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Nachdem in einem ersten Analyseschritt die Fachdebatten in ihren Grundzügen beschrieben worden sind,113 im Anschluss der Wissensbestand zu dieser inhomogenen Jugendgruppe zusammengetragen wurde, erfolgte dann abschließend eine kritische Evaluierung zur Frage: Welche Merkmale und Eigenheiten lassen sich in der Fachperspektive beobachten; welchen Gesichts-punkten wird Gewicht beigemessen und welche rücken dagegen in den wissenschaftlichen Erörterungen in den Hintergrund. Basierend auf diesem letzten Arbeitsschritt ist folgende Ausgangslage auszumachen: Insgesamt besteht ein soziologischer und erziehungswissenschaftlicher Erkenntnisaus-tausch, der sich diversen Frage- und Problemstellungen zuwendet und folglich ein profundes Grundlagenwissen hervorbringt. Und im Hinblick auf die Schul-und Bildungssituation von Minderjährigen aus Einwandererfamilien werden zahlreiche relevante Sachverhalte diskutiert.

Angesichts der Bandbreite an besprochenen Gegenständen tut sich ein markanter und zugleich entscheidender Punkt hervor: Die eigene Perspektive junger Migrant/innen zu schulischen Belangen wird nicht ausreichend behandelt. Ein Forschungsdefizit dieser Art wird darin ersichtlich: Im Rahmen der vorliegenden Begutachtung sind keinerlei Studien zu entdecken, die ausschließlich der Thematik nachgehen, wie migrantische Minderjährige ihre Erfahrungen in der Schule deuten, bewerten und kommunizieren. Eine Aus-gangssituation von diesem Ausmaß wird im Fortgang ausführlich kommentiert und unter Einbezug zentraler Beobachtungen veranschaulicht.

113 Eingangs wurden die verschiedenen Diszipline und Teildiszipline, einschließlich die jeweiligen Untersuchungsschwerpunkte in Bezug auf Jugendliche mit Migrationshintergrund identifiziert (vgl. 2.1-2.4).

Bestimmte Kernthemen im Fokus

Die ersten Anzeichen für eine derartige Forschungslücke – die weitgehende Unerforschtheit der Sichtweisen von Jugendlichen aus Zuwandererfamilien zu Schule – machen sich in folgendem Umstand bemerkbar: Die wissenschaftliche Auseinandersetzung um diese uneinheitliche Minderjährigengruppe konzentriert sich im Großen und Ganzen auf bestimmte Kernthemen. Demgemäß bleibt die Gewinnung von Fachwissen meistenteils auf entsprechende Aspekte beschränkt: Zum einen wird die Grundfrage, wie junge Menschen mit unter-schiedlichen Migrationsbezügen im deutschen Bildungswesen positioniert sind, weiterhin sehr intensiv beleuchtet. Eine ausgiebige Weiterentwicklung und Verifizierung von wissenschaftlichen Erklärungsansätzen wird zudem fortwährend betrieben, um letztlich die Ursachen, Mechanismen und Wirkungsweisen von schulischer Schlechterstellung bei migrantischen Kindern und Jugendlichen genau zu erfassen; und um hierdurch die gesamten Dimensionen von herkunftsbedingten Bildungsbenachteiligungen durchzublicken. Infolge dieser Orientierung werden noch immer viele Bemühungen angestellt, eine Vielfalt an theoretisch und empirisch fundierten Erklärungsmodellen auszubauen und das Zustandekommen von Schulerfolg sowie -misserfolg nachvollziehbar machen. In Ergänzung zu dieser Hauptthematik wird in anderen Teildisziplinen der Migrationsforschung kontinuierlich Licht in die vielgestaltigen Bildungsprozesse unter Einwande-rungsbedingungen und in die dazugehörigen Gesamtzusammenhänge gebracht. Eingehend wird hierzu bearbeitet, durch was sich aufstrebende Bildungsbiographien kennzeichnen und welche parallel ablaufenden Hergänge ersichtlich sind. Daneben existiert ein breites Themenspektrum zu den Neukonzeptionen der Schul- und Bildungspraxis; so dass auch künftig strittige pädagogische Fragen hinsichtlich den Ansprüchen und Bedürfnissen bei Heranwachsenden (mit und ohne Migrationsbezügen) geklärt werden; und die Grundsätze eines kinder- und jugendgerechten Bildungssystems fortan erörtert werden, um somit den Erfordernissen einer diskriminierungskritischen Migrationsgesellschaft nachzukommen.

