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Argumentationsanalyse ohne Toulmin

Im Dokument Diskussionen im Geographieunterricht (Seite 71-86)

2.3 Gestaltungsmodalitäten von Unterrichtsdiskussionen

2.3.1 Die wichtigsten Handlungsmuster beim Diskutieren

2.3.1.1.1 Argumentationsanalyse ohne Toulmin

2.3.1.1.1 Argumentationsanalyse ohne Toulmin

Die aufgezeigten Schwächen an Toulmins Modell (siehe 2.3.1.1), besonders im Hinblick auf die vernachlässigte Analyse einer Argumentation auf der Makroebene, erfordern zusätzliche Analyseverfahren für eine ganzheitliche Argumentationsanalyse der videogaphierten Unter-richtsdiskussionen im empirischen Teil dieser Arbeit. Die im Folgenden dargestellten Instrumen-te ermöglichen Einblicke in den Aufbau von ArgumentationsketInstrumen-ten einzelner Schüler sowie in die inhaltliche Verwobenheit und Schlüssigkeit der geäußerten Argumente im Kontext der Dis-kussionsbeiträge anderer. Außerdem soll der Wissenszuwachs zum Thema durch Argumentation in Diskussionen erkennbar werden. Die Praktikabilität dieser Analyseinstrumente lässt sich je-doch erst durch ihre Anwendung in der empirischen Untersuchung überprüfen (siehe 6.2.2.5).

Argument Diagramming nach Walton (2006)

Eine im Vergleich zu Toulmin ganz andere Art Argumente zu strukturieren, wählt Walton (2006) mit seinem Argument Diagramming.36 Besonders interessant für die Analyse der Argu-mentationskompetenz einzelner Schüler ist die Tatsache, dass sich einzelne, in Diskussionen geäußerte Argumente zu Argumentationsketten zusammenfassen lassen, die alle eine Haupt-schlussfolgerung am Ende der Kette stützen (Walton 2006, S. 24). Dabei bestehen die einzelnen Argumente aus mindestens einer Prämisse, welche eine Begründung liefert, aus der sich die Be-hauptung eines Arguments schlussfolgern lässt. Walton (ebd., S. 7) betont “the ability to identify an argument by stating its premises and conclusions is a very valuable skill for critical argumen-tation.” Deshalb nennt er wichtige Indikatorwörter, an denen man eine Prämisse oder eine Schlussfolgerung erkennt. Solche Indikatorwörter formuliert auch (Bayer 1999, S. 94 f.). Dem-nach sind Schlussfolgerungen an Wörtern oder Phrasen wie folglich, deshalb, also, ergo, ingedessen, daher, darum, demzufolge, deswegen, somit, daraus folgt / ergibt sich, es ist zu fol-gern, das muss / kann gar nicht anders sein als, zwingt zu der Annahme, zu erkennen. Prämissen anzeigende Indikatoren lauten dagegen weil, da, denn, nachdem, zumal, in Anbetracht der Tatsa-che, unter Berücksichtigung des Umstandes, dass.

Innerhalb von Argumentationen geschieht es häufig, dass die Schlussfolgerung eines Argu-ments zur Prämisse des Nächsten wird oder mehrere Prämissen ein und dieselbe Schlussfolge-rung stützen. Die daraus entstehenden Argumentationsketten lassen sich für ihre Analyse in Ar-gumentationsdiagrammen zusammenfassen. Walton (2006, S. 138) begründet diesen Schritt mit der Möglichkeit, die Argumentationsstärke oder -gültigkeit einfacher bewerten zu können. Auf diese Weise lassen sich sechs verschiedene Argumentstrukturen abbilden und miteinander ver-netzen (ebd., S. 139 ff.):

36Eine andere Herangehensweise wählt Walton (1996) mit der Beschreibung von 25 verschiedenen Argumenttypen, die durch dazugehörige Fragen vom Opponenten kritisch hinterfragt werden können.

