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Fachdidaktische Reflexionen der Jahre 2001 bis 2010

Im Dokument Antikerezeption im Internet (Seite 95-107)

Teil II: Forschungsüberblick

Kapitel 4: Forschungsüberblick

4.7. Fachdidaktische Reflexionen der Jahre 2001 bis 2010

Fachdidaktische Reflexionen über den Einsatz des Internet im Unterricht der Alten Sprachen sind etwa ab dem Jahr 1997 zu beobachten; sie wurden oben vorgestellt.107 Der nun folgende Überblick über die fachdidaktischen Arbeiten zum Thema 'Antike und Internet', die in der Zeit von 2001 bis 2010 veröffentlicht wurden, ist chronologisch angeordnet, damit die Entwicklung der Debatte leichter nachvollziehbar wird. Diese Entwicklung lässt sich für Publikationen aus Deutschland auf die folgende

101 Henning Dreyling: Eintrag Papyrussammlungen, DNP Bd. 15/2, 2002, Sp. 95-103, hier Sp. 99.

102 Dietrich Mannsperger: Eintrag Numismatik, DNP Bd. 15/1, 2001, Sp. 1101-1130.

103 Manfred Gerhard Schmidt: Eintrag Lateinische Inschriften, DNP Bd. 15/1, 2001, Sp. 47-64, hier Sp. 61.

104 Andreas Fritsch: Eintrag Berufsverbände, DNP Bd. 13, (Stuttgart 1999), Sp. 474-479, hier Sp. 479.

105 Ich vermute, dass auch die (mir nicht zugängliche) CD-ROM-Version des DNP eine solche Recherche ermög­

licht.

106 Oben Kap. 3, S. 67. Nr. 1 in der Auflistung der Merkmale des Internet.

107 Vgl. oben S. 77. Auch mein Buch (Bechthold-Hengelhaupt 2001; vgl. oben S. 88) bezieht sich auf die Fachdidaktik.

einfache Formel bringen: Während das Internet zu einem der wichtigsten Informationsmedien für Schüler wurde, ließ das Interesse an diesem Medium bei den Fachdidaktikern der Alten Sprachen ebenso kontinuierlich nach. Eine umfassende Publikation, in der die Debatte weitergeführt wird, er­

schien hingegen in Großbritannien.

An den Beginn seines Überblicksartikels „Antike und Internet – eine Einführung“ aus dem Jahr 2001108 stellt Ulrich Schmitzer eine Reflexion über den Widerspruch zwischen den hohen Erwartungen an das Internet und der tatsächlich beobachtbaren sehr geringen Kompetenz vieler Nutzer. Er leitet aus die­

sen Reflexionen eine Forderung ab:

„Angesichts solcher Erwartungen und solcher Defizite in der Realität wird das Internet auch zum pädago­

gischen und didaktischen Problem, ein Thema, mit dem sich Schule und auch Hochschule zu befassen hat.“ 109

Die Pflicht, das Thema Internet zur Kenntnis zu nehmen, bestehe auch deswegen, weil die Schüler, ob der Lehrer es will oder nicht, das Internet als Informationsquelle verwendeten.

Ulrich Schmitzer gibt sodann, ähnlich wie dies auch in anderen Texten dieser Jahre zu finden ist, eine Einführung in die Funktionsweise des Internet, wobei er am Beispiel des Autors Ovid beschreibt, wie der Nutzer im Internet Informationen findet. Gleichsam in diesen Text eingewoben sind Verweise auf antike Dichtungen, in denen das Netz oder das Gewebe zur sinntragenden Struktur wird, wenn etwa Helena (Homer Il. 3,121-128) ihren Peplos webt oder wenn Ovid das Netz der Arachne beschreibt (Ovid met. 6. 130).110 Der Autor erörtert hier auch, wie das Internet für die Planung und inhaltliche Vorbereitung einer schulischen Studienfahrt nach Rom genutzt werden kann. Damit kommt zum einen das Internet als logistisches Medium in den Blick; vor allem demonstriert der Autor hier jedoch, welch vielfältige Möglichkeiten das Internet schon im Jahr 2000 dem Lehrer oder der Lehrerin bereit­

stellte, wenn sie eine Studienfahrt nach Rom im Unterricht mit den Schülern vorbereiten wollte.

