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Arbeitsmarktpolitik: konvergente Entwicklung zum aktivierenden Wohlfahrtsstaat

B. Integrationspolitik im internationalen Vergleich

B.3 Allgemeine arbeits- und sozialpolitische Maßnahmen

B.3.3 Arbeitsmarktpolitik: konvergente Entwicklung zum aktivierenden Wohlfahrtsstaat

Wohl-fahrtsstaat

Die Fortschritte bei der Arbeitsmarktintegration von Zuwanderern, die in Deutschland in den letzten Jahren festzustellen sind, hat der SVR in seinem Jahresgutach-ten 2014 auch auf die Strukturreformen des deutschen Arbeitsmarktes zurückgeführt (Info-Box 3). Der dabei vollzogene Wandel vom versorgenden zum aktivierenden Wohlfahrtsstaat ist aber keineswegs ein deutsches Spe-zifikum. Vielmehr haben in letzter Zeit OECD-weit Länder ihren Arbeitsmarkt und ihre sozialen Sicherungssysteme reformiert mit dem Ziel, das Verhältnis von Nettobeitrags-zahlern zu Nettobeitragsempfängern zu verbessern (für länderübergreifende Vergleiche bzw. eine Beschreibung dieses allgemeinen Trends vgl. beispielsweise Eichhorst/

Konle-Seidl 2008; Dingeldey 2009; Bonoli 2010; Immer-voll 2012; ImmerImmer-voll/Scarpetta 2012).

Der gemeinsame Nenner dieser Anstrengungen ist, dass sie sich stärker auf eine sog. aktivierende Arbeits-marktpolitik ausrichten, verstanden als „eine Kombinati-on politischer Instrumente, die unterstützend wirken und Anreize für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit schaffen, um darüber vermittelt autark und weniger abhängig von staatlicher Hilfe zu werden und zu bleiben“ (Immervoll 2012: 1, Übers. d. SVR). In enger Verbindung mit den in Kap. B.2 beschriebenen Integrationsprogrammen, die exklusiv für Zuwanderer bereitgestellt werden, soll eine solche Arbeitsmarktpolitik also dafür sorgen, dass Men-schen von staatlichen Transferleistungen wirtschaftlich unabhängig werden. Dies betrifft Personen mit wie ohne Migrationshintergrund.

Die Politik, eine aktive Teilhabe am Arbeitsmarkt stär-ker durch Anreize umzusetzen, ist nicht neu. Erste Ansätze dazu reichen bis in die 1950er Jahre zurück; in den 1970er Jahren wurden als Folge der Massenarbeitslosigkeit Elemente aktivierender Arbeitsmarktpolitik in vielen

eu-ropäischen Ländern erprobt (Bonoli 2010). Der entschei-dende „activation turn“ (Bonoli 2010: 20) erfolgte Mitte der 1990er Jahre; seit dieser Zeit setzen sich auch Orga-nisationen wie die OECD und die Europäische Union für eine entsprechende Arbeitsmarktpolitik ein (Dingeldey 2009). Zumindest europaweit ist also eine konvergen-te Entwicklung in der Arbeitsmarktpolitik festzuskonvergen-tellen.

Das bedeutet nicht, dass die betreffenden Länder auf ein einheitliches Modell aktivierender Arbeitsmarktpolitik zulaufen.205

Eichhorst und Konle-Seidl (2008) sprechen bezo-gen auf Deutschland, Frankreich, die Niederlande, die Schweiz, Großbritannien, die USA, Schweden und Däne-mark von einem Prozess der „contingent convergence“:

Die Instrumente, Zielgruppen und Organisationsstrukturen nähern sich an, die arbeitsmarktpolitischen Strategien der einzelnen Staaten hängen aber weiterhin von den jewei-ligen nationalen Besonderheiten ab. Dingeldey (2009) betont sogar eher die Unterschiede, wenn sie in Bezug auf diese Strategien in Dänemark, Deutschland und Groß-britannien von einer „divergent convergence“ spricht. Im Folgenden werden die Entwicklungen der arbeitsmarkt-politischen Strategien from welfare to workfare in den einzelnen Vergleichsländern dargestellt.

