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Die Erkennbarkeit Gottes

Im Dokument Das sinnsuchende Individuum (Seite 167-171)

IV. Religiosität ohne Religion

1. Einleitung: Wozu noch Religionsphilosophie?

1.2 Gegenstand der Religionsphilosophie

1.2.1 Gott als ein Gegenstand der Philosophie?

1.2.1.3 Die Erkennbarkeit Gottes

Selbst wenn man die beiden oben genannten Positionen ablehnt und behauptet, dass die Gotteserkenntnis dem Menschen möglich sei, was heißt das eigentlich? Bevor wir nach dem

„Was“ fragen, sollte die Frage nach dem „Wie“ zuerst beantwortet werden. Wenn Gott sich vom Menschen erkennen lässt, wie ist er zu erkennen? In Bezug auf die Art und Weise, wie man Gott erkennen kann, gibt es ein Spektrum der Positionen, nämlich von einer ganz mystischen, über die Position, die das Gefühl oder die Intuition akzentuiert, bis zu der extrem rationalistischen Position. Die epistemologische Haltung, also eine vortheoretische Überzeugung, legt den Grund dazu, wie der Mensch mit seinem Gott bzw. dem Göttlichen umgeht und umgehen soll.

Wenn man eine mystische Position einnimmt, dann will man versuchen, sich z.B. durch kultischen Tanz im Rausch oder durch die Übung in Askese bzw. Meditation mit dem Göttlichen zu vereinigen. Legt man Wert auf das Gefühl bzw. die Intuition, würde man alle Argumentationen ablehnen und sich ganz auf die Gemütsbewegung und Innerlichkeit konzentrieren. In der Praxis gibt es viele Möglichkeiten, die Religion nicht rational zu treiben.

Das quasi antirationale Lager müssen wir aber hier außer Betracht lassen. Denn es kommt der Philosophie als Metatheorie darauf an, Phänomene, sowohl rationale als auch irrationale, auf rationale Weise zu verstehen oder zu analysieren. Wir dürfen vielleicht noch ein Wort darüber verlieren. Die antirationalen Positionen sind nicht ganz irrational, wie sie auf den ersten Blick aussehen. Selbst die antirationalen Positionen, von der Metaebene aus betrachtet, sind auch rational konsequent. Die nicht rationalen Praxen sind nur die rationale Umsetzung der vortheoretischen Überzeugungen. Selbst die Abarten von Religionen, nämlich der Fanatismus oder irgendein Aberglaube, können nicht ganz und gar antirational sein, sonst würden sie nicht so wirken, wie sie faktisch sind. Innerhalb der irrationalen Hülle gibt es den rationalen

Kern. Nun gehen wir von dem nicht rationalen Lager zum rationalen über.

Wie ist Gott rational zu erkennen? Was heißt Gott rational erkennen? Lässt sich Gott wie ein Gegenstand von Forschungen untersuchen und konstatieren? Es ist offensichtlich nicht so.

Der naive Positivismus, der Gott als das Übersinnliche wie die wahrnehmbaren Dinge gleich behandeln will, ist zu verwerfen. 391 Gibt es dann Unterscheidung zwischen der Gotteserkenntnis und der Erkenntnis von anderen Sachen? Dies scheint der Fall zu sein. Aber wie? Hier stoßen wir auf große Schwierigkeiten. Denn wir machen wohl Aussagen über Gott, aber welche Prädikate können Gott zukommen? Der Gebrauch der Begriffe, das Prädizieren, besagt die Verallgemeinerung ohne Berücksichtigung der individuellen Verschiedenheiten.

Aussagen über Gott würden bedeuten, dass Gott unter dem Aussagbaren subsumiert würde.

Kann Gott als das Einzigartige prädiziert und als etwas bestimmt werden?392 Das Problem beschränkt sich nicht auf die Gottesfrage. Es hat mit der Charakteristik der Sprache und den Grenzen menschlichen Denkens zu tun.

Das Problem ist auf den bekannten mittelalterlichen Universalienstreit zurückzuführen. In diesem Streit geht es darum, ob ein Begriff, also eine universale Benennung, eigenes Sein haben kann oder nicht. Der Begriffsrealismus im Sinne der platonischen Ideen besteht auf der von individuellen Realitäten unabhängigen Existenz der Universalien. Der Nominalismus dagegen bestreitet diese Möglichkeit und behauptet, dass der Begriff eine Eigenschaft der denkerischen Abstraktion sei und nur in sprachlichen Aussagen existieren könne. Das besagt:

Der Begriff habe keine selbständige Existenz außerhalb der menschlichen Sprache und bezeichne keinen wirklichen Gegenstand in der Realität.

