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Exkurs: Diskriminierung als jugendspezifisches Erfahrungs-

damit transparent gemacht.

Im Weiteren werden zwei zentrale Erkenntnisse verdeutlicht: Erstens, Kinder und Adoleszente mit Migrationshintergrund finden sich im Kontext einer Einwanderungsgesellschaft in einer alles andere als vorteilhaften sozial hergestellten Position als „ethnisch, kulturell und national anders geltende“

Migrationandere wider und sind konsequenterweise in höchst komplizierte Verhältnisse eingelassen: In Bezug auf subtil ablaufende Diskriminierung, soziale Exklusion und der nicht unüblichen Rückweisung ebenbürtige Gesellschaftsmitglieder zu sein, stoßen sie nicht selten in puncto Erfassen, Kommunizieren und Anklageerheben auf zahlreiche Herausforderungen.

Zweitens, während Minderjährige als Handlungsbefähigte jenen nicht ungewohnten, unschönen Ereignissen auf den Grund gehen, lassen sie beim Registrieren und Einordnen solch rassistischer Alltagsgegebenheiten jugendtypische Wahrnehmungsmuster erkennen und bringen in der Handhabung damit generationsmäßige Verarbeitungs- und Orientierungsweisen hervor.148

Herausfordernde Verhältnisse für zugewiesene Migrationsandere Scharathow (2014) macht in ihrer Untersuchung im Wesentlichen bewusst:

Unterschwellig vermittelter Alltagsrassismus und hierzu gleichlaufende Zurückweisungen, „Migrationsandere zu sein“ und aufgestellten sozialen Kriterien der Mitgliedschaft einer angeblich einheitlichen ethno-nationalen Gemeinschaft der „Deutschen“ nicht zu entsprechen, sind in der Lebenswelt

148Diese beiden Hauptpunkte werden nachfolgend allgemein und übergreifend anschaulich gemacht. Anschließend wird eine wichtige Folgerung betreffend der hier Untersuchten gezogen. Im späteren Verlauf wird sodann herausgearbeitet, dass sich die hier skizzierten jugendüblichen Phänomene in einem bestimmten Ausmaß in den Berarbeitungs- und Ausrichtungsweisen der Diskussionsteilnehmenden bemerkbar machen (vgl. Kapitel

„Konstruktionen schulischer Risikolagen für positionierte Ausländer“).

junger Migrantinnen und Migranten nichts Unbekanntes.149 In diesem Zusammenhang geht aus ihrer erkenntnisreichen Studie hervor, dass sich Diskriminierungsbetroffene im Nachgang oftmals mit Komplikationen konfrontiert sehen: Im Anschluss an alltagsrassistische Vorfälle realisieren sie, in ihrer selbstbestimmten Persönlichkeit und in ihren eigenen Handlungs- und Möglichkeitsräumen angegriffen zu werden. Gewöhnllich nehmen sie in Momenten dieser Art Verunsicherungen und Restriktionen im Hinblick darauf wahr, unangenehme und abträgliche Geschehnisse dieses Formats vollständig zu begreifen, diese dann in einem nächsten Schritt anderen Personen mitzuteilen und sie letztendlich gegenüber dem Akteur oder gegenüber unbeteiligten Dritten zu beanstanden.

Verhältnismäßig einfach zu entschlüsselnde Erfahrungen

In der Gesamtheit bestehen verhältnismäßig einfache zu entschlüsselnde Erfahrungen, die den Betroffenen beim Aufzeichnen relativ wenig Mühe bereiten, da das Diskriminierende in dem betreffenden Akt umgehend als solches identifiziert werden kann. Zu solch leichter zu durchschauenden Zwischenfällen zählen Begegnungen mit verbalem Rassismus, bei dem die verabsolutierende gruppenbezogene Abwertung unmissverständlich mündlich dargebracht wird. Laut Scharathow machen sich die Sicherheiten hinsichtlich des Erkennens dieser Diskriminierungsart an einer kollektiven Bezeichnungspraktik bemerkbar. Junge Menschen klassifizieren ebenjene eindeutigen Situationen in ihren eigenen Worten als „Diskriminierung“ oder gar als „Rassismus“. Andere vieldeutige und somit vielfach schwieriger fassbare Erscheinungsformen werden hingegen nicht so schnell als solches kategorisiert. Adoleszente greifen stattdessen auf ihre jugendspezifische Alltagssprache zurück, um die ungünstigen Auswirkungen jener Begebenheiten

