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Erweiterter Familienbegriff und Quotenregelungen: Familienzusammenführung in den USA

A. Zuwanderungspolitik im internationalen Vergleich

A.3 Familienmigration

A.3.1 Erweiterter Familienbegriff und Quotenregelungen: Familienzusammenführung in den USA

Familienzusam-menführung in den USA

Die amerikanische Politik des Familiennachzugs unter-scheidet grundlegend zwischen Familienangehörigen von US-Staatsangehörigen und Familienangehörigen von daueraufenthaltsberechtigten Nichtamerikanern. Wäh-rend Deutschland und andere EU-Staaten den Familien-nachzug in der Regel auf die Kernfamilie, also auf Kinder und Ehepartner beschränken, legen die USA migrations-politisch einen erweiterten Familienbegriff zugrunde.

Neben der Frage, ob die Bezugsperson Amerikaner oder Ausländer ist, spielt für die Zuzugserlaubnis also auch das Verwandtschaftsverhältnis zur Bezugsperson eine entscheidende Rolle:

(1) Unmittelbare Verwandte von US-Staatsangehörigen genießen im Rahmen der Familienzusammenfüh-rung absoluten Vorrang; der Nachzug ist zahlenmä-ßig unbegrenzt.

Familienmigration

Kapitel

A.3

58 Zu den Rechten von Drittstaatsangehörigen im Bereich der Familienzusammenführung in der EU vgl. ausführlich Eisele (2014: 283–290).

FAMILIENMIGRATION

ZUWANDERUNGSPOLITIK IM INTERNATIONALEN VERGLEICH

(2) Für andere enge Verwandte von US-Bürgern und von Daueraufenthaltsberechtigten (Lawful Permanent Residents)59 gilt eine Quotenregelung – ein Regu-lierungsinstrument, das in Europa im Rahmen des Familiennachzugs nicht zum Einsatz kommt (Thym 2014b: 11).

(3) Je nach ‚Vorzugskategorie‘ der Bezugsperson und auch nach Herkunftsländern gibt es deutlich unter-schiedliche Wartezeiten.

(4) Darüber hinaus besteht in den USA – anders als in Deutschland60 – für nicht daueraufenthaltsberech-tigte Ausländer „grundsätzlich keine Möglichkeit für einen legalen Familiennachzug, was eine ungemein wichtige Einschränkung ist und speziell geringer qualifizierte Arbeitnehmer vom Familiennachzug grundsätzlich ausschließt“ (Thym 2014b: 7; Herv. im Original).

Info-Box 1 Quantitative Bedeutung der Familienmigration in Deutschland, Schweden und den USA

Familienmigration ist OECD-weit die quantitativ bedeutendste Form dauerhafter Zuwanderung. Zwischen 2007 und 2011 ist sie in den OECD-Staaten insgesamt zwar (absolut) leicht zurückgegangen, doch lag ihr Anteil an der Gesamtzuwanderung (ohne Freizügigkeit) in den OECD-Staaten bei 65 Prozent und in den EU-Staaten bei 45 Prozent (OECD 2013a: 24f.; 2014c: 22–24).

In Deutschland ist der Anteil der Zuwanderer, die im Zuge der Familienzuwanderung ins Land kommen, nach 2000 deutlich zurückgegangen, hat sich aber in den letzten Jahren stabilisiert. Familienzusammenführung ist nach wie vor „der bedeutsamste langfristige Aufenthaltszweck von Zuwanderern, noch vor dem Aufenthalt zur Erwerbstätigkeit bzw. zum Studium“ (SVR 2014: 60). Bei Drittstaatsangehörigen machte sie in der jünge-ren Vergangenheit zwischen einem Viertel und einem Siebtel der Zuwanderung aus (SVR 2014: 48, 60; OECD 2014c: 257).

Nachdem in Schweden 2010 die Pflicht eingeführt wurde, ein regelmäßiges Einkommen und ausreichenden Wohnraum nachzuweisen, sank die Zahl der Familienmigranten in den Jahren 2010 und 2011 zunächst deutlich unter die von 2009; in den Jahren 2012 und 2013 lag sie jedoch höher als vor Einführung dieser Voraussetzung (Migrationsverket 2014). Der Anteil der Familienmigration an der Gesamtzuwanderung ist hier nach wie vor fast doppelt so hoch wie in Deutschland, er lag in den letzten Jahren zwischen 30 und 40 Prozent (Parusel 2014: 20; OECD 2014c: 301). Häufig handelt es sich dabei um Familiennachzug zu Flüchtlingen. Zudem gehen in Schweden etwa zwei Drittel aller Aufenthaltsgenehmigungen, die zum Zweck der Familienzusammenführung erteilt werden, auf Heirat zurück, d. h. die zuziehenden Drittstaatsangehörigen erhalten ein Aufenthaltsrecht durch Heirat mit einem Schweden oder einem in Schweden lebenden Ausländer (Parusel 2009: 2).