Der nominalistischen Richtung folgt Nietzsches Sprachkritik, der zufolge es keine Wirklichkeit an sich gibt. Die Wirklichkeit, die dem Menschen zugänglich ist, hänge einerseits immer davon ab, wie und was der Mensch darüber denken und sprechen kann. Die Sprache sei andererseits kein adäquates Mittel, das die Realität zum Ausdruck bringen kann.

391 Vgl. Antony Flew, Theologie und Falsifikation. In: Sprachlogik des Glaubens. Übers. und hrsg. von Ingolf U.

Dalferth, München 1974, S.84-87. Dass Flew Gott als einen „unsichtbaren, unkörperlichen und ewig unfassbaren Gärtner“ hinstellt und infolge dessen nicht empirische Verifizierbarkeit ablehnt, ist eine überholte positivistische Position, dass der epistemologische Status Gottes nicht anderes als derjenige von empirischen Dingen sei.

392 Vgl. Rudolf Otto, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen. München 1979, S.1.-2, Otto zufolge werden alle Prädikate, die auf Gott angewandet sind, als

„absolute“, das heißt als „vollendete“ gedacht. Trotzdem können rationale Prädikate das Wesen der Gottheit nicht erschöpfen.

Denn „Jeder Begriff entsteht durch Gleichsetzung des Nicht-Gleichen.“393 In dieser Hinsicht liegt Adornos Kritik an der Identität des Begrifflichen394 auf der gleichen Linie mit Nietzsche.

Rortys Antiessentialismus verwirft die Trennung von Wesen und Akzidenz, Substanz und Eigenschaft, Wirklichkeit und Erscheinung395. Die Rede von „Wirklichkeit„ im Kantischen Sinne ist bei Rorty nicht mehr sinnvoll. Andererseits reduziert er alles, was in der „Realität“

im Sinne vom realistischen Essentialismus vorkommt, auf „soziale Konstruktion“396. Dies besagt, dass es keine sinnvollen unabhängigen Beschreibungen von Wirklichkeit außerhalb menschlicher sprachlicher Bezeichnungen gebe.

Scheint der Nominalismus in diesem Streit die Oberhand zu gewinnen, was wäre dann die Konsequenz des Nominalismus? „Die nominalistische Kritik am Sein der Universalien hebt im Grund den direkten Anspruch aller prädikativen Aussage auf.“397 Man könnte dann fast nicht mehr sinnvoll reden. Denn Sprechen setzt die Verwendung der Begriffe voraus. Selbst wenn der Nominalismus das Sein im Sinne des Realismus außerhalb menschlicher Sprachen zugibt, würde das Sein doch unbestimmt, nicht wiederholbar, identifizierbar und definierbar, also nicht aussagefähig sein. Die Sprache würde dann zerbröckeln in Stücke, z.B. einzelne Rufe, die man nicht wieder erkennen und verstehen könnte.

Hinsichtlich der Gottesfrage ist es zwar unausweichlich, über Gott begriffliche Aussagen zu machen. Aber wir müssen zugeben, dass die Einzigartigkeit Gottes wie jedes Einzelding angesichts der Beschränktheit der Sprache und des Denkens durch rationale Prädikate nicht angemessen ausgedrückt werden kann, geschweige denn den Unterschied Gottes von Einzeldingen. Also müssen wir uns vor Augen halten, dass die Sprache über Gott immer nur eine analoge und metaphorische ist. Die Analogie besagt weder eine ganze Identität noch eine totale Unähnlichkeit des Begriffgebrauches zwischen Gott und anderen Entitäten. Zwischen den beiden gibt es gewisse Ähnlichkeit, die nicht quantitativ, sondern qualitativ zu verstehen ist.398 Wir können keine unmittelbare Erkenntnis Gottes haben, sondern immer indirekt, d.h.