B.3.3.1 Großbritannien: Aktivierungspolitik mit dem Programm New Deal

Die britische Sozial- und Arbeitsmarktpolitik ist von ei-ner klassischen marktliberalen Überzeugung geprägt und stützt sich seit jeher „auf die Kernprinzipien von Chan-cengleichheit und selbständigem Individualismus“ (He-merijck et al. 2013: 13, Übers. d. SVR). Darum stand bei diesem liberalen Wohlfahrtsstaat lange Zeit im Zentrum, Bedürftigen ein (eher gering ausfallendes) Mindestein-kommen zu sichern (Mitton 2008). Ab den 1980er Jahren nahmen konservative Regierungen in der britischen Ar-beitsmarktpolitik „eine Reihe radikaler Veränderungen“

(Mitton 2008: 264) vor, um das Land wieder internatio-nal wettbewerbsfähig zu machen. Unter den Regierungen Thatcher (1979–1990) und Major (1990–1997) wurden Sozialversicherungen zunehmend privatisiert und die sozialstaatliche Absicherung insgesamt gesenkt. Dabei

203 Vgl. BT-Drs. 1528/18 vom 28.05.2014 u. BR-Drs. 383/14(B) vom 19.09.2014.

204 Vgl. Protokollerklärung der Bundesregierung zu TOP 5 der Sitzung des Bundesrats am 19.09.2014. Weiterhin gelten soll jedoch das generelle Ar-beitsverbot bei Einreise aus wirtschaftlichen Gründen oder bei Abschiebehindernissen nach § 33 BeschV, die vom Antragsteller zu vertreten sind.

205 Die EU beeinflusst durch die oben genannten Direktiven direkt die Wohlfahrtssysteme der Mitgliedstaaten. Noch größer ist aber ihr indirekter Einfluss über die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Greve 2014): Diese setzt universalistisch geprägte Wohlfahrtsstaaten wie Dänemark unter Druck, Regelungen einzuführen, die erst nach einer bestimmten Aufenthaltsdauer Zugang zum Sozialsystem gewähren. So trägt die EU mittelbar zur Konvergenz der europäischen Wohlfahrtssysteme bei.

ALLGEMEINE ARBEITS- UND SOZIALPOLITISCHE MASSNAHMEN

wurde eine Zunahme gesellschaftlicher Ungleichheit in Kauf genommen, um die Ausgaben für staatliche Wohl-fahrtsleistungen zu senken (Mitton 2008).

Mit der Einführung der Job Seeker’s Allowance 1996 wurde im Königreich noch unter konservativer Regie-rungsführung eine Aktivierungspolitik eingeleitet; ausge-baut und erweitert wurde sie jedoch erst von der (New-) Labour-Regierung unter Tony Blair. Das Programm New Deal wurde zunächst konzipiert, um die Jugendarbeits-losigkeit zu bekämpfen, in den Folgejahren entwickelte es sich jedoch zu einem umfassenden arbeitsmarktpoliti-schen Aktivierungsprogramm (Dingeldey 2009). Nach der berühmten sozialpolitischen Metapher vom ‚Trampolin‘, das der ‚Hängematte‘ vorzuziehen sei (Hemerijck et al.

2013: 14), wurde die Auszahlung von Transferleistun-gen an den Nachweis geknüpft, dass die betreffenden Personen sich auch selbst um Arbeit bemüht oder an Weiterbildungen teilgenommen hatten. Verstöße gegen

die Mitwirkungspflicht bei der Jobsuche wurden durch Leistungskürzungen sanktioniert. Außerdem wurden im Sinne einer ‚make work pay‘-Strategie niedrige Löhne aufgestockt, um Anreize für eine Arbeitsaufnahme zu set-zen. Parallel zu dieser Reform wurden auf institutioneller Ebene Vermittlungs- und Trainingsmaßnahmen privaten Trägern übertragen (Dingeldey 2009) und die administ-rative Trennung von Employment Service- und Benefit Administration-Agenturen aufgelöst.

