monaten am Markt folgte im Januar 2013 die erste Venture Capital Runde mit EUR 1 Mio. Zehn Monate danach gab es eine weitere Finanzierungsrunde von 2,5 Mio. mit einem dänischen Venture Capital Fonds. Danach hatten die beiden Gründer zusammen noch einen Anteil von 50%. Drei Jahre nach Gründung von audibene kaufte der schwedische Private Equity-Investor EQT alle bisherigen Eigentümer aus. Die beiden Gründer reinvestierten den Veräußerungserlös zu 85%

auf der Ebene der übernehmenden Holding, sie wurden also neben EQT Mitgesellschafter. In der Folgezeit verkauften die Gründer einige ihrer Anteile an andere Investoren der Holding.

Faktisch könnte die Holding audibene also jederzeit gegen den Willen der Gründer „zumachen“.

Die Holding hat zudem, neben audibene, auch die in Sivantos umbenannte Hörgerätesparte von Siemens (6.000 Mitarbeiter) zu einem Kaufpreis von EUR 2,45 Mrd. übernommen.

Audibene beschäftigt aktuell rund 1.150 Mitarbeiter weltweit, davon 500 in Deutschland (davon 300 in Berlin) und 300 in den USA. Weitere 350 Mitarbeiter sind auf Standorte in Holland, Frankreich, Schweiz, Kanada, Indien, Malaysia und Korea verteilt. Einen Betriebsrat besitzt das Unternehmen nicht, es gibt seitens der Belegschaft derzeit auch keine Überlegungen einen solchen zu gründen bzw. zu wählen. Tarifverträge werden in der deutschen GmbH nicht angewendet.

Privat sind GF und sein audibene-Mitgesellschafter noch als Business Angels in 18 weiteren digitalen Start-ups (meist internetbasierte endkundenorientierte Modelle) mit Anteilen zwischen 0,5 und 20% der Gesellschaftsanteile engagiert. Technisch läuft dies über eine allein dem GF gehörende Holding-Gesellschaft ab.

2.2 Historischer Hintergrund

GF hat an der WHU in Vallendar BWL studiert. Sein beruflicher Einstieg war als Unternehmensberater bei Bain & Company. 2005 machte er sich mit der Geschäftsidee einer cloudbasierten Softwarelösung selbstständig. Diese Softwarefirma verkaufte er 2009 an seinen größten Kunden, einen Chemiekonzern. Während alle 15 Mitarbeiter zum Erwerber wechselten, hatte GF „keine Lust da in der fünften Hierarchieebene für interne Softwareanwendung zuständig zu sein, sondern wollte weiterhin Unternehmer sein“.

Anlässlich eines Abendessens von GF mit einem alten Studienfreund in 2012 kamen beide darauf zu sprechen, dass es in Deutschland 12 Mio. Menschen mit einem Hörverlust gibt, wovon aber nur 2 Mio. ein Hörgerät besitzen. Als Grund für das Nichthandeln der 10 Mio.

unversorgten Menschen machten sie aus, dass vielen Menschen ihre Schwerhörigkeit „ein bisschen peinlich“ ist und sie „nicht wissen an wen sie sich wenden können“. Das Internet wurde als Kanal entdeckt, über den sich die Betroffenen mit einer sehr niedrigen Eintrittsschwelle über das Thema informieren können. Daraus entstand die Idee, ein Geschäftsmodell zu entwickeln, wonach Kunden im ersten Schritt online akquiriert und danach im zweiten Schritt kostenlos telefonisch vorberaten werden, um sie handlungsbereit zu machen. Im dritten Schritt werden diese zu Partnerakustikern, also den bekannten klassischen Hörgerätegeschäften, vermittelt und auch das von audibene empfohlene Hörgerät wird dorthin geschickt. Die Akustiker übernehmen dann als Subunternehmer („hier ist der Kunde, hier ist das Hörgerät, bitte anpassen“) gegen eine Provision die physische Anpassung des Hörgeräts. Audibene ist gegenüber den Kunden der Leistungserbringer und rechnet auch mit diesen und den Krankenkassen ab (End-to-End-Betreuung).

Da beide Firmengründer keine ausgewiesenen Online-Marketing-Fachleute waren, suchten sie nach einem diesbezüglichen Experten. Als sie einen gefunden hatten, wollte dieser wissen, was er als Äquivalent für die Aufgabe seines sicheren Arbeitsplatzes bekommen würde. Daraufhin boten die beiden Firmengründer ihrem ersten Mitarbeiter eine Beteiligung von 5% an. Als zweiter Mitarbeiter wurde ein Interviewer mit Bachelorstudium eingestellt. Dieser erhielt 1%

der Anteile. Auch die nächsten Mitarbeiter (ein Hörakustikmeister, „eine unternehmerisch denkende Hörakustikerin“ und eine an der WHU studierte Marketingfachkraft) bekamen jeweils 1% Anteile. Bei den meisten der danach folgenden Einstellungen „hat sich die Frage mit der Beteiligung nicht gestellt“.