In den USA ist der Anteil der Familienmigration an der Gesamtzuwanderung zwar in den letzten Jahren etwas zurückgegangen, liegt aber mit über 70 Prozent weiterhin wesentlich höher als in Deutschland und Schweden (OECD 2014c: 309). Dabei sind die Regelungen für den Nachzug zu US-Bürgern deutlich großzügiger als bei Daueraufenthaltsberechtigten (s. Kap. A.3.1). Das spiegelt sich auch in der Statistik wider: Zwei Drittel der Visa für Familiennachzug entfallen auf unmittelbare Verwandte (Immediate Relatives) – also Partner, Eltern und Kinder – von US-Staatsbürgern (Department of Homeland Security 2013). Bei einem Teil dieser Gruppe handelt es sich um ‚Statuswechsler‘, also Personen, die sich bereits zuvor im Land aufgehalten haben (Department of Homeland Security 2013). Dies ist u. a. darauf zurückzuführen, dass Kinder von Ausländern, die in den USA geboren werden, aufgrund des dort geltenden ius soli automatisch die amerikanische Staatsangehörigkeit erwerben; darüber können ihre Eltern später ihren Status verbessern. Ähnliches gilt „für Deutschland, wo die zunehmende Anzahl von ‚ius soli‘-Kindern dazu führt, dass bisweilen ganze Familien von der deutschen Staatsangehörigkeit eines Kleinkinds ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland ableiten“ (Thym 2014b: 8). In den USA haben Eltern jedoch erst ein Recht auf Familiennachzug, wenn ihr Kind (als Bezugsperson) 21 Jahre oder älter ist. Folglich können sie erst ab diesem Zeitpunkt ihren Status durch eine Green Card verbessern, die vom Recht auf Familiennachzug abgeleitet ist (Thym 2014b: 8).

59 Bei Daueraufenthaltsberechtigten wird nicht wie bei US-Staatsbürgern zwischen unmittelbaren und weiteren engen Verwandten unterschieden; es gibt lediglich die Kategorie ‚enge Verwandte‘, die Ehepartner und minderjährige sowie unverheiratete volljährige Kinder umfasst.

60 In Deutschland ist die statusrechtliche Voraussetzung dafür, dass der betreffende Ausländer eine Niederlassungserlaubnis, eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU, eine Aufenthaltserlaubnis oder eine Blaue Karte EU besitzt (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG).

FAMILIENMIGRATION

Die in Deutschland unbekannte Quotierung für bestimmte Gruppen von Nachziehenden ist in den USA seit Langem als Steuerungsinstrument etabliert. Im Gegenzug fehlt hier die in Deutschland und einigen anderen europäi-schen Einwanderungsländern bekannte Voraussetzung, dass die Bezugsperson ausreichenden Wohnraum und der zuziehende Ehegatte einfache Sprachkenntnisse nachwei-sen muss.

A.3.1.1 Zuwanderung zu US-Staatsbürgern: absolu-ter Vorrang der Kernfamilie

Immediate Relatives, also unmittelbare Verwandte von US-Staatsbürgern, haben Vorrang vor allen anderen Zu-wanderern, die auf der Grundlage familiärer Beziehungen eine Green Card und damit ein Daueraufenthaltsrecht er-halten können. Für sie gibt es keinerlei Quotierung, und sie können prinzipiell sofort zuziehen. Zu dieser Kategorie zählen Ehepartner,61 unverheiratete Kinder (unter 21 Jah-ren)62 und auch die Eltern (sofern die Bezugsperson älter als 21 Jahre ist), was in europäischen Einwanderungslän-dern eher nicht der Fall ist.

Darüber hinaus gibt es in den USA die Kategorie der Other Close Family Members, der weiteren engen Ver-wandten; dazu gehören unverheiratete und verheiratete Kinder ab 21 Jahren sowie Geschwister. Diese Personen können ebenfalls den Familiennachzug zu einem US-Bür-ger beantragen. Weitere (entferntere) Verwandte wie z. B. die Großeltern sind jedoch von der Familienzusam-menführung ausgeschlossen.

