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Fallstudie KMU: Oraylis GmbH

Im Dokument MKBEin Stück vom Kuchen (Seite 117-120)

VI. F ALLSTUDIEN D EUTSCHLAND

1. Fallstudie KMU: Oraylis GmbH

Die Datenerhebung für die vorliegende Fallstudie fand im Oktober und November 2019 statt.

Im Vorfeld wurde öffentlich verfügbare Dokumente und Informationen über das Unternehmen (insb. im Internet) recherchiert. Nach einem Erstkontakt per Mail und Telefon erfolgte ein Telefon-Interview durch den Zweitautoren mit einem der Geschäftsführer von Oraylis. Am 17.

Oktober fand ein persönlicher Besuch des Zweitautors im Unternehmen in Düsseldorf statt. In diesem Zusammenhang gab es eine Begehung/Besichtigung des Unternehmens sowie mehrere Interviews mit dem Unternehmensgründer, einem Geschäftsführer und verschiedenen Mitarbeiter. Alle Interviews wurden auf Tonband aufgezeichnet und anschließend transkribiert.

Darüber hinaus stellte das Unternehmen den Autoren umfangreiches Dokumentenmaterial zur Verfügung. Zudem stand einer der Geschäftsführer für Nachfragen zur Verfügung. Die Auswertung des Datenmaterials erfolgte anhand üblicher qualitativer, inhaltsanalytischer Methoden für Fallstudien.189

1.1 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Oraylis ist ein Entwickler von ganzheitlichen Business Intelligence-, Data Analytics-, Artificial Intelligence-Lösungen. In diesem Kontext werden (vornehmlich große und sehr große) Kunden über den gesamten Erarbeitungs-, Entwicklungs- und Implementierungsprozess hinweg betreut und begleitet. Der aktuelle Umsatz von Oraylis liegt bei ca. EUR 14 Mio., wobei die Geschäftsleitung von einem anhaltenden Umsatzwachstum von jährlich rund 20% ausgeht. Seit der Gründung im Jahr 1999 musste noch nie ein Jahresverlust verzeichnet werden. Den (potenziellen) Engpass für die Unternehmensentwicklung sieht die Geschäftsführung entsprechend nicht bei den Aufträgen, sondern vor allem bei der Gewinnung und Bindung von Fachkräften.

Das Unternehmen beschäftigt rund 95 Mitarbeiter, wovon ca. 75 unmittelbar als Experten tätig sind. Seit 2010 (damals noch mit 15 Mitarbeiter) erlebt das Unternehmen ein starkes Beschäftigungswachstum. Organisatorisch liegt der Schwerpunkt der Arbeit auf agilen Projektteams. Das Durchschnittsalter der Mitarbeiter liegt bei Mitte 30. Der Bildungsstand bzw.

der Akademikeranteil der Mitarbeiter ist hoch. Einen Betriebsrat besitzt das Unternehmen nicht. Der Unternehmensgründer und geschäftsführende Gesellschafter ist seit dem Ausscheiden seines Mit-Gründers im Jahr 2018 alleiniger Mehrheitsgesellschafter. Darüber hinaus hält ein Kreis von Führungskräften kleinere Anteile am Unternehmen. Eine grundlegende Veränderung der Eigentümerstruktur ist nicht geplant.

189 Eisenhardt, Building theories from case study research, Academy of Management Review 1989, 14, S. 532-550.

1.2 Historischer Hintergrund

Die MKB war seit Gründung des Unternehmens eine „Herzensangelegenheit“ für die beiden Gründer. Die Idee wurde allerdings über die Jahre immer wieder aufgeschoben. Die Gründe dafür lagen einerseits in der sehr dynamischen Unternehmensentwicklung, andererseits aber auch in der Furcht vor den mit der Einführung einer MKB verbundenen juristischen, steuerrechtlichen und administrativen Hürden und Schwierigkeiten.

