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Accessing Antiquity

Im Dokument Antikerezeption im Internet (Seite 73-76)

Teil II: Forschungsüberblick

Kapitel 4: Forschungsüberblick

4.2. Erste Arbeiten bis 1999

4.2.1. Accessing Antiquity

Teil II: Forschungsüberblick

macht sie in mehrfacher Hinsicht interessant, denn das Internet besaß zu diesem Zeitpunkt bzw., um genau zu sein, zum Zeitpunkt der Abfassung der Beiträge, bereits eine weltweite Ausdehnung, aber das WWW und auch die Markup-Sprache HTML waren erst in einem frühen Entwicklungsstadium und jedenfalls den Autoren des Bandes noch nicht bekannt. Mit Blick auf diese medienhistorische Um­

bruchsituation erscheint es mir gerechtfertigt, diesen Band ausführlich darzustellen. Globale Netz­

werke spielen in dieser Aufsatzsammlung nur eine marginale Rolle; bei dem Begriff „computerization“

denken die Autoren in erster Linie an den Computer als Arbeitswerkzeug und an Datenbanken und Textsammlungen, die entweder auf einzelnen Rechnern gespeichert sind oder die über das Medium der CD-ROM zugänglich sind. Für die Geschichte der rechnergestützten Altertumswissenschaften bis zum Beginn der 1990er Jahre ist diese Aufsatzsammlung eine unverzichtbare Quelle; dieses Thema muss aber in diesem Forschungsüberblick ausgeblendet bleiben, in dem es nur um das Internet ge­

hen kann.

In diesem Band kommt das Internet infolgedessen in zwei ganz unterschiedlichen Kontexten vor: In einem deskriptiven wird es explizit genannt, und zwar als Medium, das einen Austausch von Dateien zwischen Forschern an verschiedenen Standorten erlaubt; im Kontext von prognostischen, ja sogar utopisch gefärbten Entwürfen hingegen spielen Computernetze und die Textsorte des Hypertexts, die in den Jahren nach der Veröffentlichung dieses Buches die programmiertechnische Basis des Internet darstellen werden, die Rolle von Katalysatoren für eine Erneuerung der classical studies, allerdings ohne dass das Internet in diesen Kontexten explizit genannt wird.

Der erste, deskriptive Kontext ist relativ klar und einfach. Explizit erwähnt wird das Internet nämlich nur einmal, und zwar in einer Reihe mit anderen Netzwerken (BITNET und Telnet), die mittlerweile obsolet sind.3 Die Archäologinnen Carolyn Koehler und Philippa Matheson stellen in ihrem Aufsatz das Projekt Amphoras vor, das sich der Katalogisierung von Transportamphoren4 widmet und das das Ziel verfolgt, ein genaues Bild der Verwendung und Verbreitung dieser Amphoren im Mittelmeerraum zu gewinnen, wobei für die Datierung der Amphoren das Ausgrabungsumfeld und die auf den Amphoren vor dem Brennen angebrachten Stempel dienen.5 Das Internet wird in dem hier referier­

(Markus Sehlmeyer); QS 21 (1995), S. 141-147 (William Musgrave Calder).

3 Carolyn G. Koehler / Philippa M.W. Matheson: AMPHORAS. Computer-Assisted Study of Ancient Wine Jars, in:

Solomon 1993, S. 88-107, hier S. 100.

4 Zu den Transportamphoren vgl. Roald Fritjof Docter: Eintrag Transportamphoren, DNP Bd. 12/1, Stuttgart 2002. Das hier besprochene Amphoras-Projekt bzw. die im Zusammenhang von diesem Projekt erstellte Datenbank wird in diesem Eintrag des DNP nicht erwähnt.

5 Koehler / Matheson in Solomon 1993, S. 89 f. Das Projekt ist auch im Jahr 2009 noch im Internet präsent (URL am 17.8.2009: < http://www.chass.utoronto.ca/amphoras/cgi-bin/well >). Die Seiten des AMPHORAS-Projekts wurden offenbar seit ca. 1993 nicht mehr verändert, aber die Eingangsseite des Projekts wird auch im August 2009 noch von der Website des Department of Classics der Universität von Toronto verlinkt:

< http://www.chass.utoronto.ca/classics/toclasource.php >.

ten Artikel als ein Teil der technischen Infrastruktur beschrieben, mit deren Hilfe Forscherinnen und Forscher die Dateien austauschen können, in denen die Daten zu den Amphoren katalogisiert wer­

den:

“Communication between sites in North America has been immensely facilitated by use of electronic mail, file transfer, and sharing of computer facilities through a number of networking programs (BITNET, Internet, Telnet, ftp) between Baltimore and Toronto and some other computer sites.”6

Interessanterweise wird im selben Absatz erwähnt, dass der Austausch der Daten mit den Ausgra­

bungsstätten in Griechenland noch so erfolgt, dass Disketten (floppy disks) über den analogen Post­

weg versandt werden.