Leistungsbezogene Aspekte im Mittelpunkt

Dieser anfängliche Eindruck, wonach es an Forschungsvorhaben mangelt, die eigens die Anschauungsweisen von Migrantenjugendliche als Schulakteure und Bildungsteilnehmende erkunden, bestätigt sich sodann nach gründlicher Überprüfung der einzelnen Fachrichtungen und ihrer Schwerpunkte. Es macht sich ein auffälliges Charakteristikum bemerkbar, wonach in der migrationsbezogenen Bildungsforschung, anstelle von Fragen zu den jugendspezifischen Schulerfahrungen und zugehörigen Standpunkten, überwie-gend leistungsbezogene Aspekte verhandelt werden.

Ein solcher Ausgangspunkt ist darauf zurückzuführen, dass seit Längerem Meinungsverschiedenheiten zu den Auslösern schulischer Benachteiligung und der Herkunftsabhängigkeit des Bildungswerdegangs stattfinden. Und infolge dieser Fokussierung kommt ein Fachaustausch zustatten, bei dem schulleistungsbezogene Sachverhalte mal mehr mal weniger berücksichtigt werden. Entweder ist, wie in der quantitativen Bildungsforschung zu beob-achten, die Heranbildung von Leistungen und Kompetenzen ein Untersuch-ungsgegenstand, den es gilt exakt zu bemessen; oder aber leistungsbezogene Problemstellungen werden angeschnitten, wie bei den Erörterungen zur individuellen Diskriminierung. Nachgegangen wird dabei, inwiefern Lehrerpraktiken – basierend auf Vorurteilen, Präferenzen oder Informationsmangel – bestimmte ungünstige Folgeerscheinungen wie etwa Erwartungseffekte erzeugen; und ob hieraus schlussendlich Hergänge entste-hen, die negative Bevorteilungen in der Leistungsbewertung herbeiführen. Auch bei der Grundthematik „institutionelle Diskriminierung“ wird schwerpunktmäßig verfolgt, inwieweit schulische Handlungslogiken und gefestigte Normalitäts-erwartungen ein nachteiliges Bewertungsklima erzeugen; ob sich infolgedessen Lehrkräfte hinsichtlich der Schul- und Sprachfähigkeit diskriminierende Bewertungsmuster aneignen; und ob das Lehrpersonal hierdurch unvorteilhafte Schullaufbahnempfehlungen ausstellt, welche die Bildungsbeteiligung migrantischer Schüler/innen einschränkt.

In der Hauptsache wird also besprochen, wie sich bestimmte Einflüsse und Abläufe, aber auch Praktiken auf den Kompetenzerwerb, den Leistungsausbau und auf die Leistungsbewertung auswirken; oder aber wie die Zuweisung von

Bildungsabschlüssen und Bildungsübergängen beeinflusst wird. In diesem Kontext werden somit unterschiedliche Faktoren und ihre Bedeutung für den Schulerfolg sorgfältig inspiziert, wie etwa die soziokulturelle Ausstattung der Schülerschaft und die der Eltern; als auch Gruppenkontexte; sozialräumliche Gegebenheiten; innerschulische Bedingungen, wie etwa Schulklassenkompo-sitionen; und schulspezifische Diskriminierungsformen.