149Zahlreiche Studien verdeutlichen, dass alltagsrassistische Erscheinungsformen und die damit einhergehende Rückweisung „Migrationsanderer zu sein“ im Lebensraum migrantischer junger Menschen nichts „Außergewöhnliches“ darstellen; siehe etwa Leiprecht 2001, Leiprecht/Lagerfieldt 2014; Mecheril 2005; Melter 2006; Salentin 2007 und Willems/Leiprecht 2009.

zu umschreiben (Scharathow 2014:202f).

Dieses Vorkommen von einigermaßen problemlos zu dechiffrierenden Diskriminierungsbeständen beruht auf den Umstand, dass Migrantenjugendlichen ein gefestigtes alltagstheoretisches Grundlagenwissen über Diskriminierung zur Verfügung steht, anhand dem sie sich derartige Situationen von Benachteiligung und Degradierung erklärbar machen und diese für sich dekodieren können. Für die Betreffenden erweist sich offenkundig ausgesprochener Rassismus als eine Erscheinung, die voll und ganz dem weitverbreiteten Diskriminierungsverständnis gleichkommt, wonach es sich um ein negativ beabsichtigtes und ungeschöntes Aussprechen von Herabwertungen gegenüber Individuen und sozialen Teilgruppen handelt.

Neben dem stützen sich junge Migrantinnen und Migranten auf Konzepte wie das der allgegenwärtigen „stereotypen Bilder“. Diese mentalen Vereinfachungen von komplexen Eigenschaften und Verhaltensweisen von Personengruppen verstehen sie als Ursache schlechthin für die im Alltag spürbaren gesellschaftlichen gruppenbezogenen Unausgewogenheiten, was die ungleiche Verteilung materieller und immaterieller Ressourcen und die daraus ergebenen unterschiedlichen Teilhabemöglichlichkeiten anbetrifft. Auf der Grundlage ihres erfahrungsbasierten Wissens über die besagten Stereotype und Vorurteile finden sie sich in diesem Kontext zurecht; sie orientieren sich an der Grundannahme, wodurch Diskriminierung einzig durch falsche Klischeevorstellungen, persönliche Voreingenommenheit und infolge emotional besetzter Pauschalisierungen und Abneigung entsteht. Der kritische Blick wird daher häufig auf Medien gerichtet, die als Quelle für die soziale Ausbreitung jener mächtigen Vorbehalte und Ressentiments ausgemacht werden. Der medialen Kommunikation sprechen Minderjährige und junge Erwachsene größtenteils eine beschleunigende katalysatorische Wirkung zu, mittels der ethnisierende, kulturalisierende und zum Beispiel islamophobe Vorurteile in den grundverschiedenen Gesellschaftsbereichen in Umlauf gebracht werden (Scharathow 2014:261f).

Darüber hinaus stellen Sachlagen von schonungslos formulierter gruppenspezifischer Herabwürdigung für die davon Betroffenen ein tendenziell geringes Risiko dar, in Bezug auf die Verständigung und die Äußerung von

Kritik. Die ziemlich niedrigen Hürden beim Austausch mit seinen Mitmenschen und mit sozialen Gruppierungen resultieren laut Scharathow (2014:356f) aus folgender Gegebenheit: In Abwägungsprozessen schlussfolgern junge Menschen, dass für die Dauer der Besprechung hierüber im sozialen Umfeld mit keinem oder lediglich geringem Widerstand zu rechnen ist, da sich jene unverhohlenen rassistischen Übergriffe mit den etablierten Grundvorstellungen von Diskriminierung decken und folglich keine anstrengenden Beweisführungen durchzuführen sind, angesichts der Tatsache, dass sich alle daran Beteiligten sowie Unbeteiligten im Klaren sind, es in diesem Fall mit Diskriminierung zu tun zu haben. Folglich gelangen die Diskriminierungsbetroffene zur Einschätzung, dass die Beschwerde darüber höchstwahrscheinlich von keinem angefechtet werden kann.

