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7 Experiment 3

7.8 Diskussion .1 Verhaltensdaten

7.8.2 Ereigniskorrelierte Potentiale

Für Bedingungen mit initial definitem Artikel bestätigen die Ergebnisse der statistischen Analyse die in Abbildung 7.1 (siehe Abschnitt 7.7.1) zwischen 300 ms und 450 ms nach erscheinen des Stimulus sichtbare, frontozentral betonte Negativierungskomponente für initiale Akkusativartikel. Auch die statistische Analyse der abgeleiteten Werte während der Präsentation der indefiniten Artikel in diesem Zeitfenster bestätigt die unerwartete Beobachtung der visuellen Inspektion. Die ereigniskorrelierten Potentiale des indefiniten Artikels „einen“ stellen sich in der graphischen Darstellung fast identisch dar, wie die des indefiniten Nominativartikels „ein“. Das bedeutet jedoch, dass ein Nachweis für die zu erwartende Scramblingnegativierung für indefinite Artikel nicht erbracht werden kann. Vielmehr zeigt sich, dass bei der Variation der Abfolge von Nominativ- und Akkusativargumenten für die Position morphologisch markierter, indefiniter, maskuliner Artikel, kein Scramblingeffekt besteht. Möglicherweise könnte die Ursache dessen sein, dass die Probanden den Akkusativartikel „einen“ überlesen haben und als „ein“ verarbeiteten. Eine Interpretation, die schwer zu belegen wäre. Zudem stellen sich weitere Erklärungsmöglichkeiten dar.

Bei einem indefiniten, maskulinen Akkusativartikel handelt es ich um ein lokal ambiges Element5. Das heißt, es wäre möglich, dass der Parser den indefiniten

5 Nicht nur die Form des indefiniten Akkusativartikels ist mehrdeutig (siehe Tabelle F.7.2). Die Form „der“ ist ambig zwischen der Funktion als maskuliner Nominativartikel im Singular oder

Akkusativartikel anders interpretiert, als für die Zielsätze intendiert. Für Sätze mit definiten Artikeln scheint deren lokale Ambiguität keinen Einfluss auf das Auftreten der Scramblingnegativierung zu haben, da der Effekt für diese Elemente nachweisbar ist.

Eine mögliche Erklärung, weshalb sich die Scramblingnegativierung für indefinite Artikel der ersten Argumentposition nicht nachweisen lässt, könnte mit einer Eigenschaft deutscher Pronomen zu tun haben. Bislang wurde nur der Einfluss der Abfolgehierarchie bei den Kasus der Argumente besprochen. Im Deutschen führt die positionsorientierte Interpretation von Argumenten – das Subjekt wird als initiales Argument erwartet – und die damit verbundene Präferenz für subjektinitiale Strukturen, zu einer Dispräferenz objektinitialer Strukturen, was sich im EEG in der besprochenen Scramblingnegativierung zeigen kann. Allerdings gibt es im Deutschen eine weitere Regel die Abfolge der Argumente eines Satzes betreffend: unbetonte Pronomen werden bevorzugt in der äußersten linken Position des deutschen Mittelfeldes generiert.

Dies gilt auch für akkusativische Nicht-Subjektpronomen wie in (7.8c) und

der eines femininen Dativartikels im Singular. Die Form „den“ ist ambig zwischen dem maskulinen Akkusativartikel im Singular sowie dem maskulinen, dem femininen und dem neutralen Dativartikel im Plural. Der indefinite maskuline Nominativartikel „ein“ ist in seiner Form identisch mit dem indefiniten Nominativ- als auch mit dem Akkusativartikel des Neutrums im Singular. Schließlich die Form „einen“, die als Artikel zwar nur als indefiniter Akkusativartikel eines maskulinen Singularnomens verwendet wird, aber auch ein indefinites Pronomen darstellen kann. Der Parser muss bei den verwendeten Artikeln also mit Kasus-, Numerus- und Genusambiguitäten sowie Ambiguitäten der Funktion (Artikel oder Pronomen) verarbeiten.

Nominativ Dativ Genitiv Akkusativ

Singular, maskulin, definit der dem des den

Singular, feminin, definit die der der die

Singular, neutrum, definit das dem des das

Singular, maskulin, indefinit ein einem eines einen

Singular, feminin, indefinit eine einer einer eine

Singular, neutrum, indefinit ein einem eines ein

Plural, maskulin, definit die den der die

Plural, feminin, definit die den der die

Plural, neutrum, definit die den der die

Tabelle F.7.2: Formen deutscher Artikel

(7.8d), deren nicht pronominaler Ersatz in der Position vor einem Subjekt eine Verarbeitungsschwierigkeit elizitiert. Pronomen sind aus dieser Position nur schwer heraus zu bewegen, was sich in den relativ inakzeptablen Strukturen wie (7.8b) und (7.8e) zeigt. Abfolgen in denen ein pronominales Argument dem nicht pronominalen Argument voran geht, stellen im Deutschen ebenfalls eine unmarkierte Abfolge dar (siehe z. B. Grewe et al., 2005)

(7.8a) Vermutlich hat der Weihnachtsmann dem Jungen das Geschenk gebracht.

(7.8b) * Vermutlich hat der Weihnachtsmann dem Jungen es gebracht.

(7.8c) Vermutlich hat es der Weihnachtsmann dem Jungen gebracht.

(7.8d) Vermutlich hat es dem Jungen der Weihnachtsmann gebracht.