Im Jahr 2002 widmete die Zeitschrift Der Altsprachliche Unterricht den neuen Medien ein Doppelheft, in dem der Ton gegenüber dem Internet weitaus kritischer als in den im vorigen Abschnitt angezeig­

ten Monographien klingt. So beginnt ein Aufsatz mit dem symptomatischen und prägnanten Satz:

„Die Euphorie ist verflogen.“111 Der Autor beklagt technische Probleme, die es schwierig machten, Computer im Lateinunterricht einzusetzen. Andere Beiträgen, so z.B. der Eröffnungsaufsatz des Her­

ausgebers Helmut Schareika, kritisieren am Internet, dass dort oftmals falsche oder solche

108 Schmitzer 2001 b. Dieser Artikel war im Jahr 2000 im Internet auf den Seiten des Telemachos-Projekts veröf ­ fentlicht worden.

109 Schmitzer 2001 b, S. 29.

110 Ein anderer Ausschnitt dieser Textstelle ist als Eingangstext in Cristofori / Salvaterra / Schmitzer 2000, S. 11 zitiert.

111 Martin Biastoch: Über Nutzen und Nachteile des Internets im altsprachlichen Unterricht, in: AU 45 (3+4 .2002), S. 74-76, hier S. 74.

Informationen angeboten werden, die einen überholten Wissensstand widerspiegeln, dass Quellen­

angaben (bei Artikel über Realien) fehlen oder dass das Urheberrecht missachtet wird.112 Da das Buch als Leitmedium postuliert wird, erscheint das Internet als Quelle von Sprachlosigkeit:

„Wer seine Schüler den Umgang mit Texten – also eigentlich mit Büchern – lehren will, sollte bedenken, dass die zwangsläufig noch intensivere Nutzung von Loseblattmaterial den Lerngegenstand in Schülerau­

gen noch stärker aufsplittert und die Sprachlosigkeit weiter fördern kann.“113

In meinem Beitrag definiere ich den Begriff der Medienkompetenz mit Blick auf den Einsatz des Inter­

net im Lateinunterricht als Fähigkeit zum interessegeleiteten und reflektierten Umgang mit diesem Medium. Der Begriff der Medienkompetenz umfasst drei Komponenten: Schüler sollen in die Lage versetzt werden,

• "...Medien für subjektive Zwecke auszuwählen ;

• ihre einzelnen Angebote nach rationalen und sachlichen Kriterien zu beurteilen und

• diese auf der Basis ausreichenden technischen Wissens und technischer Kenntnisse adäquat und effizient zu verwenden.“114

Jede dieser Komponenten sollte in spezifischer Weise im Unterricht entfaltet werden; im Zentrum dieses Konzepts der Medienkompetenz steht die Schulung und Entwicklung einer besonderen, be­

reichsspezifischen Urteilskraft, eine Einschätzung, die ich heute wie vor neun Jahren vertrete.

Andere Beiträge in diesem Heft widmen sich konkreten Unterrichtsbeispielen, etwa der Erarbeitung einer Hypertexteinheit zu einem Pliniusbrief.115 Die konkreten Probleme, die für Schüler und Lehrer bei der Internetrecherche zu Tage treten, schildert Stephan Thies am Beispiel einer Unterrichtseinheit zum Thema 'Gracchen': Auch nach intensiver Suche ließen sich, so Stephan Thies, keine Internetsei­

ten finden, die sowohl Quellenangaben als auch Verweise auf Originaltexte aufweisen. Die wenigen Seiten, die korrekte Informationen und ein schülergerechtes Niveau verbinden, seien für Schüler nur schwer zu finden. Daraus zieht der Autor den Schluss, dass es vernünftiger sei, den Schülern relevan­

te Internetadressen vorzugeben, als sie selbst suchen zu lassen, wenn es zu einem gegebenen Thema nur Weniges, zudem Verstecktes im Internet zu finden gibt und wenn die Recherche nicht selbst das Ziel des Unterrichts ist.116

In mehreren Beiträgen erscheint das Internet als ein Element in multimedial angelegten Unterrichts­

einheiten. Die im Jahr 2000 gegründete, nur im Internet erscheinende Zeitschrift Pegasus-Online

112 Helmut Schareika: Neue Medien – neues Lernen – (schöne) neue Welt? In: AU 45 (3+4. 2002), S. 4-14, hier S.

10.

