• Keine Ergebnisse gefunden

Bei der ausgiebigen Beschäftigung mit dem Forschungsstand tritt zutage, dass in den verschiedenen Disziplinen und Teildisziplinen der Bildungssoziologie und Erziehungswissenschaften ein breites und profundes Grundlagenwissen hergestellt wird, insbesondere zur Schul- und Bildungssituation von Heran-wachsenden mit Migrationsbezügen.

Erklärungsansätze für herkunftsbedingte Bildungsbenachteiligungen

In der deutschen Forschungslandschaft ist die tendenzielle schulische Schlechterstellung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund ein bekanntes Streitthema. Dementsprechend ist die wissenschaftliche Aufklä-rungsarbeit über herkunftsbedingte Bildungsbenachteiligungen und zugehörige Hürden unablässig intensiviert worden. Im Zuge dessen sind die verschiedenen zu beobachtenden Phänomene solcher Beeinträchtigungen konzeptionalisiert worden. In der Konsequenz liegt nun eine Expertise vor, inbegriffen eine Vielzahl an theoretisch und empirisch gestützten Erklärungsmustern, die fundiert belegen wie die Unausgewogenheit in den Bildungschancen von Minderjährigen unterschiedlicher Herkunftsgruppen entsteht und wie sie sich fortsetzt; was die hierfür zugrunde liegenden Prozesse und Mechanismen sind;

welche Art von Folgeerscheinungen sich manifestieren; und wie letztlich das konkrete Ausmaß von Ungleichheiten ausgestaltet ist.

Bildungsbeteiligung und Leistung sowie die Migrationseffekte auf den Schulerfolg

In der migrationsbezogenen Bildungssoziologie sind zum einen die quantitativ-empirischen Arbeitsbereiche zu nennen, die ihren eigenen Beitrag leisten, das schulische Abschneiden migrantischer Schülerinnen und Schüler zu bemessen (vgl. 2.1). Basierend auf verschiedenartigen methodischen Zugängen und umfangreichen Datenerhebungen werden auf diesen Gebieten seit einiger Zeit Kenntnisse darüber gewonnen, wie diese eigentlich uneinheitliche Kinder- und Jugendgruppe im deutschen Bildungssystem positioniert ist. Derartige Ausführungen sind nicht nur auf Schulen beschränkt, sondern schließen auch den vorschulischen Bereich, die berufliche Bildung als auch die Hochschulen mit ein. Auf diese Weise werden ausführliche Einblicke gewährt, wie es im Allgemeinen um die Bildungsbeteiligung als auch um die Bildungsleistung steht (vgl. Diehl et al. 2016).

Hinsichtlich der Bildungsbeteiligung können gegenwärtig gutfundierte Aussagen darüber getroffen werden, wie in Bezug auf diese Heranwachsendengruppe die proportionale Verteilung auf die einzelnen

Schulformen ausgestaltet ist, wie unter anderem die Zuteilung entlang diverser Herkunftsgruppen ausfällt; und wie das Schulbesuchsmuster in den unterschiedlichen Bundesländern und Regionen ausgeprägt ist. Ebenso liegen Befunde dazu vor, wie die prozentuale Zuteilung von Bildungsabschlüssen und -zertifikaten aussieht, wie insgesamt Migrantenschüler/innen in den einzelnen Bildungsübergängen abschneiden und welche Schullaufbahnempfehlungen sie erteilt bekommen. Mittels solider Datensätze werden somit wichtige Bildungsindikatoren ausgemacht. Und anhand kritischer Begutachtungen werden auffällige Tendenzen im Bildungs-verlauf, vor allem in Bezug auf bestimmte Kohorten bemessen und deskriptiv beschrieben. Ferner werden Analysen zu Migrant/innen und der Inanspruch-nahme und dem Nichtbesuch vorschulischer Einrichtungen angefertigt; dies schließt Auswertungen zur relativ hohen Repräsentation an Sonder- und Förderschulen und zur Rückweisung in die Vorschule mit ein.97