1. unvollständiges (incomplete) Argument: eine unausgesprochene aber gedachte, also im-plizite Prämisse oder Schlussfolgerung muss für die Gültigkeit des Arguments nachträg-lich eingefügt und explizit gemacht werden

2. einfaches (single) Argument: eine Prämisse unterstützt eine Schlussfolgerung

3. konvergentes (convergent) Argument: mehrere Prämissen unterstützen dieselbe Schluss-folgerung

4. divergentes (divergent) Argument: eine Prämisse stützt mehrere Schlussfolgerungen 5. verknüpftes (linked) Argument: mehrere sich zum Teil bedingende Prämissen

unterstüt-zen dieselbe Schlussfolgerung, Weglassen einer Prämisse schwächt das ganze Argument 6. fortlaufendes (serial) Argument: innerhalb einer Argumentationskette wird die

Schluss-folgerung eines Arguments zur Prämisse des Nächsten.

Für die Unterscheidung zwischen verknüpftem und konvergentem Argument gibt Walton (ebd., S. 151 f.) noch einige Hinweise:

a) weitere Indikatorwörter für konvergente Argumente sind: außerdem, des Weiteren, zu-sätzlich, etc. und für verknüpfte Argumente sind: damit einhergehend, damit erforder-lich, etc.

b) logische Inferenzstruktur: wenn das Argument in ähnliche deduktiv gültige Argumenta-tionsformen oder -schemata passt, ist es ein verknüpftes Argument

c) Blackout Test: gilt das Argument noch immer, wenn eine Prämisse verdeckt wird, ist es konvergent ansonsten verknüpft

d) das Argument innerhalb des ganzen Diskussionskontext analysieren e) im Zweifelsfall ist das Argument jedoch als konvergent zu betrachten.

Waltons (ebd., S. 142) Beispiel für ein eindeutig verknüpftes Argument gleicht einem Syllogis-mus, wie er in Schülerargumentationen aufgrund seiner komplexen logischen Struktur wahr-scheinlich selten vorkommt. Insofern ist fraglich, ob eine eindeutige Unterscheidung zwischen konvergenten und verknüpften Argumenten in der Untersuchung des Datenmaterials in Kapitel 6 überhaupt notwendig bzw. möglich ist.

Vaughn (2008, S. 96 ff.) greift Waltons Idee des Argument Diagramming auf, benennt verknüpf-te und konvergenverknüpf-te Argumenverknüpf-te in abhängige (dependent) und unabhängige (independent) Argu-mente um und gibt eine schrittweise Anleitung zur Erstellung eines solchen Diagramms. Diese Arbeitsschritte, kombiniert mit Waltons (2006, S. 154 ff.) Anleitung, ergeben folgende Verfah-rensweise des Argument Diagramming:

1. Unterstreiche alle Indikatorwörter für Prämissen und Schlussfolgerungen.

2. Suche und unterstreiche alle Schlussfolgerungen mit einer Wellenlinie.

3. Finde die Hauptschlussfolgerung der Argumentation und unterstreiche sie mit einer dop-pelten Wellenlinie.

4. Suche und unterstreiche alle Prämissen.

5. Füge implizite Prämissen oder Schlussfolgerungen ein und mache sie als solche kennt-lich.

6. Nummeriere die Prämissen und Schlussfolgerungen der Argumente, sodass sie eine auf die Hauptschlussfolgerung hinführende Reihenfolge ergeben.

7. Streiche alle unwichtigen Textteile, d. h. Redundanzen, irrelevante Sätze, Fragen, Auf-forderungen.

8. Zeichne ein Diagramm, welches die Prämissen durch Pfeile mit den Schlussfolgerungen logisch verbindet. Abhängige Prämissen werden durch ein Plus (+) oder eine verbinden-de Klammer verbunverbinden-den.

Mit Hilfe dieser Anleitung werden die Schülerargumentationen in Kapitel 6 auf ihre Struktur und Komplexität hin untersucht, um Aussagen über die Fähigkeiten der Schüler zum Aufbau logi-scher Argumentationsketten treffen zu können. Die Praktikabilität des Analyseschemas ist bei Budke / Uhlenwinkel (2011) bereits nachgewiesen.