B.3.3.2 Niederlande: Reform der Arbeitsunfähig-keitsversicherung

Die Niederlande garantierten über viele Jahre einen groß-zügig ausgebauten Sozialstaat mit einer entsprechenden Höhe und Dichte von Leistungen (vgl. dazu etwa Pioch 2000: 79). Diese staatlich bereitgestellten sozialen Siche-rungsleistungen konnten für lange Zeit durch den Verkauf

Info-Box 3 Deutschland: mit der Agenda 2010 zum aktivierenden Wohlfahrtsstaat

Der Wandel vom versorgenden zum aktivierenden Wohlfahrtsstaat erfolgte in Deutschland hauptsächlich mit der Arbeitsmarkt- und Sozialstaatsreform, die als Agenda 2010 bekannt geworden ist und vor etwas mehr als zehn Jahren in verschiedenen Schritten umgesetzt wurde (für eine ähnliche Darstellung dieser Reform s. SVR 2014: 159f.). Diese „größte Arbeitsmarktreform in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ (Hüther/

Scharnagel 2005: 26) besteht aus einem Bündel von Maßnahmen, bei denen es im Kern darum ging, das An-reizsystem für die Aufnahme von Arbeit strukturell zu reformieren und „vom fürsorgenden zum aktivierenden Wohlfahrtsstaat“ (Dingeldey 2006: 3) umzustellen. Analog zur Entwicklung in anderen Industriestaaten reagier-ten die umfassenden Reformen in Deutschland auf die wirtschaftliche Situation nach der Jahrtausendwende, wo die Auswirkungen hoher struktureller Arbeitslosigkeit über Jahrzehnte und der fortschreitende demografische Wandel zu einer Überforderung der Sozialversicherungssysteme führten (vgl. Rinne/Zimmermann 2013; Straub-haar 2013 ). Eine der weitreichendsten Reformen der Agenda war die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe (Hartz IV) im Jahr 2005, mit der ein einheitliches Grundsicherungssystem für Arbeitsuchende geschaf-fen wurde (ALG II). Dadurch wurden einerseits ineffiziente und unnötige bürokratische Doppelstrukturen in der Arbeits- und Sozialverwaltung abgebaut und zugleich dafür gesorgt, dass Arbeitsuchende effizienter in Arbeit vermittelt werden können (Berthold/von Berchem 2005). Andererseits wurden im Sinne von ‚Fördern und For-dern‘ negative Leistungsanreize im System eliminiert und die Anreize zur Aufnahme von Arbeit verstärkt (Blum 2008: 153). Unter anderem wurde die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld (nun als ALG I bezeichnet) verkürzt;

das sollte die Betreffenden motivieren, schnell wieder eine Beschäftigung aufzunehmen (vgl. Bauer 2007).

Die Agenda 2010 wird unterschiedlich bewertet: Ihre Befürworter heben hervor, dass die derzeitige stabile Wirtschaftslage und die niedrige Arbeitslosigkeit in Deutschland auch ein Ergebnis dieser Reformen sind. Kri-tiker verweisen dagegen auf das Los der Reform-Verlierer und monieren, dass soziale Aufwärtsmobilität in Deutschland nicht genügend verwirklicht sei. Ungeachtet ihrer Bewertung (die unweigerlich auch politisch geprägt ist) kann auf einer breiten empirischen Basis festgestellt werden: Die im Rahmen der Agenda 2010 umgesetzten Reformen haben unzweifelhaft für bestimmte Gruppen soziale Härten verursacht. Aber sie ha-ben auch die Voraussetzungen für einen stabilen Arbeitsmarkt geschaffen, der nicht dem europäischen Trend steigender Arbeitslosigkeit folgt. Der Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt geht (auch) auf die mutigen Struk-turreformen der damaligen rot-grünen Bundesregierung zurück. Damit hat die Agenda 2010 zugleich die Rah-menbedingungen für die Integration von Zuwanderern in den Arbeitsmarkt verändert. Die Daten weisen darauf hin, dass vom Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt auch Menschen mit Migrationshintergrund profitiert haben.

