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Klinik 4 und Foker

4.3 Ergebnisse zum Stand der Nutzung lokaler IRS

4.3.3 Evaluation des Lernerfolgs und Lerntransfers (Ebenen 3–4)

Dritt-meldungen und passiver Nutzung der Ärzte einzuschätzen. Bedingung für die Nutzung war eine absolute Wahrung der Anonymität der Meldenden, sodass sich aus Berichten ins IRS keine personalrechtlichen Konsequenzen ergeben. Die Nut-zung setzt eine Vertrauenskultur und einen entsprechend offenen Umgang mit Fehlern im Team voraus. Den Leitungen obliegt es, dafür Sorge zu tragen, dass IRS nicht missbraucht werden und (wenn auch unbeabsichtigte) Schuldzuschreibungen fördern.

Die Studie ergab Hinweise auf eine geringe Nutzung der IRS im Verhältnis zu den geschätzten Soll-Berichts-Häufigkeiten, welche u. a. in der fehlenden Transparenz von Prozessen, Wegen und allgemeinem Wissen über die IRS begründet liegen.

Als weiterer hemmender Faktor für die Nutzung wurden die häufigen Personal-wechsel und damit verbundenen Instabilitäten im Team genannt. Zudem wurde auf die Gefahr der Bürokratisierung hingewiesen wie auch die Gefahr der Schaf-fung von Scheinsicherheit mit Mehrbelastung und Zusatzaufwand sowohl für die Meldenden als auch die Auswertenden.

IRS als Intervention und Auseinandersetzung. Die Tatsache, dass Fehlermeldesysteme eingeführt wurden, war bereits Intervention, die eine intensivere und bewusstere Auseinandersetzung mit Fehlern und kritischen Zwischenfällen forderte und för-derte. Die subjektiven Einschätzungen des Lernpotenzials des IRS richteten sich auf vier Schwerpunkte:

1. Ein verändertes Fehlerbewusstsein (z.B. Anerkennen und Ernstnehmen von Fehlern im klinischen Alltag) und Sensibilisierung für systemisches Denken und Lernen (10 Interviews: 3, 4, 5, 6, 7, 9, 10,11, 13)

2. Eine offenere Kommunikation (vor allem zwischen Ärztlichem und Pflege-rischem Dienst) und Auseinandersetzung mit Fehlern und Zwischenfällen (10 Interviews: 2, 3, 4, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12)

3. Struktur- und Prozessoptimierung mit spürbaren konkreten Verbesserun-gen (wie z.B. tagsüber verfügbaren Stationsarzt, Doppelkontrollen i.v. Mi-di/Bluttransfusionen, Allergietests nicht am Wochenende, genauere Do-kumentation etc., mit der Schätzung 30-50% der Meldungen bringen Ver-änderungen) (7 Interviews: 4, 5, 6, 7, 11, 12, 13)

4. Kompetenzentwicklung im Umgang mit eigenen Fehlern und Austausch über Fehler (4 Interviews: 3, 4, 5, 10)

Die Datenerhebungen ließen auf einen Lernprozess mit verändertem Umgang in der Kommunikation untereinander und in der Auseinandersetzung mit Fehlern schließen. Vereinzelte, anfänglich schwierige Situationen wie beispielsweise das Zurechtweisen Einzelner durch die Leitungen infolge von Meldungen wurden im Verlauf des Fehlermanagementprozesses durch einen konstruktiveren, wertschät-zenden Umgang abgelöst:

„Und da hatte ich das Gefühl, mit der Zeit hat sich das wie so ein bisschen äh ver-ändert ... Als man dann begonnen hat zu merken, was daraus gemacht wird. [...]

Und auch äh Veränderungen ersichtlich sind. Und dass es nicht nur darum geht, man schaut, man will jetzt da irgendwie das Team schikanieren, immer wieder zu wissen, wer was für Fehler macht.“ (Interview 3/29, Ärztin)

Eine Veränderung des Arbeitshandelns wurde beschrieben als offeneres Aufeinan-derzugehen. Insbesondere die Erkenntnis, dass Fehler passieren können, dass diese nie ganz vermeidbar sein werden und was deren mögliche Ursachen sind – bspw.

häufige Störungen, Lärm, hohe Arbeitsbelastung und vor allem eine fehlende Ein-arbeitung neuer Mitarbeitender – half, ein anderes Bewusstsein zu schaffen.