Gleichermaßen beschäftigen sich diese empirischen Datenerhebungen mit der Grundthematik Bildungsleistung. Bewertungen zum Ausbau von relevanten Schulkompetenzen bei jungen Migrant/innen, vor allem zu deren sprachlichen Befähigungen werden durchgeführt (z. B. Dollmann 2010:55). Die Arbeit dieser Forschungsfelder zeichnet sich dadurch aus, dass im Wesentlichen bestimmte Einflüsse ausgemacht werden, die sich entweder direkt oder indirekt auf den Kompetenzerwerb, die Leistungsentwicklung als auch längerfristig auf die Bildungsbeteiligung auswirken. Sichtbar gemacht wird diesbezüglich, dass soziale und familiale Zusammenhänge als auch gruppenspezifische und institutionelle Kontexte positive sowie nachteilige Konsequenzen für den Schulerfolg nach sich ziehen (Diehl et al. 2016a:15). Quantitative Studien legen großen Wert, darauf aufzuzeigen, dass soziokulturelle Merkmale und Gegeben-heiten bei den Minderjährigen und ihren Familien den Bildungswerdegang nicht unerheblich beeinflussen. Was die Heranbildung schulischer Fähigkeiten anbetrifft, so ist schwerpunktmäßig die Bedeutung des kulturellen Kapitals der Eltern und die der Familiensprache sowie die Relevanz von Kenntnissen der deutschen Schulsprache klargestellt worden (Esser 2006:403/2006b; Paetsch et al. 2015).

97 Exemplarisch für solch präzise ausgearbeiteten Datensätze ist die von Blossfeld et al. 2011 herausgebrachte Studie: National Educational Panel Study (NEPS).

Was das Hauptthema „Herkunftsabhängigkeit des Bildungserfolgs“ anbelangt, wird in den entsprechenden Untersuchungen in erster Linie bewusstgemacht:

Bei Kindern und Jugendlichen aus Einwandererfamilien treten neben primären und sekundären Effekten der sozialen Herkunft, auch zuwanderungsbedingte Nachwirkungen auf. In diesem Zusammenhang wird sorgfältig belegt, dass migrationsspezifische Eingangsbedingungen und Folgeerscheinungen durch-aus bestehen, wie etwa zeitlich vorgelagerte und parallel ablaufende Voraussetzungen; und dass daraus negative aber auch vorteilhafte Effekte eines Zuwanderungshintergrunds resultieren – welche schlussendlich für den schulischen Entwicklungsstand als auch für die Bildungsentscheidungen ausschlaggebend sind. Im Kontext von Bildungsvorhaben sind insbesondere die Bildungsaspirationen migrantischer Eltern, als sekundäre Effekte und als wichtige Einflussfaktoren für den Bildungsaufstieg konzeptionalisiert worden. In diesem Forschungskontext ist das Phänomen des überdurchschnittlichen Bildungsoptimismus aufgedeckt worden, welches sich teilweise bei Migrantenelterngruppen bemerkbar macht (z. B. Becker 2010; Ditton et al.

2005).

Im Rahmen solch quantitativer Forschungsschwerpunkte wird nicht nur die Signifikanz eines Migrationshintergrundes, sondern ebenfalls die Problematik der „doppelten Benachteiligung“ thematisiert. Hierüber wird aufgeklärt, dass bei migrantischen Gruppen in Deutschland tendenziell eine soziale Unterschichtung erkennbar ist; und dass infolgedessen die Bildungsergebnisse von Migranten-kindern nicht selten von einer Überlagerung schichtspezifischer und zuwande-rungsbezogener Herkunft geprägt sind (Diehl et al. 2016a:25f).

Überdies widmen sich die dazugehörigen Projekten den Gesamtzusammen-hängen von Schulkarrieren und familialen Faktoren; so dass vor allem die Bildungstransmission, die in den Familien stattfindende Weitergabe inter-generationaler Bildung tiefgehend ergründet worden ist (vgl. Nauck/Lotter 2016). In Bezug auf soziale Grundbedingungen ist auch das Gewicht sozial-nahräumlicher Gegebenheiten bei Migrantinnen und Migranten eruiert worden.

Diesbezüglich sind insbesondere die nachbarschaftlichen Effekte auf die Bildungsbeteiligung und Leistung konkretisiert worden (s. etwa Horr 2016).

Demzufolge stehen nun entsprechende Kenntnisse zur Verfügung, demgemäß

der sozioökonomische Status einer Wohngegend, das Vorhandensein spezi-fischer Infrastrukturen oder aber auch die geographische Lage an sich Einfluss auf die Bildungsresultate ausüben. Auch die Relevanz anderer Sachlagen ist aufgedeckt worden, wonach ein überproportional hoher Migrantenanteil in bestimmten Stadtvierteln und die damit einhergehende Segregation in Kinder-gärten und Schulen zum Leistungsabbau führen (Kristen 2008; Becker 2010a).

