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2. G RUNDLAGEN

2.1. Entwicklung des Wohnraumes in den 60er und 70er Jahren

Durch den finanziellen Aufschwung Österreichs kam es in den 60er Jahren zu dem sogenannten „Bau-Boom“, der mithilfe der Plattenbauweise bewältigt wurde.2 Nach der Forschungsarbeit von Peter Marchart, lag der Schwerpunkt in den 60er Jahren jedoch stark innerhalb der Wohneinheiten, wobei zunehmend Individualität und Komfort in den Vordergrund rückte. Dies lässt sich an den wirtschaftlichen Fas-saden ablesen. Ein Beispiel dafür ist die Großfeldsiedlung in der Erzherzog-Karl-Straße und Eipeldauerstraße im 21. und 22. Bezirk.3

Abbildung 1: Foto, 1210 & 1220 Erzherzog-Karl-Straße, Großfeldsiedlung, Eipeldauerstraße (Mar-chart, Peter: Wohnbau in Wien. 1923-1983. Wien: Compress Verlag 1984. S.133)

2 Atlas Sanierung. Instandhaltung, Umbau, Ergänzung: Giebeler, Georg u.a. 1. Auflage. München:

Institut für internationale Architektur-Dokumentation GmbH & Co. KG 2008. S.194

3 Marchart, Peter: Wohnbau in Wien. 1923-1983. Wien: Compress Verlag 1984. S.43

Ab den 70er Jahren wurden neue Ideen und Entwurfsansätze, wie beispielsweise flexiblere Wohnungsgrundrisse, in den Wohnbau in Plattenbauweise implementiert.

Der Schwerpunkt verlagerte sich, im Gegensatz zu den 60er Jahren, in den Bereich der Gestaltung anstatt der Schaffung von Wohnraum. So wurden neue Formen des Wohnraumes, wie Maisonettewohnungen, Split-Level-Wohneinheiten und Saalwohnungen, hervorgebracht. Diese Entwicklungen versprachen für die Bewoh-ner bedarfsgerechte Anpassungsmöglichkeiten und erhöhte Flexibilität.4

Dies wird durch eine Studie, die von der „Wirtschaftskammer Österreich“ 2007 in Auftrag gegeben wurde bestätigt. So wurden zwar menschliche Bedürfnisse wie Schutz, Besonnung, Wärme und Hygiene bereits in den 60er Jahren befriedigt, je-doch der Wunsch nach Natur, Sonnenterassen, Gärten und andere Komponenten der Freizeitgestaltung wurden erst in den 70er Jahren berücksichtigt.5

Ein Beispiel dafür ist die in Abbildung 2 ersichtliche Wohnhausanlage am Schöpf-werk im 12. Wiener Gemeindebezirk.6

Abbildung 2: Foto, 1120 Am Schöpfwerk (Marchart, Peter: Wohnbau in Wien. 1923-1983. Wien:

Compress Verlag 1984. S.160)

4 Marchart, Peter: Wohnbau in Wien. 1923-1983. Wien: Compress Verlag 1984. S.43

5 Massiv-Bauweise im sozialen Wohnbau in Wien: Amann, Wolfgang u.a. 2007. S.38

6 Marchart, Peter: Wohnbau in Wien. 1923-1983. Wien: Compress Verlag 1984. S.160

Ein Beispiel für den Wunsch nach Flexibilität ist das in Montagebauweise errichtete Objekt im 22. Wiener Gemeindebezirk bei Trabrenngründe, bei dem die Größe der Wohnungen dem Generationenwechsel folgt. So kann durch eine Zuordnungsän-derung der Räume die Entwicklung eines Familiengrößenzyklus angepasst wer-den.7

Abbildung 3: Grundriss und Schnitt, 1220 Trabrenngründe (Marchart, Peter: Wohnbau in Wien. 1923-1983. Wien: Compress Verlag 1984. S.194)

Nach einer Wohnungserhebung von „Statistik Austria“ hatte die durchschnittliche Wohnungsgröße in Österreich in der Bauperiode 1961 bis 1970 eine Fläche von 92,2 m². Diese entwickelte sich in der Zeitspanne 1971 bis 1980 auf eine gemittelte Wohnungsgröße von 102,7 m².8