ALLGEMEINE ARBEITS- UND SOZIALPOLITISCHE MASSNAHMEN

INTEGRATIONSPOLITIK IM INTERNATIONALEN VERGLEICH von Erdgas aus der Nordsee gewährleistet werden (vgl.

van Paridon 2003: 381). Gerade diese Orientierung auf den Rohstoffexport stellte das Land aber ab der weltwei-ten wirtschaftlichen Rezession, die Anfang der 1980er Jahre einsetzte, vor enorme sozial- und wirtschaftspoliti-sche Herausforderungen: Als ebendiese Sondererlöse aus dem Rohstoffexport nach und nach wegbrachen, wurden die hohen Leistungen des niederländischen Sozialstaats immer weniger finanzierbar.

Das Diktum von ,welfare without work‘ beschreibt die auch in den Niederlanden praktizierte Strategie, den Arbeitsmarkt zu entlasten durch großzügige sozialstaatli-che Arrangements, die von einer Beteiligung am Arbeits-markt weitgehend abgekoppelt sind (Esping-Andersen 1990). Eine niederländische Besonderheit dabei war eine überaus großzügig ausgestaltete Invaliditäts- bzw.

Arbeitsunfähigkeitsversicherung (WAO), über die entspre-chend Berechtigte dauerhaft monatlich 80 Prozent ihres vorherigen Einkommens erhielten. Diese Versicherung wurde staatlich alimentiert; die Anwartschaftszeiten und die Zugangsvoraussetzungen dafür waren niedrig. Der Sociaal-Economische Raad (SER 2000: 27), ein sozial- und wirtschaftspolitisches Beratungsorgan der nieder-ländischen Regierung, berichtet, dass Ende der 1990er Jahre ungefähr 900.000 Personen in den Niederlanden eine Erwerbsunfähigkeitsrente bezogen hätten, viele von ihnen schon seit 15 Jahren und länger; das entsprach dem Bericht zufolge „gut 12 Prozent der Anzahl von Arbeit-nehmern“. Bekannt ist zudem, dass zumindest zwischen-zeitlich die Aufnahmebedingungen für diese Arbeitsun-fähigkeitsversicherung wenig transparent waren und die Aufnahme relativ großzügig gehandhabt wurde. Insge-samt musste der niederländische Staat für das System der Arbeitsunfähigkeitsrente jährlich über zehn Milliarden Euro aufwenden (Gebbink 2009). Diese hohe Bedeutung der Arbeitsunfähigkeitsversicherung als Teilelement der sozialstaatlichen Sicherung ist eine niederländische Be-sonderheit, sie findet sich in der Form in keinem anderen Staat Europas.

Entsprechend kann es wenig überraschen, dass die Arbeitsunfähigkeitsversicherung ein zentraler „Dreh- und Angelpunkt der Reformen“ (Kleinfeld 1997: 305) wurde.