Zusätzlich zu diesen verschiedenen sozialen Faktoren sind in quantitativen Studien wie diesen nicht zuletzt auch die Nachwirkungen von institutionellen Rahmenbedingungen auf die Bildungskarriere identifiziert worden. Die im Bildungswesen, einschließlich in den Schulstrukturen eingelassenen ungünst-igen Grundvoraussetzungen werden einsichtig gemacht. Entsprechende Untersuchungen zeigen neben anderem auf, dass differentielle Schulklassen-kompositionen jeweils unterschiedliche Lern- und Entwicklungsmilieus entfalten;

und dass sich daraus vielversprechende aber auch nachteilige Kompositions-effekte für die Schulleistung ergeben. Erhebungen solcher Art veranschaulichen schließlich, dass spezielle Beschaffenheiten in den Schul- und Klassen-verbänden als auch in der Schulorganisation eigenständige Konsequenzen für die Kompetenzentwicklung haben (z. B. Walter/Stanat 2008). Herausgearbeitet wird daneben, dass sich die Leistungsgruppierung („Tracking“) auf das schulische Vermögen auswirkt; und so gesehen auch leistungsspezifische Zusammensetzungen in der Schülerschaft die Weiterentwicklung der einzelnen Kinder prägt (z. B. Schallock 2016).

Schulspezifische Diskriminierung

Des Weiteren ist in der Bestandsaufnahme ersichtlich geworden: In Ergänzung zu dieser quantitativen Empirie ist in anderen Teildisziplinen der Bildungs-forschung in puncto herkunftsbedingten Bildungsungleichheiten ein weiterer relevanter Gesichtspunkt aufgedeckt worden ist. Die Rede ist von jenen Studien, die darlegen, dass diese inhomogene Minderjährigengruppe in erster Linie mit schulspezifischen Formen von Diskriminierung konfrontiert ist; was bedeutet, dass es Kinder und Jugendliche in ihrem Werdegang vorrangig mit

Differenzierungen zu tun bekommen, die sich im und durch das Bildungssystem herausbilden.

Basierend auf den zugehörigen Forschungsergebnissen erhalten wir die Einsicht darin, dass im Schulalltag zwei grundlegende Phänomene der Ungleichbehandlung auftreten – die individuell hergestellte Diskriminierung, welche sich in den Lehrerhandlungen entfaltet, sowie die schulisch-institutionelle Diskriminierung. Auf intensive Weise werden Anstrengungen unternommen, mittels theoretischer und empirischer Ausführungen diese Erscheinungsformen greifbar und verständlich zu machen, mit denen Heranwachsende in ihrer täglichen Schulsozialisation in Berührung kommen. In diesem Untersuchungskontext sind die dabei ablaufenden Mechanismen sowie die dabei auftretenden Hergänge des Unterrichts und der schulischen Kommunikationsräume lokalisiert worden, als auch die konkreten Auswirkungen für die Betroffenen transparent gemacht worden (Diehl/Fick 2016:267).

Die Forschenden, die sich der individuellen Diskriminierung gegenüber migrantischen Schülerinnen und Schülern annehmen (Alexander/Schofield 2006a/b; Sprietsma 2009), arbeiten die Bedeutung der Einstellungen und Praktiken des Lehrpersonals bei der Entstehung schulischer Benachteiligung heraus. Dementsprechend verdeutlichen die jeweiligen Erhebungen, dass in den täglichen Interaktionen auf der Schüler-Lehrer-Ebene vordergründig Diskriminierungsformen dieses Formats zum Tragen kommen (vgl. Diehl/Fick 2012:6). Ermittelt wird in der Hauptsache, dass nicht selten unbeabsichtigt diskriminierende Lehrerhandlungsweisen zu Beeinträchtigungen in der Leistungsbewertung führen. Dank solcher Arbeiten sind nun die dabei auftretenden Abfolgen klargestellt. Hierzu ist das Phänomen der Erwartungseffekte offengelegt und diesbezüglich aufgezeigt worden, dass in den schulischen Wechselbeziehungen vorurteilsbasierte oder in Unwissenheit begründete unfaire Beurteilungen zustandekommen. Zusätzlich ist die Sachlage erhellt worden, wonach Kinder und Jugendliche ebenso dem Stereotyp Thread ausgesetzt sein können; und dass infolge der Bedrohung durch Stereotype bei Schulkindern Stigmatisierungen entstehen, welche die Selbstwertschätzung und längerfristig das schulische Vermögen dahinschwinden lassen (z. B.

Schauenburg 2011).

In einer Untersuchungsausrichtung solcherart werden schlussendlich Bemühungen angestellt, unter Inanspruchnahme sozialpsychologischer und ökonomischer Erklärungsansätze die Lehrermotive für vorgenommene Abwertungen von Schülerfähigkeiten näher zu bestimmen. Identifiziert wird, dass es verinnerlichte Stereotype und Vorurteile und anzutreffender Informationsmangel sind, die unzuträgliche Einschätzungen seitens der Pädagogen auslösen (vgl. Alexander/Schofield 2006a/b).