113 Ebd., S. 13

114 Bechthold-Hengelhaupt 2002, S. 44. Im Original sind die Sätze auf Spiegelstriche aufgeteilt.

115 Christa Palmié: Zu Plinius auf elektronischen Wegen. Der Einsatz von Hypertexten im Unterricht, in: AU 45 (3+4.2002), S. 16-25. Der mit den Schülern erarbeitete Text ist Plinius ep. 9,36.

116 Stephan Thies: Vom Unterricht ins Internet. Eine Recherche, in: AU 45 (3+4. 2002), S. 66-71.

greift solche Themen immer wieder auf, etwa in einem Artikel über ein Unterrichtsprojekt zur Figur des Herkules, das in einen preisgekrönten Wettbewerbsbeitrag mündete.117

Im Jahr 2004 erschienen in dieser Zeitschrift zwei Aufsätze, die neue Aspekte zum Thema hinzufüg­

ten; zum einen ein Aufsatz von Markus Janka, in dem dieser sein in zwei Arbeitsheften für den Latein­

unterricht entwickeltes Lektüremodell für Ovids Amores vorstellt, „...bei dem das textdominierte Me­

dium Schulbuch programmatisch für den intermedialen Dialog geöffnet wird...“118 Ineine solche Arbeit mit mehreren Medien wird auch das Internet einbezogen, und zwar so, dass die Schüler dort nach dem Fortleben antiker Figuren und Motive suchen, wobei die Internetadressen, mit denen diese Suche starten soll, vorgegeben werden. Im zweiten dieser Artikel stellt Walfried Schubert die Unter­

richtsform des Webquest anhand eines Beispiels (‚Der Kampf um Troja‘) vor.119 Bei einem Webquest werden den Schülern präzise Aufgaben gestellt, für deren Lösung sie Informationen im Internet suchen müssen. Dabei werden einige der Internetadressen von den Autoren, also den Instruktoren, vorgegeben, andere müssen die Schüler bei einer freien Recherche selbst finden. Auch die Form, in der die Lösung verfasst oder präsentiert werden soll, ist vorgegeben.

Hatten die Autoren eines AU-Heftes mit dem Thema „Übersetzen“ den Übersetzungen von lateini­

scher Literatur und auch von Lehrbuchtexten im Internet noch keine Beachtung geschenkt,120 so fin­

det man im folgenden Jahr dann doch einen Artikel, in dem Achim Beyer der Tatsache, dass die Schü ­ ler derartige Übersetzungen in unübersehbarer Zahl im Internet vorfinden, Rechnung trägt.121 An die­

sem Problem ist m.E. die Notwendigkeit, das Internet als Realität anzuerkennen, am leichtesten zu erkennen. Achim Beyer schlägt vor, der Lehrer oder die Lehrerin solle die Internet-Übersetzungen von

117 Rainer Glückert / Helmut Winter: Nunnulla Herculis facta, oder: Lässt sich Latein sinnvoll mit den neuen Medien kombinieren? Bericht über einen Versuch., in: Pegasus-Onlinezeitschrift 2 (1.2002). online am 6.9.2009:

< http://www.pegasus-onlinezeitschrift.de/alte_seite/agora.htm#glueckert >. Nur die "Beiträge / Erga" dieser Zeitschrift erhalten Seitenzahlen; kleinere Beiträge unter der Rubrik "Agora" hingegen nicht.

118 Markus Janka: Ovid lesen heute: Der Doctor Amoris im Multimediazeitalter, in: Pegasus-Onlinezeitschrift 4 (3.

2004), S. 8-31 (= Janka 2004 b), hier S. 9.