Nach dem Ausscheiden seines Mit-Gründers 2018 erkannte der (verbliebene) geschäftsführende Gesellschafter vor allem die Notwendigkeit, sein Management und seine wichtigsten Fachkräfte im Unternehmen zu halten. Weiterhin ging es ihm um eine Stärkung des unternehmerischen Handelns auf allen Ebenen des Unternehmens. Der freigewordene Unternehmensanteil (50%) schuf dazu eine willkommene Verfügungsmasse. Noch im selben Jahr ergab sich ein Kontakt zur AGP und ihrem Geschäftsführer. Gemeinsam mit ihm und einem Projektteam aus dem Kreis der Mitarbeiter wurde ein MKB-Modell erarbeitet, das übereinstimmend als einfach, praktisch und „leichtgewichtig“ angesehen wird. Nach Zustimmung bzw. geringfügigen Änderungen durch den Rechtsanwalt und den Steuerberater von Oraylis wurde 2019 das Programm erstmals in die Tat umgesetzt.

1.3 Ausgestaltung des Programms

Das MKB-Modell von Oraylis beinhaltet zwei unterschiedliche Programme: Auf der einen Seite wurde den Führungskräften der ersten und zweiten Führungsebene eine direkte Beteiligung am Unternehmen (in flexiblem Umfang) angeboten. Auf der anderen Seite wurde eine stille Gesellschaft (als „einfaches und vielfach praktiziertes Rechtsinstitut“ – Zitat Angebotsprospekt) gegründet, an der sich alle Mitarbeiter beteiligen konnten.

Bei der stillen Beteiligung handelt es sich um nicht zweckgebundene Einlagen der Mitarbeiter im Vermögen des Unternehmens, verbunden mit dem Anspruch auf erfolgsabhängige Verzinsung und auf Rückzahlung des Nennwerts der Beteiligung. Die Mindesteinlage der Mitarbeiter ist EUR 640; es besteht eine Aufstockungsmöglichkeit in Schritten von EUR 100 bis zu maximal 5% des Bruttojahreseinkommens. Das Unternehmen bezuschusst jede Beteiligung mit EUR 360, die steuer- und sozialversicherungsfrei sind. Somit können die Steuerfreibeträge (Stand 2019) voll ausgeschöpft werden. Die Verzinsung der Beteiligung erfolgt über ein eigenes, relativ leicht nachvollziehbares Rechenmodell. Dabei wird auf der Grundlage der EBIT-Marge des Unternehmens, des Umsatzwachstums sowie Länge der Zugehörigkeit als stiller Gesellschafter ein Zinssatz berechnet (vgl. Beispiel im Angebotsprospekt). Dabei gibt es auch die Möglichkeit einer Verlustbeteiligung, d.h. ein negativer Zinssatz führt zu einer Reduzierung des Nennwerts der Beteiligung. Ein Insolvenzschutz für die Beteiligung besteht ebenfalls nicht.

Teilnahmeberechtigt sind bei der stillen Beteiligung alle Mitarbeiter ab einer Beschäftigungsdauer von mehr als einem Jahr, wobei die Teilnahme freiwillig ist. Die Abwicklung erfolgt einfach über direkte Banküberweisungen. Offizielles Ziel der stillen Beteiligung ist der Vermögensaufbau oder die Stärkung der Altersvorsorge der Mitarbeit.

Entsprechend besteht eine klar langfristige Ausrichtung des Programms, die in einer Mindest-Haltedauer der Beteiligung von drei Jahren und in einem weiterhin geplanten jährlichen Beteiligungsangebot zum Ausdruck kommt. Die Umsetzung der stillen Beteiligung wird durch eine transparente Informationspolitik begleitet, die auch offen kritische Aspekte (z.B.

Verlustmöglichkeiten) anspricht und auf die vollen Informationsrechte der Mitarbeiter

verweist. Als Grund, weshalb der Belegschaft keine direkte Beteiligung am Unternehmen angeboten wurde, wird von den Geschäftsführern auf die hohe Zeit- und Kostenintensität (z.B.

Notar, Handelsregister, Wertermittlung) eines solchen Programms verwiesen.

1.4 Ergebnisse / Effekte der MKB

Das MKB-Programm war bei seiner Erstauflage sehr erfolgreich: 76% der berechtigten Mitarbeiter nahmen das Angebot an. Der durchschnittliche Anlagebetrag lag mit ca. EUR 2.600 deutlich über dem Mindestbetrag. Insgesamt kam so ein Betrag von rund EUR 130.000 zusammen, obwohl – nach Auskunft der Geschäftsführer – das Unternehmen dieses Kapital zurzeit gar nicht benötigt. Die Rückmeldungen von Führungskräften und Mitarbeiter zum (neuen) Programm waren durchwegs positiv, kritische Stimmen waren bisher keine zu vernehmen.

