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Ergebnisse und Diskussion

Im Dokument Diskussionen im Geographieunterricht (Seite 173-186)

5 Quantitative Erhebung zur Durchführung von Diskussionen im Geo- Geo-graphieunterricht an Schulen in Berlin und Brandenburg

5.2 Ergebnisse und Diskussion

Die Auswertung der Stichprobe des Umfangs N = 1414 Geographiestunden an Schulen in Berlin und Brandenburg ergibt 95 Fälle, in denen Schüler gemäß der oben definierten Kriterien (siehe 5.1) in Form mündlicher Diskussionen argumentieren können. Dies entspricht einem Dis-kussionsanteil von 6,7 Prozent an der gesamten Unterrichtsgestaltung in allen beobachteten Ge-ographiestunden. Dieses Ergebnis wird in beiden Untersuchungszeiträumen bestätigt. Es liegt im oberen Bereich der von Dillon (1994, S. 25 ff.) mit drei bis sieben Prozent empirisch ermittelten Häufigkeit von Diskussionen im Unterricht und weit über den Ergebnissen der empirischen Stu-die von Hage (1985). Errechnet man den arithmetischen Mittelwert, ergibt sich eine Häufigkeit von einer Diskussion pro 14,88 Unterrichtsstunden. Gemäß der Vorgehensweise bei Schmidt-Wulffen (1994) bedeutet das für die Diskussionshäufigkeit im Geographieunterricht innerhalb eines Schuljahres abzüglich aller Ferien und Projekttage, dass durchschnittlich nur zwei bis drei Diskussionen im Jahr stattfinden. Ob die in den Bildungsstandards der DGFG (2012, S. 22 f.) und der im Untersuchungsraum gültigen RLP formulierten Forderungen zum Einsatz von Dis-kussionen damit erfüllt sind, lässt sich angesichts fehlender Richtwerte nicht definitiv sagen. Es

lässt sich aber durchaus vermuten, dass das Potential von Diskussionen für die fachliche Kennt-nisvermittlung, die Förderung von kommunikativen, sozialen und kognitiven Kompetenzen, die Demokratisierung der Schule, die Moralentwicklung, die Werteerziehung und die Schülerorien-tierung noch nicht ausgeschöpft ist. Insofern muss die Annahme zum seltenen Einsatz von Dis-kussionen im Geographieunterricht als bestätigt angesehen werden. Neben den weiteren unter 2.2.6 bereits erarbeiteten möglichen Gründen für den seltenen Einsatz von Diskussionen im Un-terricht, zu denen unter anderem Angst vor Kontrollverlust und ungenügend diskussionsbezoge-ne Kenntnisse der Lehrkräfte zählen, betodiskussionsbezoge-nen Budke (2012b, S. 28) und die Fachkonferenzen von Grundschule und Sek I des Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM) (2012, S. 10 ff.) insbesondere die wahrgenommene Diskrepanz zwischen geforderter Stofffülle in den RLP und der zur Verfügung stehenden Unterrichtszeit eines Einstundenfachs.

Dieser Aspekt wird auch von einem an der qualitativen Untersuchung dieser Arbeit teilnehmen-den Lehrer unterstrichen:

„In der Neunten gehts schon gar nicht mit einstündigem Unterricht. Das findet also ja ein-mal im Jahr schon, aber viel mehr nicht [statt]“ (Zitat Lehrer 7).

Diese Aussage spiegelt sich in den empirischen Ergebnissen dieser Untersuchung. Sie zei-gen enorme Schwankunzei-gen der Diskussionshäufigkeit zwischen Klassenstufen der Sek I, in de-nen weniger als zweimal im Jahr diskutiert wird, und der Sek II mit ein bis zwei Diskussiode-nen im Monat. Die Überprüfung der entsprechend partitionierten Daten mithilfe des Chi-Quadrat-Tests bestätigt die signifikanten Unterschiede zwischen Diskussionshäufigkeiten in verschiede-nen Klassenstufen und deren nicht zufällige Entstehung:

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Tab. 7: Diskussionshäufigkeit nach Klassenstufen Klassenstufe beobachtete Stunden beobachtete