119 Walfried Schubert: WebQuest ‚Der Kampf um Troja‘ oder: ‚Alter Wein in neuen Schläuchen‘, in: Pegasus-Onlinezeitschrift 4 (2. 2004), S. 52-56. Diesen und andere Webquests findet man auf der von W. Schubert be­

treuten Website Prolatein (< http://www.prolatein.de >). Weitere Webquests für den Unterricht der Alten Sprache oder zur Geschichte der Antike werden in der folgenden Aufzählung genannt  Thema: Cicero; Autor:

Hanspeter Siegfried; URL: < http://si-gi.ch/a5/cicero/ >  Autoren: Daniel Gejic / Thomas Hilmer; Titel: Die brennende Bibliothek des antiken Alexandria. Eine internet- und quellenkritische Analyse für Schülerinnen und Schüler der gymnasialen Oberstufe im Fach Geschichte; URL:

< http://user.uni-frankfurt.de/~thilmer/webquest/wq_alex_schule/index.html >  Autoren: Carol Evers / Faith Harksen / Amy Welton; Thema bzw. Titel: Exploring The Secrets of Ancient Rome; URL:

< http://www.uni.edu/schneidj/webquests/fall04/rome/ >. Dieser Webquest entstand unter der Ägide von Jean Schneider (University of Northern Iowa); URL mit weiteren Webquests: < http://www.uni.edu/schneidj/ >.

Alle URLs in dieser Fn. 22.7.2011.

120 AU 46 (3. 2003)

121 Achim Beyer: Vernetztes Denken. Zum Umgang mit Übersetzungen von Lehrbuchtexten aus dem Internet, in:

AU 47 (1. 2004), S. 15-18.

Lehrbuchtexten im Unterricht einsetzen und von den Schülern korrigieren lassen. So ließen sich gram­

matische Probleme leicht erkennen und üben.

Nach dem Jahr 2004 fand in Deutschland nach meiner Beobachtung keine intensive fachdidaktische Debatte über das Internet als Medium für den Unterricht der Alten Sprachen mehr statt. Die Fachzeit­

schriften bieten vereinzelte Verweise auf das Thema,122 ohne dass man aber davon sprechen könnte, dass nach einem Konsens zu der Frage gesucht worden wäre, ob das Internet überhaupt für den Un­

terricht der Alten Sprachen eingesetzt werden sollte und wenn ja, in welcher Weise.Für problema­

tisch halte ich dieses Desinteresse der Fachdidaktiker an diesem Thema aus zwei Gründen: Zum einen müsste die Frage, wie die Schule und speziell der Unterricht der Alten Sprachen auf die schlechter­

dings nicht negierbare Existenz des Internet und auf seine ungeregelte, private Rezeption durch die Schülerinnen und Schüler reagieren soll, ja auch dann erörtert werden, wenn ein Fachdidaktiker dazu neigen sollte, die Internetrecherche aus dem Unterricht selbst herauszuhalten. Zum zweiten erhalten die Lehrerinnen und Lehrer der Alten Sprachen vom Gesetzgeber bzw. der Schulverwaltung den Auf­

trag, mit ihren Schülern die Arbeit mit den digitalen Medien einzuüben.123 Aufgabe der Fachdidaktik sollte es daher auch sein, ihren Adressaten, also den Lateinlehrerinnen und –lehrern, konkrete Hin­

weise darauf an die Hand zu geben, wie sie diesem Auftrag nachkommen können.

Eine sehr geringe Bedeutung misst Stefan Kipf den neuen Medien in seiner im Jahr 2006 erschienen Untersuchung über den altsprachlichen Unterricht in der Bundesrepublik Deutschland124 bei.

Einen Schwerpunkt legt er auf die Analyse der Unterrichtswerke. Die Entwicklung der Lateinbücher wird als Ausdruck der Geschichte des Unterrichts der Alten Sprachen und ihrer Didaktik verständlich;

zugleich ist hier eine – wenngleich nicht als solche angelegte – Mediengeschichte zu erkennen:

„Insbesondere seit Mitte der achtziger Jahre – das Lehrbuch Ostia dürfte hier den entscheidenden Impuls gegeben haben – hat sich das Lateinbuch zu einem in jeder Hinsicht aufwendig und attraktiv gestalteten Lernmedium entwickelt.“125

Der motivationsfördernden Intention komme vor allem die ansprechende grafische Gestaltung zugu­

te; zu fragen ist allerdings, ob hier nicht neben dem Einfluss der Unterrichtswerke der modernen Fremdsprachen auch derjenige der außerschulischen Medienwelt gewirkt hat.