Was das Forschungsfeld zu institutioneller Diskriminierung anbetrifft, wird ein weiterer wichtiger Aspekt in das Zentrum gerückt; nämlich dass Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien mit Ungleichbehandlungen konfrontiert sind, welche in den Gefügen des Schulbildungssystems tief verankert sind. Aus der Gesamtheit solcher Studien geht hervor, dass die Schulbiographie sowohl von direkten als auch von indirekten Formen institutioneller Diskriminierung tangiert ist (vgl. Gomolla 2006; Gomolla/Radkte 2007). Vor Augen geführt wird, dass Schüler/innen mit Zuwanderungsbezügen in ihrer Schullaufbahn von solch direkten Diskriminierungsformen, wie etwa von offiziell festgesetzten, ungleichen Normen betroffen sein können; und dass diese hochformalen gesetzlich-administrativen Rahmenbedingungen (wie etwa Schullandesgesetze) unterschiedliche Ausgangsbedingungen für junge Menschen hervorbringen – da es infolge divergierender schulrechtlicher Regelungen (je nach Bundesland und Region) bei Migrantengruppen zu einem uneinheitlichen Rechtsstatus kommt.

Vergegenwärtigt wird im Speziellen, dass hierdurch insbesondere die geflüch-teten Heranwachsenden in ihren Bildungsoptionen und in ihrer Teilhabe massiv eingeschränkt sind (vgl. Söhn 2011, 2012).

Der Verdienst der Forschungsvorhaben, welche die Erscheinungsformen indi-rekter institutioneller Diskriminierung an Schulen eingehend unter die Lupe nehmen, besteht darin: Schulisch-institutionelle Grundorientierungen, die daraus resultierenden Übervorteilungen und die verschiedenen Hemmnisse für junge Migrant/innen werden letztendlich an die Oberfläche gebracht. In diesen detaillierten Begutachtungen wird dementsprechend offenbart, dass in der Tat ungünstige Umgangs- und Verfahrensweisen mit der Migrationsherkunft von Schüler/innen existieren. Anhand von theoretischen Präzisierungen und Experimenten wird illustriert, auf welche Weise Individuen – die eine

lebensweltlich bedingte Diversität mitbringen – in den schulischen Räumen eingestuft werden und wie sie als „völlig differente Personen“ hergestellt werden. In diesem Untersuchungsfokus wird vornehmlich bearbeitet, wie vorherrschende Normalitätserwartungen in der Schulinstitution einen entschei-denden Beitrag zur Wirksamkeit der Unterscheidung zwischen Migrations-anderen und Nicht-MigrationsMigrations-anderen leisten (z. B. Gomolla/Radtke 2007;

Dirim/Mecheril 2010:125). Alles in allem wird ein großer Aufwand betrieben, die nachteiligen Wahrnehmungs- und Handlungsmuster als auch die gewöhnlichen

„Lösungsstrategien“ an das Licht zu bringen, welche im organisatorischen und institutionellen Handlungskontext von Schule eingebettet sind. Hervorgehoben wird diesbezüglich, dass sich aufgrund dieser schulisch verankerten Logiken grundverschiedene Abwertungsmuster in puncto Schul- und Sprachfähigkeit herausbilden; und dass diese herabsetzenden Bewertungsrichtlinien den Bildungsweg migrantischer Minderjähriger folgenschwer prägen.

Aus diesen betreffenden Projekten ergibt sich das Gesamtbild, wonach Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien ein breites Spektrum an Ausprä-gungen institutioneller Diskriminierung gegenübersteht. Wir erhalten sehr umfassende Kenntnisse darüber, wie sich diese spezifischen Benachteiligungs-formen in der Schulroutine im Einzelnen manifestieren und welche uner-wünschten Folgeerscheinungen auftreten: So bleibt infolge des monolingualen schulischen Habitus die sprachliche Pluralität der Schülerschaft in vielen Fällen unberücksichtigt. Unter diesen Umständen bilden sich sprachliche Ungleichbehandlungen fort; so dass unter anderem ein Mangel an Bildungsangeboten in den betreffenden Familiensprachen vorherrscht und damit einhergehend eine Herabwürdigung von Minderheitensprachen stattfindet (Gogolin/Oeter 2011:41). Außerdem sorgt die fehlende Diversität im Lehrkörper zu unausgewogenen Zusammensetzungen in den schulischen Interaktions-räumen; was zur Folge hat, dass die dort die allgemeine migrationsbedingte Vielfalt nicht ausreichend repräsentiert ist, und aufgrund des unausgeglichenen Verhältnisses in der Schüler-Lehrer-Kommunikation die individuelle Diskrimini-erung begünstigt wird (vgl. Karakaşŏglu 2011; Georgi 2013). Und bedingt durch die mangelhafte Ausgestaltung des Lehrmaterials werden migrantische Schülerinnen und Schüler bisweilen stereotypisiert und in eine Opferrolle gedrängt. Derart negative Darstellungen haben letztlich nachteilige Folgen für