Argumentationsverwobenheit nach Clark / Sampson (2008)

Ein wichtiges Definitionsmerkmal von Diskussionen ist die verwobene Verhandlung von Pro- und Contra-Argumenten. Das Analyseschema von Clark / Sampson (2008) bietet eine Mög-lichkeit, diese Verwobenheit zu bewerten und gleichzeitig die Argumentationskompetenz der Schüler hinsichtlich ihrer Fähigkeiten zur Kritik anderer Argumente zu untersuchen. Die Analy-se von Vorkommen und Struktur von Gegenargumenten in ArgumentationsAnaly-sequenzen misst auch das Maß an bestehender Opposition zu geäußerten Argumenten und gegenseitiger Bezugnahme.

Dieses Analyseschema hat erfolgreich Anwendung in anderen empirischen Studien gefunden, die die Qualität von Argumenten untersuchen.37 Es wurde innerhalb einer Studie zur Bewertung der Argumentation im digitalen Physikunterricht entwickelt, in der die Argumentationen in acht zufällig ausgewählten Online-Diskussionen im Projekt Thermodynamics: Probing your Sur-roundings analysiert wurden. Teilnehmer waren 84 Schüler aus vier achten Klassen. Die 334 Kommentare der Schüler können in 126 Argumentationssequenzen zusammengefasst werden, die sich neben organisatorischen oder nicht-themenrelevanten Bemerkungen aus zusammenge-hörigen Argumenten, Gegenargumenten und damit verbundenen Bemerkungen zusammensetzen.

Unter anderem beurteilt die Studie die Argumentationsverwobenheit anhand einer Skala zum Maß an Opposition. Diese reicht von 0 = keine Opposition bis 5 = starke Opposition. Opposition kann dabei aus (begründeten) Gegenbehauptungen, die in keiner Weise auf eine vorherige Be-hauptung eingehen, sondern eine neue Sichtweise darstellen, oder kritisierenden Einwänden ge-gen eine geäußerte Behauptung oder deren Begründung bestehen (ebd., S. 299). Die Definitionen für die einzelnen Oppositionsstufen lauten (ebd., S. 304):

 Level 0: keine Opposition zu geäußerten Argumenten

37siehe Lee et al. (2013), Puntambekar / Hmelo-Silver / Erkens (2011), Skoumios (2009)

 Level 1: auf eine Behauptung (claim) folgt eine Gegenbehauptung (counterclaim) ohne Nennung von Gründen (grounds) oder Einwänden (rebuttal)

 Level 2: (Gegen-) Behauptungen werden begründet, aber nicht kritisiert

 Level 3: (Gegen-) Behauptungen werden begründet, aber nur ein Einwand kritisiert die (Gegen-) Behauptung

 Level 4: mehrere Einwände kritisieren die (Gegen-) Behauptung, aber nicht die Gründe für die (Gegen-) Behauptung

 Level 5: mindestens einer der mehreren Einwände zu einer (Gegen-) Behauptung kriti-siert die Gründe für die (Gegen-) Behauptung.

Die Stufen 0 bis 2 sprechen für eine mangelnde bzw. geringe Argumentationsverwobenheit, während die Stufen 3 bis 5 eine gesteigerte Argumentationsverwobenheit darstellen, in der die Argumentation mit steigendem Level qualitativ hochwertiger wird (ebd.). Im Ergebnis der Studie werden 66 Sequenzen als oppositionell bezeichnet. Diese sind umso länger, je höher der Opposi-tionslevel ist. Insgesamt können keine oppositionellen Sequenzen der Level 1 und 2 verzeichnet werden, dafür sind 40 Sequenzen dem Level 3, 14 Sequenzen dem Level 4 und 12 Sequenzen dem Level 5 zugeordnet (ebd., S. 311). Diese Ergebnisse bestätigen das Merkmal der Verwo-benheit von Diskussionen, die offensichtlich auch unter Achtklässlern geführt werden können, und widersprechen den Befunden von Wolfensberger / Hofer/ Kyburz-Graber (2006, S. 40) wo-nach Schüler Probleme haben, die Argumentation anderer zu kritisieren (siehe 2.2.1).

