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Diskussionen unterstützen die Moral- und Werteerziehung

Im Dokument Diskussionen im Geographieunterricht (Seite 39-44)

2.2 Notwendigkeit von Diskussionen im (Geographie-) Unterricht

2.2.3 Diskussionen unterstützen die Moral- und Werteerziehung

ist es nicht überraschend, dass Schüler selbst der Mitteilung eigener Meinungen wenig Bedeu-tung beimessen.

“From pupils’ point of view, ‘the point’ of school work is to discover and meet criteria of

‘competence’ in that situation – to supply the teacher with ‘the right answer’” (Jones 1997, S. 563).

So erscheint es als hätten die oben genannten Kritikpunkte noch immer eine gewisse Berechti-gung.

Nichtsdestotrotz betont Eikel (2007, S. 68 f) die Bedeutung von Diskussionen für eine mög-liche Demokratiepädagogik gerade im Geographieunterricht. So finden sich im Geographieunter-richt viele politische und gesellschaftsrelevante Themen, die Beteiligung, aktive Verantwor-tungsübernahme und zivilgesellschaftliches Engagement einfordern. Derartige Kenntnisse sind Grundlagen für Urteilsfähigkeit und demokratische Handlungsfähigkeit. In diesem Zusammen-hang zeigt Eikel (ebd.) Parallelen zwischen den einzelnen Teilkompetenzen der demokratischen Handlungskompetenz der Arbeitsgemeinschaft „Qualität und Kompetenzen“ und den von der DGfG formulierten Bildungsstandards im Kompetenzbereich Handlung auf. Dort fordert die DGfG (2012, S. 25 ff.), dass Schüler Interesse für die Vielfalt der eigenen und fremder Kulturen entwickeln, Möglichkeiten kennen, Vorurteile gegenüber anderen Kulturen aufzudecken und zu beeinflussen, an raumpolitischen Entscheidungsprozessen teilnehmen und sie nachvollziehen können. Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass Diskussionen einen entscheidenden Beitrag zum Erreichen dieser Forderungen leisten können.

2.2.3 Diskussionen unterstützen die Moral- und Werteerziehung

Ein weiteres Konzept innerhalb demokratischer Gesellschaften, das auch in Diskussionen thematisiert und erlernt werden kann, ist die Moral. Werner (2006, S. 239 ff.) stellt verschiedene Bedeutungen des Begriffs dar. Demnach kann Moral zum einen im Sinne seiner ursprünglich lateinischen Bedeutung – „Sitte, Gewohnheit, Charakter“ – als Gesamtheit aller sozial repräsen-tierten und im Persönlichkeitssystem der Individuen verankerten regelbezogenen Handlungsori-entierungen und wechselseitigen Verhaltenserwartungen verstanden werden. Zum anderen kann Moral als normative Ethik bezeichnet werden, d. h. sie fasst alle aufgrund von rationalen, unei-gennützigen und überparteilichen Betrachtungen der Gesellschaft als allgemeingültig zu be-zeichnende Normen, Prinzipien und Regeln zusammen, wonach Handlungen als moralisch rich-tig oder falsch bewertet werden können. Daraus ableitend bezieht sich eine dritte Bedeutung auf die postkonventionelle, normativ-ethisch qualifizierte Handlungsorientierung autonomer Moral-subjekte. Personen werden als moralisch bezeichnet, sofern sie sich um ein moralisches Handeln bemühen, d. h. wenn sie versuchen, nach gültigen moralischen Regeln zu handeln. Sie würden demnach Handlungen unterlassen, wenn diese nicht durch gültige moralische Regeln zu rechtfer-tigen wären.16

16 Für diese Arbeit irrelevant sind die Bedeutungen von Moral zum einen als Fazit einer Fabel, zum anderen als Bezeichnung für eine vitale Motivation bzw. habituelle Disposition im Sinne von „Kampfgeist“ (Werner 2006, S. 239 ff.).

Die enge Verzahnung zwischen Demokratie und Moral wurde bereits bei der Betrachtung des Beitrags von Diskussionen zur Entwicklung politischer Urteilskompetenz deutlich. Lind (2006, S. 170) formuliert den Zusammenhang zwischen beiden Konzepten sowie die respektive Bedeutung von Diskussionen wie folgt:

„Die Kernidee von Demokratie ist es, dass die Mitglieder sich der Autorität moralischer Prinzipien unterwerfen statt der Autorität eines Königs, eines Tyrannen oder einer Herr-schaftsschicht. […] Eine ideale Demokratie besteht also in einer freien Argumentations-gemeinschaft […], in der jede Stimme gleich viel zählt und die Richtigkeit bzw. Gerech-tigkeit einer Konfliktlösung sich danach bestimmt, ob sie sich in einem zwanglosen Diskurs als Konsens herausstellt. […] Notwendig für die Teilhabe an einer Argumentati-onsgemeinschaft ist eine ausgereifte moralische Urteils- und Diskursfähigkeit.“

