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1   Beruf und berufliche Grundbildung

1.5   Erfolg und Misserfolg während der Berufsausbildung

1.5.3   Erfolgsfaktoren im Selbstbericht

Für den oben beschriebenen Erfolgsfaktor ‚Durchhalten in der Berufslehre‘

gibt es eine Vielzahl von Indikatoren, die herangezogen werden können, um den Misserfolg – die Lehrvertragsauflösung – zu beschreiben. Die Messung dieser Faktoren basiert meist auf Selbsteinschätzungen der Jugendlichen. Für die vorliegende Arbeit konnten Datensätze zweier umfangreicher Langzeit-studien reanalysiert werden. Zum einen handelt es sich um das Forschungs-projekt ‚Familie Schule Beruf FASE B‘ (Neuenschwander et al. 2005, Neuen-schwander et al. 2012, vgl. Kapitel 7), andererseits um die gesamtschweizeri-sche Längsschnittstudie ‚Transitionen von der Erstausbildung ins Erwerbsle-ben TREE‘ (TREE 2013, vgl. Kapitel 8). Beide Projekte haErwerbsle-ben, neErwerbsle-ben vielen weiteren Variablen, eine Reihe von Erfolgsfaktoren erhoben, die sich im Komponentenmodell von Dette et al. (2004) bei den Datenquellen beim Selbstbericht einordnen lassen (vgl. Tabelle 1.1). Die Erfolgsfaktoren aus den beiden Projekten werden im Folgenden vorgestellt.

1.5.3.1 Faktoren aus dem FASE B-Projekt

Aus dem Projekt FASE B können insbesondere die ‚Sozialisation im Lehrbe-trieb‘, das ‚berufliche Fähigkeitsselbstkonzept‘, die ‚wahrgenommene Pas-sung zwischen Fähig-/Fertigkeiten und Anforderungen des Berufs‘ sowie die

‚Zufriedenheit mit der Ausbildung‘ als Faktoren für eine erfolgreiche Integra-tion in die Berufslehre betrachtet werden.

Unter ‚Sozialisation im Lehrbetrieb‘ wird die Meisterung von Herausfor-derungen verstanden, die die Ausbildung im dualen Berufsbildungssystem mit sich bringen (vgl. Unterkapitel 1.2). Darunter fallen das Verhältnis zu der bzw. dem Ausbildenden, der Umgang mit den anderen Mitarbeitenden, die

Anwendung von Wissen, die Einhaltung von Regeln, das Übernehmen von Verantwortung, der Leistungsdruck im Lehrbetrieb und in der Berufsfach-schule, die Motivation für die Berufslehre oder die Befriedigung durch die Berufsausübung. Diese Aspekte tragen dazu bei, sich mit den Bedingungen und Möglichkeiten auseinanderzusetzen, Werte zu übernehmen und sich Fertigkeiten zu eigen zu machen, in anderen Worten sich im Umfeld des Berufs zu integrieren und ein Teil davon zu werden, ohne sich selbst dabei aufzugeben.

Der Erfolgsfaktor ‚berufliches Fähigkeitsselbstkonzept‘ kann als Teilas-pekt der beruflichen Sozialisation betrachtet werden. Es geht um das kogniti-ve Selbstbild, das Lernende von ihren fachlichen und methodischen Kompe-tenzen haben. Nach Marsh und Shavelson (1985) ist das Selbstkonzept ein mehrdimensionales und hierarchisch organisiertes Gefüge von alltäglichen, selbstbezogenen Informationen. Für den Aufbau des beruflichen Fähigkeits-selbstkonzepts finden Vergleichsprozesse der Lernenden mit ihnen selbst zu einem früheren Zeitpunkt oder aber mit anderen Lernenden statt. Spezifisch geht es um die Selbsteinschätzung in der Handhabung von Hilfsmitteln, Ge-räten und Werkzeugen, um das Planen von Arbeitsschritten und um die An-eignung fachlicher Kenntnisse.

Die ‚wahrgenommene Passung zwischen den eigenen Interessen bzw. Fä-higkeiten und den Anforderungen der Berufslehre‘ hängt stark mit dem beruf-lichen Fähigkeitsselbstkonzept zusammen (vgl. Gerber-Schenk et al. 2010).

Es geht dabei um die Einschätzung, ob die gegenwärtige berufliche Tätigkeit mit den persönlichen Interessen übereinstimmt. Nägele und Neuenschwander (2015) können belegen, dass die wahrgenommene Passung einerseits ein Resultat des Berufsfindungsprozesses und andererseits ein Prädiktor für Ab-sicht ist, die Berufslehre abzuschließen. Die Passungswahrnehmung hängt demnach mit der betrieblichen Sozialisation, dem beruflichen Fähigkeits-selbstkonzept und der Zufriedenheit mit der Berufslehre zusammen.

Der Erfolgsfaktor ‚Zufriedenheit mit der Ausbildung‘ kann als globalisier-te Aussage darüber verstanden werden, ob die zahlreichen Aspekglobalisier-te der Be-rufslehre in ihrer Summe ein Wohlgefühl auslösen. Ausbildungs- oder Ar-beitszufriedenheit ist ein emotionales Einstellungskonzept mit einer relativ stabilen, erfahrungsbasierten Haltung gegenüber einem Objekt (Hupka-Brunner/Kriesi 2013, Rosenstiel 2001, Semmer/Udris 1995).