Die üblicherweise schwierigeren alltagsrassistischen Gegebenheiten

Überdies dokumentiert Scharathow (2014) in ihrer qualitativen Jugendbefragung, dass üblicherweise jene unzweideutigen und ohne Umstände erfassbaren Begegnisse im Diskriminierungs- und Ausgrenzungsbestand junger Migrant/innen um einiges seltener vorkommen;

dass ihnen dafür vornehmlich erheblich schwierigere alltagsrassistische Gegebenheiten entgegentreten. In dieser Hinsicht gelangt Scharathow (2014:407) zur maßgeblichen Feststellung: Für Minderjährige und junge Erwachsene aus Einwandererfamilien präsentiert sich „Rassismus häufig als nicht eindeutig zu bestimmendes, sondern als absurdes, undeutliches und häufig diffuses Phänomen“. Aus diesem Zustand heraus ergibt sich für Diskriminierungserfahrene vom Grundsatz her insofern ein großes Hindernis:

Jene geläufigen, mehrdeutigen und damit interpretationsbedürftigen Vorkommnisse lassen sich nicht unter Zuhilfenahme von gemeinschaftlich gefestigten Anschauungen, was generell unter diskriminierenden Hergängen und Inhalten zu verstehen ist, und nicht mittels zugehöriger Erklärungsmodelle (wie die der Vorurteile und Stereotype) zufriedenstellend aufhellen und

begründen.

Repertoire an komplexen Rassismuserfahrungen und an entsprechenden jugendtypischen Verarbeitungsweisen

In Rahmen ihres Forschungsprojekts hat Scharathow (2014) einen sehr wichtigen Beitrag hierzu geleistet, das Repertoire an jenen besagten komplexen Rassismuserfahrungen in seiner ganzen Breite abzubilden. Aufgezeichnet hat sie dabei, auf welche Weise heranwachsende Migrantinnen und Migranten jene diffizilen Diskriminierungserlebnisse mitbekommen und für sich beurteilen; wie ihre Erlebnis- und Gefühlswelt hierzu aussieht als auch welche generationsspezifischen Berarbeitungs- und Ausrichtungsweisen sie entwickeln, um belastende Begebenheiten dieser Art zu bewältigen, dem etwas „effektiv“

entgegenzusetzen und um die Kontrolle über die eigene Lage wieder zurückzuerlangen.

In der Gesamtschau lässt sich entnehmen, dass sich in der Lebenswelt von Migrantenjugendlichen Vorfälle manifestieren, bei denen Ausprägungen von Ungleichbehandlung und sozialem Ausschluss auftreten, welche die Geschädigten als unlogisch und demnach als unerklärbar, nahezu mysteriös empfinden. In diesem Kontext sind sie verunsichert, da sich der vorliegende Vorgang als vollständig unübersichtlich darstellt. Unter solch schwer nachvollziehbaren Erfahrungen von Alltagsrassismus fallen beispielsweise restriktive Vorgehensweisen bei Türstehern im Diskothekenbetrieb.

Interviewteilnehmenden in Scharathows Studie erschließt sich in diesem Zusammenhang nicht, warum aus ihrer Sicht eine allgemein bekannte hinderliche Praktik – die überhäufige Verhinderung des Zutritts migrantischer junger Männer – merkwürdigerweise ständig von Akteuren mit gleicher sozialer Stellung („ebenso ausländische Männer“) ausgeführt wird. Die Angelegenheit

erscheint ihnen daher höchst eigenartig, weshalb ausgerechnet

„Ausländermännern durch andere Ausländermänner“ der Einlass erschwert oder wiederholt verwehrt wird (Scharathow 2014:266-269).