Learning „on the job“– Reflective practise. Das Fehlermeldesystem wurde auch als Lernmöglichkeit „on the job“ empfunden. Ein Drittel der Befragten sah darin die Möglichkeit für Reflektion und eigene Beteiligung mit Verantwortungsübernahme.

Konkrete Veränderungen ergaben sich in verschiedenen Bereichen des Arbeitshan-delns wie z. B. dem Medikamentenprozess, der Personaleinsatzplanung oder der Dokumentation. Zudem wurden Struktur- und Prozessoptimierungen etwa durch ein strafferes Verordnungssystem initiiert. Ein konkretes Beispiel ist auch die Re-flektion und Umgestaltung der Allergietestungen: Diese wurden nicht mehr am Wochenende vorgenommen, wenn kein Arzt vor Ort war. Die Organisation hatte auch aus anderen Berichten ins IRS gelernt, wie etwa bei der Umgestaltung des Personaleinsatzplans für die Assistenzärzte: Fortan war immer ein Assistenzarzt fest auf der Bettenstation. Zuvor konnte er zwar für diese verantwortlich, aber gleichzeitig im Operationssaal eingesetzt sein.

Unbeabsichtigte Konsequenzen. Nicht alle beschlossenen Maßnahmen führten zu den erwünschten Veränderungen, was an der Häufigkeit von Wiederholungsmeldun-gen gemessen wurde. Eine tatsächlich erfolgreiche, die Patientensicherheit erhö-hende und Fehler minimierende Wirkung von Maßnahmen kann nicht systema-tisch nachgewiesen werden. Teilweise war gar das Gegenteil der Fall: Die hohe Zu-satzbelastung durch neue Auflagen aus dem IRS wurde als Ursache neuer Fehler-quellen beschrieben. Die Frage stellt sich: Was wird aus solchen Erfahrungen ge-lernt? Bedenken wie jene im bereits angeführten Zitat aus Interview 8 „… ich mel-de nichts mehr, weil dann kriege ich nämlich eine neue Weisung“ und Bemel-denken eines Missbrauchs im Team wurden von einem Drittel der Befragten geäußert. Die Gefahr ist daher: Je nach Umgang mit den Meldungen durch das Komitee und vor allem der Leitungen kann auch gelernt werden, dass es in manchem Fall besser ist, direkt und persönlich oder gar nicht über realisierte Fehler und Zwischenfälle zu kommunizieren. Das Wissen steht dann für das Lernen der Organisation oder eines Kollektivs nicht mehr zur Verfügung, wenn es nicht über andere „Gefäße“ struktu-riert erfasst, weiterbearbeitet und zusammengetragen werden kann, und droht ver-loren zu gehen.

4.3.3.1 Zwischenfazit (Evaluationsebenen 3–4)

Bereits die Implementierung von IRS kann als Intervention gesehen werden: Un-weigerlich wurde ein Anstoß zur Auseinandersetzung mit Fehlern in die Arbeits-gruppe gebracht, ob eine Nutzung aktiv geschah oder passiv. Eine Auseinander-setzung mit den Berichten erfolgte in den meisten Fällen mit den am Kernprozess beteiligten beiden Berufsgruppen Ärzten und Pflege, bei der Diskussion ausge-wählter Fälle in Fortbildungen oder Teambesprechungen. Vor allem die Enttabui-sierung von Fehlern sowie ein besseres Verständnis und Anerkennen von Fehlern

als Lernchance wurden als positive Effekte der Nutzung beschrieben. IRS schafften Handlungsgrundlagen. Zahlreiche konkrete Veränderungen wurden umgesetzt, wenn auch nicht alle einen wünschenswerten Erfolg und Verbesserungen brachten.

Kritisch ist anzumerken: Eine Gefahr für das Lernen liegt darin, die Ressourcen für Lernen –nämlich Zeit, Raum und Motivation – zu reduzieren oder die potenziellen Nutzer mit Aktionismus zu überlasten. Diese Wirkungen wurden als lähmend und demotivierend für die Nutzung beschrieben. Große Erfolge für Veränderungen be-trafen vor allem im Kontext der Klinik realisierbare Veränderungen in Prozessen und Strukturen.