Im Ergebnis prägt eine solche inhaltliche Ausrichtung den fachlichen Diskurs über Heranwachsende aus Zuwandererfamilien nachhaltig – in Bezug darauf was im Zusammenhang mit Schule und Bildung besprochen und welche grundlegende Materie erarbeitet wird. Diese hier exemplarisch angeführten Punkte untermauern, dass sich die Erfassung der Schul- und Bildungssituation größtenteils an leistungsspezifischen Facetten orientiert; dass dazugehörige Problemstellungen aufgeworfen werden; und den Bildungsergebnissen von Kindern und Jugendlichen eine enorme Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Diese Fixierung auf die Klärung der Ursachen für die schulische Schlechterstellung migrantischer Schulkinder wirkt sich gleichzeitig darauf aus, wie die fachinterne Aussprache zumeist geführt wird: Bis heute werden in dieser dominanten Forschungslinie ausgiebig Kontroversen ausgetragen und fachspezifische Belange durchdrungen. In Anbetracht der teilweise unübersichtlichen und stellenweise ungeklärten Sachlagen – wie es zum Aufkommen von sozialen und zuwanderungsbedingten Bildungsungleich-mäßigkeiten und Barrieren kommt; welche Faktoren eine entscheidende Rolle spielen und was für Formen von Benachteiligungen gegenüber Schüler/innen eigentlich zum Tragen kommen – werden große Bemühungen unternommen, zwei grundlegende Positionen zu verteidigen: Auf der einen Seite machen bestimmte Vertreter/innen ausführlich geltend, dass die schuleigenen Diskriminierungsformen die Hauptursache für Bildungsdisparitäten zwischen Heranwachsenden aus Zuwandererfamilien und jenen ohne Zuwanderungs-hintergrund sind (z. B. Gomolla/Radtke 2000:326; Gomolla 2006; Dirim/Mecheril 2010:125). In dieser Forschungsperspektive wird daher eine skeptische Grundhaltung gegenüber den quantitativ-empirischen Ansätzen verfochten:

Kritisiert wird die dort, in diesen Feldern, vorgetragene Annahme, dass das tendenziell schlechtere Abschneiden im Leistungsbereich auf tatsächliche

Migrationseffekte basiert und soziale Merkmale von Migrant/innen für die Diskrepanzen in der Bildungsleistung und -beteiligung entscheidend seien.114 Als Erwiderung darauf, wird in den entsprechenden Studien zu „institutioneller Diskriminierung“ stattdessen das Verhältnis von Schule und hergestellter Ethnizität problematisiert; und hierzu verdeutlicht, dass solch komplexe Gesamtzusammenhänge die maßgeblichen Quellen der schulischen Benach-teiligung darstellen. Großen Wert wird darauf gelegt, teilweise experimentell zu belegen, dass die schulspezifischen Differenzierungen, die sich im und durch das Bildungssystem herausbilden, schlussendlich für Ungleichbehandlungs-phänomene gegenüber migrantischen Schüler/innen ausschlaggebend sind.

Auf der anderen Seite setzt sich die quantitative Bildungsforschung das Ziel, das enorme Gewicht der vielschichtigen, ineinandergreifenden sozialen Voraussetzungen bei Kindern und Eltern aus Einwandererfamilien herauszu-arbeiten; und bei dieser Gelegenheit klarzustellen, dass es sich bei solchen Sachverhalten im Grunde um nicht unerhebliche, zeitlich vorgelagerte und parallel ablaufende Eingangsbedingungen handelt, vor allem in sprachlicher Hinsicht. In der Regel haben dazugehörige Datenerhebungen das Interesse, ausreichend zu veranschaulichen, dass zusätzlich zu den sozialen Herkunfts-effekten auch migrationsbedingte Folgeerscheinungen für das Leistungs-vermögen und für die Auswahl von Bildungsentscheidungen erheblich sind.

Ergänzend widmen sich diese Forschungsprojekte der Grundsatzfrage, wie es angesichts der Herkunftsabhängigkeit von Bildungskarrieren, um das Verhältnis von sozialen und zuwanderungsbezogenen Nachwirkungen steht; ob sich Bildungsungleichmäßigkeiten bei jungen Migrant/innen im Wesentlichen auf soziale Bedingungen oder hingegen auf Migrationsfaktoren zurückführen

114Als grundlegende Kritik wird eingebracht, dass erstens Migrantinnen und Migranten hierdurch pauschal Defizite unterstellt werden; die „wahren“ Gründe schulischer Übervorteilungen von Migrantenkindern „verschleiert“ und die Ursachen ausschließlich in Migrantenfamilien verortet werden. Dementsprechend plädieren Flam und Kleres (2007:64;

2007a), dass der Fokus nicht primär auf die Betroffenen, sondern stattdessen auf schulisch hergestellte Benachteiligungsformen zu lenken sei.

lassen115, oder ob stattdessen eine Überlagerung beider Dimensionen116 hierfür verantwortlich ist.117