Ihre Neuordnung hatte in den Niederlanden etwa die gleiche Bedeutung wie in Deutschland die Grundausrich-tung der sozialstaatlichen SicherungsleisGrundausrich-tungen in den Agenda-Reformen der 2000er Jahre. Van Oorschot (2008:

472f.) schildert in seinem Überblick über die Entwicklung des niederländischen Wohlfahrtsstaats die verschiedenen Schritte zur Reform der Arbeitsunfähigkeitsversicherung:

Die Lohnersatzrate wurde von 80 auf 70 Prozent des letzten Einkommens gekürzt, die Bemessungsgrundla-gen wurden verschärft, Bezugsdauer und Leistungshöhe nach Alter gestaffelt und Arbeitgeber subventioniert, wenn sie Arbeitnehmer mit eingeschränkter Leistungs-fähigkeit einstellten. All dies war jedoch zunächst nur

mäßig erfolgreich. Als deutlich wirksamer werden die Maßnahmen beschrieben, die erst 2002 im Rahmen des sog. Gatekeeper-Gesetzes (Wet Verbetering Poortwach-ter) erlassen wurden und die Bedingungen für den Bezug einer Arbeitsunfähigkeitsrente noch einmal verschärften.

So wurde u. a. ein unabhängiger Arzt eingeschaltet, um den Gesundheitszustand der betreffenden Arbeitnehmer zu beurteilen, und bei einem gesundheitsbedingten Aus-fall musste, wenn sich der Gesundheitszustand besserte, ein Wiedereingliederungsplan aufgestellt werden. 2006 wurde das alte WAO-System schließlich vollständig er-setzt durch das sog. WIA (Wet werk en inkomen naar arbeidsvermogen – Gesetz für Arbeit und Lohn nach beitsfähigkeit), das „stärker auf die verbleibenden Ar-beitskapazitäten als den Grad der Arbeitsunfähigkeit ab-stellt“ (van Oorschot 2008: 473). Damit rückte die aktive Teilnahme am Arbeitsmarkt ins Zentrum der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik.

B.3.3.3 Schweden: die drei Phasen der Aktivie-rungspolitik

Der schwedische Wohlfahrtsstaat gilt als Prototyp des skandinavisch-sozialdemokratischen Modells. Er verfolg-te „von Beginn an einen gesamtgesellschaftlich orien-tierten, aber staatszentrierten Ansatz“ (Hort 2008: 525, Übers. d. SVR), und diese Ausrichtung hat er laut Hort auch beibehalten, trotz der aktivierungspolitischen Reformen der letzten Jahre. Leistungsniveau und Leistungsdichte sind in Schweden traditionell hoch (Sproß/Lang 2008).

Die schwedische Verfassung gibt als eines der Staatsziele vor: „Es obliegt der öffentlichen Verwaltung, das Recht auf Arbeit zu gewährleisten“ (Hort 2008: 530, Übers. d. SVR), und die aktive Arbeitsmarktpolitik zielt laut Hort (2008:

531, Übers. d. SVR) darauf ab, dass „Outsider – insbeson-dere Jugendliche und Immigranten – […] zu Insidern, d. h.

zu Steuerzahlern auf dem Arbeitsmarkt werden“.

Sproß und Lang (2008) unterteilen die schwedische Aktivierungspolitik in drei Phasen: In der wirtschaftlichen Krise Anfang der 1990er Jahre wurde angesichts hoher Arbeitslosenzahlen zunächst das work first-Prinzip einge-führt; es sollte vor allem jüngeren Arbeitsuchenden aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben durch Erwerbsarbeit garantieren. Zusätzlich zu den Qualifizierungsprogram-men, die bereits ab den 1970er Jahren eingesetzt hatten, wurde daher 1992 mit dem Gesetz zur Jugendpraxis eine Form staatlich subventionierter Beschäftigung für unter 25-Jährige eingeführt, und 1994 wurde die Zielgruppe der arbeitslosen Jugendlichen erweitert um Jugendliche, die Sozialhilfe beziehen.