Diskussionen

Arithmetisches Mittel (1 Diskussion pro x Stunden)

Klasse 5 46 0 -

Klasse 6 60 3 20

Klasse 7 243 11 22,09

Klasse 8 164 8 20,5

Klasse 9 168 9 18,67

Klasse 10 125 1 125

Klasse 11 211 27 7,81

Klasse 12 215 24 8,96

Klasse 13 182 12 15,17

Gesamt 1414 95 14,88

Quelle: Eigene Darstellung

Besonders häufig wird in den Klassenstufen elf und zwölf diskutiert, hingegen unterdurch-schnittlich oft in den unmittelbaren Klassenstufen davor und danach (siehe Tab. 7). Auffällig ist die extreme Diskussionsseltenheit in Klassenstufe zehn (eine Diskussion alle 125 Unterrichts-stunden), die von dem ansonsten auf einem Niveau von einer Diskussion alle 18 bis 22 Unter-richtsstunden einpendelnden Mittelwert hochsignifikant abweicht. Zeitmangel erscheint auch hierfür eine wichtige Begründung zu sein. Dieser erhöht sich vermutlich zum Ende der Sek I, wenn die Abschlussprüfungen zum Mittleren Schulabschluss (MSA) umfassend vorbereitet wer-den müssen. Dieser Erklärungsansatz gilt für wer-den Untersuchungszeitraum jedoch lediglich für den beobachteten Geographieunterricht an Schulen in Berlin, da Zehntklässler dort seit dem Schuljahr 2005-2006 ihre zum MSA zugehörige Präsentationsprüfung66 unter anderem in den Gesellschaftswissenschaften, zu denen auch die Geographie zählt, ablegen können. In Branden-burg ist dies erst seit dem Schuljahr 2011-2012 – also erst nach dem Beobachtungszeitraum – möglich. In Vorbereitung dieser Prüfung orientiert sich die Unterrichtsgestaltung höchstwahr-scheinlich weniger auf diskursive Verfahren als an den Leitbildern der Produkt- und Projektori-entierung und zieht Ergebnispräsentationen in Vortrags- oder Plakatform vor. Zumindest wird derartiges in beiden gültigen RLP des Untersuchungsraums gefordert. Insofern gilt diese Erklä-rung auch für die Beobachtungsergebnisse in Schulen Brandenburgs. So sind in der zehnten Klasse im zu behandelnden Themenfeld „Globale Zukunftsszenarien und Wege zur Nachhaltig-keit auf globaler und lokaler Ebene“ Ergebnispräsentationen dieser Art vorgesehen (MBJS 2008, S. 31, SBJS 2006a, S. 29). Die innerhalb dieses Themenfeldes durchaus denkbar und angebracht erscheinende Schulung der Argumentationskompetenz findet vermutlich, wenn überhaupt, eher in schriftlicher Form statt. Darauf weisen drei zusätzlich beobachtete schriftliche Argumentati-onsübungen in der zehnten Klasse hin.

Im Falle der 13. Klasse entspricht die Diskussionshäufigkeit zwar fast dem empirisch er-hobenen Durchschnitt, sie ist jedoch nur halb so hoch wie in den anderen Klassenstufen der Sek II. Auch hier kann von einem erhöhten Zeitmangel am Ende der Sek II ausgegangen werden.

Wiederum auf die im Untersuchungsraum gültigen RLP blickend, zeigt sich, dass im durch die vorzeitigen Abiturprüfungen stark verkürzten vierten Kurshalbjahr ein umfangreiches Themen-feld zu „Ausgewählten Weltwirtschaftsregionen im Wandel“ abgedeckt werden muss. Die Kom-plexität des Themas lässt vermutlich weniger Zeit für Diskussionen. So wird im zweiten Beo-bachtungszeitraum, der das vierte Kurshalbjahr der 13. Klasse abdeckt, lediglich eine Diskussion beobachtet. Dagegen werden im ersten Beobachtungszeitraum – dem dritten Kurshalbjahr – elf Diskussionen registriert. Die Annahme des verstärkten Zeitdrucks in der 13. Klasse lässt vermu-ten, dass bei einer erneuten Untersuchung bereits in der zwölften Klasse weniger Diskussionen festgestellt werden könnten, da Schüler, die im Schuljahr 2011-2012 in Berlin und im Schuljahr 2012-2013 in Brandenburg die Qualifikationsphase der Oberstufe beginnen, ihr Abitur bereits nach der zwölften Klasse ablegen.

