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nicht auf Nähe sondern auf Identität1. Dagegen sprechen sowohl das subjektive Empfinden, als auch die Tatsache, dass es sich jeweils um verschiedene Wörter handelt. Dennoch gingen wir der Frage in Experiment 2 nach und präsentierten die Hypo-Hyperonympaare auf Einzelwortebene. Diesmal entsprachen die abgeleiteten ereigniskorrelierten Potentiale den Erwartungen.

Die Reduktion der N400-Komponente variierte je nach Art der semantischen Relation zwischen Prime und Target. Folglich sind die konkret verwendeten Wortpaare nicht ausschlaggebend für die in Experiment 1 beobachtete N400-Variation. Vielmehr ist in Experiment 2 mit der Reduktion der N400 ein automatischer Bahnungseffekt zu beobachten, der Veränderungen in lexikalischen Aktivierungsprozessen wiedergibt. Dieser Effekt wurde in Exp. 1, durch Einbettung der semantischen Relation in einen Satz und zusätzlich in die textförmige Struktur verändert. Es handelt sich bei der Verarbeitung der Anapher nun nicht mehr um einen reinen Aktivierungsprozess, sondern um eine satzdiskursrelatierte Verarbeitung. Die Integration der Relation in den Satzkontext führt bei der Verarbeitung der Anapher eher zur Reaktivierung eines Konzeptes als zu automatischen Re-Aktivierungsprozessen spezifischen lexikalischen Materials. Darauf weisen die vergleichbar starken Komponenten für die Reaktivierung des jeweiligen Konzeptes hin, die unabhängig davon, ob es sich um eine repetitive oder einer oberbegriffliche Anapher handelt statistisch nicht zu unterscheiden sind. Durch die semantische Distanz kommt es nun aber zu einer Latenzverschiebung der im Satzkontext ansonsten gleich großen Reduktion der lexikalisch assoziierten Komponente. Diese Latenzverschiebung resultiert vermutlich aus der Verarbeitungsdauer, die notwendig ist, das bereits aktivierte Konzept durch ein koreferentes, aber nicht identisches Element zu reaktivieren.

Eine weitere, mögliche Ursache für den ungewöhnlichen Effekt in Experiment 1 könnte die Form der gewählten Diskursstruktur aus Kontextsatz und Zielsatz darstellen. Daher wurden die relatierten Wortpaare in Experiment 3

1 Sollte es sich bei den verwendeten Wortpaaren tatsächlich um Synonyme halten, wäre dennoch eine Abstufung der N400-Komponente zu erwarten, die für wiederholte Wörter stärker reduziert sein sollte, als für Synonyme (siehe Anderson & Holcomb, 2005).

in einer dem ersten Experiment vergleichbaren Struktur präsentiert. Diesmal jedoch stellte der Kontextsatz keine indirekte Frage dar sondern war ein einfacher Aussagesatz. Die Ergebnisse replizierten nicht die N400-Variation aus Experiment 1 wenngleich die visuelle Inspektion insbesondere über den vorderen Arealen auf eine Ähnlichkeit zu den Ergebnissen des ersten Experimentes hindeutet2. Die statistische Analyse zeigte vielmehr eine semantisch beeinflusste Abstufung der N400-Komponente, wie sie ganz zu Anfang erwartet worden war.

Allerdings unterscheiden sich die syntaktischen Strukturen beider Experimente deutlich voneinander. So könnte die Fragestruktur der Kontexte in Experiment 1 eine tiefere Verarbeitung der kritischen Stimuli verursacht haben.

Verschiedentlich wurde eine Abhängigkeit der N400-Komponente von der Aufmerksamkeit, die den Stimuli entgegengebracht wird, beschrieben (Bentin et al., 1995; McCarthy & Nobre, 1993; Brown & Hagoort, 1993). Aufmerksamkeit korreliert mit der Tiefe der Verarbeitung. Daher könnte man, wie in Experiment 1 geschehen, argumentieren, dass die gleiche Stärke der anaphorischen Verarbeitungseffekte in Form der reduzierten N4-Komponenten ein Zeichen für besonders tiefe Verarbeitung darstellt, da sie unabhängig von der verwendeten anaphorischen Relation und der Position im Mittelfeld zu beobachten ist. Hervorgerufen wird diese tiefe Verarbeitung durch den direkten Fragekontext. Das Wh-Wort „wer“ erfragt gezielt ein Subjekt. Dadurch wird etwas erwartet, das diesen Frageslot3 sinnvoll füllt. Vermutlich geht damit eine erhöhte Aufmerksamkeit für das die Lücke ausfüllende Element einher.