Ungereimtheiten und Ungewissheiten solcher Art während der Ergründung von Benachteiligung sind im Endeffekt darauf zurückzuführen, dass das vorherrschende Verständnis von Diskriminierung150 und die daraus abgeleiteten Zusammenhangsvermutungen nicht ausreichend sind, um ebenjene Zwischenfälle zu durchblicken und für sich leichtverständlich zu machen (Scharathow 2014:280). Scharathow zeigt in ihrer qualitativen Studie auf, dass sich diskriminierungsbetroffene junge Menschen angesichts dieser Irritationen auf die Suche nach den „wahren Spielregeln von Diskriminierung“ machen, um die registrierten Umstimmigkeiten zwischen erlebter Wirklichkeit und den ungenügenden Erklärungsmodellen aufzuheben und um all das wieder miteinander in Einklang zu bringen. In diesem Fall produzieren sie ein neues Wissen, welches vorweg nicht verfügbar war. Hier ist die Rede von „entdeckten Regeln und Mechanismen, die nicht Teil des formalen Wissens, nicht transparent und offensichtlich sind; die aber für die erlebte Realität dennoch Gültigkeit besitzen und in der Lage sind, das Erfahrene zu erklären“

(Scharathow 2014:281). Hierbei knüpfen migrantische Minderjährige überwiegend an individualisierende Deutungsmuster und interpretieren dadurch diskriminierende Akte als etwas, das ausschließlich in Abhängigkeit zu einzelnen Handlungen und Absichten von Individuen steht und somit durch den Einzelfall bestimmt ist. Bei dieser Herangehensweise erstellen sie mitunter kontraproduktive Erklärungsmuster, wie vor allem das der „Täter-Opfer-Umkehr“. Denjenigen, die rassistische Ausgrenzung erfahren, wird eine Mitschuld aufgrund angeblich „falschem“ Auftreten attestiert, da sich ihres Erachtens für ebendiese sonderbaren Vorkommnisse keine anderen Gründe anführen lassen (Scharathow 2014:181).151

150Wonach darunter eine mündlich geäußerte Herabsetzung gegenüber Personen und sozialen Teilgruppen umfasst ist, bei der der Sprecher seine Ablehnung, seine Antipathie und seine schädlichen Intentionen und Beweggründe zum Ausdruck bringt.

151Weiterführendes hinsichtlich dieses jugendtypischen Deutungsmusters der „Täter-Opfer-Umkehr“: Melter 2006:311ff; Leiprecht 2001.

Des Weiteren durchleben junge Migrantinnen und Migranten des Öfteren Begebenheiten, in denen ihnen die Hintergründe für die Ungleichbehandlung und für die Geringachtung nicht klar dargelegt werden. In dieser Konstellation wird meist sogleich ein Rassismusverdacht festgestellt. Die auftauchende Beschwerlichkeit beim weiteren Reflektieren darüber offenbart sich für die Betroffenen, laut Scharathow (2014:325ff), wie folgt: Im Grunde genommen liegt eine Ahnung vor, just in dieser augenblicklichen Lage einem diskriminierenden Hergang preisgegeben zu sein. Aus der Situation heraus wird unterdessen ein Ausbleiben von standhaften und überzeugenden Begründungen hierfür bemerkt. Diejenigen können sich nicht des Eindrucks erwehren, dass keine

„wirkliche“ Rechtfertigung besteht, im vorliegenden Fall von Diskriminierung, Rassismus zu sprechen.

Auch in dieser Erfahrungskonstellation werden spezifische Aufarbeitungsweisen angewandt, um die empfundene Desorientierung handzuhaben und um den betreffenden widrigen Vorfall möglichst schnell in den Griff zu bekommen. Was das angeht, bedienen sich junge Menschen unter anderem der Strategie der Negierung oder der Relativierung; so dass sie den rassistischen Hintergrund der Angelegenheit entweder in Abrede stellen oder die Nachwirkung und die Tragweite dessen abschwächen. Zeitgleich erfolgt dann die Nachforschung nach den anderen „tatsächlichen“ Motiven, welche sich hinter der alltagsrassistischen Handlung verbergen könnten. Nicht selten werden hierdurch diskriminierende Abläufe ein Stück weit legitimiert, wie etwa unter Berufung darauf, dass „manches davon vielleicht nur als Spaß und damit nicht ernst gemeint sei“.