Die Beanstandung des Umstandes, wonach das Hauptaugenmerk auf Bildungsergebnisse und auf die unvorteilhafte Positionierung migrantischer Schüler/innen gerichtet ist, ist in der bildungsbezogenen Migrationsforschung an sich nichts Neues: Aus der vorherigen Bestandsaufnahme geht hervor, dass sich im Zuge der Kritik eine Teildisziplin herausgebildet hat, die sich ausdrücklich als Gegenpol zu solch „geläufiger“ Bildungsforschung versteht;

und die sich anstelle der Ermittlung von Erklärungsansätzen mit den vielgestaltigen aufstrebenden Bildungsabläufen unter Einwanderungsbeding-ungen befasst. Jene Forschungsansätze setzen solchen Kontinui-täten entgegen, indem sie vielversprechende Migrationsbiographien von jungen Menschen transparent machen und zudem den Themenkomplex „Migration und Bildung“ positiv besetzen. Vielmals wird die Absicht betont, einem wichtigen Forschungsdesiderat nachzugehen; nämlich auf ressourcen- und kompetenz-orientierte Weise Sozialkapitalansätze auszubauen und im Hinblick auf Bil-dungsaufstieg die reichhaltigen zuwanderungsbedingten, sozialen und familien-bezogenen Ausstattungen neu zu bewerten (z. B. Raiser 2007:20f; 39,181f).

115Der Konsens in der quantitativen Bildungsforschung besteht darin, dass im Ganzen bildungsspezifische Missverhältnisse auf Auswirkungen der sozialen und weniger auf die der migrationsspezifischen Herkunft zurückzuführen sind (Diehl 2016a et al.:25f).

116Auch von einer Wechselwirkung beider Herkunftseffekte wird gesprochen, die in einer doppelten Benachteiligung mündet, wonach sich schichttypische und migrationsspezifische Nachteile überlagern, und zwar in Folge der Unterschichtung von Migrant/innen in Deutschland (vgl. Geißler 2012:17).

117Inmitten dieser wissenschaftlichen Meinungsverschiedenheiten liegt jedoch eine Übereinkunft vor: Tendenzielle schulische Schlechterstellung bei migrantischen Schüler/innen wird letztlich auf ein komplexes Zusammenwirken diverser, sich wechselseitig beeinflussender Bedingungen zurückgeführt gesehen. Eingebracht wird das Argument, dass sowohl außerschulische (d. h. soziale, zeitlich vorgelagerte Eingangsvoraussetzungen) als auch innerschulische Faktoren sich bemerkbar machen. Unter Berücksichtigung dessen, macht laut Dirim/Mecheril (2010:125) „dies nicht nur Verantwortungszuweisungen schwierig, sondern erklärt auch, warum in Bezug auf die Schlechterstellung Migrationsanderer nicht mit einfachen Problemlösungen zu rechnen ist.“ Aber dennoch, trotz dieses geteilten Verständnisses, wird weiterhin kontrovers darüber diskutiert, ob eher außerschulische oder innerschulische Faktoren für Bildungsnachteile relevant sind (vgl. Diehl/Fick 2012).

Was diesen fokussierten Blick auf herkunftsbedingte Bildungsdisparitäten und auf die diversen Beeinträchtigungen anbetrifft, so wird in diesem Kontext ein anderer Aspekt soziologisch kritisch gewürdigt: Scherr und Bittlingmayer (2009) problematisieren eine ungünstige Begleiterscheinung, die sie unmittelbar mit dieser Art der Diskursführung in Verbindung bringen. Das Argument wird von beiden eingebracht, dass größtenteils die Bemängelung eingeschränkter Bildungsmöglichkeiten und Bildungsperspektiven im Zentrum steht; und dass in der Hauptsache Forderungen nach dem Grundprinzip einer Chancengleichheit formuliert werden. Gegenüber einem derart einseitigen Bildungsgerechtigkeits-Diskurs nehmen die beiden Soziologen eine kritische Haltung ein: Der Einwand wird erhoben, wonach es angesichts der Erfordernisse einer zeitgemäßen Bildungsreform nicht einzig um die Umsetzung einer gerechten Bildungsteil-habe gehen könne. Scherr und Bittlingmayer (2009) stufen daher den vorherr-schenden Expertenaustausch in seiner Ausprägung als vereinfacht, als „ver-kürzt“ ein; denn ihrer Ansicht nach gilt es stattdessen eine allumfassende Befä-higungsgerechtigkeit118, als entscheidende Grundvoraussetzung, zu implemen-tieren. Und jenes Grundrecht, so wird angeführt, sei schließlich nur dann durch-setzbar, wenn letztendlich eine Gesellschaftspolitik konstituiert ist, welche auf die Überwindung sämtlicher struktureller Benachteiligungen von Menschen abzielt.