Weiterhin ist es möglich, dass dies insgesamt zu einer tieferen Verarbeitung des Kontextes führt. Dadurch würden auch die vorerwähnten Elemente in dieser Art von Fragekontext tiefer verarbeitet werden, als in einem Deklarativsatz wie in Experiment 3. Ein einfacher Deklarativsatz, wie ihn die

2 Vergleiche die Abbildungen 5.6 [Kapitel 5.7.2.2] und 5.8 [Kapitel 5.7.4.2] mit Abbildung 7.4 [Kapitel 7.7.2.2] und hierbei insbesondere die Positionen F3 und Fz.

3 Durch das Fragewort wird die Position für ein Element vorbereitet, die zu diesem Zeitpunkt noch unausgefüllt ist und daher als Lücke beziehungsweise „slot“ (englisch für Lücke) bezeichnet wird.

Probanden als Kontext des dritten Experimentes lasen, projiziert vermutlich eine ganz andere Erwartungshaltung. Nachfolgende Sätze sollten in den Kontext passen, es wird aber kein konkretes Argument selbst erwartet.

Wie bereits mehrfach erwähnt, enthält Experiment 3 zahlreiche Faktoren, die die Verarbeitung des Materials beeinflussen und deren Wirken die Interpretation beobachteter Effekte gelegentlich erschwert. Das Material konfrontierte die Probanden sowohl mit komplexen syntaktischen wie auch mit komplexen semantischen Strukturen. Viele Einflussfaktoren, die die kontextuelle Aktivierung der Anaphern im Diskurs beeinflussen, interagieren dadurch miteinander. Dies wird insbesondere für den Faktor Definitheit deutlich. Es ist anzunehmen, dass die Verschiebung der Scramblingnegativierung in Bedingungen mit initial indefinitem Artikel auf die Position des Objektnomens dadurch bedingt wurde. Neben dem Faktor Definitheit, welcher in Experiment 3 die Komplexität (im Vergleich zu Experiment 1) erhöhte, war die Kontextstruktur verändert worden. Diese könnte ebenfalls einen relevanten Faktor in Bezug auf die projizierte Erwartungshaltung4 darstellen. Somit beeinflussten die Verschiebung der Scramblingnegativierung sowie die Veränderung der Kontextform unabhängig voneinander den lexikalischen Reaktivierungseffekt der N400-Reduktion. In Bedingungen mit initial indefiniten Artikeln im Mittelfeld der Zielsätze kam es in Experiment 3 mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Überschneidung beider Einflussfaktoren. In Bedingungen mit definitem Artikel im ersten Argument des Mittelfeldes der Zielsätze führte möglicherweise eine reduzierte Erwartungshaltung zu einer weniger ausgeprägten konzeptuellen Reaktivierung. Dies könnte auch bedeuten, dass die Reaktivierung des Konzeptes für Oberbegriffe schwieriger war als für wiederholte Anaphern. Damit verbunden wäre eine geringere Reduktion der N400-Komponente für diese Oberbegriffe verglichen mit der Reduktion der Komponente für wiederholte Anaphern. Insbesondere, da die visuelle Inspektion der graphischen

4 Die Art oder auch Intensität der Erwartungshaltung könnte ein entscheidender Faktor in Bezug auf die anschließende lexikalische Reaktivierung sein. Ein Fragekontext, wie in 1 könnte hierbei eine stärkere Erwartung im Hinblick auf die Anapher der Hypo-Hyperonymrelation darstellen, als ein einfache Aussagesatz ohne eine bestimmte, verstärkte Betonung hin zu einem der Argumente. Siehe Diskussion in Kapitel 7.8.2.

Darstellung der abgeleiteten ereigniskorrelierten Potentiale eine Ähnlichkeit der N400-Variation in den Experimenten 1 und 3 andeuten, sollten auch weitere potentielle Einflussfaktoren, die Variation der Komponente betreffend überdacht werden.

Einfache semantische Relationen beziehungsweise semantische Assoziationen werden offensichtlich nicht unabhängig von kontextuellen Faktoren, sowohl syntaktisch-strukturellen als auch semantisch-pragmatischen, verarbeitet. Mehrere Quellen spielen zusammen und ergeben am Ende ein messbares Bild an der Oberfläche. Anders ausgedrückt ließe sich sagen, dass die Bilder, die wir in Form ereigniskorrelierter Potentiale oder verschiedener behavioraler Daten, beobachten, häufig das Ergebnis zahlreicher Einflussfaktoren sind. Der ganz konkrete Einfluss einzelner Faktoren lässt sich aus dem Gesamtbild nicht immer herausfiltern.