Neben all dem kommen Heranwachsende in ihrem Lebensumfeld mit schmerzhaften und teils einschneidenden Ereignissen in Berührung, welche weder gegenüber Mitanwesenden, die Teil des Geschehens sind, noch gegenüber außenstehenden Dritten bedenkenlos auszusprechen sind. Und falls dies doch möglich sein sollte, sind ebenjene Vorgänge nur unter erschwerten Bedingungen vermittelbar (vgl. Scharathow 2014:356-407). Unter diesen

Ausgangsbedingungen liegt im Normalfall ein „doppeltes Schweigen“ vor, da Diskriminierungsbetroffene Erlebnisse solcher Art in zweifacher Hinsicht für sich behalten: In der Auseinandersetzung mit sich selbst wird die aufgespürte Problematik verdrängt und ausgeblendet. Darüber hinaus werden die dazugehörigen Vorkommnisse in den Interaktionen mit Gleichaltrigen, Erwachsenen oder sozialen Gruppen nicht thematisiert und sie werden folglich ein zweites Mal unter Verschluss gehalten; so dass notwendige Suchbewegungen zwecks Klarstellung ausbleiben. In Anbetracht dieser Umstände sind die Betreffenden nicht in der Lage, gemeinsam mit Peers und anderweitigen Nahestehenden die undurchsichtige Angelegenheit zu eruieren (vgl. Scharathow 2014:356). Scharathow zufolge handelt es sich in diesem Kontext um eine „unausgesprochene Erfahrung mit etwas Unausgesprochenen“ (ebd:358).

Das Phänomen, Diskriminierung als verborgenes und ungesehenes Erlebnis, wird auch in anderen rassismuskritischen Untersuchungen problematisiert.

Essed (1991), Terkessidis (2004) und Melter (2006) erfassen hierzu, dass nicht wenige ihrer Interviewteilnehmenden bei der direkten Erfragung von Rassismuserlebnissen ein entsprechendes Handling demonstrieren: Ebendiese besonderen diffusen und kaum kommunizierbaren Zwischenfälle von Alltagsrassismus und sozialer Exklusion werden in der anfänglichen Befragungsphase vehement verneint. Erst im Laufe eines späteren Prozesses des Sichöffnens werden jene zuvor nicht zugänglich gemachten Geschehnisse mit anderen geteilt.

Im Ganzen gesehen wird deutlich, dass sich insbesondere in dieser Erfahrungskonstellation Komplikationen auftun: Aufgrund derlei Herausforderungen beim Austausch darüber werden häufig unvorteilhafte Strategien wie zum Beispiel die des „Verkennens von Rassismus“ erstellt, bei der junge Menschen während der mündlichen Aufarbeitung den Erzählrahmen entweder verändern oder ihn gar verlassen. Aber auch Taktiken der verdeckten Artikulation werden herangezogen; so verwenden Diskriminierungsgeschädigte neben anderem die Methode der „Dethematisierung“ als auch bestimmte Sprechtechniken der Distanzierung, wie etwa das risikoarme Sprechen (Scharathow 2014:373ff).

Darüber hinaus sammeln migrantische Adoleszente „unsichtbare“

Rassismuserfahrungen, deren damit in Zusammenhang stehende Sachverhalte aus der soziologischen Perspektive de facto Formen struktureller aber auch institutioneller Diskriminierung darstellen (ebd: 407-412). Ausprägungen dieses Formats, beispielsweise die Etablierung nationaler Ein- und Ausreisebestimmungen, welche auf der Grundlage von Diskriminierungsressourcen wie Staatsangehörigkeit und Nationalstaatlichkeit wirksam werden, erachten Heranwachsende durchaus für lästig oder sogar für äußerst fragwürdig. In Bezug auf dieses genannte Beispiel registrieren sie zwar die Herausbildung von Ungleichheiten in der Teilhabe infolge von ungünstigen Reisepassbestimmungen. Aber im Ergebnis durchsteigen sie nicht die hochgradig ineinandergreifenden wechselseitigen Dimensionen von Diskriminierung, die anhand solch nationalstaatlicher Zugangsbeschränkungen Gestalt annehmen und demnach ordnen sie die zugehörigen Erscheinungen und Folgen nicht als ein Diskriminierungsphänomen ein.