Ab Mitte der 1990er Jahre setzte dann die zweite Wel-le der schwedischen Aktivierungspolitik ein: Mit der Neu-ausrichtung der Arbeijdlinien (Arbeitslinie) wurden immer mehr Gruppen wirtschaftlich inaktiver Personen stärker gefordert. Die Pflicht des Einzelnen, eine sich bietende

ALLGEMEINE ARBEITS- UND SOZIALPOLITISCHE MASSNAHMEN

Arbeit anzunehmen, wurde strenger ausgelegt als zuvor;

dies wurde dadurch verstärkt, dass mit der Reform der Arbeitslosenversicherung 1997 die Leistungen gekürzt wurden und später auch andere Sozialleistungen. Nun wurde auch Arbeit als zumutbar bewertet, die deutlich unter dem vorherigen Lohnniveau bezahlt wurde. Die Teilnahme an Arbeitsmarktprogrammen wurde für viele Arbeitslose verpflichtend, nicht mehr nur für die jüngeren.

Hier spielten nun auch die Kommunen eine größere Rolle, denn im Zuge der zweiten Phase erhielten sie in dem zuvor stark zentralisierten System mehr Handlungsspiel-raum. Parallel zu dieser Aktivierungspolitik senkte Schwe-den das Steuerniveau besonders für Haushalte der unte-ren und mittleunte-ren Einkommensstufen (Sproß/Lang 2008).

In einer dritten Phase, die im Vergleich zu den Nieder-landen und Großbritannien relativ spät einsetzte, erfuhr das schwedische System weitere „[e]inschneidende Än-derungen“ (Sproß/Lang 2008: 65): Im Jahr 2000 wurde eine sog. Aktivitätsgarantie eingeführt; seither muss je-der Leistungsbezieher mit einem Berater einen individu-ellen Plan zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt ausarbeiten. 2001 wurde das Sozialgesetz reformiert, dabei wurden die Anforderungen an alle Leistungsemp-fänger erhöht. Eine weitere entscheidende Wende bil-dete die Wahlniederlage der Sozialdemokraten bei den Parlamentswahlen 2006, die offenbar auch mit „der zu-nehmend veränderten Wahrnehmung des schwedischen Modells“ sozialer Absicherung zusammenhing (Sproß/

Lang 2008: 66). Danach setzte die neue Regierung der bürgerlichen ‚Allianz für Schweden‘ Reformen um, mit denen sie sowohl die allgemeinen sozialstaatlichen Leis-tungen kürzte als auch striktere Voraussetzungen für den Transferbezug festlegte.

Bezüglich der Arbeitsmarktintegration von Neuzu-wanderern wurde lange Zeit kritisiert, dass die schwe-dische Regierung dafür nur unzureichende Programme anbiete. Erst 2007 übertrug die Regierung der öffentli-chen Arbeitsverwaltung die Aufgabe, für Neuzuwanderer den Zugang zu den regulären Arbeitsmarktprogrammen zu verbessern und gezielte Programme für diejenigen einzuführen, die an den regulären Programmen wegen begrenzter Schwedischkenntnisse nicht teilnehmen kön-nen (Emilsson 2014). 2010 übertrug die Regierung der öffentlichen Arbeitsverwaltung auch die Verantwortung dafür, sog. Einführungsprogramme für aus humanitären Gründen Zugewanderte und ihre Familien durchzuführen;

diese Aufgabe lag vorher bei den Kommunen. Damit soll die Arbeitsmarktintegration auch bei Zuwanderern dieser Gruppe beschleunigt werden (Emilsson 2014).

B.3.3.4 Österreich: Fördern und Fordern

Auch in Österreich, das dem Modell des konservativ-kontinentaleuropäischen Wohlfahrtsstaats zuzuordnen ist (Heitzmann/Österle 2008), spielt aktivierende

Ar-beitsmarktpolitik „seit dem Beginn der 1990er Jahre eine wichtige Rolle in der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungs-strategie“ (Grand 2009: 212). Das wird wie in anderen Ländern vornehmlich darauf zurückgeführt, dass ab An-fang der 1980er Jahre die Arbeitslosigkeit stark anstieg (Atzmüller 2009) – verschiedene Autoren bringen es aber auch mit dem EU-Beitritt 1995 in Zusammenhang (Grand 2009), „nicht zuletzt deshalb, weil es möglich geworden ist, Ressourcen von Seiten der Europäischen Strukturfonds dafür zu verwenden“ (Heitzmann/Österle 2008: 59).

