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„frame“-Analyse

IV. Europäische Stellungnahmen nationaler Parlamente

2. Einzelne Stellungnahmen

Die Untersuchung konzentriert sich vor allem auf die Struktur und Wirkung von „frames“ im politischen Diskurs. Das polnische Parlament hat sich in drei Fällen direkt bei der Europäi-schen Kommission geäußert. Die drei Stellungnahmen behandeln thematisch das Streik-recht409, Wirtschaft und Währung410 und Gendergerechtigkeit411. Die zwei ersten werden in dieser Studie betrachtet. Der Bundestag hat sich dagegen hinsichtlich zwei Materien geäußert.

Zum einen hat sich das Parlament im Bereich des kollektiven Rechtsschutzes412 geäußert, zum anderen im Bereich der direkten Nahrungsmittelhilfe413. Die erste Materie wird in dieser Ana-lyse betrachtet. Das französische Parlament ist in allen drei Fällen passiv geblieben. Im Fol-genden werden die einzelnen jeweils abgegebenen Stellungnahmen dargestellt.

a. COM (2012) 130 – Streikrecht

Im Folgenden werden die Stellungnahme des polnischen Parlaments hinsichtlich der Verord-nung des Rates über die Ausübung des Rechts auf Durchführung kollektiver Maßnahmen im Kontext der Niederlassungs- und der Dienstleistungsfreiheit414 und ihr Hintergrund näher be-trachtet.

aa. Hintergrund, EU-Akt: Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit in Kollision

Das Recht auf die Durchführung kollektiver Maßnahmen, wie das Streikrecht, ist in den Mit-gliedstaaten auf unterschiedliche Art ausgestaltet. Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten sind die EU-Bürger, die zum Beispiel gemeinsam Ihr Recht auf die Durchführung eines Streiks in drei Mitgliedstaaten in Anspruch nehmen wollen, daher mit verschiedenen mitgliedstaatli-chen Regelungen konfrontiert. Demgegenüber sind die wirtschaftlimitgliedstaatli-chen Freiheiten, wie die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit im EU-Recht verankert. Daraus entsteht zunächst ein Ungleichgewicht, weil es im transnationalen Kontext einfacher ist die europäisch geregel-ten wirtschaftlichen Freiheigeregel-ten in Anspruch zu nehmen als die mitgliedstaatlich festgeleggeregel-ten Rechte auf die Durchführung kollektiver Maßnahmen zu beanspruchen.

Der Europäische Gerichtshof hat in seinen Urteilen Viking-Line415 und Laval416 zwar aner-kannt, dass das Recht auf Durchführung einer kollektiven Maßnahme, einschließlich des

409 Polnischer Sejm, 2012b., S. 1 ff.

410 Polnischer Sejm - Ausschuss Für Angelegenheiten Der Europäischen Union, 2013., S. 1 ff.

411 Polnischer Sejm, 2013., S. 1 ff.

412 Deutscher Bundestag - Rechtsausschuss, 2011., S. 4, 11.

413 Deutscher Bundestag, 2012b.S. IX, 26427 C, 26500 ff.

414 Europäische Kommission, 2012b., S. 2 ff.

415 Urteil vom 11.12.2007, Rechtssache C-438/05.

416 Urteil vom 18.12.2007, Rechtssache C-341/05.

Streikrechts, als Grundrecht zum festen Bestandteil der allgemeinen Grundsätze des EU-Rechts zählt.417 Allerdings hat das Gericht zudem festgehalten, dass die Ausübung dieses Rechts „be-stimmten Beschränkungen unterworfen werden [kann]“.418 Dadurch seien die Gewerkschaften beeinträchtigt, wenn sie Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmerrechte durchführen wollen.

Sie plädieren daher nicht zuletzt für den Vorrang der grundlegenden Sozialrechte gegenüber wirtschaftlichen Freiheiten. Demgegenüber begrüßt BusinessEurope, ein europäischer Arbeit-geberverband mit Sitz in Brüssel, die Klarstellung durch die genannte EuGH-Rechtsprechung und hält zusätzliche Rechtsvorschriften in dieser Hinsicht für nicht notwendig. Die genannten Urteile haben eine intensive Debatte zum Spannungsverhältnis zwischen der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit sowie den Arbeitsbeziehungen auf nationaler Ebene ausgelöst.419 Die vorliegende Verordnung ist ein Teil eines Pakets, mit dem die genannte Spannungsrelation zwischen den europäischen wirtschaftlichen Freiheiten und den Sozialrechten geklärt werden soll. Wenn sich demnach die EU-Bürger in einer Situation mit Bezug zum EU-Recht befinden, müssen sie nach dem Europäischen Rat die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union festgeschriebenen Rechte in Anspruch nehmen können.420 Zum Beispiel haben die Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber laut Art. 28 der Charta der Grundrechte der EU „nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten das Recht, Tarifverträge auf den geeigneten Ebenen auszuhandeln und zu schließen sowie bei Interessenkonflikten kollektive Maßnahmen zur Ver-teidigung ihrer Interessen, einschließlich Streiks, zu ergreifen“421.