Scharathow zufolge ist aus dieser jugendüblichen Art der Aufarbeitung solcher Begebenheiten augenscheinlich ersichtlich: Die Bedeutsamkeit und das Ausmaß von Ungleichbehandlungsformen wie diese sind im Bewusstsein von Kindern und Adoleszenten kaum präsent. Dieses grundsätzliche Nichterfassen von Benachteiligung, welche in den grundverschiedenen Strukturen, Institutionen und Teilbereichen der Gesellschaft zur Entfaltung kommt, sieht Scharathow (2014:365/409) darauf zurückgeführt: Letztendlich sind es Formen und Wirkungsweisen von Diskriminierung, die sich sehr stark von der dominierenden Grundannahme zu diesem Punkt abheben.152 Infolgedessen sind im Normalfall die vielschichtig verflochtenen und aufeinander bezogenen Ungleichheitsverhältnisse struktureller und institutioneller Art für junge Diskriminierungserfahrene nicht eingängig; sie werden aufgrund dessen nicht ins Bewusstsein aufgenommen. So kommt es, dass Minderjährige und junge Erwachsene soziale, politische und ökonomische Missstände, ihre Auslöser, die Gesamtzusammenhänge als auch die direkten und indirekten Verwicklungen überwiegend als selbstverständlichen, unumstößlichen und manchmal sogar als

152Wonach Diskriminierung in der Hauptsache „böswillig“ intendiertes Aussprechen von ganz klar rassistischen Inhalten, also von gruppenbezogener Herabwertung beinhaltet.

„legitimen“ Bestandteil der eigenen Lebenswelt auffassen. Laut Scharathow (2014:408) tritt in all jenen „unsichtbaren“ Diskriminierungserlebnissen in höchstem Maß hervor, dass Adoleszente als Gemeinschaftsmitglieder in machtvolle gesellschaftliche Gefüge und Diskurse involviert sind. In Anbetracht dieser Ausgangslage tun sie sich schwer, „einen Zusammenhang zwischen sozialen Praktiken, rechtlichen Regelungen, institutionalisierten Abläufen und diskriminierenden Benachteiligungen zu sehen“.

Migrantische Gemeinschaften als Sozialisationsräume, ohne ausgeprägte antirassistische Strukturen

Bezogen auf diese generationsspezifischen Ausrichtungs- und Bearbeitungsweisen im Umgang mit alltagsrassistischen Zwischenfällen lassen sich, neben dieser hier zusammengefassten Studie von Scharathow, auch aus Terkessidis qualitativer Erhebung (2004)153 wichtige Erkenntnisse ableiten. Aus seiner Befragung ist gleichfalls entnehmbar, dass sich für Jugendliche aus Einwandererfamilien kontinuierlich Beeinträchtigungen ergeben, was den Austausch über ebenjene alltagsüblichen verdeckten Formen von Benachteiligung und Rückweisung der sozialen Zugehörigkeit anbetrifft.

Als mitverantwortlich hierfür sieht Terkessidis bestimmte im sozialen Umfeld wirkende Rahmenbedingungen, in die Diskriminierungserfahrene ohne weiteres Zutun eingebunden sind: In der Mehrzahl der Fälle seien junge Menschen mit Migrationshintergrund, neben den unterschiedlichen pluriformen Lebensbereichen, in migrantische Gemeinschaften sozialisiert, in welchen sich über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten keine Strukturen der systematischen und konstruktiven Kommunikation über Rassismus herausgebildet haben. Terkessidis (2004:203f) stuft die Entstehung von solch ausschlaggebenden Austauschbarrieren als eine soziale Erscheinung ein, welche in einem größeren Kontext, genauer genommen in gesellschaftlich-historischen Zusammenhängen steht. Zu diesem Punkt veranschaulicht er,