Wissenszuwachs durch Argumentation nach Leitão (2000)

Das Analyseschema von Leitão (2000) zeigt eine weitere Form der Verwobenheit, indem es die gegenseitige Beeinflussung der Argumentationen einzelner Diskutanten und die daraus resul-tierende Wissensbildung untersucht. Die Auseinandersetzung mit Gegenargumenten in Diskussi-onen und der damit verbundene Einblick in andere Sichtweisen kann abhängig vom Diskussions-inhalt und -ziel sowie den Zielen und Argumentationsweisen der einzelnen Diskutanten

Meinungsänderungen hervorrufen. Die reichen von kleinen Zugeständnissen bezogen auf einzel-ne Argumente bis zur kompletten Übernahme einzel-neuer Ansichten (ebd., S. 335 ff.). Um diesen Grad der Meinungsänderung und den damit einhergehenden Wissenszuwachs zu messen, hat Leitão (ebd., S. 348 ff.) vier Stufen der möglichen Reaktion auf Einwände formuliert. Sie zeigen an, inwiefern Kritik in die Argumentation eines Sprechers und damit in sein Wissen aufgenommen werden:

1. Zurückweisung (dismissal): ein Einwand kann widerlegt werden

2. örtliche Zustimmung (local agreement): einem Einwand wird zugestimmt, jedoch wird die eigene Position nicht geändert, sondern weiter durch neue Argumente verteidigt 3. integrierende Erwiderung (integrative reply): teilweise Zustimmung zu einem Einwand

wird demonstriert, indem das eigene Argument entweder durch Nennung existierender

Ausnahmen oder geltender Bedingungen, Abschwächung der Gewissheit durch sprachli-che Indikatoren (z. B. vielleicht, eventuell, etc.) oder durch Reformulierung modifiziert wird

4. Rücknahme der ursprünglichen Ansicht (withdrawal from initial view): gänzliche Zu-stimmung zum Einwand resultiert in Übernahme der neuen Position zum Argumentati-onsgegenstand.

Bei Leitão (ebd., S. 356) wird die Unterteilung noch einmal zusammengefasst:

“Dismissing or localizing a counterargument would imply the preservation of argument as it was originally stated. In contrast, integrating a counterargument into argument will al-ways require a revision of the argument. Finally, the full acceptance of a counterargument would normally prompt the arguer to withdraw […] the position that has just been chal-lenged.”

Im empirischen Teil dieser Arbeit soll geprüft werden, ob sich diese vier Stufen auch in der Ar-gumentation von Schülern in Diskussionen im Geographieunterricht wiederfinden. Somit wird einerseits die Praktikabilität Leitãos Analyseschemas getestet, andererseits der Wissenszuwachs der Schüler während der Diskussionen untersucht. Wobei dieser wohl nicht nur durch die Integ-ration von Gegenargumenten deutlich wird. Schließlich erfordert die Diskussion geographischer Themen bereits in der Vorbereitung der eigenen Position meist die Auseinandersetzung mit neu-en Informationneu-en, derneu-en Integration in bestehneu-ende Kneu-enntnisse schon einneu-en Wissneu-enszuwachs dar-stellen. Außerdem steht dem Analyseschema von Leitão das Ergebnis einer Studie von Von Auf-schnaiter et al. (2008, S.121) gegenüber, wonach der Wissenszuwachs durch Diskussionen lediglich in der Verbesserung der Fähigkeit zu verknüpfendem Denken liegt und nur als Basis für weiteren Wissenszuwachs gesehen werden kann:

“However, lessons based on argumentation do not seem to have a direct impact on stu-dents developing a new understanding in a sense that it emerges within the discourse di-rectly. But […] it leads to a quicker development of specific ideas and helps to make con-nections across (familiar) contexts. It is such improvement that is the basis of further learning.”.

Zusätzlich ist zwischen prozeduralem und deklarativem Wissenszuwachs in Diskussionen zu unterscheiden (siehe Salema 1997, S. 53) 38. Leitão (2000) untersucht lediglich den deklarativen Wissenszuwachs, also das Faktenwissen. Eine Untersuchung des prozeduralen Wissenszuwachs innerhalb von Diskussionen ist nur durch Pre- und Posttests sowie Interventionsstudien wie bei Zohar / Nemet (2002) möglich. In der Annahme, dass sich durch die Auseinandersetzung nicht nur mit den Argumentationsinhalten, sondern auch den Argumentationsweisen der Mitschüler die Argumentationskompetenz einzelner Schüler im Verlauf einer Diskussion verändert, können die Schülerargumentationen nach dem Vorbild von Toulmin (1958), Walton (2006) und Clark / Sampson (2008) mit zusätzlicher Berücksichtigung verwendeter Argumentationsstile und -fehler analysiert werden. Eine Anpassung an die Argumentationsweisen der Mitschüler und zuvor

ge-38 Der schwierig zu messende metakognitive Wissenszuwachs wird in dieser Arbeit aufgrund inhaltlicher Umfangsbeschränkun-gen nicht berücksichtigt.