Den Grundstein für eine aktivierende Arbeitsmarkt-politik in Österreich hatte schon das Arbeitsmarktförde-rungsgesetz (AMFG) gelegt, das 1968 in Kraft getreten war (Atzmüller 2009). Aber erst mit dem Arbeitsmarkt-servicegesetz (AMSG) von 1994 wurde die österreichische Arbeitsmarktpolitik institutionell wie programmatisch grundlegend reformiert und aktivierende Elemente ver-stärkt (Atzmüller 2009). Die Arbeitsmarktverwaltung, die vordem direkt beim Bund angesiedelt war, wurde um-gebaut zum Arbeitsmarktservice (AMS), einem Dienst-leistungsunternehmen des öffentlichen Rechts. In Öster-reich ist der Arbeitsmarktservice für die Umsetzung der Arbeitsmarktpolitik allein verantwortlich, während dies in Deutschland je nach Rechtskreis die Bundesagentur für Arbeit (SGB III), der Bund (bzw. die BA im Auftrag des Bundes) oder die Kommunen (SGB II) sind (Bock-Schap-pelwein et al. 2014).

In mehreren Reformschritten wurde die aktivierende Arbeitsmarktpolitik in Österreich ab 1994 mit Maßnah-men in drei Bereichen (Beschäftigung, Qualifizierung, Unterstützung) und verschiedenen Sonderprogrammen ausgebaut (BMASK 2012). Dabei wurden aufseiten des

‚Forderns‘ die Leistungsansprüche der Arbeitsuchenden sukzessive reduziert und die Sanktionsmöglichkeiten erweitert, außerdem wurde die Zumutbarkeit von Ar-beitsangeboten breiter gefasst (Atzmüller 2009). Zugleich wurde aufseiten des ‚Förderns‘ in Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen und individuelle Beratung in-vestiert. Dabei konzentriert sich die aktivierende Arbeits-marktpolitik in Österreich vornehmlich auf Jugendliche und ältere Menschen (Grand 2009). Die Ausgaben dafür sind zwischen 1998 und 2007 kontinuierlich gestiegen, und auch die Zahl der neu geförderten Personen hat sich zwischen 2001 und 2007 erhöht (Grand 2009).

Im direkten Vergleich mit Deutschland gibt Österreich anteilig etwas weniger Mittel für aktivierende arbeits-marktpolitische Maßnahmen aus. Insgesamt sind die Ausgabenstrukturen der beiden Staaten im Bereich der Arbeitsmarktpolitik aber recht ähnlich, und auch die Ge-samtausgaben gemessen am Bruttoinlandsprodukt haben sich insbesondere seit 2007 angenähert (Bock-Schappel-wein et al. 2014: 45). Ein Unterschied zur deutschen Ar-beitsmarktpolitik liegt darin, dass Österreich stärker auf Qualifizierungsmaßnahmen setzt (auch auf längerfristi-ge und damit kostenintensivere), Deutschland dalängerfristi-gelängerfristi-gen

ALLGEMEINE ARBEITS- UND SOZIALPOLITISCHE MASSNAHMEN

INTEGRATIONSPOLITIK IM INTERNATIONALEN VERGLEICH stärker auf Gründungsinitiativen und

Beschäftigungsan-reize (Bock-Schappelwein et al. 2014: 46). In Österreich wird zudem mehr Geld für Vorruhestandsleistungen aus-gegeben als in Deutschland, obwohl die Pensionsrefor-men der Jahre 2000 und 2003 eine vorzeitige Verrentung bereits erschwert haben (Grand 2009).