153Auf diese bekannte Studie ist bereits im theoretischen Teil in Kapitel „Erfahrungs- und Wissensbestände zu Rassismus“ eingegangen worden.

dass sich in migrantischen Communities in Deutschland, im Gegensatz zum angloamerikanischen Raum, lange Zeit wenig antirassistische Arbeit und entsprechende Vernetzungen beobachten ließen. Stattdessen seien die Aktivitäten, die Netzwerke und die Maßnahmen in ihrer Programmatik jahrzehntelang hauptsächlich interkulturell und nicht selten auf eine idealisierende Weise „heimatbezogen“ aufgestellt gewesen. Seines Erachtens stehen hierdurch junge diskriminierungsbetroffene Migrantinnen und Migranten vor der nicht unerheblichen Herausforderung, dass für sie aufgrund dieses strukturellen Entwicklungsdefizits auf der Verständigungsebene nach wie vor kaum antirassistische Beschaffenheiten, relevantes Hintergrundwissen und zugehöriges Know-How bereit stehen.

Alles in allem, so schlussfolgert Terkessidis, sei es nicht verwunderlich, wenn ihnen infolgedessen im Alltag die Orientierung hinsichtlich dieser schwierigen Materie alles andere als leicht fällt: Durch ebendiese mangelhaft ausgebildeten Kommunikationsverhältnisse erfolgt in zu geringem Maß ein zielgerichteter Dialog über Rassismus und seine höchst komplexen Ausprägungen, Ursachen, Mechanismen sowie Nachwirkungen. In der Konsequenz liegt bei Migrantenjugendlichen normalerweise ein „dünngesätes“ generell-abstraktes Wissen über betreffende Sachlagen vor. Jener Kenntnisstand, welcher für die Aufnahme und für das Begreifen der zahlreichen zusammenhängenden Facetten von Diskriminierung unentbehrlich ist, ist in der Regel lediglich eingeschränkt vorhanden. Unweigerlich müssen, Terkessidis zufolge, Adoleszente aus Einwandererfamilien beim Aufarbeiten dieser nachteiligen, verletzenden und ausgrenzenden Alltagsgeschehnisse häufig mit begrenzten Wissensressourcen zurechtkommen (Terkessidis 2004: 207f).

Zentrale Folgerung hinsichtlich der hier untersuchten Jugendlichen Unter Berücksichtigung dieses zusammengetragenen Grundlagenwissen ist mit Blick auf die hier untersuchten Jugendlichen und ihre dargelegten Gedankengänge rundum die Zusammenhänge „die Schulposition von Ausländer-Geltenden, einhergehende Ungleichbehandlungen und die Infragestellung von Zugehörigkeit“, eine zentrale Folgerung zu ziehen.

In Anlehnung an den Exkurs und die präsentierten Forschungsergebnisse zu

„Diskriminierung als jugendspezifischer Erfahrungsbestand“ ist davon auszugehen: Die in dem vorliegenden Dissertationsprojekt befragten Heranwachsenden finden sich in ähnlichen kommunikativen Ausgangsbedingungen vor. Aller Voraussicht nach erweist sich für die Interviewbeteiligten der Meinungsaustausch über die Hauptursachen und die dahinter stehenden Verfahrensweisen und Abläufe in puncto Benachteiligungen in der Schulwelt in gleichem Maß als teilweise vertrackte, umständliche Angelegenheit. Bei der Rekonstruktion ihrer Schulerfahrungen und ihrem dazugehörigen Wissen ist zu bedenken, dass Grundthemen dieser Art nicht zu den regulären schulischen Kommunikationsinhalten unter Gleichaltrigen zählen.