Moralische Urteilsfähigkeit ist die „Integration von Erkenntnisleistungen und Gefühlseinstel-lungen bei der Begründung und der Anwendung von Normen“ (Habermas 1983, S. 194). Meyer /

Felzmann (2011, S. 131) bezeichnen die Verknüpfung von Kognition und Emotion als ethische Urteilskompetenz. Sie betonen die darin enthaltende Aufgabe, moralisches Handeln bzw. Ent-scheiden zu reflektieren, um ein Bewusstsein für zugrundeliegende Norm- und

Wertvorstellun-gen zu schaffen. Der Begriff der moralischen Urteilskompetenz ist besonders durch Kohlberg (1976) geprägt worden. Er erklärt, dass sich die Fähigkeit, das eigene Denken nach moralischen

Idealen und Prinzipien auszurichten und nach diesen zu handeln, stufenweise entwickelt. Diese Stufen liegen auf unterschiedlichen Ebenen (Dürr 2004, S. 449 f.):

 Präkonventionelle Ebene: moralische Entscheidungen werden mit eigenen Interessen o-der drohenden Strafen bzw. mächtigen Autoritäten begründet

1. Handlungen werden nach der unmittelbaren Konsequenz für den Handelnden beurteilt 2. erste Ansätze von Gegenseitigkeit dienen der Durchsetzung eigener Interessen

 Konventionelle Ebene: Entscheidungen sollen wichtige Sozialbeziehungen erhalten 3. richtiges Verhalten ist was anderen zu Gute kommt

4. richtiges Verhalten dient dem Erhalt der sozialen Ordnung

 Postkonventionelle Ebene: Entscheidungen werden aufgrund übergeordneter Prinzipien und Werte getroffen

5. die Gerechtigkeit des Verfahrens ist maßgebend für Entscheidungsfindungen

6. Entscheidungen werden aufgrund selbst gewählter, logisch widerspruchsfreier und umfas-sender ethischer Prinzipien (z. B. Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität) getroffen

Eine weitere Unterteilung lässt sich bezogen auf den letzten Punkt in der gewählten Stufe der ethischen Rücksichtnahme vornehmen. Diese wird als Maßstab für das zugrunde gelegte Prinzip gewählt (siehe Abb. 2). So kann eine getroffene Entscheidung zwar gerecht gegenüber im Jetzt lebenden Menschen sein, die Auswirkungen dieser Entscheidung für zukünftige Generationen bleiben jedoch unberücksichtigt.

Abb. 2: Stufen der ethischen Rücksichtsnahme bei Entscheidungen Quelle: nach Meyer-Abich 1984, S. 23

Dürr (2004, S. 444 ff.) betont die zentrale Rolle der Schule für die Moralerziehung und stellt verschiedene Ansätze zur Bewerkstelligung dieser Aufgabe vor. Dabei verwendet er immer wieder freie offene Diskussionen, die den Schüler ohne Indoktrination zur selbstständigen Mo-ralerziehung anregen sollen. Besonders im kognitiv-entwicklungsorientierten Ansatz soll die selbstständige Entwicklung von Moral und moralischer Urteilsfähigkeit mittels Diskussionen pädagogisch gefördert werden. Ähnliches schlagen Butt (2002, S. 190) sowie Meyer / Felzmann (2011, S. 133 ff.) auch für den Geographieunterricht vor. Diskussionen zu Entscheidungen in Konfliktsituationen sollen im Sinne Kohlbergs die Schüler dazu befähigen, konkurrierende Wer-te zu erkennen, sie gegeneinander abzuwägen und zu einem an Prinzipien orientierWer-ten UrWer-teil zu kommen (Dürr 2004, S. 446).

Hattie (2013, S. 178) stellt in seinen Metaanalysen empirischer Studien fest, dass solche Di-lemmadiskussionen17 im Vergleich zu anderen Programmen der Werte- und Moralerziehung die größten Effekte auf die moralische Urteilsbildung haben. Konkret handelt es sich um die Diskus-sion einer problematischen Situation, die folgende Merkmale aufweist (Wood / Hymer / Michel 2007, S. 77):

17 Für nähere Informationen zum Ablauf einer Dilemmadiskussion, die in ihr geltenden Regeln sowie Hinweisen zur Gestaltung siehe Klappbacher (2011, S. 32 f.), Lind (2009, S. 83 ff.), Cantz et al. (2008, o. S.), Lind (2006, S. 173 ff.), Frommer (2009, S. 35 f.), Wood / Hymer / Michel (2007, S. 7 ff.), Hößle / Bayrhuber (2006, S. 1), McPartland (2001, S. 31 ff.).