Als letzter Punkt zu dieser unübersehbaren thematischen Übergewichtigung ist zu vermerken, dass eine solche fachinterne Entwicklung durch bestimmte Gegebenheiten begünstigt wird: Aus dem Rückblick auf vorausgegangene Forschungsphasen ergibt sich, dass die internationalen Schulleistungsver-gleichsstudien, vor allem die bekannten PISA-Tests und ihr damaliges ernüchterndes Ergebnis – das verhältnismäßig nicht gute Abschneiden migrantischer Schulkinder in verschiedenen Kompetenzbereichen – einen großen Impuls in diese Richtung gesetzt haben. Die „klassische“ soziologische Tradition der Auseinandersetzung um die Entstehung und Reproduktion von Bildungsungleichmäßigkeiten wurde von da an aufgegriffen. In diesem Zusammenhang fand eine Rückbesinnung auf Boudons (1974:29) zentrale

118Vertiefendes zu diesem Konzept: Nussbaum 2006.

Beobachtungen statt, was die Abhängigkeit der Bildungschancen und des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft anbelangt. Dazugehörige Konzepte wie die der primären und sekundären Herkunftseffekte sind dann, im Kontext von Bildungsleistung und Bildungsentscheidungen, auf diese inhomogene Jugendgruppe übertragen worden (vgl. Gogolin 2006). Seit daher gibt es die intensive Beschäftigung mit der Grundsatzfrage, ob zusätzlich zu den Folgeerscheinungen der sozialen Abstammung auch Migrationseffekte zum Tragen kommen (vgl. Diehl et al. 2016a:9; Kristen/Dollmann 2009).

Den besagten Sachverhalten wird in der migrationsbezogenen Bildungsforschung auch deshalb eine beträchtliche Signifikanz zugeschrieben, da Diskrepanzen und Komplikationen in der Bildungsbeteiligung für Minder-jährige und junge Erwachsene Konsequenzen von großer Tragweite nach sich ziehen. Die Einsicht liegt mittlerweile vor, dass es hierdurch zu einer Verkettung von widrigen Umstände kommt, welche längerfristig die Eingliederung und die Partizipation in die soziale Gemeinschaft erheblich einschränken. Das Bewusstsein dafür – dass ein erschwerter Zugang zu Bildung nicht nur die Schulbiographie, sondern auch die gesamte Lebensführung einschließlich die soziale Inklusion und die Berufsperspektiven gefährdet – trägt sicherlich zur Verstärkung solcher Debatten bei (vgl. Diehl et al. 2016:4). Darüber hinaus wird dieser thematisch fixierte Austausch dadurch beflügelt, dass inzwischen ein fundiertes Verständnis für das Ineinandergreifen von sozialen, ökonomischen Missverhältnissen und ungleichen Bildungsmöglichkeiten besteht; und dass gleichzeitig ein Problembewusstsein für die Koppelung von Abschlüssen und Arbeitsmarktplatzierung existiert, als auch die tendenzielle soziale Unteraus-stattung von Migrant/innen in Deutschland geklärt ist.119

Festhalten lässt sich abschließend, dass eine Forschungsorientierung von diesem Format120 im Umkehrschluss bedingt, dass andere wichtige Kernpunkte zu den Schulverhältnissen junger Migrant/innen in deutlich geringerem Maß bedacht werden: Hier ist die Rede von all jenen Sachlagen, die nicht

119Näheres zu diesen Punkten, einschließlich zu Migrant/innen und ihrem Zugang zum Arbeitsmarkt: Kalter 2008.