66Die Präsentationsprüfung im Rahmen des MSA sieht ein Erarbeitungsprodukt in Form eines Portfolios oder Plakats zu einem von den Schülern selbst gewählten Thema vor, welches durch einen Medien unterstützten Vortrag vorgestellt und in einem an-schließenden Prüfungsgespräch geprüft wird (SBJS 2005, S. 8 ff).

Neben der Vermutung zum vorrangigen Einsatz von Diskussionen in der Sek II bestätigt die Auswertung des empirischen Datenmaterials auch einen vorrangigen Diskussionseinsatz an Gymnasien. So zeigt der Chi-Quadrat-Test einhergehend mit der Annahme hinsichtlich der Dis-kussionshäufigkeit in unterschiedlichen Schulformen signifikante Unterschiede:

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Es ist also nicht zufällig, dass in bestimmten Schulformen mehr bzw. weniger diskutiert wird als in anderen. Dabei sind die beobachteten Unterschiede zwischen Gymnasium und Gesamtschule eher gering. Bei beiden finden überdurchschnittlich viele Diskussionen statt. Hingegen wird in der Grundschule und besonders in der Oberschule, welche in Berlin seit dem Schuljahr 2010-2011 Gesamt-, Haupt- und Realschulen zusammenfasst und allgemein als Integrierte Sekundar-schule bezeichnet wird, seltener diskutiert (siehe Tab. 8).

Tab. 8: Diskussionshäufigkeit nach Schulformen Schulform beobachtete

Die unerwartete Nähe der Diskussionshäufigkeit an Gymnasien und Gesamtschulen ist vermutlich dadurch zu begründen, dass die Schüler Brandenburgs auch an Gesamtschulen ihr Abitur ablegen können. Schließlich lässt sich so in beiden Schulformen Geographieunterricht in Sek I und II beobachten. Da die Diskussionshäufigkeit in der Sek II überdurchschnittlich hoch ist, liegt es nahe, dass die beiden sie anbietenden Schulformen statistisch davon profitieren. Ver-gleicht man nur die arithmetischen Mittelwerte der beobachteten Stunden an der Gesamtschule und dem Gymnasium, in denen Geographieunterricht in beiden Sekundarstufen beobachtet wur-de, zeigt sich, dass nur die Diskussionshäufigkeit in der Sek I an Gesamtschulen ungefähr dem Gesamtdurchschnitt von einer Diskussion alle 14,88 Unterrichtsstunden entspricht und damit signifikant höher als in den entsprechenden Jahrgängen anderen Schulformen ist (siehe Tab. 8 / 9).

Tab. 9: Diskussionshäufigkeiten in den Sekundarstufen I / II Gesamtschule

Während die Diskussionshäufigkeit an Gesamtschulen zwischen den einzelnen Sekundarstufen verhältnismäßig konstant ist, gibt es am Gymnasium ähnlich der Gesamtsituation signifikante Unterschiede zwischen den Diskussionshäufigkeiten in den einzelnen Sekundarstufen.

Das Beispiel der Gesamtschule wirft die Frage auf, inwieweit die Begründung, dass Lehr-kräfte den Schülern der Grundschule und Sek I nicht genügend geistige Reife und gelerntes Wis-sen zum Diskutieren zutrauen, den Unterschied der Diskussionshäufigkeit in der Sek I und der Sek II universell erklären kann. Schließlich müssten sich sonst auch signifikante Unterschiede zwischen der Diskussionshäufigkeit in der Sek I und Sek II an Gesamtschulen zeigen. Überhaupt muss das Vorkommen von Diskussionen in nahezu allen Klassenstufen der Sek I als Einschrän-kung der herangezogenen Begründung für die Diskussionsseltenheit in der Sek I betrachtet wer-den. Offensichtlich trauen einige Lehrkräfte ihren Schülern durchaus Diskussionsfähigkeiten in diesem Alter vielleicht auch aufgrund positiver Erfahrungen zu. Zumindest weist die Meinung einer interviewten Lehrerin darauf hin, die auf die Frage, ob die Entscheidung zum Diskussions-einsatz eher situations-, themen- oder altersbedingt sei, antwortet:

„Nee, ja situationsbedingt, themenbedingt ja, aber altersbedingt würde ich gar nicht mal sagen. Ich hab nämlich zum Vergleich ne sechste Klasse und mit denen in der fünften auch schon über viele Sachen diskutiert. Und da hat man eher noch den Eindruck die sind so emotional engagierter noch. Ja, also die sind richtig betroffen oder erfreut über bestimmte Sachen und bringen dann tausende von Büchern hinterher mit. Ja, solche Sachen. Doch das macht man eigentlich oft. Man hat dann eher so in der fünften gerade so das Problem, dass man die wieder bremst und dann weitermachen kann. Ja, dass man sich dann nicht ins Bo-denlose verliert. Aber dass das jetzt weniger vorkommt, kann ich jetzt nicht sagen. Es ist ein anderes Niveau – sicherlich, wenn ich das jetzt vergleiche mit ner 13. Klasse. Aber passiert genauso oft“ (Zitat Lehrerin 2).

Insofern muss die allgemein große Schwankung zwischen den Diskussionshäufigkeiten in Sek I und II zumindest auch andere Gründe haben. So könnte der bereits angeführte Zeitmangel im Einstundenfach Geographie in der Sek I eine Erklärung für weniger Diskussionen in dieser Se-kundarstufe sein. Ein weiterer Erklärungsansatz könnte in der Schülerorientierung liegen (siehe 2.2.5). Erste empirische Ergebnisse lassen vermuten, dass Oberstufenschüler ein von Schülern allgemein gewünschtes Mitspracherecht an der Gestaltung des Unterrichts eher einfordern als Unterstufenschüler (Kanders / Rösner / Rolff 1997, Kurth-Buchholz 2011). Dabei verändern sich die Schülervorstellungen von einem idealen Unterricht ebenfalls mit zunehmendem Alter in Richtung demokratischer, dialogischer und schülerzentrierter Unterrichtsformen (Fallahi 2007, Norman / Harrison 2004, Hess / Posselt 2002, Fichten 1993), was mit einem stärkeren Verlangen nach Diskussionen einhergehen könnte. Die Bereitschaft den Wünschen der Schüler zu folgen, wird unter anderem durch die Beschaffenheit der Lehrerpersönlichkeit beeinflusst (Kurth-Buchholz 2011, S. 33 ff.). Dabei sind es vor allem Lehrkräfte mit einem reformpädagogischen Unterrichtsstil, die Schülermitbestimmung bei der Unterrichtsgestaltung zulassen (ebd., S. 35).

Die Lehrerpersönlichkeit ist wiederum neben der Lehramtsausbildung und Berufserfahrung ein

Einflussfaktor auf die Lehrerprofessionalität (König 2010, S. 44 ff.). Diese ergibt sich aus meh-reren Bestandteilen (siehe Tab. 10).

Tab. 10: Bestandteile von Lehrerprofessionalität

Professionswissen affektive und motivationale Merkmale

 Fachwissen

 Fachdidaktisches Wissen

 Pädagogisches Wissen

 Überzeugungen

 Motivation

 Selbstregulation Quelle: nach König 2010, S. 66

In Bezug auf den Einsatz von Diskussionen im Geographieunterricht bedeutet Lehrerprofessio-nalität, über das nötige Professionswissen und die erforderliche Konstitution der Lehrerpersön-lichkeit zu verfügen. Die Beobachtungsergebnisse legen Nahe, dass Lehrkräfte an Gymnasien und Gesamtschulen und besonders solche, die in der Sek II unterrichten, eher diese diskussions-relevante Lehrerprofessionalität aufweisen. Der dafür entscheidende die Lehrerprofessionalität beeinflussende Faktor lässt sich anhand des Datenmaterials jedoch nicht prüfen.