 Ein Dilemma bedeutet eine schwere Entscheidung, die keine eindeutige Lösung zulässt.

 Es muss mindestens zwei mögliche Lösungen für dieses Dilemma geben, die die Schüler dazu veranlassen, intensiv nachzudenken und zu begründeten Entscheidungen zu kom-men. Dabei gilt: je mehr Entscheidungsalternativen, desto tiefgründiger ist das erforder-liche Denken und die Diskussion.

 Auf ein Dilemma gibt es keine richtige Antwort. Die Schüler sind angehalten, zunächst die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten auszuloten, bevor sie sich für eine entscheiden, die dennoch nicht von allen als richtig empfunden werden muss.

 Ein Dilemma braucht einen Aufhänger, der die persönliche Betroffenheit der Schüler weckt, um für sie als Dilemma ersichtlich zu werden.

 Die Informationen zu einem Dilemma sind meist mehrdeutig oder detailarm, sodass die Schüler mehrere Lösungsansätze entwickeln und dabei ihre Ableitungen aus den Infor-mationen verstärkt hinterfragen müssen. Neben der Interpretationsfreiheit werden so ge-haltvolle Diskussionen für zufrieden stellende Ergebnisse sichergestellt.

Mögliche Themen für Dilemmadiskussionen im Geographieunterricht werden unter 3.1 be-trachtet. Dilemma sollten generell in eine Geschichte mit konkreten Protagonisten eingebettet sein, die die drei psychologischen Dimensionen moralischer Urteilsfähigkeit vereint: Wissen, Emotionen und Handeln (McPartland 2001, S. 27 ff.). Müssen die Schüler die Sichtweisen dieser Personen in der Diskussion zusätzlich vertreten, wird die persönliche Betroffenheit der Schüler noch verstärkt (Wood / Hymer / Michel 2007, S. 21). Eine derartige Vorgehensweise konfron-tiert die Schüler mit den Einstellungen und Wertvorstellungen anderer, wodurch sie eigene Wertvorstellungen überdenken und formen können (Butt 2002, S. 190, Roberts 2003, S. 141 ff.).

Zudem besteht die Möglichkeit neben dem Erlernen und der praktischen Erprobung von Werten, festzustellen, dass und welche Wertvorstellungen neben faktischen Argumenten Entscheidungen beeinflussen (ebd., S. 141). Hinsichtlich der in diesen Diskussionen entscheidungsrelevanten Werte werden für die Geographie Toleranz, ein positives Selbstbild, Akzeptanz und Respekt für andere, Aufgeschlossenheit, Empathie, Güte, Gerechtigkeitssinn, Menschenrechtsbewusstsein, ein Bekenntnis zu nachhaltiger Entwicklung und Naturschutz sowie die Einsatzbereitschaft diese Werte umzusetzen, als besonders bedeutsam hervorgehoben (DGfG 2012, S. 24 f., Butt 2002, S.

189).

Das Ziel einer Dilemmadiskussion ist nicht der Konsens, sondern das bessere Erkennen und Beurteilen moralischer Wertsetzungen und darauf aufbauende Argumentationsstrategien

(Grümme 2006, S. 138). Dabei urteilen Schüler aufgrund ihrer erreichten Stufe moralischer Ur-teilsfähigkeit. Lind (2006, S. 168 f.) nennt typische Muster von Reaktionen auf moralische Ar-gumente, die an die verschiedenen Niveaustufen Kohlbergs angelehnt sind:

1. Der Schüler urteilt über das Verhalten der Dilemma-Person, weigert sich aber die vorge-legten Argumente zu bewerten.

2. Der Schüler bewertet nur die meinungskonformen Argumente.

3. Der Schüler fängt an moralisch ‚schlechte’ Argumente weniger gut zu finden, auch wenn sie seine eigene Meinung stützen und zeigt so erste Spuren moralischer Urteilsfähigkeit.

4. Der Schüler bewertet Gegenargumente immer nur negativ.

5. Der Schüler fängt an, Gegenargumente weniger negativ zu bewerten, wenn sie moralisch gut sind.

6. Der Schüler bewertet Argumente überwiegend nach ihrer Qualität statt nach ihrer Mei-nungskonformität. Erst jetzt besteht die Chance zur Konfliktlösung im Diskurs.