120Das heißt, die häufig vorkommende Beschäftigung mit der Entstehung und Reproduktion von Bildungsungleichmäßigkeiten zwischen Heranwachsenden mit und ohne Migrationshintergrund.

unmittelbar mit Bildungsergebnissen in Zusammenhang stehen. Konkret bedeutet dies, die Perspektiven migrantischer Jugendlicher als Schulakteure sind verhältnismäßig wenig erschlossen; Kernfragen zum subjektiven Erleben und zur Interpretation von Schule und Unterricht als auch zu den darin wirksamen Bildungsgegebenheiten werden viel seltener verhandelt.

Stark institutionelle Perspektive

In der fortführenden Bewertung hat sich sodann eine weitere bedeutsame Einsicht herauskristallisiert: Die Grundthematik, wie Jugendliche mit Migrations-hintergrund als Expertinnen und Experten in eigener Sache die schulischen Kommunikationsräume erfahren und verarbeiten, wird auch deshalb vernach-lässigt, da in den fachlichen Aushandlungen vielmals eine stark institutionelle Perspektive eingenommen wird.

Verhältnismäßig häufig richten Studien den Blick auf die verflochtenen Gefüge des Bildungssystems und führen dabei eine detaillierte Überprüfung gegenüber Schule durch. Eingehend wird kontrolliert, inwiefern die in den Institutions- und Organisationsstrukturen eingelassenen Rahmenbedingungen Bildungsbe-schränkungen entstehen lassen. Eine Untersuchungsausrichtung dieser Art ist vor allen Dingen bei den soziologischen und erziehungswissenschaftlichen Teildisziplinen zu erkennen, die hinsichtlich dem Aufkommen von Bildungs-disparitäten die innerschulischen Gegebenheiten begutachten. Darin umfasst sind unter anderem Projekte, die von institutionellen Bedingungen für den Schulerfolg ausgehen und beispielsweise Schulklassenkompositionen inspizieren, um schließlich positive oder negative Kompositionseffekte

„herauszufiltern“ (s. etwa Walter/Stanat 2008). Zusätzlich wird der Bedeutung spezifischer Zusammensetzungen in Klassenverbänden, mit Blick auf Leistungsgruppierungen und die Entfaltung von Befähigungen, auf den Grund gegangen. Das Engagement schulisch-institutionelle Aspekte intensiv zu durchleuchten, fällt auch in anderen Gebieten der migrationsbezogenen Bildungswissenschaften auf; und zwar bei den Ansätzen, welche die institu-tionelle Diskriminierung im Bildungswesen aufspüren. Demgemäß werden

schulisch-insitutionelle Grundorientierungen in Bezug darauf ergründet, wie der Zuwanderungshintergrund bzw. der von Diversität und Pluralität geprägte lebensweltliche Hintergrund der Schüler/innen generell bewertet wird; und welche nachteiligen Bewertungsmuster zur Schul- und Sprachfähigkeit auf Minderjährige einwirken (vgl. Diehl/Fick 2016/267).

Eine zentrierte Betrachtungsweise auf die institutionellen Gebilde von Schule macht sich desgleichen bei einer anderen Forschungslinie bemerkbar. Hier ist die Rede von der Schulentwicklungsforschung, die im Kontext der Einwanderungsgesellschaft notwendige Transformationsprozesse und Hand-lungsfelder identifiziert und dabei die Durchführung schulischer Reformen und Maßnahmen einfordert. Dementsprechend stellen dazugehörige Arbeiten die Strukturebenen auf den Prüfstein und bauen unter anderem anhand des Konzepts der Interkulturalität Programmatiken im Bereich der Didaktik, des Curriculums, der pädagogischen Ausrichtung und der Lehrpraxis aus (z. B.