Das Unternehmen zeichnet sich grundsätzlich (und über die MKB-Programme hinaus) durch eine offene Unternehmenskultur aus. Es besteht eine sehr familiäre Atmosphäre, bis zum Gesellschafter sprechen sich alle mit dem Vornamen an und duzen einander. Die Architektur besteht größtenteils aus offenen, hellen Projekträumen und Großraumbüros mit zahlreichen flexiblen Arbeitsplätzen. Weiterhin gibt es im Aufenthaltsbereich eine zentrale Säule, auf der alle Mitarbeiter mit Foto präsent sind. Die Geschäftsführer betonen die flache Hierarchie und verstehen sich in erster Linie als „Coaches“ ihrer Mitarbeiter. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Einrichtungen (z.B. Firmen-Zeitschrift), Veranstaltungen (z.B. Oraylis-Campus zur Weiterbildung) und Attraktionen (z.B. gemeinsames Kochen, Ausflüge), durch die die offene Unternehmenskultur auch kontinuierlich gelebt wird. Oraylis wurde so in der Vergangenheit bereits mehrfach als „Great place to work“ ausgezeichnet.

1.5 Wichtige Akteure

Eine Schlüsselrolle für die MKB bei Oraylis kommt zweifellos dem geschäftsführenden Gesellschafter zu, der einerseits die Idee schon seit Langem propagiert, fördert und verbreitet und andererseits, zumindest mit Blick auf das direkte Beteiligungsprogramm, auch über die notwendigen Mittel zur Umsetzung verfügt. Wichtig für den Erfolg der MKB ist auch seine charismatische Persönlichkeit, die in der Belegschaft ein hohes Maß an Vertrauen, gerade auch mit Blick auf die Beteiligung, erzeugt. Weiterhin wichtig ist das interne Projektteam, zusammengestellt aus an der Idee interessierten Führungskräften und Mitarbeiter, das die Ausarbeitung des MKB-Modells diskutiert und wesentlich mitgestaltet hat. Die Teammitglieder fungieren seither auch als wichtige Informationsquellen, Promotoren und Multiplikatoren für MKB im Unternehmen.

Auch die Geschäftsführer und die Führungskräfte waren für das Oraylis-Modell bedeutsam.

Einerseits waren sie im Rahmen des Programms mit der direkten Beteiligung gefordert, mit ihrer Kapitalbeteiligung eine Vorbildwirkung auszuüben und für die gesamte Belegschaft Vertrauen in das MKB-Modell zu signalisieren. Andererseits kommt ihnen eine wichtige Rolle als Informationsquelle für die Mitarbeiter zu. Schließlich betonen die Geschäftsführer auch die wichtige Rolle der Beratung und Unterstützung durch die AGP bei der Einführung des MKB-Modells.

1.6 Probleme / Herausforderungen

Ungeachtet der positiven Aspekte steht Oraylis mit Blick auf das MKB-Modell auch vor gewissen Problemen bzw. Herausforderungen. So ist die Änderung und Anpassung von MKB-Programmen im Mittelstand oftmals nicht einfach und mit diversem administrativ-bürokratischem Aufwand verbunden. Im vorliegenden Fall könnte das beispielsweise im Zusammenhang mit der Frage nach einer Ausweitung der individuellen Beteiligungsgrenze pro Mitarbeiter oder der Ausweitung der direkten Beteiligungen virulent werden.

Die Beteiligungsgrenze sowie die (für die meisten Mitarbeiter fehlende) direkte Beteiligungsmöglichkeit könnten in naher Zukunft durchaus auch kontroverse Diskussionen im Unternehmen nach sich ziehen. Bei letzterem Thema könnte auch der fehlende Betriebsrat eine Rolle spielen. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass die wirtschaftliche Situation von Oraylis momentan sehr positiv eingeschätzt werden kann – ob und in wie weit die aktuelle Beteiligungsquote auch in schwierigeren Zeiten aufrechterhalten werden kann, ist aus heutiger Sicht schwer abschätzbar. Schlussendlich sind auch die Folgen des gegenwärtig starken Unternehmenswachstums, beispielsweise für die familiäre Unternehmenskultur und mithin für das MKB-Modell, kritisch zu hinterfragen.

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