122 Vgl. etwa Andreas Fritsch: Moderne gesprochene lateinische Texte im Internet. FC 48 (3/2005), S. 242-243.

123 Dieser Befund ergibt sich aus einer Synopse der aktuellen Lehrpläne, die in Kap. 9 vorgestellt wird. Diese Synopse listet in Tabellenform alle Stellen auf, an denen die Lehrpläne aller 16 Bundesländer für das Fach Latein auf das Thema ‚Internet‘ oder ‚neue Medien‘ eingehen; sie findet sich im Anhang (S. 326).

124 Stefan Kipf: Altsprachlicher Unterricht in der Bundesrepublik Deutschland. Historische Entwicklung, didakti­

sche Konzepte und methodische Grundfragen von der Nachkriegszeit bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, Bamberg 2006.

125 Kipf 2006, S. 296.

Ausweislich des Index wird der Computer als Unterrichtsmittel auf 455 Seiten zweimal erwähnt (S.

294 und 421); die bislang in diesem Forschungsüberblick besprochene Literatur erscheint im Litera­

turverzeichnis nicht. Das Internet kommt explizit überhaupt nicht vor, obwohl ausdrücklich die Zeit bis zum Jahr 2000 berücksichtigt wird. Eine Folge dieser Entscheidung, das Internet auszublenden, ist, dass der Autor nun auch die im Kontext der Geschichte des Lateinbuchs eigentlich virulente Frage nicht diskutieren kann, welche Auswirkungen es auf den Unterricht hat, wenn die Schüler die Lösun­

gen, also auch die Übersetzungen der Lektionstexte, im Internet finden können.

Damit ist eigentlich für den Kontext dieses Forschungsüberblicks das meiste schon gesagt.126

Im Jahr 2007 erschien ein Beitrag, den ich für eine Aufsatzsammlung mit dem Titel „Methodische Ele­

mente des Unterrichts“ verfasste127 und in dem ich einen Überblick über die Möglichkeiten des Computereinsatzes im Unterricht, v.a. dem der Alten Sprachen gebe, und das Thema der Medienkom­

petenz wieder aufgreife. Ich erstelle hier z.B. eine „Checkliste zur Bewertung von Internetseiten“.128

„Meeting the Challenge. International Perspectives on the Teaching of Latin” (2008)

Ein sehr optimistisches Bild von den Möglichkeiten, die das Internet dem LU bietet, wird von einer im Jahr 2008 in Großbritannien erschienen Aufsatzsammlung vermittelt.129 Obwohl der Band nicht mit ei­

ner mediendidaktischen Zielrichtung angelegt ist, geht fast die Hälfte der Beiträge auf die Arbeit mit den neuen Medien ein. Der erste Eindruck, dass nämlich die neuen Medien von den Autoren als not ­ wendiger Bestandteil des Unterrichts angesehen werden, bestätigt sich bei der Lektüre. Die zentralen Thesen der einschlägigen Beiträge möchte ich nun in Kürze referieren.

Will Griffiths stellt in seinem Aufsatz „Increasing access to Latin in schools“130 die schwierige Situation des LU in England und Wales vor. Sein Blick auf die Situation ist ein anderer als der von Julian Morgan, der oben vorgestellt wurde: Während dieser über die Lateinlehrer in den Schulen schreibt, in denen regulärer Unterricht stattfindet, betrachtet Will Griffiths die Situation in Schulen, in denen aus noch

126 Dies gilt auch für einen Aufsatz des gleichen Autors aus dem Jahr 2008, in dem ebenfalls ein Überblick über die Situation des altsprachlichen Unterrichts in Deutschland zu lesen ist. Auch hier werden die neuen Medien nur am Rande, das Internet überhaupt nicht erwähnt: Stefan Kipf: Schule im Umbruch – Perspektiven für den altsprachlichen Unterricht, in: Sabine Doff / Werner Hüllen / Friederike Klippel (Hgg.): Visions of Languages in Education. Visionen der Bildung durch Sprachen (Münchener Arbeiten zur Fremdsprachen-Forschung Bd. 22), Berlin etc. 2008, S. 181-193. Computerprogramme erscheinen als ein Element unter vielen anderen in einer Lis­

te von Neuerungen, die das Bild des altsprachlichen Unterrichts verändert haben, auf. 183.