den sozialen Status (vgl. Höhne et al. 2000; Höhne 2000). Aber auch Phänomene wie das der Denied Support Discrimination werden erfasst. Gezeigt wird, dass das Fehlen verbindlicher institutioneller Regelungen im Umgang mit sprachlicher und soziokultureller Heterogenität als auch eine prinzipiell mangelhafte Ausbildung in diesen Bereichen die Bildungslaufbahn maßgeblich einschränken kann (vgl. Heckmann 2008:30). Überdies ist die überproportional häufige Sonderschulzuweisung bei Migrantenkindern belegt worden.

Einschließlich die dahinterstehenden Grundproblematiken sind entschlüsselt worden, wie unter anderem das Nichtvorhandensein allgemeingültiger Standards in der sonderpädagogischen Diagnostik, das ein nachteiliges Bewertungsklima herbeiführt (z. B. Bos et al. 2010).

Schulische Ansprüche und Bedürfnisse

Zusätzlich zu diesen hier besprochenen Arbeitsbereichen, die an der Aufklärung schulischer Schlechterstellung bei migrantischen Heranwachsenden maßgeb-lich mitwirken, sticht eine weitere dominante Forschungslinie hervor:

Hier ist die Rede von bestimmten soziologischen und erziehungswissenschaftlichen Teildisziplinen, in denen breit aufgestellte Diskussionen darüber stattfinden, wie in Anbetracht der einer diskriminierungskritischen Migrationsgesellschaft schulischer Wandel zu verwirklichen ist. Auf diesen Fachgebieten erhalten wir also ein Know-How über die erforderlichen Neukonzeptionen zu Schule und Bildung. Konkret heißt dies, Lösungen werden hierzu angeboten, wie ein adäquates Bildungssystem und passende Schuleinrichtungen zu konstituieren sind, an denen fortschreitend immer mehr junge Menschen mit diversen Migrationsbezügen partizipieren.

Im Kontext solcher Ausarbeitungen werden die essenziellen Anforderungen an die Schulentwicklung, die Bildungspraxis als auch an die Bildungspolitik erörtert. Die wichtigsten Transformationsprozesse und Handlungsfelder werden somit zusammengetragen, die für die Errichtung von vorbildlichen Schulinstitutionen für unerlässlich befunden werden. Im Rahmen dieser Durchführungen geht es daneben darum, die Grundlagen für eine geeignete

Schulpädagogik zu entwerfen. Bei derart inhaltlichen Schwerpunktsetzungen werden im Ergebnis die schulischen Ansprüche und Bedürfnisse migrantischer Minderjähriger aus pädagogischer Sicht festgemacht. Auf der Basis bestimmter Grundannahmen – was für Personen aus Einwandererfamilien oder was im Allgemeinen für eine pluriform zusammengesetzte Schülerschaft unentbehrlich ist – werden korrespondierende pädagogische Leitlinien, Strategien und Handlungsempfehlungen formuliert. Letztendlich wird definiert, wie kinder- und jugendgerechte Schulen aussehen sollten, die sich in vollem Umfang auf die zahlreichen Erfordernisse der schulischen Eingliederung einlassen.

Interkulturalität als pädagogische Leitlinie

Im Zusammenhang mit einer solchen Forschungsorientierung ist als Erstes die mehrheitlich erziehungswissenschaftliche Schulentwicklungsforschung zu nennen, in der die Vorstellungen einer inklusiven Bildungspraxis für die Einwanderungsgesellschaft mit einer gängigen Qualitätsforschung zusammen-führt werden. Innerhalb der dazugehörigen Diskurse zur inter-kulturellen Öffnung im Bildungswesen wird das maßgebliche Konzept der reflexiven interkulturellen Schule ausgebaut (Neumann/Karakaşŏglu 2011; Dietz 2011).

Dementsprechend steht ein großes fachliches Angebot zur angemessenen Didaktik, zum Curriculum, zur Ausbildung des Lehrpersonals, zur pädagogischen Ausrichtung und Lehrpraxis als auch zur geeigneten Schulorganisation zur Verfügung. Die Prinzipien einer interkulturellen Schule werden in ihren breiten Facetten klargestellt; und sie dienen schließlich als Orientierungspunkte bei der Ausgestaltung der Sozialisationsräume und der Lehr- und Lernbedingungen (vgl. Fürstenau/Gomolla 2009-2011).