Fürstenau/Gomolla 2009-2011). Auch in den soziologischen und erziehungswissenschaftlichen Tätigkeitsbereichen, in denen der Antidiskrimi-nierung nachgegangen wird, finden kritische Bearbeitungen hinsichtlich Bildungswesens statt. Ermittelt wird schwerpunktmäßig, in welchen Schulbereichen Diskriminierungsrisiken vorliegen; wie die vielfältigen Facetten von Diskriminierungserfahrungen junger Menschen aussehen; woran es mit Blick auf die Protektion vor Diskriminierung mangelt; wie ein effektiver und transparenter Diskriminierungsschutz und entsprechende Instrumente auszu-bauen sind; und auf welche Weise eine diskriminierungskritische Schulkultur und eine passende Schulorganisation auszugestalten sind. Bei diesen Betätigungen wird insgesamt besprochen, was für institutionelle und gesamt-gesellschaftliche Grundvoraussetzungen bestehen müssen, damit Heranwach-sende diskriminierungsfreie Schul- und Lernverhältnisse gewährt bekommen.

Bearbeitet wird in diesem Zusammenhang die Schlüsselfrage, auf welche grundlegende Weise die Menschenrechte, das Gleichbehandlungsgebot als auch das Diskriminierungsverbot zu installieren sind, um schließlich eine jugendgerechte Schul- und Bildungspraxis zu etablieren.

Das pädagogische Personal und die Ausgestaltung von Schulpädagogik

Im Zuge der intensiven Einarbeitung in die Fachliteratur erfolgte eine weitere wesentliche Beobachtung: Die Auffassungen von migrantischen Adoleszenten zu Schule stehen auch deshalb nicht im Mittelpunkt, da sich der Erkenntnisaustausch neben institutionellen Fragen vielmals um das pädagogische Personal dreht; und sich somit der Fokus auf die schulischen Akteure in der Lehre richtet. Eine solche Ausgangslage wird in erster Linie darin ersichtlich: Nicht selten werden Grundfragen zur angemessenen Schul-pädagogik ausdiskutiert und dabei werden vorrangig Problemstellungen zur Ausgestaltung von pädagogischen Inhalten und Lehr- und Lernbedingungen kommuniziert. Häufig finden Beratungen dazu statt, welche Leitlinien dem Lehrpersonal als Stütze dienen sollen und welche übergeordneten Bildungs-programmatiken jungen Menschen zu vermitteln sind.

Einleitend kann argumentiert werden, dass bei solchen Vorhaben die Minderjährigen als die eigentlichen Adressaten von Bildungsprogrammatiken begriffen werden; und dass es bei der Ausformulierung von schulpädagogischen Grundsätzen de facto darum geht, die essenziellen Bildungsanforderungen sowie die Anliegen der Schülerschaft zu bestimmen.

Entgegenzusetzen ist dem jedoch, dass letztendlich dieser gesamte Themenkomplex zu schulischer Bildung und Pädagogik in den Zuständig-keitsbereich der Professionellen fällt; und dass eben dieser Personenkreis von Fachkundigen, eben die Schulforschenden und die in der Lehre Tätigen, für die Durchführung und Vermittlung von Bildungsinhalten verantwortlich sind. Unter Berücksichtigung dessen werden die komplexen Fragestellungen zur Schul-praxis – auch wenn sie die Bedürfnisse und Interessen der Schülerinnen und Schüler stark tangieren – primär dem Aufgabenfeld der Fachleute zugerechnet.

Was die Schwerpunktsetzung auf die schulische Lehre, einschließlich auf das pädagogische Personal anbelangt, so macht sich diese Vertiefung vor allem in den umfassenden Debatten zur interkulturellen Öffnung von Schule bemerkbar, in denen die Weitergabe korrespondierender Bildungsprinzipien besprochen wird. Neben den fundierten Erörterungen darüber, was unter Interkulturalität zu

verstehen ist121, werden seit Längerem Aushandlungen darüber geführt, was adäquates schulpädagogisches Handeln unter Einwander-ungsbedingungen ist.122 Ergründet wird diesbezüglich vornehmlich, was in interkulturellen Kompetenzen als Bestandteil pädagogischer Qualifikation umfasst ist.123

Eine themenbezogene Fokussierung dieser Art wird auch daran erkennbar, dass neben den konzeptionellen Grundlagen zu interkulturellen Schulen oft auch Sachverhalte zur Unterrichtsgestaltung durchgenommen werden; das heißt den konkreten Herangehensweisen und Strategien nachgegangen wird, anhand denen interkulturelle Bildungsinhalte in den einzelnen Fächern näherzubringen sind. Im Zentrum derartiger Aufarbeitungen steht vor allem eine solch orientierte, sprachliche Bildung mitsamt den zugehörigen Kernpunkten, wie unter anderem die Neubewertung lingualer und familial bezogener Ressourcen, die Etablierung von Sprachförderkonzepten und eine auf Mehrsprachigkeit spezialisierte Sprachstandsdiagnostik (vgl. Fürstenau/

Gomolla 2011:18; Schründer-Lenzen 2009). Viele Anstrengungen werden unternommen, Methoden zur Spracherziehung als auch zum fachlichen Lernen im Medium „Deutsch als Zweitsprache“ zu entwerfen (z. B. Stölting 2013 a,b).