127 Tilman Bechthold-Hengelhaupt: Kapitel 4.5.: Medien, in: Julia Drumm (Hg.): Methodische Elemente des Unterrichts. Sozialformen, Aktionsformen, Medien, Göttingen 2007, S. 170-186.

128 Bechthold-Hengelhaupt 2007, S. 179.

129 Bob Lister (Hg.): Meeting the Challenge. International Perspectives on the Teaching of Latin, Cambridge 2008.

Das Buch ging aus einer Konferenz über den LU hervor, die im Jahr 2005 in Cambridge (GB) stattfand. Rezension:

BMCRev 2009.08.07 (2009), online am 31.8.2009: < http://bmcr.brynmawr.edu/2009/2009-08-07.html >

(Andrea Balbo).

130 Will Griffiths: Increasing access to Latin in schools, in: Lister 2008, S. 71-90.

darzustellenden Gründen kein Unterricht in den Alten Sprachen erteilt wird. Der Titel des Aufsatzes deutet das Problem an, dass die Zahl der Lateinschüler in England seit Jahren sinkt, dass es also zu wenig Zugang zum Lateinunterricht gibt. Drei Krisen, so Griffiths, hätten das Fach in Gefahr gebracht:

Der Verzicht der Universitäten Cambridge und Oxford, von den Studenten Lateinkenntnisse als Zugangsvoraussetzungen zu verlangen (1960), die Einführung des Gesamtschulsystems in den 1960er und 1970er Jahren – Griffiths spricht von dem

„move towards non-selective education that threatened the ethos of selection in which classics had traditionally thrived“131

– und schließlich den Education Reform Act im Jahr 1988 mit der Einführung des 'National Curricu­

lum', das Latein nicht mehr aufführte. All dies habe zu folgendem Ergebnis geführt: „...approximately 5 percent of students in England have access to Latin.“132 Das Überleben des Faches sei aber durch ein ehrgeiziges Projekt der computergestützten Lehre gesichert worden: Das Cambridge School Classics Project (CSCL), Herausgeber des Lehrbuches Cambridge Latin Course (CLC), startete im Jahr 1999 das Online Latin Project (OLP), das es Schülern ermöglichte, von den Kursmaterialien geleitet selbständig zu lernen. Die Schüler schreiben sich hierfür in Kurse ein und die Schulen richten eine feste Stunde im Stundenplan ein, zu der sich die Lerngruppe trifft, um an den Materialien zu arbeiten und mit Betreu ­ ern über das Internet Kontakt zu halten. In diesen Unterrichtsstunden werden die Schüler von meis­

tens, aber nicht immer fachfremden Lehrkräften beaufsichtigt. Im Jahr 2000 stellte die Regierung Gel­

der für die Erhaltung des Faches Latein bereit, so dass die Entwicklung und Durchführung des Online-Kurses finanziert werden konnte.133 21 Schulen nahmen an einem Pilotprojekt teil, mit dem Erfolg, dass die teilnehmenden Schüler, die aus nachvollziehbaren Gründen in der Regel überdurchschnittlich motiviert waren, gute Ergebnisse in den entsprechenden Prüfungen (assessment tests) erzielten, of­

fenbar sogar leicht bessere als die Schüler, die an traditionellem Unterricht teilnahmen.134 Die Online-Kurse seien so flexibel programmiert und inhaltlich so reichhaltig, dass sie für Nutzer mit sehr unter ­ schiedlichen Ansprüchen verwendbar waren; man muss nämlich im Auge behalten, dass auch die Lehrer ohne Lateinkenntnisse durch die Materialien dazu instand gesetzt werden mussten, ihre Schü­

ler zu unterstützen. Es sei in der Folge der Effekt eingetreten, dass immer mehr Schulen auf die Unter­

stützung durch Online-Tutoren verzichteten und Lateinunterricht in eigener Regie anboten. Im Ver­

131 Griffiths 2008, S. 72.

132 Griffiths 2008, S. 73.

133 Der weiter oben in diesem Kapitel, S. 84, referierte Aufsatz von Julian Morgan (Morgan 2000), wurde zu genau dem Zeitpunkt geschrieben, als das auf diesen Seiten dargestellte Projekt seinen Anfang nahm. Morgan beschreibt also die Situation der Lateinlehrer, für die keine Notwendigkeit zu einem Engagement in der compu­

tergestützten Lehre bestand. Vgl. v.a. Morgan 2000, S. 105.