Ein weiterer erschwerender Umstand kommt hinzu: Aus dem Datenmaterial ist unverkennbar, dass die Untersuchten dieser Studie in den jeweiligen Gruppenbesprechungen fast ausschließlich ebenjene mehrdeutigen, unübersichtlichen schulischen Gegebenheiten von Diskriminierung und Nichtzugehörigkeit (vgl. Scharathow 2014:407) interpretieren, für deren Existenz sich streng genommen keine objektiven Beweismittel einbringen lassen.154

Vor dem Hintergrund dieser empirisch nachgewiesenen Unsicherheiten bei migrantischen Heranwachsenden, geläufig vorkommende „banale“

Diskriminierung aufzunehmen, genauer zu bestimmen und sie anschließend gemeinsam mit Peers auszudiskutieren, ist von vornherein zu beachten: Auch für die in den jeweiligen Diskussionsrunden Berichtenden können sich in mehrfacher Hinsicht Hemmnisse ergeben. Entsprechende Erlebnisse mit Benachteiligung und Exklusion aus einer ethno-national-kulturell definierten Schulgemeinschaft müssen zunächst einmal für sich selbst dekodiert werden.

Und hierbei ist ein nicht zu unterschätzender Aufwand zu betreiben, sodann auf der Grundlage persönlicher Beobachtungen, vermittelter Erfahrungsberichte von Gleichaltrigen und Familienangehörigen und allgemein verbreiteter

154Einzige Ausnahme stellt der Meinungsaustausch der Gruppe 4 dar. In dieser Begegnung problematisieren die Beteiligten schwerpunktmäßig offenkundige rassistische Artikulation.

Näheres hierzu, siehe Kapitel: „Die verbalen Attacken gegenüber den Türken und Arabern – eine besondere Form rassistischer Artikulation“.

Schülerwissensbestände eigenständige Interpretationen zu Vorgängen und Wirkungsweisen im Unterricht anzufertigen. Während des Gedankenaustausches sind dann in einem weiteren Schritt Anstrengungen zu unternehmen, diese gewonnenen Erkenntnisse gegenüber den anderen Teilnehmenden wiederzugeben und näherzubringen. Überdies besteht die Schwierigkeit, in einem derlei öffentlichen Raum unter Peers gewisse schulische Zustände als gravierend und schmerzhaft zu deklarieren. Die Komplexität einer solchen kommunikativen Situation für junge Menschen ist nicht zu verkennen. Durchaus möglich ist es, dass die Befragten Gegebenheiten von Ungleichbehandlung und von Verweigerung sozialer Angehörigkeit auffinden, die auch sie als äußerst „komisch, befremdlich“, eventuell als verstörend oder gar „unlogisch“ beurteilen (vgl. Scharathow 2014:280). Ebenso ist nicht ausgeschlossen, dass es unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern Personen gibt, die im Hinblick auf bestimmte Handlungsabläufe umgehend jenen besagten Rassismusverdacht aufspüren (vgl. ebd:325ff) und demgemäß die Misslichkeit aufdecken, dass sich spezielle Zwischenfälle und Hergänge lediglich spärlich bisweilen überhaupt nicht präzisieren lassen und dass hierfür kein Nachweis erbracht werden kann.

Angesichts ebendieser möglichen vielzähligen Hindernisse, welche bei der Registrierung und beim Ergründen alltagsrassistischer Schulerfahrungen entstehen können, ist Folgendes in Erwägung zu ziehen: Unter den Studienteilnehmenden könnten in der persönlichen Auseinandersetzung unter Umständen bedenkliche Punkte ausfindig gemacht worden sein und zwar in Bezug auf das vielschichtige Schulumfeld, die darin mannigfaltigen wirkungsvollen Begegnungsarrangements und auf die von Macht- und Hierarchiestrukturen sowie von Abhängigkeitsverhältnissen durchdrungenen Sozialisations- und Lernbedingungen. Denkbar wäre, dass der ein oder andere partizipierende Jugendliche in Abwägungsprozessen bemerkt, dass sich der Dialog über spezifische Aspekte und Hintergründe hinsichtlich der allgemeinen Schulverhältnisse aufgrund besonderer Faktoren nicht ohne weiteres bewerkstelligen lässt und dass das Aussprechen ebendieser Sachverhalte und zugehöriger Inhalte als etwas hochgradig Risikobehaftetes einzustufen ist.