Was Minderjährige mit Migrationshintergrund anbelangt, so beinhaltet das betreffende Schulkonzept ein ganz bestimmtes Grundverständnis darüber, was die „richtigen“ pädagogischen Umgangsformen in der Schulpraxis sind.

Demnach existiert seit einiger Zeit eine pädagogische Hauptrichtlinie, deren vollständige Umsetzung von Seiten der Schulentwicklungsforschenden dringend nahegelegt wird: Entsprechend der erarbeiteten pädagogischen

Grundsätze gilt es als oberstes Gebot, Schulverhältnisse so auszuformen, dass eigene Bedarfslagen migrantischer Schüler/innen eingehend berücksichtigt werden und ihren zuwanderungsbedingten Lebens- und Lernbedingungen auf förderliche Weise begegnet wird; und dass darüber hinaus schulspezifische Diskriminierungsformen unterbinden werden (z. B. Gogolin et al. 2003). Der Kerngedanke wird außerdem verfolgt, dass bei der Implementierung von Schule und Unterricht ein „Spagat“ einzuhalten ist; demgemäß ist auf der einen Seite die Inhomogenität in der Schülerschaft vollständig anzuerkennen. Laut dem konzeptionellen Selbstverständnis stellt die migrationsspezifische Vielfalt eine prinzipielle Bedingung für die Gestaltung der Lehr-, Lern- sowie der Begegnungsarrangements dar; und dementsprechend ist den gefestigten Normalitätserwartungen entschieden entgegenzuwirken (vgl. Yildiz 2006).

Zugleich wird beim Leitprinzip der Interkulturaltität betont, dass mit Blick auf Bildungsvoraussetzungen die Migration lediglich als eine Facette der Ver-schiedenheiten zu begreifen ist. Überdies sollen in interkulturell ausgerichteten Schulen die Migrationsressourcen der Kinder und Jugendlichen, vor allem die Familiensprachen Eingang in die schulischen Abläufe finden; so dass die lebensräumliche und sprachliche Diversität bei Bildungsmaßnahmen auf gleichberechtigte Weise miteinbezogen wird. Basierend auf solch päda-gogischen Prinzipien gilt es ferner differente Ausgangslagen migrantischen Heranwachsenden effektiv „aufzufangen“; als auch sicherzustellen, dass spezifische Lebensbedingungen, wie zeitlich vorgelagerte und parallel ablaufende Eingangsbedingungen (insbesondere sprachlicher Art) nicht unbeachtet bleiben. Diesbezüglich soll ausnahmslos garantiert werden, dass keine „Gleichbehandlung von Ungleichem“ wirksam wird, indem zum Beispiel Ausgangsvoraussetzungen dieser Art ignoriert werden (vgl. Dirim/Mecheril 2010).

Der besagte „Spagat“ zieht auf der anderen Seite nach sich, dass sich interkulturelle Schulen neben der Wertschätzung der Vielfalt und Unterschiedlichkeit ihrer Schüler/innen gleichermaßen am Maßstab der Gleichbehandlung und des Diskrimierungsverbots orientieren (z. B.

Fürstenau/Gomolla 2009a). Unbedingt soll bei der Gestaltung des Schulklimas einschließlich der Lehr- und Lernbedingungen darauf geachtet werden, dass Migrantenkinder und -jugendliche nicht als „Fremde, Nicht-Eigene“ platziert

werden; dass sie keine fragwürdigen askriptiven Gruppenmerkmale zugeschrie-ben bekommen und nicht auf kulturalisierende Weise als Migrationsandere hergestellt werden; und dass schließlich keinerlei Formen von individueller und schulisch-institutioneller Diskriminierung auftreten.

Antidiskriminierung als alternatives Schul- und Bildungskonzept In Ergänzung zu der vergleichsweise seit Längerem bestehenden Kernidee der interkulturellen Schule ist hinsichtlich der Neukonzeption von Schule ein weiterer Ansatz hinzugetreten, nämlich der der Antidiskriminierung im Bildungssystem. Die dabei eingenommene Perspektive nimmt seit den 2000er-Jahren kontinuierlich an Bedeutung zu und wird von soziologischer und erziehungswissenschaftlicher Seite, von zivilgesellschaftlichen Akteuren als auch durch Netzwerk- und Projektarbeiten vorangetrieben. Der pädagogische Bedarf wird nicht „lediglich“ in Bezug auf Minderjährige mit Migrationshintergrund festgesetzt. Vielmehr findet eine gesamt übergreifende Auseinandersetzung zur Grundsatzfrage statt, wie in einer diskriminierungs-und rassismuskritischen Gesellschaft die schulischen Interaktionsräume diskriminierungs-und die Bildungsgegebenheiten einzurichten sind; und anhand welchen Herangehens-weisen junge Menschen auf soziale Gemeinschaften dieses Formats vorzubereiten sind (vgl. Hormel/Scherr 2004).