In Hinblick auf seine technische Seite ist das Internet zu diesem Zeitpunkt der Forschungsgeschichte demnach zwar als computergestütztes Netzwerkmedium einzuordnen, unter der Kategorie Produzent / Rezipient aber gehört es eher in die Klasse der postalischen Medien, da es der Informationsüber ­ mittlung zwischen genau definierten Kommunikationspartnern dient.

In einem anderen Beitrag zu diesem Band erscheint ein Computernetzwerk in prognostischer Per­

spektive – ohne Nennung des Begriffs Internet – als immense Chance für die Altertumswissenschaf­

ten. Um 1992, also zu der Zeit, in der die Beiträge für den hier beschriebenen Band vermutlich ver­

fasst wurden, wurde das World Wide Web entworfen. Der Herausgeber, der Philologe Jon Solomon, kennt diese technische Entwicklung noch nicht, jedenfalls erwähnt er sie nicht explizit, aber er imagi­

niert in seiner Einführung eine völlig neue zukünftige Arbeitsweise der Philologen, bei der auch die Möglichkeit eine Rolle spielen soll, Forschungsergebnisse in Netzwerken zu publizieren. Er diagnosti­

ziert eine „Revolution“, welche die Altertumsforschung, ihre Arbeitsweise und ihre Publikationsmög­

lichkeiten umzugestalten im Begriff sei.7 Zum gegenwärtigen Zeitpunkt, so Jon Solomon, seien bereits so viele Datenbanken verfügbar, dass Material, welches vordem mühsam aus (herkömmlichen) Biblio­

theken zusammengesucht werden musste, in Sekundenschnelle auf den Bildschirm gerufen werden könne. Aus der Beschreibung der gegenwärtigen Möglichkeiten, welche die Informationstechnologie bereits bietet, entwickelt der Autor diese Prognose:

„Similarly, at some point in the near future (after appropriate copyright concepts have been established), a

‚publication’ will leave the scholar’s ‚desk’ and see national dissemination in a matter of seconds, not months (or years).“8

Im Rückblick fällt auf, wie zutreffend die Beschreibung der Möglichkeiten ist, die Solomon hier gibt, und in welch geringem Maße diese Möglichkeiten im Jahr 2012 genutzt werden. Die Revolution, die Solomon bei den classical studies beobachtet, spielte sich nur auf der Ebene der technischen Mög­

6 Koehler / Matheson in Solomon 1993, S 100.

7 Jon Solomon, Introduction, in: Solomon (Hg.) 1993, S. 2.

8 Jon Solomon, Introduction, in: Solomon (Hg.) 1993, S. 3.

lichkeiten ab, während sie die realen Gepflogenheiten der Publikationsformen, soweit die For­

schungsarbeit im engeren Sinne betroffen ist, nur marginal berührte: Nach wie vor veröffentlichen Philologen im Jahr 2012 ihre Arbeiten fast ausschließlich auf Papier. Neben anderen Gründen, v.a.

dem Misstrauen gegenüber der Flüchtigkeit des Mediums Internet, dürfte hier dasjenige Problem eine Rolle spielen, das Solomon in dem oben zitierten Satz nur in Parenthese bzw. in Klammern an­

führt, nämlich die Frage des Urheberrechts bzw. Copyrights, ein Problem, für das mitnichten zwischen 1993 und 2011 eine Lösung gefunden wurde. Zudem gehört es zu den Besonderheiten des wissen­

schaftlichen Publizierens, dass diese Texte in irgendeiner Weise peer-reviewed sind bzw. von der Re­

daktion eines entsprechend renommierten Verlags geprüft werden, so dass die Veröffentlichung in Sekundenschnelle niemals möglich sein wird.

Der Aufsatz, der sich mit den Möglichkeiten des Hypertext befasst, wird in Kapitel 7 referiert, wo es um das Medienformat des Hypertextkommentars geht.9

In den folgenden Jahren erschienen einige Artikel in Zeitschriften aus dem Umfeld der Klassischen Philologie, die die Leser in die Benutzung des Internet einführen sollten, indem sie dessen Funktions­

weise und die neuen Websites vorstellten. Dabei steht das Medium Gopher, ein Vorläufer des WWW, immer noch gleichberechtigt neben seinem Nachfolger.10 Gopher kennen bereits den Hyperlink, aber sie bestehen nur aus Verzeichnissen, die zu bestimmten Dateien führen, also aus einer reinen Menüstruktur. Erst mit der Markup-Sprache HTML konnten die Websites erstellt werden, die noch im Jahr 2012 das WWW bestimmen.

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