Hinsichtlich der Gestaltung und des Didaktischen Einsatzorts der Diskussionen lässt sich unabhängig von Schulform und Klassenstufe feststellen, dass der überwiegende Teil (55) der 95 beobachteten Diskussionen in der Erarbeitungsphase des Unterrichts stattfindet (siehe Abb. 15).

Einstieg Erarbeitung Sicherung Hausaufgabe

Abb. 15: Diskussionsverteilung nach Didaktischem Ort Quelle: Eigene Darstellung

Bei drei Diskussionen fehlt die Angabe des didaktischen Ortes. Werden diese Diskussionen aus der Berechnung ausgeschlossen, finden 13 Prozent der Diskussionen in der Einstiegsphase, 59,8 Prozent während der Erarbeitungsphase, 26,1 Prozent als Ergebnissicherung und 1,1 Prozent als Hausaufgabe statt. Angesichts der Diskussionsdefinition (siehe 5.1) ist es eigentlich kaum mög-lich, eine Diskussion als Hausaufgabe zu führen. Zudem geht aus dem Beobachtungsprotokoll

nicht hervor, wie sich diese Diskussion gestalten soll. Insofern ist hinter dieses Ergebnis ein Fra-gezeichen zu setzen. Obgleich einige Lehrkräfte die in 2.1 beschriebenen Vorteile von Diskussi-onen für diese Unterrichtsphasen nutzen, ist die Annahme zum vorrangigen Einsatz während Einstiegs- und Sicherungsphasen also nicht zu bestätigen. Eine Erklärung hierfür liegt vermut-lich in der Tatsache, dass sich inhaltvermut-licher Erkenntnisgewinn in Diskussionen durch die Generie-rung neuen fachlichen Wissens und die Verknüpfung alter mit neuen Wissensstrukturen aus-zeichnet (siehe 2.2.4). Beides erfordert zunächst eine Bereitstellung und Vermittlung dieses neuen Wissens. Diese Aufgabe obliegt hauptsächlich der Erarbeitungsphase im Unterricht (Mey-er 1987, S. 151 ff.). Insof(Mey-ern ist es nicht v(Mey-erwund(Mey-erlich, dass Diskussionen vor allem solche, de-nen eine (inhaltliche) Vorbereitung vorausgeht, gehäuft in der Erarbeitungsphase auftreten.

Die Analyse der einzelnen Diskussionsthemen, ergibt drei Hauptthemenbereiche: Human-geographie, Mensch-Umwelt-Problematik und Physische Geographie. Da zu zwei Diskussionen keine näheren Angaben zum Thema vorhanden sind, beziehen sich die folgenden Angaben auf eine Grundmenge von N = 93 beobachtete Diskussionen. 71 Prozent der Diskussionsthemen ent-stammen der Humangeographie. Ein Beispiel hierfür ist die Diskussion zum Thema „Warum sind Hinterhofgrundstücke in Kreuzberg interessant?“ in einer 13. Gymnasialklasse im Themen-feld „Stadtentwicklung“. 19,4 Prozent der Diskussionsthemen gehören der Kategorie der

Mensch-Umwelt-Problematik an. Ein Beispiel ist die Diskussion zu den Auswirkungen des Vul-kanausbruchs Eyjafjallajökull im April 2010 in Island, die in einer elften Gymnasialklasse statt-findet. 9,7 Prozent der Diskussionen haben physisch geographische Themen zum Inhalt, wobei beispielhaft eine Diskussion zum Thema „Gibt es den Klimawandel?“ in einer elften Gymnasial-klasse angeführt werden kann. Budke (2012b, S. 29) nennt als möglichen Grund für die Selten-heit physisch-geographischer Diskussionsthemen das mangelnde Verständnis der Lehrkräfte von Argumentationen als Quelle der fachlichen Kenntnisvermittlung. Diese Vermutung kann auf-grund der Erkenntnisse zum vorrangigen didaktischen Ort von Diskussionen in der Erarbeitungs- und damit Kenntnisvermittlungsphase jedoch nicht gestützt werden. Vielmehr könnten Lehrkräf-te nicht zuletzt aufgrund der vielen didaktischen Anregungen für Diskussionen zu humangeogra-phischen Themen und zur Mensch-Umwelt-Problematik und der Vorgaben der RLP dazu neigen, deren Einsatz besonders in diesen Themenfeldern zu berücksichtigen. Lehrkräfte könnten in die-sen Themen auch einen für eine Diskussion wichtigen Schülerbezug erkennen (siehe 2.2.4 und 3.1). Die in der Physischen Geographie unterrichteten Themen, wie der Passatkreislauf, der Wil-son Zyklus oder die Abfolge von Bodenhorizonten werden dagegen eventuell eher mit Fakten und Erklärungen assoziiert und deswegen als wenig diskussionswürdig eingestuft. Dem würde Dillon (1994, S. 33 f) allerdings entgegenhalten, dass auch solche Themen für einen höheren Erkenntnisgewinn diskursiv zu ergründen und zu hinterfragen sind. Die Erklärungsansätze wer-den von einigen der interviewten Lehrkräfte bestätigt, wenn sie beschreiben, wie sie Diskussio-nen zu physisch-geographischen Themen mit der Mensch-Umwelt-Problematik verbinden:

„Also ökologische Themen sind immer von großer Relevanz, weil das hat ja auch so ein bisschen Organisations-, methodischen Hintergrund. Man kann da viele Akteure mit ein-binden. Europathema beispielsweise der boreale Nadelwald. Welche Akteure arbeiten in

Finnland an der Abholzung des Waldes dort, Tourismus und so weiter. Also so was funkti-oniert, denk ich mal, ganz gut, genauso wie Verschmutzung der Weltmeere. Und was dann auch gut funktioniert, das sind dann so Geschichten, das ist eher was für die Oberstufe, was so aus dem Nahraum kommt, also Stadtplanung beispielsweise, wo Schüler dann auch ei-nen Bezug zu haben“ (Zitat Lehrer 5).

„Ja physische Themen ist es halt weniger der Fall, es sei denn es geht um Umwelt, da ist es auch sehr häufig, zum Beispiel zehnte Klasse Nachhaltigkeit“ (Zitat Lehrerin 2).

„Also bei physischen Themen bietet es sich überhaupt nicht an. Es sei denn, es geht um Katastrophenschutz“ (Zitat Lehrerin 9).

Es lassen sich allerdings Veränderungen der Bedeutung dieser Themenbereiche in den Klassenstufen der Sek I und II feststellen (siehe Tab. 11). Unterteilt man das Vorkommen der Diskussionsthemen nach ihrer Häufigkeit in den jeweiligen Diskussionen der Sek I und Sek II, zeigt sich, dass besonders die Mensch-Umwelt-Problematik als Diskussionsthema in der Sek II, also ab der elften Klasse an Bedeutung gewinnt und dort nahezu ein Viertel (24,2 Prozent) aller Diskussionsthemen ausmacht. Dagegen verliert die Diskussionshäufigkeit zu Themen aus der Physischen Geographie im Vergleich zur Sek I in der Sek II noch einmal fast zehn Prozentpunk-te. Hier liegt der Anteil physisch-geographischer Themen statt bei 16,1 Prozent lediglich bei 6,5 Prozent.

Tab. 11: Diskussionsthemen nach Sekundarstufen

Kategorie des Argumentationsthemas

% innerhalb von Sekundarstufe I Anzahl Sek II

% innerhalb von Sekundarstufe II Anzahl Gesamt

% innerhalb von Sekundarstufe I/II 9,7% 71,0% 19,4% 100,0%

Quelle: Eigene Darstellung

Diese Beobachtung ist unabhängig von der Gestaltung der im Untersuchungsraum gültigen RLP zu begründen. So werden physisch-geographische Sachverhalte in allen RLP und häufig im Zu-sammenhang mit ihrer Entstehung und Veränderung durch anthropogene Einflüsse betrachtet und von ihnen ausgehende Folgen und Gefahren für Mensch, Natur und Umwelt thematisiert, für die es mögliche Schutz- oder Lösungsmaßnahmen zu ergründen bzw. zu bewerten gilt (MBJS 2008, S. 20 ff., MBJS 2011, S. 16 ff., SBJS 2006a, S. 17 ff., SBJS 2006b, S. 17 ff.). Lehrkräfte