393 Friedrich Nietzsche, KSA 1, S.879-880.

394 Vgl. T.W. Adorno, Negative Dialektik. Frankfurt a. M. 1966, S.135-205.

395 R. Rorty, Hoffnung statt Erkenntnis. Eine Einführung in die pragmatische Philosophie. Wien 1994, S. 37.

396 Richard Rorty, Hoffnung statt Erkenntnis, Wien 1994, S.38 ff.

397 Josef Simon, Sprachphilosophie. Freiburg/München 1981, S.37.

398 Vgl. Michael Peterson, William Hasker, Bruce Reichnbach & David Basinger, Reason and religious Belief.

An Introduction to the Philosophy of Religion. Oxford, New York 1991, S.153. “We can say that God is wise, for instance, but we do not unterstand how he is wise.” Dazu siehe auch James F. Ross, “Analogy as a rule of meaning for religious language,” in: International Philosophical Quarterly 1.no.30 (1961), S.468-502.

mittels Analogie von Seinsbegriffen, Gotteskenntnis erringen.399 Wir müssen trotz der Einzigartigkeit Gottes bestimmte Prädikate, die trotzdem auf andere Sachen angewandt werden, verwenden, um ihn zu bezeichnen und zu beschreiben. Angesichts Gottes Eigenart und menschlicher Beschränktheit müssen wir die Unzulänglichkeit und Unangemessenheit dieser analogen Bezeichnung in Kauf nehmen. Trotz der unmittelbaren Unerreichbarkeit der Gottheit durch rationale Prädikate müssen wir Aussagen über Gott machen, um uns über Gott zu verständigen.

Wenn wir über Gott reden, was sagen wir? Wir reden von der Gottesvorstellung, Erfahrung Gottes bzw. Erkenntnis Gottes usw. Das spiegelt eine Tatsache, dass wir nicht über das Wesen Gottes, sondern über die quasi „Wirkungen“ Gottes reden. Was wir über Gott verstehen und aussagen können, müssen wir durch unsere Erfahrungen und Beziehung zu Gott in der Welt artikulieren. Obwohl Gott an sich dem Wesen nach absolut ist, d.h. er nicht durch eine Beziehung zu uns oder der Welt zu bestimmen ist, können wir von ihm ohne seine Beziehung zu uns und der Welt nicht sprechen. Kann der Mensch ohne Erfahrung von Gotteswirkungen bzw. seine Beziehung zu Gott noch etwas Sinnvolles über Gott ausdrücken?

Die Gotteskenntnisse sind eigentlich die Erfahrungen, die der Mensch durch seinen Umgang mit dem Göttlichen erlebt und erreicht. Kann man abstrakt über Gott reden, ohne ihn mit irgendetwas in Verbindung zu bringen? Darauf werden wir später noch zurückkommen. Die Rolle des Menschen soll hier hervorgehoben werden, ohne die anthropozentrische Position unbedingt einnehmen zu müssen. Die Gotteskenntnis ist die menschliche Erkenntnis „über“

Gott, die durch die Beziehung des Menschen zu Gott oder seine Erfahrungen dessen Wirkungen in der Welt zustande gekommen ist. Wenn die Gotteskenntnis so zu verstehen ist, dann kann Gott durch seine Beziehung zum Menschen oder menschliche Erfahrungen seiner Wirkungen in der Welt der „Gegenstand“ der Philosophie werden.

399 Vgl. Walter Brugger, Summe einer philosophischen Gotteslehre. München 1979, S.280. Anschließend an Thomas von Aquinas lautet Bruggers Begründung dafür:

„Ein univoker Seinsbegriff führt notwendig zum Pantheismus oder zu einem illegitimen Anthropomorphismus.

Wenn nämlich Gott und die Welt infolge eines univoken Seinsbegriffs das Sein auf die vollkommen selbe Weise hätten, wäre entweder Gott endlich wie das Seiende der Welt oder die Welt wäre unendlich wie das Sein Gottes.

Im ersten Fall hätten wir den illegitimen Anthropomorphismus, im anderen Fall den Pantheismus.

Ein äquivoker Seinsbegriff würde den vollständigen Agnostizismus zur Folge haben. Er würde reine Unähnlichkeit besagen. Gott wäre der »ganz Andre« auch im Hinblick auf Sein überhaupt. Es verblieben nur rein negative Aussagen über ihn, die ihn nicht einmal hinreichend vom absoluten Nichts zu unterscheiden erlaubten, da die bloße Verneinung logisch unendlich ist.

Ein analoger Seinbegriff hingegen besagt die Übereinkunft in derselben Seinsvollkommenheit zugleich mit der Unähnlichkeit in einem jeden zukommenden Eigentümlichkeit“

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