Durch die Vereinheitlichung von Bausystemen, die der Einsatz der Montagebau-weise ermöglichte, wurde eine Vergrößerung der Wohnnutzfläche (WNF) erzielt. So war es bis Beginn der 70er Jahre erforderlich, die Wohnungsgrößen, aufgrund der

7 Marchart, Peter: Wohnbau in Wien. 1923-1983. Wien: Compress Verlag 1984. S.88

8STATISTIK AUSTRIA: Wohnen 2018. Durchschnittliche Wohnfläche pro Wohnung nach wohn-spezifischen und soziodemographischen Merkmalen. In:

https://www.statis-tik.at/wcm/idc/idcplg?IdcService=GET_PDF_FILE&dDocName=123361 (letzter Zugriff 05. 07.

2020)

steigenden Bedürfnisse und Anforderungen der Bewohner, laufend zu erhöhen.

Auch danach war die allgemeine Meinung, dass es notwendig sei, diese Entwick-lung weiter voranzutreiben. Um den Wohnkomfort zu steigern, wurden größere Sa-nitärräume mit der Option eines zweiten Waschbeckens oder einer Waschmaschine umgesetzt. Wohnzimmer und Küchen wurden großzügiger realisiert und oftmals wurde ein Handwaschbecken im WC ergänzt.9

Raumaufteilung und Grundrisskonzeption

Mit dem Fortschreiten der Plattenbauweise änderte sich das konstruktive Gebäude-konzept einer Mittelmauerkonstruktion, dessen Lastableitung durch eine innenlie-gende mittige Mauer und dessen parallel lieinnenlie-genden Außenwänden erfolgt, zu einer Querwandbauweise.10

Die Querwandbauweise zeichnet sich durch tragende Innenwände aus und ermög-licht so neue Formen der Grundrissgestaltung. Die nichttragenden Außenwände dienen oftmals nur der Horizontalaussteifung.11

Die Querwandbauweise schuf durch ihre erforderliche Rasterung, neuartige Para-meter für die Grundrissgestaltung. So wurden 1962 beispielsweise in der Großfeld-siedlung Grundrisslösungen realisiert, die auf den Typenplänen von den Architekten O. und P. Payer beruhen.12

9 Marchart, Peter: Wohnbau in Wien. 1923-1983. Wien: Compress Verlag 1984. S.84

10 Marchart, Peter: Wohnbau in Wien. 1923-1983. Wien: Compress Verlag 1984. S.85f.

11 Atlas Sanierung. Instandhaltung, Umbau, Ergänzung: Giebeler, Georg u.a.: 1. Auflage. München:

Institut für internationale Architektur-Dokumentation GmbH & Co. KG 2008. S.204

12 Marchart, Peter: Wohnbau in Wien. 1923-1983. Wien: Compress Verlag 1984. S.85f.

Abbildung 4: Grundriss Typ 801, 1210 & 1220 Erzherzog-Karl-Straße, Großfeldsiedlung, Eipeldau-erstraße (Marchart, Peter: Wohnbau in Wien. 1923-1983. Wien: Compress Verlag 1984. S.132)

Die Abbildung 4 zeigt eine Variante eines 3-Spänner-Typs, bei dem drei Wohnein-heiten pro Geschoss von einem Stiegenhaus erschlossen werden. Diese zeichnet sich durch die Erreichbarkeit des Vorraumes, Küche und Wohnraumes vom Ein-gang her aus. Die privateren Schlafräume werden mit einem Gang erschlossen, der an den Wohnbereich anschließt. Von diesem Gangbereich lassen sich auch die Sa-nitärräume wie Badezimmer und WC erreichen. Bei diesem Grundrisskonzept wurde pro Wohneinheit eine eigene Installationseinheit gebildet.13

13 Marchart, Peter: Wohnbau in Wien. 1923-1983. Wien: Compress Verlag 1984. S.86

Abbildung 5: Grundriss Typ 80CC, 1210 & 1220 Erzherzog-Karl-Straße, Großfeldsiedlung, Eipeldau-erstraße (Marchart, Peter: Wohnbau in Wien. 1923-1983. Wien: Compress Verlag 1984. S.132)

Der in Abbildung 5 dargestellte, als 2-Spänner geplante Grundrisstyp verdeutlicht die planerischen Möglichkeiten, die durch die Querwandbauweise geboten wurden.