der Sek I konzentrieren sich in Diskussionen häufiger auf die rein physisch-geographische Be-trachtung dieser Themenbereiche. Dieses Vorgehen verfolgt noch immer den von Schultze (1970) vorgestellten und unter anderem von Schmidt-Wulffen (1982) kritisierten Ansatz, eine Allgemeine Geographie nach Kategoriengruppen geordnet zu unterrichten. Dabei soll sich der Geographieunterricht in den unteren Klassen der Sek I vorrangig auf einfache Naturtatsachen konzentrieren. Erst zum Ende der Sek I werden funktionale Verflechtungen und komplexere ge-sellschaftliche und kulturelle Bedeutungszusammenhänge betrachtet (Schultze 1970, S. 8, Schmidt-Wulffen 1982, S. 16).

Für 82 der 95 beobachteten Diskussionen liegen nähere Angaben dazu vor, ob sie sich spontan entwickeln oder von der Lehrkraft geplant sind. Entsprechend der diesbezüglichen An-nahme werden 80,5 Prozent der Diskussionen von der Lehrkraft in den Unterricht eingeplant, während 19,5 Prozent der Diskussionen von den Schülern oder der Lehrkraft spontan evoziert sind. Dies geschieht vermutlich um Kontrolle über das Unterrichtsgeschehen und die limitierte Unterrichtszeit zu behalten. Schließlich benötigen gelungene Diskussionen Zeit (siehe 2.3.3.3), die von der Lehrkraft eingeplant sein sollte. Spontane „zeitraubende“ Diskussionen haben daher wenig Platz im ohnehin straffen Zeitplan. Nicht als Erklärungsansatz gelten, kann die Begrün-dung der mehrheitlich intensiv vorbereiteten, geplanten simulativen Diskussionen im Geogra-phieunterricht. Denn die Auswertung der 64 Diskussionen, in denen nähere Angaben zur freien oder vorgegebenen Meinungsäußerung gemacht werden, zeigt, dass Schüler in 89,1 Prozent ihre eigene Sicht vertreten und nur in 10,9 Prozent eine zu begründende Meinung vorgegeben ist. Im Übrigen spricht der seltene Einsatz von simulativen Diskussionen entgegen der Annahme für eine geringe Nutzung der Vielzahl didaktisch aufbereiteter simulativer Diskussionsmaterialien.

Neben den möglichen Problemen in der Durchführung von simulativen Diskussionen (siehe 2.3.5.3), die den anderen Befürchtungen der Lehrkräfte im Einsatz von Diskussionen (siehe 2.2.6) hinzuzufügen sind, nennt eine interviewte Lehrerin einen bisher unbeachteten Aspekt für den seltenen Einsatz von simulativen Diskussionen:

„Ich denke der Effekt geht auch ein bisschen verloren. Wenn ich das jede Woche machen würde, sind die müde davon. Oh wieder Rollen und da hast du schon gemerkt, heute auch, die bekommen ne Meinung vorgesetzt, die sie dann da vertreten müssen, egal ob es ihre ist oder nicht. Also das kann man mal machen, vielleicht kann mans auch einmal mehr ma-chen, aber ich fand jetzt so für mich einmal im Halbjahr ausreichend“ (Zitat Lehrerin 3).

Mit Blick auf die Interessenstudie von Hemmer / Hemmer (2010) scheint diese Begründung zu-nächst legitim. Schließlich werden in dieser Studie vornehmlich solche Methoden weniger ge-mocht, die im Unterricht oft anzutreffen sind (ebd., S. 141). Andererseits zeigt der ebenfalls in der Studie besonders von Mädchen ausgesprochene Wunsch nach mehr Rollenspielen (ebd., S.

Mit Blick auf die Interessenstudie von Hemmer / Hemmer (2010) scheint diese Begründung zu-nächst legitim. Schließlich werden in dieser Studie vornehmlich solche Methoden weniger ge-mocht, die im Unterricht oft anzutreffen sind (ebd., S. 141). Andererseits zeigt der ebenfalls in der Studie besonders von Mädchen ausgesprochene Wunsch nach mehr Rollenspielen (ebd., S.

Im Dokument Diskussionen im Geographieunterricht (Seite 173-186)