Ein Teilaspekt beim Erfolg in der Berufsbildung bezieht sich auf die Ent-wicklung von Fähigkeiten, Fertigkeiten und Berufshabitus. Mit den vier vor-gestellten Konstrukten gelingt eine Annäherung an diese Erfolgsbetrachtung.

In Kapitel 7 der vorliegenden Arbeit wird überprüft, inwieweit es Unter-schiede zwischen Jugendlichen in geschlechtstypischen vs. geschlechtsunty-pischen Berufslehren bei den Erfolgsfaktoren Sozialisation, Fähigkeitsselbst-konzept, Passung und Zufriedenheit gibt. Es wird davon ausgegangen, dass aufgrund der Minoritäten-Stress-Theorie (Testa et al. 2015) bzw. des in

Kapi-tel 4 vorgesKapi-tellten Modells der geschlechtsuntypischen Berufssozialisation Lernende in geschlechtsuntypischen Berufslehren tiefere Werte in den ge-nannten Erfolgsfaktoren aufweisen als Lernende in geschlechtstypischen Berufslehren.

1.5.3.2 Erfolgsfaktoren aus dem TREE-Projekt

Die untersuchten Faktoren aus dem Projekt TREE beziehen sich auf die Auswirkungen, die sich aufgrund der Minderheitenposition ergeben können.

Wie die Minoritäten-Stress-Theorie nach Testa et al. (2015) nahelegt, können Ausgrenzungserfahrungen die Arbeitsbeziehungen gefährden und der damit verbundene Stress die Gesundheit der Lernenden mindern, was zu erhöhten Fehlzeiten führen kann. Die Erfolgs- bzw. Misserfolgsfaktoren ‚psychosoma-tische Beschwerden‘ und ‚Absenzen‘ nehmen also aufgrund der ‚Diskriminie-rungswahrnehmung‘ zu, und das ‚gute Auskommen mit Arbeitskolleginnen und -kollegen‘ und der ‚Gefallen am Umgang im Lehrbetrieb‘ wird beein-trächtigt. Die Variablen ‚Chancengleichheit im Lehrbetrieb‘ und ‚soziale Unterstützung‘ dienen als mögliche vermittelnde Variablen.

Die Forschungsfrage lautet, ob es Unterschiede gibt zwischen Jugendli-chen in geschlechtstypisJugendli-chen vs. geschlechtsuntypisJugendli-chen Berufslehren. Ge-mäß der Minoritäten-Stress-Theorie (Testa et al. 2015) ist davon auszugehen, dass die Jugendlichen in geschlechtsuntypischen Berufslehren bei den Ge-sundheitsaspekten, insbesondere bei ‚psychosomatischen Beschwerden‘ wie Magenschmerzen, Appetitlosigkeit, Konzentrationsschwäche, Schwindel, Einschlafschwierigkeiten, Nervosität/Unruhe, ungewohnter Müdigkeit oder sehr starken Kopfschmerzen stärker in Mitleidenschaft gezogen werden als ihre Kolleginnen und Kollegen. Diese Beschwerden könnten zu vermehrten Fehlzeiten führen. ‚Absenzen‘ werden als globaler Hinweis betrachtet, dass für diese Lernende etwas im Lehrbetrieb nicht stimmt.

Zur ‚Zufriedenheit im Lehrbetrieb‘ gehören zwei wesentliche Aspekte, die unmittelbar mit dem typisch/untypisch Sein zusammenhängen. Einerseits gehört dazu das Verhältnis zu den Mitarbeitenden im Lehrbetrieb, anderer-seits die Einschätzung, wie diese Personen einander behandeln. Die Mitarbei-tenden in den Betrieben sind über längere Zeit mit den Jugendlichen zusam-men, jedoch nicht so sehr an der Aufrechterhaltung einer guten Beziehung interessiert wie etwa nahe Familienangehörige oder von Berufs wegen zur Unterstützung verpflichtete Personen wie Ausbildende oder Lehrerinnen und Lehrer an den Berufsfachschulen. Insbesondere interessant ist die Frage, ob es dem Betrieb und seinen Mitarbeitenden gelingt, Frauen und Männer gleich zu behandeln. Als Hinweis auf Diskriminierung im Sinn von Andersbehand-lung von Frauen und Männern dient das Konstrukt ‚Chancengleichheit im Lehrbetrieb‘.

Unter ‚sozialer Unterstützung‘ wird die emotionale Teilhabe in Form von Interesse von bedeutsamen Personen aus dem persönlichen Umfeld der

Ler-nenden verstanden. Dazu gehören in erster Linie die Eltern und Familienmit-glieder. Weiter sind feste Freundin / fester Freund, beste Schulkolleginnen/-kollegen, beste Arbeitskolleginnen/-kollegen im Betrieb, Ausbildner/-in und Klassenlehrer/-in wichtige Personen, die einen entscheidenden Einfluss auf die Wahrnehmung der Jugendlichen haben, ob sie von ihrem Umfeld ver-standen werden. Neben der Anteilnahme ist die tatkräftige Unterstützung insbesondere bei auftretenden Problemen entscheidend für den erfolgreichen weiteren Verlauf der Ausbildung.

Nachdem Erfolgskriterien während der Berufsbildung vorgestellt wurden, bleibt der Abschluss der Ausbildung – die Lehrabschlussprüfung – zu unter-suchen. Im Nachfolgenden Abschnitt wird dargestellt, wie sich die Situation in der geschlechtlichen Minderheit zu sein auf das Bestehen der Abschluss-prüfung auswirkt.