Als sich audibene von einem Wohnzimmerunternehmen zu einem Unternehmen mit eigenen

„hippen“ Geschäftsräumen und immer mehr Mitarbeitern wandelte, suchten die Geschäftsführer nach einer neuen Form der Mitarbeiterbeteiligung. Da sie nicht bei jeder Satzungsänderung der GmbH alle Beteiligten „zum Notar schleppen“ wollten, wählten sie keine echte, sondern die Form einer virtuellen MKB. Nach Aussage von GF „ist es im digitalen Umfeld von Berlin der absolute Standard, dass Mitarbeiter mit virtuellen Anteilen beteiligt werden, die im Wesentlichen einen wirtschaftlichen Anspruch an die Firma einräumen, der zum Tragen kommt, wenn ein Exit-Event vorliegt, also wesentliche Teile der Firma an neue Gesellschafter verkauft werden.“

Drei Jahre nach Gründung des Start-ups kam es zum ersten Exit-Event, als EQT alle Bestandsgesellschafter, also Gründer, Investoren, Business Angels und Fonds, auskaufte und deren Anteile übernahm. 2015 wurden auch die virtuellen Beteiligungen an die beteiligten Mitarbeiter – 15% der insgesamt 100 Mitarbeiter – ausgezahlt. Die Mitarbeiter freuten sich,

„als das ausbezahlt wurde“. „Wirklich null Sinn“ machte für sie dagegen, dass die Auszahlung ihres Investments als Gehalt versteuert werden musste. Diejenigen, bei denen neben Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag auch noch Kirchensteuer in Höhe eines Netto-Monatsgehaltes anfiel, fanden dies „absurd“ und „sind dann alle aus der Kirche ausgetreten“.

2.3 Ausgestaltung des Programms

Die Kernelemente des derzeit aktuellen VALUE-Plans sind in Tabelle 4 dargestellt. Das aktuelle MAB-Programm von audibene wird nicht automatisch jedem Mitarbeiter angeboten.

Ausgenommen sind Mitarbeiter, die noch in der Probezeit sind und „Wackelkandidaten“, bei denen die Firmenleitung „nicht überzeugt ist, dass diese wirklich bei uns sind“ (ca. 40% der Belegschaft). Von dem Firmenangebot machen allerdings nicht alle Mitarbeiter Gebrauch. Den Grund hierfür sieht GF vor allem darin, dass bei ihrem Modell erst einmal Investitionsbeträge aus dem laufenden Einkommen entnommen werden müssen, was vor allem bei geringerem Nettoeinkommen schwerfällt.

Bezüglich des aktuellen Instrumentariums mit den verschiedenen Durchführungswegen und den direkten Beteiligungen mit dem gehebelten Programm, der direkten Beteiligung mit normalen Anteilen und dem virtuellen Investitionsprogramm ist GF sehr zufrieden. Deshalb sieht er derzeit keinen Bedarf für andere oder weitere Instrumente zur Beteiligung. Angesichts der Tatsache, dass immer mehr Mitarbeiter einen relevanten Einfluss auf die Entwicklung der Firma haben und im Sinne der Logik, dass jeder, der einen erheblichen Einfluss auf die Firma hat, auch beteiligt werden sollte, hält GF allerdings eine zeitnahe Vergrößerung des Beteiligtenkreises für erforderlich.

Tabelle 4: Kernelemente des VALUE-Plans, audibene GmbH

Eckpfeiler Ein ESOP (Employee Stock Ownership Plan) ist ein gängiges Instrument, um die Mitarbeiter persönlich vom Erfolg des Unternehmens profitieren zu lassen, unser VALUE ist technisch gesehen ein ESOP-Plan in einer sehr spezifischen Form.

Der VALUE-Plan wird vollständig von der Leistung des audibene-Kerngeschäfts bestimmt und ist nicht von der Entwicklung von Sivantos abhängig.

Die Grundlage des Plans sind sogenannte „virtuelle Aktien“. Dies ist notwendig, da wir nicht öffentlich gelistet sind und beabsichtigen, Ansprüche an eine breitere internationale Gruppe von Mitarbeitern zu vergeben. Der Ansatz der „virtuellen Aktie“

stellt einen Aktienkurs auf der Grundlage einer vordefinierten Bewertungslogik her und stellt eine finanzielle Forderung gegenüber dem Unternehmen dar.

Investment Ein vereinbarter Betrag des Jahresgehalts wird nicht in bar ausgezahlt, sondern zur Sicherung der Rechte auf den Erhalt virtueller Aktien während des Erdienungszeitraums zum aktuellen Aktienkurs verwendet (kein Steuerabzug zu diesem Zeitpunkt, so dass die Investition in zwölf gleichen Teilen vom Bruttogehalt abgezogen wird).