134 Die entsprechenden Daten finden sich bei Griffiths 2008, S. 79. Man erreicht den CLC über die Website des Cambridge School Classics Project: < http://www.cambridgescp.com/ >.

gleich zu der Situation in Deutschland ist dies ein erstaunliches Bild, das vielleicht auch eine Erklärung dafür liefert, wieso die Fachdidaktik sich hierzulande so wenig für das Internet und die neuen Medien allgemein interessiert: Man ist eben nicht auf die Unterstützung der Informationstechnologie ange­

wiesen, da die Zahlen der Lateinschüler in Deutschland in den letzten Jahren gestiegen sind, auch ohne dass besondere mediendidaktische Anstrengungen unternommen worden wären.

Einen anderen Online-Kurs beschreiben Irene Burch, Simone Hiltscher und Rudolf Wachter,135 und zwar den von mehreren Schweizer Universitäten entwickelten Kurs Latinum electronicum. Interessant ist, dass die Produzenten dieses Kurses mit ähnlichen Anforderungen ihrer Adressaten konfrontiert waren wie diejenigen des zuvor beschriebenen CLC, wenngleich sich dieser an Schüler, das Latinum electronicum hingegen an Studenten richtet: Die einzelnen Universitäten implementieren die Ange­

bote in sehr unterschiedlichem Umfang, so dass die Angebote sowohl auf einen Unterricht zuge­

schnitten sein müssen, der sich ganz auf den Computer stützt, als auch auf einen Unterricht, bei dem die Studenten nur einzelne Elemente herausgreifen.136 Eine solche hochgradige Modularität ist also offenbar eine Anforderung, der sich Online-Kurse generell stellen müssen. Ohne dass die Autoren dies eigens thematisieren, ist an vielen Stellen ihrer Ausführungen greifbar, dass die Struktur der Auf­

gaben und Übungen, die in dem Online-Kurs angeboten werden, in hohem Maße auf avancierteste Software und Technik aufbaut. Zwischen den Jahren, in denen die ersten in diesem Kapitel referierten Texte verfasst wurden, und dem Zeitpunkt, zu dem das Latinum electronicum eingesetzt wurde, erhöhte sich nicht nur die Übertragungsgeschwindigkeit des Internet, sondern es kam auch die Flash-Software in Gebrauch, die eine Animation nicht nur einzelner Elemente, sondern sämtlicher Erläute­

rungs- und Übungsseiten des Online-Kurses ermöglichte; so wird für die Erläuterung des Ablativus Absolutus ein mit bestimmten Farben codiertes Syntaxmodell sukzessive eingeblendet. Wichtig er­

scheint mir ferner, dass das Projekt durch kontinuierliche Evaluationen begleitet wurde.

Zwei Formen, das Internet in den traditionellen Unterricht der Oberstufe zu integrieren, beschreiben Steve Hunt (Großbritannien) 137 und Licia Landi (Italien).138 Ich möchte hier die Gemeinsamkeiten der beiden Aufsätze herausstellen, um deutlich zu machen, unter welchen Voraussetzungen Computer und Internet im Lateinunterricht optimal eingesetzt werden können, denn ich nehme die hier, im fachdidaktischen Teil dieses Forschungsberichtes, abschließend referierten Arbeiten als Berichte über

135 Irene Burch / Simone Hiltscher / Rudolf Wachter: Did you catch that word? Latinum electronicum: an interac­

tive online Latin course for university beginners, in: Lister 2008, S. 91-106. Die URL des Latinum Electronicum ist am 8.9.2011: < http://pages.unibas.ch/latinum-electronicum/ >.

136 Burch / Hiltscher / Wachter 2008, S. 93.

137 Steve Hunt: Information and communication technology and the teaching of Latin literature, in: Lister 2008, S. 107-120.

138 Licia Landi: Technology is culture: a new opportunity for teaching and learning Latin, in: Lister 2008, S. 121-134. Die Autorin unterhält eine eigene Homepage: < http://www.licialandi.com/ > (gesichtet 31.8.2009).

Im Dokument Antikerezeption im Internet (Seite 95-107)