In der Konsequenz liegt im Hinblick auf die Gestaltung der Schul- und Bildungspraxis ein alternatives Konzept vor, welches folgendes Leitmotiv beinhaltet: Gesorgt werden soll dafür, dass junge Menschen in diskrimi-nierungsfreien Schul- und Lernverhältnissen eingelassen sind und sie generell einen diskriminierungsfreien Zugang zu Bildung erhalten. In Abgrenzung zur

„interkulturellen Schule“ gerät der Grundgedanke, als Erstes Heterogenität und Differenz zu beachten, in den Hintergrund; beziehungsweise wird als zweitrangig bewertet. Damit ist gemeint, dass der eigentlich entscheidende Handlungsbedarf in der lückenlosen Implementierung des Gleichbehandlungs-gebots und des Diskriminierungsverbots verortet wird. Ein Paradigmenwechsel wird demzufolge nahegelegt, da bei der Etablierung kinder- und

jugendgerechter Schulen in erster Linie angestrebt wird, diese beiden genannten Grundprinzipien zu verwirklichen. Die zentralen Erfordernisse pädagogischer Maßnahmen werden dementsprechend umrissen: Schulische Angebote sollen auf dem normativen Rahmen der universell geltenden Menschenrechte basieren (Hormel/Scherr 2004; Scherr 2004; Scherr 2016).

Insgesamt wird die Prämisse verfolgt, dass Heranwachsenden ein Menschenrecht auf Bildung zusteht. Dieses Grundrecht wird vor allen Dingen als Befähigungsrecht verstanden, nicht diskriminiert zu werden (Hormel/Scherr 2004:20).

Abgesehen von der Weiterentwicklung solcher Bildungsgrundprogrammatiken werden in den Tätigkeitsfeldern zur Antidiskriminierung wichtige Kenntnisse zu den bildungsspezifischen Zuständen zusammengetragen, in die Schulkinder mit und ohne Migrationshintergrund eingebettet sind. In der Hauptsache wird Klarheit über die diversen Diskriminierungsrisiken als auch über die vielfältigen Dimensionen von Diskriminierungserfahrungen98 im Erziehungs- und Bildungs-system geschaffen. Darüber hinaus wird an einer diskriminierungskritischen Schulentwicklung gearbeitet; und hierzu wird schwerpunktmäßig die Angelegenheit des Diskriminierungsschutzes behandelt (vgl. Dern et al. 2013;

El/Yekani 2017). Illustriert wird im Großen und Ganzen, dass sich Kinder und Jugendliche in schulischen Missverhältnissen aufhalten, in denen eine Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit besteht – und zwar hinsichtlich der Protektion und Absicherung vor diversen Ungleichbehandlungen. Solch inhaltliche Erörterungen bringen mit sich, dass an einer gesamt übergreifenden Antidiskriminierungskultur im Bildungswesen gearbeitet wird. Gegenwärtig liegen Reformen zur Präzisierung des Diskriminierungsschutzes99 und zu einer entsprechenden diskriminierungskritischen Aus- und Fortbildung von

98 Darin eingeschlossen sind Erfahrungen mit Rassismus, Antisemitismus sowie mit Diskriminierung individueller und institutioneller Art, einschließlich mit Mehrfachdiskriminierung – wie etwa infolge von sozialer und migrationsspezifischer Zugehörigkeit, Behinderung, Geschlecht und sexueller Identität. Näheres hierzu, siehe Bericht der Antidiskriminierungsstelle vom Jahr 2013; vgl. Lüders/Schlenzka 2016.

99 Umfasst sind darin die Errichtung unabhängiger externer Beschwerdestellen und die Bildung eines transparenten Beschwerdemanagements (vgl. El/Yekani 2017). Vertiefendes hierzu:

siehe der Praxisleitfaden der Antidiskriminierungsstelle des Bundes mit dem Titel

„Diskriminierung an Schulen erkennen und vermeiden“, von August 2018.

Lehrkräften vor.

Neben derart schulpraktischen Ausführungen gibt es auch Vertreter, wie z. B.