Bei den weiteren engen Verwandten sind die Visa zum Zweck der Familienzusammenführung quotiert. Hier gibt es sog. Vorzugskategorien (Preferences) mit unter-schiedlichen Wartezeiten.63 Dabei gilt: Je höher die Vor-zugskategorie, desto kürzer die Wartezeit. Erste Präferenz (First Preference, ‚F1‘) haben unverheiratete Kinder ab 21 Jahren.64 Sie sind zwar schlechter gestellt als ihre jün-geren Geschwister, die als unmittelbare Verwandte gelten und daher bei der Familienzusammenführung absoluten

Vorrang haben, ihre Präferenzkategorie ist jedoch höher als die von verheirateten Kindern ab 21 Jahren (Third Preference, ‚F3‘).65 Diese wiederum haben eine höhere Präferenz als Geschwister (Fourth Preference, ‚F4‘), für die ein Antrag auf Familienzusammenführung zudem erst gestellt werden kann, wenn die Bezugsperson 21 Jahre oder älter ist. Die jährlichen Einwanderungsquoten und die daraus resultierenden Wartezeiten können dem mo-natlich veröffentlichten Visa Bulletin entnommen wer-den; die Wartezeit wird nach dem Datum der Antragstel-lung ermittelt (Tab. A.3).66 Aufgrund der Quoten besteht derzeit ein Rückstau von über vier Millionen Visaanträ-gen. Insofern ist der Bereich des Familiennachzugs ein wesentlicher Grund dafür, dass das Zuwanderungssystem in den USA allgemein als „broken immigration system“

wahrgenommen wird (Thym 2014b: 15).67

Die grundsätzlich größere Offenheit der USA gegen-über Familienmigranten, die sich im weiter gefassten Familienbegriff und den geringeren materiellen Anforde-rungen manifestiert, wird durch diese Wartezeiten erheb-lich relativiert. Vor allem die Mögerheb-lichkeit, dass Verwandte jenseits der Kernfamilie nachziehen (die in europäischen Einwanderungsländern nicht besteht), wird durch War-tezeiten von einer Dekade und mehr zumindest teil-weise entwertet. Denn es ist davon auszugehen, dass sich in dieser langen Wartezeit die Lebensperspektiven der zuzugswilligen Personen ändern, etwa durch eine mittlerweile abgeschlossene Berufsausbildung, durch Berufseinstieg oder Familiengründung, und dadurch ihr Zuzugswunsch möglicherweise gar nicht mehr besteht.68

Es gibt einen weiteren grundlegenden Unterschied zwischen Deutschland und den USA, auch wenn dieser zunächst nur eine kleine Gruppe betrifft, nämlich die Möglichkeiten des Zuzugs zu minderjährigen Kindern:

Nach Deutschland dürfen im Rahmen der Familienzu-sammenführung grundsätzlich nur Ehegatten bzw. Le-benspartner und minderjährige ledige Kinder zuwandern.

Ausnahmsweise dürfen Ausländer aber zur Ausübung der Personensorge zuziehen, wenn ihre in Deutschland

61 Voraussetzung ist, dass die Ehe rechtskräftig ist und dass es sich nicht um eine sog. Scheinehe handelt. Auch in Deutschland besteht kein Recht auf Familienzusammenführung, wenn es sich um eine sog. Schein- oder Zwangsehe handelt (Art. 27 Abs. 1a AufenthG).

62 Dies gilt auch für Stiefkinder, wenn die Ehepartner vor dem 18. Geburtstag des Stiefkindes geheiratet haben, und für adoptierte Kinder, wenn diese vor ihrem 16. Lebensjahr adoptiert wurden, schon mindestens zwei Jahre bei den Eltern wohnen und diese seit mindestens zwei Jahren das Sorgerecht für sie haben.

63 Über die Regelungen für enge und weitere Familienangehörige hinaus können nichtamerikanische Verlobte eines Amerikaners zudem ein Visum für 90 Tage erhalten, um in den USA zu heiraten (Fiancé(e) Visa, K-1). Im Anschluss an die Heirat können sie eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung beantragen. Voraussetzung für die Erteilung des Visums ist, dass beide Partner heiraten dürfen bzw. vorherige Ehen rechtmäßig aufgelöst sind. Zudem müssen sich die beiden innerhalb der letzten zwei Jahre mindestens einmal gesehen haben. Für gleichgeschlechtliche Partner und Verlobte gelten nach einem Urteil des Supreme Court vom Juni 2013 die gleichen Regeln wie für Ehegatten und Verlobte (Supreme Court of the United States, US v.

Windsor et al., No. 12-307, 26.06.2013). Darüber hinaus können Ehepartner und Kinder von US-Bürgern mit einem sog. K-Visum in den USA darauf warten, dass ihr Green-Card-Antrag bearbeitet wird. Ehepartner von US-Bürgern erhalten dafür ein K-3-Visum, ihre Kinder ein K-4-Visum.