lehrte Muster kann eine Verbesserung und damit prozeduralen Wissenszuwachs bezüglich der Formulierung von Argumenten, aber auch eine diesbezügliche Verschlechterung bewirken. Letz-teres geschieht beispielsweise, wenn ein Schüler merkt, dass nicht die gewünschte rationale, sondern die polemische Argumentation erfolgreicher in der Durchsetzung der eigenen Position in der Diskussion ist. Da das Forschungsdesign dieser empirischen Untersuchung weder die Durch-führung von Pre- und Posttests noch eine Intervention vorsieht, können die genannten Analyse-instrumente jedoch nicht zur Ermittlung des prozeduralen Wissenszuwaches, sondern lediglich zur Ermittlung des Status quo in diesem Bereich genutzt werden.

2.3.1.1.2 Argumentationsstile

Zum prozeduralen Wissen gehört auch der Einsatz unterschiedlicher Argumentationsstile, die über die bisherigen Argumentationsmuster und Stilregeln hinausgehen (siehe 2.3.1.1). Zu-nächst ist auf die unterschiedliche Verwendung des Begriffs Argumentationsstil zu verweisen, dem Weingarten / Pansegrau (1993, S. 129) drei unterschiedliche Bedeutungen zuschreiben:

1. Argumentation als Stilmerkmal eines Gesprächs 2. Varianten der Art und Weise des Argumentierens 3. Als-Ob-Argumentationen.

Die dritte Bedeutung kennzeichnet nach Auffassung von Weingarten / Pansegrau (ebd.) ver-meintliche Argumentationen im Unterricht, die zwar die formalen Merkmale einer Argumentati-on aufweisen, jedoch nicht deren Zweck erfüllen, andere tatsächlich zu überzeugen. Das liege an den institutionellen Merkmalen und vorgegebenen Machtstrukturen der Schule, die keine Argu-mentation im Sinne der Mäeutik (siehe 2.1) zuließen (ebd., S. 130 ff.). Hinsichtlich der zweiten von Weingarten / Pansegrau (ebd., S. 129) genannten Bedeutung unterscheidet Herbig (1993, S.

55 ff.) weitere Bedeutungsebenen. Mit Stil ist einerseits die Beschreibung einer Argumentation mit Adjektiven wie sachlich, geschickt, widersprüchlich, vernünftig, etc. gemeint, die einer Be-wertung der Argumentation als beispielsweise an die Gesprächssituation angepasst dient (ebd., S. 55). Für eine Stiluntersuchung in diesem Sinne schlägt Herbig (ebd., S. 57) folgende Fragen vor: Wer? Mit wem? Wozu? Wann? Worüber?. Andererseits können auf der Ebene der Mikro-analyse einzelne Stile bezüglich formaler, sprachlicher und prosodischer Realisierung auf einzel-ne Argumente bezogen unterschieden werden (ebd., S. 59). Die formale Realisierung bezieht sich auf die Art und Weise, wie die einzelnen Elemente der Argumentation in welcher Reihen-folge vorkommen. Die sprachliche Realisierung untersucht die rhetorischen Mittel, mit denen Argumentationen formuliert werden, aber auch explizite Stilmittel, mit denen die überzeugende Wirkung von Argumentationen verstärkt oder abgeschwächt werden. Die Ebene der prosodi-schen Realisierung bezieht sich auf sprecherische Ausdrucksmittel des temporalen, melodiprosodi-schen und dynamischen Bereichs (ebd., S. 60 f.).