Scherr (2009) und Hormel/Scherr (2014:41), die die Kerninhalte von Antidiskriminierung sehr präzise herausarbeiten. Die beiden stellen hierzu klar, dass es sich dabei um die wesentliche Bildungsprogrammatik handelt, welche für die Vorbereitung junger Menschen auf ein Leben in einer demokratischen und diskriminierungskritischen Einwanderungsgesellschaft unerlässlich ist; und dass die Durchsetzung einer Antidiskriminierungsperspektive mithin die wichtigste Anforderung für die Bildungspraxis darstellt. Eine übergeordnete Leitlinie von diesem Format wird somit als maßgebliches Bildungskonzept für die Migrationsgesellschaft verstanden. Genau festgehalten wird diesbezüglich, was unter einem solchem fundamentalen Konzept umfasst wird:

Antidiskriminierung soll eine unverzichtbare Grundlage sein, sowohl für sämtliche pädagogische Maßnahmen und Inhalte als auch für die schulische Organisations-, Personal- und Programmentwicklung (vgl. Hormel/Scherr 2004:125-128). Im Grunde handelt es sich um die gesamtgesellschaftliche Zielvorgabe, ein tiefgreifendes Verständnis von Diskriminierung zu implementieren. Konkret heißt dies, es soll richtiggestellt werden, dass Diskriminierung mehr als „jene Formen des direkten und absichtsvollen Sprechens und Handelns von einzelnen Akteuren oder Gruppen darstellt“; und dass es in Wirklichkeit ein höchst komplexes, teilweise unübersichtliches soziales Phänomen darstellt, welches „in gesellschaftlichen machtvollen und wechselseitig sich beeinflussenden, ineinandergreifenden Strukturen entsteht und sich darin fortsetzt“ (Scherr 2016:4). In diesem Zusammenhang wird hauptsächlich betont, dass eine solche diskriminierungskritische Ausrichtung die entscheidende Voraussetzung dafür ist, Kinder und Jugendliche effektiv und nachhaltig vor Diskriminierung zu schützen (vgl. Scherr 2016:3).

Bildungsprozesse und Bildungserfolg unter Migrationsbedingungen Im Fortgang der Sichtung des Expertenaustausches können wir sodann

entnehmen, dass ergänzend zu den zuvor umrissenen Themenfeldern100 in anderen Gebieten der bildungsbezogenen Migrationsforschung der Fachstand erweitert wird: Es handelt sich um jene Fachbereiche, welche die vielschichtigen Bildungsprozesse zum Gegenstand haben, die Personen unter Migrationsbedingungen durchlaufen. Dabei rückt in den dazugehörigen Studien häufig die Perspektive von bildungserfolgreichen Migrantinnen und Migranten, vornehmlich von jungen Erwachsenen in den Mittelpunkt. Demzufolge werden Gymnasiasten, Hochschulabsolvent/innen und Berufstätige zu einer

„alternativen“ Forschungszielgruppe erhoben. Basierend auf der Motivation, einen Gegenpol zur „gewöhnlichen“ Erforschung herkunftsbedingter Bildungsungleichmäßigkeiten zu errichten, sind jene Projekte darauf ausgelegt, stattdessen vielversprechende Bildungsverläufe ausdifferenziert zu dokumentieren (z. B. Nohl 2001; Raiser 2007).

In den betreffenden Biographiestudien werden speziell die auftretenden Bildungsentwicklungen und die involvierten vielgestaltigen Gesamtzusammen-hänge auf systematische Weise rekonstruiert. Die aus der Retrospektive gewonnenen Betrachtungsweisen der Befragten werden zudem „herausge-filtert“; so dass individuelle Bewertungen zum Schulgeschehen, zu persönlichen Bildungsprozessen oder auch zum allgemeinen Werdegang ersichtlich werden.

Dadurch erhalten wir relevante Einsichten, wie kollektive Orientierungen und vor allem Bewältigungs- und Handlungsstrategien von Seiten junger Migrant/innen konstruiert werden; und auf welche Praktiken die Betreffenden zurückgreifen, um unterschiedliche Hindernisse zu bewerkstelligen; und um vor allem die Diskriminierung in der schulischen Partizipation, die diversen Formen sozialer Ausgrenzung als auch die familialen Herausforderungen handzuhaben.

In vollem Umfang wird Einblick in die bedeutungsvollen sozialen, jugend-bezogenen aber auch migrationsspezifischen Sachverhalte gegeben, die schließlich den Bildungserfolg unter Einwanderungsbedingungen bedingen.

Mittels entsprechender Forschungsdesigns werden überdies die Bildungs-aufstiegsstrategien auf strukturierte Art beschrieben und anhand von Typenbildungen und Kontrastierungen charakterisiert. In der Summe lassen

100Die Rede ist von den Forschungsfeldern, die Aufklärung über die schulische Schlechterstellung betreiben und in der Gesamtheit zahlreiche Interpretationsansätze hierzu liefern. Daneben gibt es die soziologischen und erziehungswissenschaftlichen Fachgebiete, auf denen Neukonzeptionen von Schule und Bildung vorangebracht werden.