Die Europäische Union wagt somit mit einer Verordnung des Rates über die Ausübung des Rechts auf Durchführung kollektiver Maßnahmen im Kontext der Niederlassungs- und der Dienstleistungsfreiheit eine Klärung des genannten Spannungsverhältnisses. Im Einzelnen werden in dem Art. 1 Abs. 1 COM (2012) 130 die Grundsätze und Bestimmungen für die Aus-übung des Grundrechts auf Durchführung kollektiver Maßnahmen im Kontext der Niederlas-sungs- und Dienstleistungsfreiheit festgelegt. Gleichzeitig wird im Art. 1 Abs. 2 COM (2012) 130 betont, dass die nationalen Grundrechte, einschließlich des Rechts oder der Freiheit zum Streik von der neuen Regelung in keiner Weise beeinträchtigt werden. Geregelt wird bei-spielsweise im Art. 3 Abs. 1 COM (2012) 130 der gleichberechtigte Zugang zu alternativen Streitbeilegungsverfahren in transnationalen Situationen oder Situationen mit einem

417 Europäische Kommission, 2012b., S. 2 ff.

418 Urteil vom 11.12.2007, Rechtssache C-438/05, Randnr. 44; Urteil vom 18.12.2007, Rechtssache C-341/05, Randnr. 91.

419 Europäische Kommission, 2012b., S. 2 ff.

420 Ibid., S. 11.

421 Europäische Union, 2000.

überschreitenden Charakter.In dieser Hinsicht sollen gem. Art. 3 Abs. 2 COM (2012) 130 Ver-fahren für Schlichtungs-, Vermittlungs- oder sonstige Mechanismen für außergerichtliche Bei-legung von Streitigkeiten aufgestellt werden. Die Rolle nationaler Gerichte soll laut Art. 3 Abs.

4 COM (2012) 130 durch die Inanspruchnahme solcher alternativen Verfahren unbeschadet bleiben.422

Zum ersten Mal hat sich der „Sejm“ im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik in Bezug auf die vorgeschlagene Verordnung des Rates über die Ausübung des Rechts auf Durchführung kol-lektiver Maßnahmen im Kontext der Niederlassungs- und der Dienstleistungsfreiheit direkt beteiligt. Die Europäische Kommission hat das Dokument am 21.03.2012 ausgefertigt.423 Dis-kutiert wurde der europäische Vorschlag in Polen öffentlich im Ausschuss für die Europäische Union.424 Die gegenüber der genannten Verordnung ablehnende Stellungnahme des „Sejm“

wurde im Plenum am 11.05.2012 angenommen.425 Das Dokument wurde im Plenum nicht dis-kutiert, sondern lediglich angenommen.426 Alle Parteien haben für den Parlamentsvorschlag gestimmt. Niemand war dagegen und niemand hat sich enthalten.427

Die Argumente aus der Stellungnahme werden im Folgenden präsentiert.

bb. Argumente in der Stellungnahme

Bei dieser Stellungnahme handelt es sich um eine Subsidiaritätsrüge im Bereich der Niederlas-sungs- und Dienstleistungsfreiheit gegenüber der Verordnung des Rates über die Ausübung des Rechts auf Durchführung kollektiver Maßnahmen im Kontext der Niederlassungs- und der Dienstleistungsfreiheit. Der Rat schlägt vor, dass Kollektivhandlungen, wie das Streikrecht, auf EU-Ebene geregelt werden sollten. Die Hintergrundidee ist hierbei, dass die Konfliktfälle zwi-schen den genannten Freiheiten und dem Streikrecht besser auf EU-Ebene gelöst werden kön-nen. Das polnische Parlament sieht keine Notwendigkeit für ein solches Handeln. Es verweist auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes. Der EuGH betont, dass das Recht auf Durchführung von Kollektivhandlungen als ein europäisches Grundrecht angesehen werden kann. Dieses Recht kann Einschränkungen unterliegen, die sich beispielsweise aus der Dienst-leistungsfreiheit ergeben. In diesem Sinne beinhaltet laut „Sejm“ die genannte Verordnung nichts Neues. Der europäische Vorschlag würde lediglich den aktuellen Status quo bestätigen.