Die Untersuchung der formalen Stilebene ist in der empirischen Untersuchung dieser Ar-beit durch die Analyse des Transkriptionsmaterials anhand der von Toulmin (1958) und Walton (2006) entwickelten Modelle abgedeckt. Die prosodische Stilebene erscheint für die Bewertung

der Argumentationskompetenz von Schülern weniger bedeutend. Daher wird sie in dieser Arbeit nur in Ausnahmefällen berücksichtigt.39 Analyseinstrumente für die sprachliche Stilebene wur-den bereits mit der Unterteilung von Argumenten in die beschriebenen Argumentationsmuster formuliert (siehe 2.3.1.1). Diese können jedoch auf unterschiedliche Weise rhetorisch dargelegt werden. Eine diesbezügliche Analysevariante wäre die Untersuchung des Transkriptionsmateri-als nach dem Vorbild von Walton (1996) und seinen 25 verschiedenen Argumenttypen. Für eine erste Einschätzung der Argumentationskompetenz der Schüler, die möglichst an ihren Erfahrun-gen mit Argumentation ansetzt, scheinen die von Kienpointner (1992, S. 250 ff., 1996, S. 83 ff.) und Van Ments (1992, S. 127 ff.) stilistisch unterschiedenen Muster von Alltagsargumentationen jedoch angebrachter. Sie stellen eine inhaltliche Zusammenfassung bisheriger Typologien aus Antike, Mittelalter, Neuzeit und neuster Zeit dar (Abb. 6).

Abb. 6: Typologie plausibler Muster der Alltagsargumentation Quelle: Kienpointner 1992, S. 246

Im Folgenden sollen die einzelnen Argumentationsmuster erläutert werden40. Zu den Ein-ordnungsschemata gehört der Gebrauch von Definitionen. Dabei wird in der Argumentation da-von ausgegangen, dass die Maßstäbe für eine Definition ebenso für das Definierte gelten (Kien-pointner 1996, S. 83). Dieses Argumentationsmuster lässt sich nur bei eindeutig definierbaren Begriffen und Sachverhalten anwenden. Ansonsten sind weitere Zwischenschritte des logischen Schließens für eine ‚vernünftige’ Argumentation von Nöten (ebd., S. 84 ff.). Argumente nach

39 Denkbar wäre eine besonders abgehakte, mit vielen Füllwörtern oder Pausen formulierte Argumentation, die eine geringe Argumentationskompetenz aufgrund mangelnden Wissens zu Formulierungstechniken, anstelle von Aufregung oder mangelndem inhaltlichen Wissen suggerieren. Dies wäre jedoch schwierig zu überprüfen.

40Konkrete Beispiele zu den einzelnen Topoi finden sich bei Mayer (2007, S. 165 ff.).

diesem Muster finden sich meist in fachwissenschaftlichen Argumentationen (Kienpointner 1992, S. 253). Definitionsschemata lassen sich mitunter schwer von einem weiteren Einord-nungsschema, dem Genus-Spezis Schema abgrenzen.

„Oft lässt sich nämlich auch bei Berücksichtigung von einschlägigen lexikalischen Hin-weiswörtern sowie Kontextfaktoren schwer entscheiden, ob ein Ausdruck als Definiendum einem Defiens gleichgesetzt wird oder ob er in eine Spezies / ein Genus eingeordnet wird, weil auch Spezies / Genera in den syntaktischen Formen von Definitionen auftreten“ (ebd., S. 258).

Bei diesem Einordnungsschema werden die Argumente durch die Einordnung eines Gegenstands oder Sachverhalts in eine übergeordnete Art formuliert. Diese gehört wiederum zu einer größe-ren Gattung. In solchen Hierarchien gehört x einer Art y und damit auch der zugehörigen Gat-tung z an. Als Unterscheidungsmerkmal zu den Definitionsschemata können derartige Schluss-regeln nicht umgekehrt werden (Kienpointner 1996, S. 90 f.). Die Genus-Spezies Schemata sind von einem dritten Einordnungsschema abzugrenzen, den Ganzes-Teil Relationen. Dabei gilt, was für das Ganze gilt, gilt auch für die Teile und umgekehrt. Es sei denn, das Ganze und seine Teile sind qualitativ verschieden (ebd., S. 98 f.). Im Unterschied zu Genus-Spezies Relationen bilden Teile entweder gleichförmige Elemente eines Kontinuums, die quantitativ zum Ganzen summiert werden, oder sprachlich organisierte Aufteilungen einer Gesamtheit, die semantisch jedoch nicht ärmer oder reicher als ihre Teile ist. So addieren sich im ersten Fall viele Tropfen Wasser zu einer bestimmten Flüssigkeitsmenge, im zweiten Fall machen Tür, Fenster oder Mauern einzelne Teile eines ganzen Hauses aus, die sich jedoch nicht wie ein Baumhaus, Blockhaus oder derglei-chen einer übergeordneten Art, dem Haus an sich, zuschreiben lassen (Kienpointner 1992, S.