Wert und Auszahlung

Der Aktienkurs entwickelt sich linear mit der Unternehmensbewertung des audibene-Geschäfts.

Die Bewertung ist abhängig von der Entwicklung von Umsatz und Gewinn, gemessen als EBITDA (Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen und Amortisation) der betreffenden Geschäftseinheiten.

Die Optionen können jedes Jahr nach der Veröffentlichung des offiziellen Konzernergebnisses und der Bewertung während eines zweiwöchigen Zeitraums ausgeübt werden.

Der Wert des Portfolios ist auf das Zehnfache der Anfangsinvestition begrenzt.

Erdienungszeitraum (Vesting)

Die Aktien sind an einen Erdienungszeitraum von zwei Jahren gebunden, d.h. der Aktienkurs ist bereits fixiert, aber der finanzielle Anspruch entsteht erst 24 Monate nach der Investition.

2.4 Ergebnisse / Effekte der Beteiligung

Die interviewten Mitarbeiter fühlten sich durch das Angebot von Mitarbeiterbeteiligung „ein stückweit wertgeschätzt und geehrt“. Neben dem finanziellen Aspekt „heißt das auch, die wollen mich noch zwei Jahre lang hierbehalten“.

Das Unternehmen zeichnet sich grundsätzlich (und über die MAB-Programme hinaus) durch eine sehr offene Unternehmenskultur aus. Gemeinsames Ziel aller Mitarbeiter ist es – trotz mittlerweile sieben Unternehmensjahren – den „Start-up-Spirit“ aufrecht zu erhalten.

Entsprechend lautet ein Firmenleitsatz „Culture eats Strategy for Lunch“. Es ist durchwegs eine lockere familiäre Atmosphäre festzustellen. Bis zu den Geschäftsführern sprechen sich alle mit dem Vornamen an und duzen einander. In der Rezeption werden Besucher mit einer Wand voll unkonventioneller Bilder der Standort-Mitarbeiter begrüßt. Die moderne Innenarchitektur in einem historischen Backstein-Industriegebäude mit offenen, hellen Projekträumen und Großraumbüros mit zahlreichen flexiblen Arbeitsplätzen sowie eine große für Pausen nutzbare Dachterrasse unterstützt eine interaktive Arbeitsweise ebenso wie der Küchenbereich und die Meeting-Bereiche.

Bei audibene gibt es laut GF nur Teams, keine Abteilungen und damit auch kein Organigramm.

Das soll auch durch das Wording betont werden, entsprechend heißt die Personalabteilung

„People Team“.

Quelle: audibene GmbH, eigene Übersetzung aus dem Englischen.

2.5 Wichtige Akteure

Eine Schlüsselrolle für die Einführung von MKB bereits ab Firmengründung der audibene kommt zweifellos den beiden Firmengründern (und derzeitigen Geschäftsführern) zu. Wichtig ist dabei sicherlich auch die in den Interviews mit Mitarbeitern (ohne Anwesenheit der Geschäftsführer) immer wieder stark betonte charismatische Persönlichkeit der Geschäftsführer, die in der Belegschaft ein hohes Maß an Vertrauen, gerade auch mit Blick auf die Beteiligung, erzeugen. Die Initiative zur MKB ging allerdings bei den ersten Einstellungen von den Bewerbern selbst aus. Diese konnten nur über Firmenbeteiligungen als Arbeitnehmer für audibene gewonnen werden.

2.6 Probleme / Herausforderungen

Der Steuerfreibetrag von derzeit EUR 360 wird durch das MAB-Programm von audibene nicht genutzt, da die virtuelle Beteiligung systematisch eine Gewinnbeteiligung darstellt. Die beteiligten Mitarbeiter erwerben eben keine Unternehmensanteile, vielmehr wird die an die Entwicklung des Aktienpreises gekoppelte Gewinnbeteiligung bar ausgezahlt. Begründet wird dies jedoch durch GF mit dem „lächerlichen Förderungsbetrag“ angesichts einer durchschnittlichen Investmenthöhe von EUR 4.000. Bei „österreichischen Verhältnissen“ (d.h.

bei EUR 3.500) „wären wir dann dabei“. Eine Umwandlung des MKB-Programms wäre zum jetzigen Zeitpunkt aus Sicht von audibene auch mit einem kaum zu vertretenden administrativ-bürokratischen Aufwand verbunden. Zusätzlich betrachten alle Gesprächspartner bei audibene die Tatsache als sehr problematisch, dass die Auszahlung ihrer Investments als Einkommen zu versteuern ist. Angesichts des beträchtlichen persönlichen Risikos wäre, ihrer Meinung nach, eine Versteuerung im Abgeltungsteuerbereich (25%) eher angemessen.

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