(7.8e) * Vermutlich hat dem Jungen es der Weihnachtsmann gebracht.

Diese Eigenart wird als Wackernageleffekt, die Position für das Pronomen als Wackernagelposition bezeichnet (siehe beispielsweise Lenerz, 1977;

Schlesewsky et al. 2003; Haftka, 1999). Offenbar scheint dieser Effekt eine wichtigere Regel darzustellen als die Präferenz der Subjekt-vor-Objekt-Anordnung.

(7.8a) Er hat dem Mann den Schirm gegeben.

(7.8b) # Er hat den Schirm dem Mann gegeben.

(7.8c) #? Er hat dem Mann ihn gegeben.

(7.8d) Er hat ihn dem Mann gegeben.

Vieles spricht daher dafür, dass die indefiniten Akkusativartikel in den Bedingungen 3 und 4 initial als pronominale Elemente in Wackernagelposition interpretiert bzw. verarbeitet werden. Die strukturelle und morphologische Ambiguität erlaubt tatsächlich, dass der indefinite Akkusativartikel „einen“ als unbetontes Pronomen interpretiert werden kann (7.9).

(7.9) Daran merkt man, dass einen der Satzbau noch immer überraschen kann.

Genau das scheint als Folge der wortweisen Präsentation6 geschehen zu sein.

Der indefinite Akkusativartikel wird während der initialen Verarbeitung als

6 Anzumerken ist, dass nicht die wortweise Präsentation selbst Ursache des Ausbleibens des Effektes ist (siehe beispielsweise Roesler et al., 1998; Bornkessel et al., 2003a; Experiment 1 der vorliegenden Arbeit), sondern die konkrete Form des indefiniten Artikels.

Pronomen interpretiert. Da diese äußerst linke Position im Mittelfeld von Pronomen bevorzugt wird, verletzt ein indefinites und unbetontes Akkusativpronomen nicht die Erwartungshaltung. Das Erscheinen des anschließenden Nomens löst die lokale Ambiguität. Dies erfolgt offenbar kostenneutral, da kein Reanalyseeffekt auf dem Nomen beobachtet und nachgewiesen werden kann (siehe Kapitel 7.7.2.1).

Die Ergebnisse der statistischen Auswertung für die Position initialer Nomen (N1) in indefiniten Argumentpositionen zeigen im Zeitfenster zwischen 300 ms und 450 ms nach Erscheinen des Nomens eine signifikante Negativierung für Akkusativnomen. Das bedeutet, dass der für den indefiniten Artikel nicht nachweisbare Scramblingeffekt offenbar auf dem zum Argument zugehörigen Nomen beobachtet werden kann. Dies stützt die Vermutung, dass der Parser indefinite maskuline Akkusativartikel initial nicht notwendigerweise als solche interpretiert, sofern diese, wie in der vorliegenden Studie, in wortweiser Präsentation in einer Satzposition angebunden bzw. eingefügt werden, in der Pronomen generiert werden können und welche die präferierte Position unbetonter Pronomen in deutschen Sätzen darstellt, die so genannte Wackernagelposition. Das anschließende Nomen jedoch zeigt die Funktion des ambigen Elementes als Artikel der Determiniererphrase. Dies führt dazu, dass die Verarbeitung des Akkusativobjektes erst an dieser Position zu einer Scramblingnegativierung führt.

Für repetitive Anaphern in der Position N1 als Subjekt besteht im Zeitraum zwischen 300 – 500 ms nach Erscheinen des Stimulus ein signifikanter Einfluss durch den Faktor Vorerwähntheit (GIV). Der Effekt ist vor allem über den parietalen und zentralen Arealen nachweisbar. In den Zeitfenstern 2 – 4, zwischen 350 ms und 500 ms post onset, zeigt sich über den frontalen Arealen ein allgemeiner Einfluss durch den Faktor Vorerwähntheit. Sowohl für repetitive Anaphern als auch für anaphorische Oberbegriffe weisen die abgeleiteten Werte in diesen Arealen positivere Werte auf, als die Werte für Nomen ohne anaphorischen Bezug. Im Zeitfenster 5, zwischen 500 ms und 550 ms, besteht centroparietal und rechts parietal ein genereller Einfluss durch den Faktor Vorerwähntheit (GIV). Die Latenzverschiebung lässt sich durch diese Daten

somit nicht in der erwarteten Form replizieren, wie sie zuvor in Experiment 1 beobachtet werden konnte. Vielmehr besteht eine abgestufte Reduktion der N400-Komponenten für semantisch relatierte Elemente. Dabei fällt die Reduktion für semantisch relatierte Anaphern schwächer aus, als für Wiederholungen der vorerwähnten Antezedenten.

Die Ursache für diese abgestufte semantische N400-Komponente könnte in einer eingeschränkten Prediktivität des Kontextes liegen. Eine indirekte Frage wie in Experiment 1 fördert unter Umständen eine aktivere und tiefere Verarbeitung, als ein Aussagesatz wie im vorliegenden Experiment. Durch letzteren wird möglicherweise eine weniger spezifizierte Diskursstruktur aufgebaut, so dass die Anbindung eines nicht identischen, nur anaphorischen Elementes (Oberbegriffs) nicht mehr so stark erleichtert wird. Ähnliche Effekte beschreiben Burckhard (2005) für Brückeninferenzen und Benson & Kutas (1993) für den unterstützten Abruf memorisierter Wörter auf Satzebene.