266).

Vergleichsschemata bedienen sich der Nutzung von Vergleichen und Analogien41. Diese können in zweierlei Richtung zur Argumentation verwendet werden: Entweder mit Bezug auf Ähnlichkeiten in der Annahme, dass naheliegende Gegenstände oder Sachverhalte auch ähnliche Eigenschaften aufweisen und daher von Einem auf das Andere geschlossen werden kann, oder mit Verweis auf deren Unterschiede, welche die Einzigartigkeit eines Gegenstands bzw. Sach-verhalts belegen und somit die Geltungsbeziehung eines genannten Arguments widerlegen (Van Ments 1992, S. 127 f.). Analogien sind indirekte Vergleiche mit Gegenständen aus verschiedenen Bereichen der Wirklichkeit, die nur bildlich miteinander vergleichbar sind. Dabei gilt, wenn a Eigenschaft b aufweist, hat analog c Eigenschaft d. Wenn die Eigenschaft b von a positiv bzw.

negativ zu bewerten ist, ist auch die Eigenschaft d von c positiv bzw. negativ zu bewerten (Kien-pointner 1996, S. 176 ff.)42. Van Ments (1992, S. 127) weist auf eine Gefahr bei der Nutzung

41 Da indirekte Vergleiche durch Analogien meist Einzelfallargumentationen sind, deren Ähnlichkeit nicht für die ganze Klasse zutrifft und sie zudem aus sehr verschiedenen Bereichen stammen, müssten sie strenggenommen einem separaten Schema zuge-ordnet werden (Kienpointner 1992, S. 289), jedoch erscheint es im Sinne einer kurzen theoretischen Einführung in alltagstypi-sche Argumentationsmuster sinnvoll, sie zusammenhängend darzustellen.

42 Außerdem können Vergleiche auch als Mittel zur Formulierung komplexer logischer Schlüsse zur Annahme der Wahrschein-lichkeit des Zutreffens eines Sachverhalts genutzt werden, wie sie vielleicht nicht unbedingt bei Schülern zu erwarten, der Voll-ständigkeit halber aber aufgeführt sind. In einem Vergleich zwischen p und q drückt sich eine höhere Wahrscheinlichkeit des Zutreffens einer Annahme so aus, dass, wenn p der Fall ist und q eher der Fall ist als p, dann ist q erst recht der Fall. Eine

niedri-n -. 106)-.

von Vergleichen und Analogien für rationale Argumentationen hin. Die vermeintliche Ver-gleichbarkeit zweier Sachverhalte ist gleichzeitig deren Angriffspunkt zur Widerlegung, da sie eben nicht identisch sind. Insofern soll gerade bei Analogien stets geprüft werden, ob der Ver-gleich zutreffend ist, also ob eine einleuchtende Beziehung zwischen a und b besteht und deren Vergleichbarkeit mit c und d gegeben ist (Kienpointner 1996, S. 178 f.). Vergleiche und Analo-gien sind stilistisch besonders geeignet, wenn Experten mit Laien argumentieren oder um kon-kurrierende Argumente ironisch auf die Spitze zu treiben und dadurch deutlich zurückzuweise (ebd., S. 180). Vergleiche werden auch für normative Argumentationen im Sinne eines Gerech tigkeitsschemas genutzt, wonach sich in bestimmten Eigenschaften (nicht) ähnelnde Gegenstän-de oGegenstän-der Personen (nicht) gleich zu behanGegenstän-deln bzw. zu bewerten sind (ebd., S

Gegensatzschemata argumentieren mit Gegensätzen, welche stilistisch dem Dramatisieren

Gegensatzschemata argumentieren mit Gegensätzen, welche stilistisch dem Dramatisieren

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