Dilemmadiskussionen fördern nicht nur die Entwicklung der moralischen Urteilsfähigkeit, sondern verhelfen auch dazu (Lind 2009, S. 74 f.):

 sich der eigenen Prinzipien bewusst zu werden,

 Umstände und Fakten einer Situation genau zu betrachten,

 eigene Prinzipien nach ihrer Wichtigkeit und Angemessenheit zu hierarchisieren,

 bei gleichrangigen Prinzipien Konflikte durch geeignete Meta-Prinzipien zu lösen,

 eigene Prinzipien in einem sozialen Kontext zu artikulieren,

 den Argumenten anderer zuzuhören und diese in die eigene Entscheidung einzubeziehen, auch wenn sie andere Meinungen vertreten.

Letzteres gehört bereits zu der in 2.2.2 beschriebenen demokratischen Kernkompetenz der Kon-fliktfähigkeit. Die genannten Fördereffekte für Moralerziehung und Urteilsbildung treten bereits bei einmaligen oder kurzen18 Dilemmadiskussionen ein, wobei besonders bei 11 bis 16-Jährigen längerfristige Wirkungen erzielt werden (ebd., S. 67).

Die Durchführung einer Dilemmadiskussion unter Erläuterung des genauen Vorgehens ist eine Kombination der direkten und indirekten Möglichkeit der Werteerziehung im Sinne von Wertfindung und -orientierung im (Geographie-) Unterricht (Tröger 2002, S. 35 ff.). Zum einen erlernen die Schüler eine Methode, mit der sie selbst aus dem Nebeneinander verschiedener Werte und Orientierungen die Passenden zur eigenen Identitätsbildung auswählen können. Zum anderen werden sie in der Diskussion direkt mit Werten und moralischen Entscheidungen kon-frontiert. Über die Notwendigkeit, den Geographieunterricht auch zur Werteerziehung zu nutzen, besteht in der Literatur weitgehend Einigkeit. Stellvertretend hierfür stellt Klappacher (2011, S.

26) mit Bezug auf Herzig (1998, S. 20 ff.) fest:

„Unsere Lebenswelt ist gekennzeichnet durch einen Wertepluralismus; durch ein Neben-einander und GegenNeben-einander, einen raschen Wandel von verschiedenen Normen, Idealen, Menschenbildern und Handlungsleitlinien.“

Werteerziehung innerhalb von Diskussionen kann hier Orientierung geben, Maßstäbe aufzeigen, die die persönliche Identität schützen sowie Wahlmöglichkeiten bieten, um Lebens- und Berufs-wege erfolgreich beschreiten zu können (Klappacher 2011, S. 28). Neben dem Mitgestalten der

18 Kurz heißt bei Lind (2009, S. 67) 45 Minuten. Nachhaltigere Ergebnisse würden jedoch mit längeren bis zu neunzigminütigen Diskussionen erreicht.

Umwelt ist das freie, selbstbestimmte Gestalten des eigenen Lebens eine besondere Fähigkeit, die es im Geographieunterricht zu erlernen gilt:

„Man muss das eigene Handeln im sozialen Kontext betrachten können – was die Entwick-lung moralischer Grundhaltungen ebenso einschließt wie soziales (und ökologisches) Ver-antwortungsbewusstsein, Selbstkritik und die Bereitschaft zu persönlicher Weiterentwick-lung“ (Schramke 1999, S. 81).

Butt (2002, S. 189) legitimiert die Notwendigkeit zur Werteerziehung im Geographieunterricht mit der Beschaffenheit des Faches, welches selbst wertgeladen ist.

“Although some geography teachers do not wish to engage in any teaching of controver-sial issues, for fear of possible accusations of indoctrination, one cannot avoid the fact that geography is value-laden and therefore cannot be taught in an entirely value free (or value neutral) way.”

Auch er möchte, dass die Schüler eigene Wertvorstellungen kreieren und sich vor diesem Hin-tergrund über ihre Einstellungen zu in der Geographie behandelten Themen bewusst werden bzw. sie mithilfe ihrer Wertvorstellungen begründen sollen (ebd., S. 190). Denn Einstellungen (attitudes) sind Gefühle, Ansichten und Meinungen einzelner Individuen oder Gruppen, die sich unter anderem aus deren tief verwurzelter Wertschätzung einzelner Werte ergeben (Roberts 2003, S. 141).

Im Folgenden sollen kognitive Kompetenzen betrachtet werden, die ebenfalls in Diskussio-nen entwickelt werden könDiskussio-nen.

Im Dokument Diskussionen im Geographieunterricht (Seite 39-44)