Da die Schulentwicklungsforschung die Sprachbildung als Schlüssel für die Schulkarriere bewertet, schenkt sie diesen Themenfeldern eine enorme Beachtung; so dass es deswegen zahlreiche Fachliteratur dazu gibt.124

Die thematische Konzentration auf die Anwendung geeigneter Schulpädagogik und auf das Lehrpersonal wird auch an fachinternen Entwicklungsverläufen deutlich: Seit einiger Zeit hat sich in der bildungsbezogenen Migrations-forschung eine selbstkritische Forschungslinie herausgebildet, bei der die Gefahren einer inkorrekt angewandten interkulturellen Pädagogik präzisiert (z.

B. Scherr 2015; Hamburger 2009). Die Intention wird verfolgt, die folgenschweren Konsequenzen zu ergründen, die sich aus unangemessenen

121Zu diesem Aspekt: z. B. Neumann/Karakasoglu 2011; Dietz 2011.

122Ausführliches dazu, siehe folgendes Handbuch: Leiprecht, R./Kerber A. (Hg.) (2009): Schule in der Einwanderungsgesellschaft; speziell S.367-418.

123Entsprechende Definitionen diesbezüglich: Kalpaka/Mecheril 2010:77f/88-91; Mecheril 2006; Schmidtke 2013.

124Hinsichtlich einer systematischen Aufbereitung des Forschungsstandes zur Sprachförderung: Kempert et al. 2016.

Annahmen und „theoretischen Kurzschlüssen“ für die schulische Sozialisation migrantischer Minderjähriger ergeben. An erster Stelle haben die entsprech-enden Untersuchungen im Sinn, Risiken im unangemessenen Umgang mit Heranwachsenden zu illustrieren und hierzu vor allem die verhängnisvolle

„Kulturalisierungs- und Ethnisierungsfalle“ offenzulegen; und ferner klarzu-stellen, dass pädagogisches Handeln in einer Einwanderungsgesellschaft stets in gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnissen stattfindet.

Eine fachliche Ausrichtung von diesem Format macht sich auch darin bemerkbar, dass ergänzend zu diesen Problemstellungen ausdrücklich die Rolle der Lehrkräfte, bei der Etablierung von Sozialisations- und Lernbeding-ungen, ins Visier genommen wird: Verdeutlicht wird in theoretischen Ausfüh-rungen, dass anhand unreflektierter Lehrerhandlungsweisen entsprechende schulische Angebote „aufgrund des prekären Status von Minderheitenange-hörigen im interkulturellen Diskurs in Deutschland Gefahr laufen, zur symbo-lischen Einübung in Machtverhältnisse zu werden (z. B. Castro Varela/Mecheril 2013). In diesem Kontext beschäftigen sich einige Arbeiten damit, Richtlinien für pädagogisches Handelns festzusetzen. Klargestellt wird diesbezüglich, das Lehrerinnen und Lehrer als pädagogische Akteure durchgehend ihre eigenen Positionen zu reflektieren haben; als auch die gesamten pädagogischen Prozesse überdenken sollten, in denen sie involviert sind. Im Kern wird verdeutlicht, dass interkulturelles Verstehen und der Dialog nicht außerhalb von gesellschaftlichen Machtasymetrien und von ungleicher Verteilung sozialer Ressourcen existiert. Derartige Aufarbeitungen münden letztlich in der Fortentwicklung einer kritisch-reflektierten Interkulturalität. Anhand diesem überarbeiteten Konzept soll sichergestellt werden, dass kulturalisierende und ethnisierende Praktiken in der Bildugnspraxis gegenüber jungen Migrant/innen unterbunden werden.