So ist eine zweiseitige Belichtung und Querlüftung des Wohnbereiches einfach zu gewährleisten, welche bei der Mittelmauerkonzeption kaum möglich waren.

Gegen Ende der 60er Jahre wurden vermehrt individuelle Wohnungsgrundrisse re-alisiert. So wurden beispielsweise in der Krottenbachstraße 122, im 19. Wiener Ge-meindebezirk eine kleinteilige verspielte Bebauung geschaffen, die sich an dem Maßstab der Umgebung anpasst. Wie in Abbildung 6 ersichtlich, variieren die un-terschiedlichen Raumaufteilungen der Wohneinheiten.14

Trotz statischem Erschließungskern mit einer einheitlichen Treppe, konnte auch mit der Fertigteilbauweise eine vielseitige und flexible Raumaufteilung erfolgen. Somit können mit diesem System sowohl 2-, 3- und 4-Spänner-Erschließungsvarianten umgesetzt werden.

14 Marchart, Peter: Wohnbau in Wien. 1923-1983. Wien: Compress Verlag 1984. S.88

Abbildung 6: Grundriss, 1190 Krottenbachstraße 122 (Marchart, Peter: Wohnbau in Wien. 1923-1983. Wien: Compress Verlag 1984. S.129)

Das Konzept der Querscheibenkonstruktion ließ schmale tiefe Grundrisse zu, wobei die Orientierung der Wohnungen zweiseitig erfolgen konnte. So wurde beispielhaft bei der Erneuerung eines Blockbaus in der Panikengasse 12-16 im 16. Bezirk eine Trennung zwischen Wohnbereich und Schlafbereich geschaffen. Wie in Abbildung 7 ersichtlich, wurden die Sanitärbereiche als auch die Küche, die in den Wohnbe-reich eingebettet war, innenliegend angeordnet.15

15 Marchart, Peter: Wohnbau in Wien. 1923-1983. Wien: Compress Verlag 1984. S.88

Abbildung 7: Grundriss, 1160 Panikengasse 12-16 – Koppstraße 61 – Ganglbauergasse 7-13 (Mar-chart, Peter: Wohnbau in Wien. 1923-1983. Wien: Compress Verlag 1984. S.168)

Des Weiteren wurde in einem mehrgeschossigen Mehrparteienhaus eine Anleh-nung an ein Einfamilienhaus entwickelt, indem diverse Lösungen von Maisonette-Wohnungsgrundrissen geschaffen wurden. Ein Beispiel dafür ist die, in der Abbil-dung 8 dargestellte, Blockbausanierung in der Ottakringer-Straße 5-7 im 17. Bezirk von Architekt Josef Krawina. Dieser Entwurfsansatz ermöglicht eine vertikale Tren-nung von Wohnzone zum Schafbereich. Somit wurden gleichzeitig die Installations-schächte von WC, Badezimmer und Küche effizient übereinander zusammenfasst.

Dieses Konzept der Schachtführung wurde oftmals durch eine Zusammenlegung mit der Nachbarwohnung nochmals effizienter umgesetzt, welches eine Spiegelung der Wohnungsgrundrisse voraussetzte.16

16 Marchart, Peter: Wohnbau in Wien. 1923-1983. Wien: Compress Verlag 1984. S.88

Abbildung 8: Grundriss, 1170 Ottakringer-Straße 5-7 – Hernalser Gürtel 23 (Marchart, Peter: Wohn-bau in Wien. 1923-1983. Wien: Compress Verlag 1984. S.178)

Gegen Ende der 70er Jahre wurden jedoch zunehmend die funktionellen Bezüge innerhalb der Wohneinheiten vorrangig betrachtet. So wurden oftmals die strenge Bündelung der Installationspunkte zu Gunsten einer optimaleren Grundrisslösung aufgelöst.17

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die vom Babyboom geprägten 60er Jahre eine Steigerung Wohnungsgröße zur Folge hatten. Mit steigender Haushalts-größe rückten auch die Komfortansprüche der Nutzer an die Wohnungen in den Vordergrund.18

17 Marchart, Peter: Wohnbau in Wien. 1923-1983. Wien: Compress Verlag 1984. S.88

18 Massiv-Bauweise im sozialen Wohnbau in Wien: Amann, Wolfgang u.a. 2007. S.36