64 Auch unverheiratete adoptierte Kinder und Stiefkinder über 21 Jahre können unter bestimmten Voraussetzungen in die Kategorie ‚F1‘ fallen.

65 Die Ehepartner verheirateter Kinder von US-Bürgern erhalten dann ebenfalls eine Green Card.

66 Vgl. http://travel.state.gov/content/visas/english/law-and-policy/bulletin/2015/visa-bulletin-for-december-2014.html, 23.01.2015.

67 Vgl. auch http://www.whitehouse.gov/issues/immigration, 23.01.2015.

68 Es gibt offenbar keine Statistik darüber, wie viele der Wartenden ihr Visum auch annehmen, wenn sie an die Reihe kommen.

FAMILIENMIGRATION

ZUWANDERUNGSPOLITIK IM INTERNATIONALEN VERGLEICH lebenden Kinder minderjährig sind (§ 28 Abs. 1 Nr. 3;

§ 36 Abs. 1 AufenthG). Minderjährige Kinder von Dritt-staatsangehörigen können zudem seit dem 6. September 2013 auch dann eine Aufenthaltserlaubnis in Deutsch-land bekommen, wenn nur ein sorgeberechtigter Eltern-teil ein Aufenthaltsrecht in Deutschland hat.69 Während also in beiden Ländern Ehegatten/Lebenspartner und minderjährige ledige Kinder (zu Staatsangehörigen) zu-ziehen dürfen, können in Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen auch Eltern zu minderjährigen Kindern mit deutscher Staatsangehörigkeit zuziehen; in den USA hingegen ist gerade der Zuzug von Eltern zu minderjähri-gen Kindern mit amerikanischer Staatsangehörigkeit un-tersagt. Auch wenn ein Kind durch Geburt in den USA au-tomatisch die amerikanische Staatsbürgerschaft erhalten hat, können seine Eltern erst nach seinem 21. Geburtstag eine Green Card aufgrund familiärer Beziehungen erhal-ten, da ihr Kind erst mit Eintritt der Volljährigkeit einen entsprechenden Antrag für sie stellen kann.

A.3.1.2 Zuwanderung zu Daueraufenthaltsberech-tigten: Regulierung durch Quoten

Ähnlich wie in Deutschland beim Familiennachzug zwi-schen verschiedenen Gruppen von Bezugspersonen (sog.

Stammberechtigten)70 unterschieden wird, haben auch in den USA daueraufenthaltsberechtigte Ausländer (Inhaber einer Green Card) andere Optionen als Staatsbürger, Fami-lienangehörige ins Land zu holen (Tab. A.3).71 Ehepartner und unverheiratete Kinder unter 21 Jahren von Dauerauf-enthaltsberechtigten werden innerhalb der Vorzugskate-gorie ‚F2‘ (Second Preference) der UnterkateVorzugskate-gorie ‚F2A‘

zugeordnet. Für diese Kategorie sind 77 Prozent der Visa für den Familiennachzug zu Daueraufenthaltsberechtigten

vorgesehen; auch hier steht also die Kernfamilie im Zent-rum (Thym 2014b: 8). Wenn unverheiratete Kinder (auch Stiefkinder und adoptierte Kinder) von Inhabern einer Green Card über 21 Jahre alt sind, werden sie hingegen in die Unterkategorie ‚F2B‘ eingestuft, auf die 23 Prozent der Visa für den Familiennachzug zu Daueraufenthalts-berechtigten entfallen. Beide Gruppen haben somit so-gar Vorrang vor Kindern von US-Staatsbürgern, die über 21 Jahre alt und verheiratet sind (‚F3‘). In Deutschland können zu einem Drittstaatsangehörigen ausschließlich Ehegatten/Lebenspartner ab 18 Jahren und minderjähri-ge Kinder bis zum 16. bzw. unter bestimmten Vorausset-zungen (Sprachkenntnisse oder ‚positive Integrationspro-gnose‘) bis zum 18. Lebensjahr72 nachziehen, im Übrigen nur zur Vermeidung einer besonderen Härte (§§ 29, 30, 32 AufenthG).73 Weitere Verwandte von Daueraufent-haltsberechtigten, z. B. verheiratete Kinder, Eltern oder Geschwister, haben in den USA keine Möglichkeit, eine Green Card im Rahmen der Familienzusammenführung zu erhalten. In Deutschland hingegen kann eine Aufent-haltserlaubnis zumindest den Eltern eines minderjährigen Ausländers erteilt werden, wenn kein sorgeberechtigter Elternteil in Deutschland lebt (§ 36 Abs. 1 AufenthG), und weiteren Familienangehörigen, „wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist“ (§ 36 Abs. 2 AufenthG).

A.3.2 Regelungen zur