Neben der Frage nach der Verarbeitung anaphorischer Relationen bot die Studie die Möglichkeit die Verarbeitung von Wortstellungsvariationen im Mittelfeld der Zielsätze in Experiment 1 und 2 genauer zu betrachten. In Experiment 1 konnte dieser Effekt für Bedingungen mit einem neutralen Kontext nachgewiesen werden. Für Bedingungen mit einem nicht neutralen Kontext hingegen war in diesem Experiment keine Scramblingnegativierung nachweisbar. Stattdessen zeigte sich im Zeitfenster zwischen 500 – 650 ms nach Erscheinen des Stimulus eine signifikante Positivierung der Kurvenverläufe für die Position initialer Akkusativartikel. Wie bereits die Diskussion in Experiment 1 zeigt, ist eine befriedigende Erklärung dieser Beobachtung nicht abschließend möglich. Es wäre möglich, dass durch den Kontext ein anaphorischer Verweis auf das durch diesen eingeführte Akkusativobjekt besteht und der Akkusativartikel „den“ dadurch lizensiert sein könnte. Diese Argumentation ist kaum haltbar, da dies bedeuten würde, dass der nicht neutrale Kontext dieser Bedingungen Scrambling lizensiert. Zahlreiche Untersuchungen (Schlesewsky, Bornkessel & Frisch, 2003; Bornkessel et al., 2003 a+b; Rösler et al., 1998; Bornkessel et al., in Vorbereitung) widersprechen dem mit ihren Ergebnissen. Etwas einleuchtender wäre möglicherweise die Argumentation, dass es sich bei der beobachteten Positivierung infolge der

Aufgabenstellung tatsächlich um eine P600-Komponente handelt. Das hieße, dass die Akzeptabilitätsbewertung zu einer Ablehnung der Struktur führt, sobald ein initialer Akkusativartikel verarbeitet wird. Damit kann allerdings nicht erklärt werden, weshalb der Effekt in Bedingungen mit neutralem Kontext dennoch zu beobachten ist.

Ungewöhnlich war ebenfalls, dass die als Scramblingeffekt bezeichnete ereigniskorrelierte Komponente in Experiment 3 für indefinite Akkusativartikel nicht nachgewiesen werden konnte. Vermutlich wurde diese Verschiebung des Scramblingeffektes durch die Ambiguität des indefiniten Akkusativartikels verursacht. Dessen Form erlaubt in seiner initialen Position im Mittelfeld auch eine Interpretation als Pronomen und damit als ein Wackernagelelement (Lenerz, 1977), welches in dieser Position basisgeneriert wäre. Für diese Argumentation spricht, dass der Scramblingeffekt auf dem anschließend präsentierten Element nachweisbar wurde. Dabei handelte es sich um das dem Artikel assoziierte Nomen und damit immer noch um die Position der mittelfeldinitialen Determiniererphrase.

Erstaunliches fand sich auch in den Verhaltensdaten, die in Experiment 3 erhoben wurden. Die Akzeptabilität von Bedingungen mit initialem Akkusativartikel war zwar erwartungsgemäß geringer als für Bedingungen mit initialem Nominativartikel für das erste Argument im Mittelfeld der Zielsätze.

Allerdings wurden dabei Bedingungen mit indefinitem Akkusativartikel signifikant besser bewertet, als Bedingungen mit definitem Akkusativartikel.

Eine Merkwürdigkeit, die theoretisch so nicht abgeleitet werden kann. Die Ursache hierfür besteht möglicherweise in einer unerwarteten Vertauschung der thematischen Rollen in den Zielsätzen. Zwar erfüllt das betroffene Argument sowohl in den Kontext- als auch in den Zielsatzstrukturen die Patiensrolle. Es ließe sich jedoch argumentieren, dass die Form der Kontexte des Experimentes, ähnlich der von (8.1a), eine Erwartung projiziert, mehr über das Handeln des Patiensargumentes zu erfahren, zum Beispiel in Form einer Aussage wie (8.1b).

(8.1a) XY beobachtete/sah/hörte einen XX.

(8.1b) XX aß einen Apfel.

Wird dem Argument im Kontext allerdings erneut die Patiensrolle zugewiesen, widerspricht dies möglicherweise der Diskursstruktur. In Bedingungen mit einem indefiniten Akkusativartikel für das initiale Argument der Zielsätze, leitet dieser allerdings ein neues Argument ein. Das aus dem Kontext bekannte Patiensargument erhält in diesen Bedingungen nun die mit dem Diskurs möglicherweise verträglichere Agensrolle. Folglich könnten diese Bedingungen akzeptabler sein. Sollte dieses Argument zutreffen, würde dies bedeuten, dass die thematische Struktur des Kontextes beziehungsweise die durch den Kontext bedingten Erwartungen an die thematische Struktur des Diskurses einen stärkeren Einfluss auf die Verarbeitung hat, als Verletzungen der Thema-Rhema-Hierarchie (alt vor neu), der Definitheitshierarchie (definit vor indefinit) sowie der Argumenthierarchie (Subjekt vor Objekt).