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2   Literatur

2.7   Fledermaustollwut

2.7.4   Europa

Im Jahr 1954 wurde in Hamburg der erste Fall einer Tollwutinfektion bei Fledermäusen in Deutschland festgestellt (MOHR, 1957). Dies war auch der Erstnachweis von Fledermaustollwut in Europa überhaupt. In den nachfolgenden Jahrzehnten ist in weiteren Ländern Europas Tollwut bei Fledermäusen nachgewiesen worden (Tabelle 2-2).

Zwischen 1977 und 2006 wurden insgesamt 826 Fälle von Fledermaustollwut an das WHO Collaborating Centre for Rabies Surveillance and Research, am Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) Wusterhausen berichtet (Abbildung 2-4). Die Mehrzahl der Fälle wurde aus den Niederlanden (283), aus Dänemark (222) und Deutschland (192) gemeldet. Aber auch in Polen, Frankreich und Spanien sind gehäuft Fledermaustollwutfälle nachgewiesen worden.

Tabelle 2-2: Erstnachweis von Fledermaustollwut in den verschiedenen europäischen Ländern, modifiziert nach KING et al., 2004

Jahr Land Spezies Bemerkung

1954 Deutschland (BRD) ?

1956 Jugoslawien Nyctalus noctula

1957 Türkei Rhinolophus ferrumequinum 1964 Ukraine Eptesicus serotinus

1969 Griechenland ?

1972 Polen Eptesicus serotinus

1984 Niederlande ? Pers. Mitt. B.KOOI

1985 UdSSR Human

1985 Finnland (Schweiz) Human EBLV-2

1985 Dänemark Eptesicus serotinus

1987 Spanien ?

1989 Frankreich Eptesicus serotinus 1989 Tschechoslovakei ?

1992 Schweiz Myotis daubentoni EBLV-2

1996 Vereinigtes Königreich Myotis daubentoni EBLV-2

1998 Slovakei ?

1999 Ungarn Eptesicus serotinus

Da die Zahl von Fledermäusen, die auf Tollwut untersucht wurden, zwischen den einzelnen Ländern Europas stark schwankt, ist davon auszugehen, dass die Fledermaustollwut in ganz Europa verbreitet ist. Wie BOURHY (1992) anhand von Restriktionsanalysen und Sequenzvergleichen des N-Gens zeigte, konnten die beiden anfänglich als Biotypen

vermuteten Virusvarianten EBLV-1 und EBLV-2 genetisch deutlich voneinander unterschieden und als weitere Genotypen identifiziert werden. Diese Ergebnisse wurden von nachfolgenden Untersuchungen bestätigt (AMENGUAL et al., 1997).

Abbildung 2-4: Darstellung der Fledermaustollwutfälle in Europa zwischen 1977 und 2006 anhand der berichteten Fälle (Quelle: WHO Collaborating Centre for Rabies Surveillance and Research, FLI, Wusterhausen)

Die überwältigende Mehrheit der diagnostizierten Fledermaustollwutfälle in Europa waren auf EBLV-1 zurückzuführen, lediglich 14 sind bislang als EBLV-2 charakterisiert worden.

Während die Breitflügelfledermaus (Eptesicus serotinus) das Reservoir für EBLV-1 zu sein scheint (BOURHY et al., 1992), ist EBLV-2 bisher nur aus Fledermäusen des Genus Myotis (Myotis daubentonii und Myotis dasycneme) in den Niederlanden, der Schweiz und dem Vereinigten Königreich isoliert worden (VOS et al., 2007a; HARRIS et al., 2007; FOOKS et al., 2003c). Weitere Hinweise auf die Zirkulation von EBLV-1 in europäischen Fledermauspopulationen lieferten Untersuchungen aus Spanien (AMENGUAL et al., 2007;

SERRA-COBO et al., 2002; PEREZ-JORDA et al., 1995; VÁZQUEZ-MORÓN et al., 2008) und dem Vereinigten Königreich (HARRIS et al., 2006). Interessanterweise konnte 1999 bei einem Nilflughund (Rousettus aegyptiacus) aus dem Rotterdamer Zoo, der nach Dänemark verbracht wurde, nach dem Verenden des Tieres EBLV-1a isoliert werden. Die Umstände, unter denen es zu der Infektion mit dieser Virusvariante kam, konnten nicht geklärt werden (VAN DER POEL et al., 2000).

In Deutschland gab es zwischen 1954 und 1985 nur vereinzelte Nachweise von Fledermaustollwut (Tabelle 2-3). Zumeist handelte es sich um verhaltensauffällige Fledermäuse mit Bisskontakt zu Menschen, welche nachfolgend positiv getestet wurden (SCHNEIDER, 1982; HENTSCHKE und HELLMANN, 1975; WERSCHING und SCHNEIDER, 1969; PITZSCHKE, 1965). Zu dieser Zeit konnten die verursachenden Virusvarianten noch nicht von dem klassischen RABV unterschieden werden. Um daher die Bedeutung der Fledermaustollwut für die Tollwutsituation in Deutschland abschätzen zu können, wurden Mitte der 1950er Jahre von DENNIG (1958) umfangreichere Untersuchungen durchgeführt, bei denen Seren von 295 Fledermäusen verschiedener Spezies auf das Vorkommen neutralisierender Antikörper und 92 Fledermausgehirnsuspensionen im Mausinokulationstest auf Tollwut getestet wurden. Weder Virus noch Antikörper konnten mit Sicherheit nachgewiesen werden. Auch PITZSCHKE (1965) untersuchte 35 Fledermäuse mit negativem Ergebnis. Eine positiv getestete Breitflügelfledermaus wurde von ihm als Zufallsbefund betrachtet. Um nähere Informationen zur Fledermaustollwut zu erlangen, wurden Infektionsversuche initiiert. Damit sollte die Empfänglichkeit einheimischer Fledermäuse gegenüber Infektionen mit dem klassischen RABV untersucht werden (SCHINDLER und DENNIG, 1958). Eine erste Charakterisierung von einem Fledermaustollwutvirusisolat lieferten WERSCHING und SCHNEIDER (1969), die Infektionsversuche mit einem aus einer Breitflügelfledermaus isolierten Virus durchführten, und Unterschiede in der Pathogenität zu dem klassischen Tollwutvirus nachweisen konnten.

Sie gingen allerdings noch von der Fledermaus als Endglied der Infektionskette aus.

Tabelle 2-3: Auflistung der berichteten Fledermaustollwutfälle in Deutschland (BRD u. DDR) von 1954 bis 1985

Jahr Ort Spezies Referenz

1954 Hamburg ? MOHR (1957)

1963 Jena E. Serotinus PITZSCHKE (1964)

1968 Hamburg ? WERSCHING und SCHNEIDER (1969)

1970 Stade ? SCHNEIDER (1982)

1973 Berlin Myotis myotis HENTSCHKE und HELLMANN (1974)

Erst nach dem Auftreten von Fledermaustollwut 1985 im benachbarten Dänemark und einer von der WHO und dem grünen Kreuz initiierten Tagung in Marburg zum Thema Fledermaustollwut wurden vermehrt Fledermäuse zur Untersuchung an die zuständigen Veterinäruntersuchungsämter eingesandt. Während 1985 Fledermaustollwut bei 3 Breitflügelfledermäusen in Norddeutschland festgestellt wurde, erhöhte sich diese Zahl auf 17 im Folgejahr. Niedersachsen initiierte als erstes Bundesland bereits 1986 eine systematische Untersuchung zur Fledermaustollwut unter Leitung des Tierseuchenbekämpfungsdienstes und der Fachbehörde für Naturschutz. Von 376 untersuchten Tieren aus den Fundjahren zwischen 1979 und 1989 waren 19 im Immunfluoreszenztest positiv (POTT-DÖRFER, 1991;

SEIDLER et al., 1987).

Von 1954 bis 2007 wurden in Deutschland innerhalb der Tollwutroutineuntersuchungen mehr als 900 Fledermäuse untersucht. Die Mehrzahl der Einsendungen stammte aus den Bundesländern Niedersachsen, Sachsen, Schleswig-Holstein, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. In den übrigen Bundesländern wurden im gleichen Zeitraum jeweils weniger als 50, in einigen Bundesländern sogar weniger als 20 Fledermäuse untersucht (MÜLLER et al., 2007).

Das Vorkommen von Fledermaustollwut in Deutschland ist hauptsächlich auf den Norden des Landes beschränkt (Abbildung 3-1). Die meisten Fälle wurden in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Berlin festgestellt. Im Nordwesten, insbesondere in Niedersachsen, ist ein signifikant höheres Vorkommen von Feldermaustollwutfällen gegenüber anderen Regionen

Deutschlands zu verzeichnen, welche auf ein Endemiegebiet für Fledermaustollwut des Typs EBLV-1 hinweisen. Vermutlich gibt es dort Bedingungen, welche die Persistenz von EBLV-1 in der Fledermauspopulation begünstigen, wie beispielsweise eine erhöhte Populationsdichte der Reservoirspezies, der Breitflügelfledermaus (MÜLLER et al., 2007). Zwar kommt diese Spezies in ganz Deutschland vor, der Verbreitungsschwerpunkt liegt aber im Norddeutschen Tiefland (PETERSEN et al., 2004).

Mit mehr als 90 % aller Fledermaustollwutfälle, bei denen die Fledermausspezies bestimmt wurde, ist die Breitflügelfledermaus die am häufigsten betroffene Art in Deutschland. Weitere Nachweise von EBLV mittels direktem IFT erfolgten in Deutschland bei Myotis myotis, Myotis daubentoni, Pipistrellus pipistrellus, Nyctalus noctula, Pipistrellus nathusii und Plecotus auritus. Mittels der sensitiveren molekularbiologischen Nachweismethoden konnte EBLV-Genom bei Myotis nattereri, Miniopterus schreibersii, Rhinolophus ferrumequinum und Barbastella barbastellus nachgewiesen werden (MÜLLER et al., 2007).