Zudem fehle dem Vorschlag eine hinreichende Begründung, wieso eine europäische Regelung den genannten Konfliktfall zwischen der Dienstleistungsfreiheit und den genannten Rechten

422 Europäische Kommission, 2012b.S. 19 ff.

423 Ibid.

424 Polnischer Sejm - Ausschuss Für Angelegenheiten Der Europäischen Union, 2012.

425 Polnischer Sejm, 2012b.

426 Polnischer Sejm, 2012a.

besser lösen könne, als die bestehenden nationalen Lösungen. Daher plädiert das polnische Parlament für die Unverbindlichkeit des europäischen Vorschlages.428

Die „frames“ aus der Stellungnahme werden im nächsten Schritt genannt.

cc. „Frames“ aus der Stellungnahme

IV. 1. Tabelle: Deutungen aus der Stellungnahme des „Sejm“ zu COM (2012) 130 Sejm (PO, PiS, RP, PSL, SLD, SP)

Keine hinreichende Begründung, wieso eine EU-Lösung besser sein soll als bereits bestehen-de nationale Lösungen.

Kollektive Handlungen (Streikrecht) als bereits bestehendes europäisches Grundrecht.

Stellenweise mögliche Einschränkung des Streikrechts durch Dienstleistungsfreiheit.

Keine Erneuerung durch den EU-Vorschlag. Bestätigung des Status quo durch die parlamen-tarische Stellungnahme.

Unverbindlicher Vorschlag als bessere Lösung.

Quelle: selbst erstellt, nach Stellungnahme zu COM (2012) 130.429

In der IV. 1. Tabelle werden die Deutungen aus der Stellungname des „Sejm“ in einer Spalte zusammengefasst, weil sich alle Parteien diesbezüglich einig waren.

b. COM(2013) 166 - Europäische Wirtschafts- und Währungsunion

Im Folgenden werden die Stellungnahme des polnischen Parlaments hinsichtlich der „Mittei-lung der Europäischen Kommission an das Europäische Parlament und den Rat; auf dem Weg zu einer vertieften und echten Wirtschafts- und Währungsunion“430 und ihr Kontext näher be-trachtet.

aa. Hintergrund, EU-Akt: krisenfeste Europäische Integration durch Vorabkoordinierung?

Die in den Jahren 2007 bis 2013 herrschenden Wirtschafts-, Finanz- und Staatsschuldenkrisen haben die gravierenden Schwächen der geltenden wirtschaftspolitischen Steuerung in der EU und in der Wirtschafts- und Währungsunion verdeutlicht. Die Reform der europäischen wirt-schaftspolitischen Steuerung wurde daher auf die politische Agenda gesetzt. In dieser Hinsicht wurde die Überwachung der Wirtschafts-, Haushalts- und Strukturpolitik der Mitgliedstaaten im Europäischen Semester zusammengelegt. Da der am 01.01.2013 in Kraft getretene Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion

427 Polnischer Sejm, 2012c.

428 Polnischer Sejm, 2012b.

429 Ibid., 1 f., Polnischer Sejm, 2012c.

dings keine strukturierte Voraberörterung und –koordinierung geplanter größerer wirtschafts-politischer Reformen im Sinne von Art. 11 des genannten Vertrages vorsieht, sind weitere le-gislatorische Regelungen notwendig geworden. Aus diesem Grund formulierte die Europäische Kommission eine Mitteilung, die einen Beitrag insbesondere in der Diskussion mit dem Euro-päischen Parlament, den Mitgliedstaaten und den nationalen Parlamenten darstellen sollte. Im Allgemeinen soll präventive und korrektive wirtschaftspolitische Beaufsichtigung und Krisen-überwachung die EU vor weiteren Krisen schützen.431 In der „Mitteilung der Europäischen Kommission an das Europäische Parlament und den Rat; auf dem Weg zu einer vertieften und echten Wirtschafts- und Währungsunion“ vom 20.03.2013432 wird unter anderem eine Vorab-koordinierung der nationalen Wirtschaftsreformen vorgeschlagen. Demnach sollen „größere wirtschaftspolitische Reformvorhaben der Mitgliedstaaten auf EU-Ebene bewertet und erörtert werden, bevor auf nationaler Ebene endgültige Entscheidungen fallen“. Die Grundlage für die-sen Vorschlag wird dem Artikel 121 Absatz 1 AEUV entnommen, in dem es heißt: „Die Mit-gliedstaaten betrachten ihre Wirtschaftspolitik als eine Angelegenheit von gemeinsamem Inte-resse“433. Auf diese Weise sollen mögliche Übertragungseffekte der Wirtschaftsreformen eines Mitgliedstaates auf andere Mitgliedstaaten bzw. den Euroraum und die EU bereits im nationa-len Entscheidungsprozess berücksichtigt werden.434 Überwacht werden in erster Linie Refor-men am Produkt-, Dienstleistungs- und Arbeitsmarkt sowie SteuerreforRefor-men. Zudem soll die Belastbarkeit der Finanzmärkte beaufsichtigt werden. Eine Vorabkoordinierung neuer wirt-schaftspolitischer Reformen bedeutet beispielsweise eine Abwägung möglicher Gefahren, wie zum Beispiel etwaiger Reformwiderstände im Inland. Die von der Europäischen Kommission vorgeschlagen Maßnahmen sollen für alle Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets gelten.

Es soll darüber hinaus möglich sein, weitere Mitgliedstaaten einzubeziehen. Der Mitteilung zur Folge wird das Verfahren zu einem integralen Bestandteil des Europäischen Semesters.435 Gleichzeitig betont die Europäische Kommission, dass das nationalstaatliche Verfahren in vol-lem Umfang respektiert und die Entscheidung über das Reformvorhaben dem betroffenen Mit-gliedstaat überlassen wird.436

Dieser Vorschlag der Europäischen Kommission hat zur ablehnenden Reaktion seitens des polnischen Parlaments437 geführt. Die Stellungnahme wurde allerdings nicht im Plenum

430 Europäische Kommission, 2013a.

431 Ibid., , S. 2 f.

432 Ibid.

433 Ibid., S. 2.

434 Ibid., S. 3.

435 Ibid., S. 4 f.

436 Ibid., S. 5.

437 Polnischer Sejm - Ausschuss Für Angelegenheiten Der Europäischen Union, 2013.

stimmt. Dementsprechend liegen die diesbezüglichen Einstellungen der einzelnen Parteien nicht vor. Lediglich der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union hat über die Stellungnahme öffentlich debattiert, diese angenommen und anschließend im Namen des

„Sejm“ am 21.06.2013 an die Europäische Kommission geschickt.438 Im Folgenden werden die Argumente aus der Stellungnahme dargestellt.

bb. Argumente in der Stellungnahme

Einstufen lässt sich diese Stellungnahme als Pflege des politischen Dialogs, weil weder ein Subsidiaritätsverstoß noch die Unverhältnismäßigkeit direkt gemahnt werden. Trotzdem han-delt es sich hierbei um einen Dialog über Subsidiarität, weil zwischen europäischer oder natio-naler Lösung abgewogen wird. Die polnische Parlamentsstellungnahme liefert erste Indizien dafür, wie der Bereich europäischer Wirtschafts- und Währungsunion in Polen gedeutet wird.

Die Stellungnahme enthält drei essentielle Teile. Erstens spricht sich polnisches Parlament dafür aus, dass eine Koordination der Wirtschaftspolitiken der Euro-Mitgliedstaaten auch eine ex-ante Koordination nationaler Reformprogrammen in diesen Mitgliedstaaten enthalten soll.

Dies ist in der oben genannten Mitteilung der Europäischen Kommission vorgesehen. Zweitens sollte diese ex-ante Kontrolle allerdings auf den bereits angenommenen Mechanismen beruhen.

Drittens sollten die ex-ante-Regelungen, laut „Sejm“, nur für die Mitgliedstaaten der Euro-gruppe gelten. Die Beteiligung der Mitgliedstaaten außerhalb der EuroEuro-gruppe sollte auf Frei-willigkeit basieren.439

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das polnische Parlament generell eine größere Integration im Bereich europäischer Wirtschafts- und Währungsunion befürwortet und diese konzeptionell mitgestalten will. Die Regelungen über eine stärkere Integration in diesem Be-reich sollten allerdings zunächst nur für die Eurogruppe verbindlich sein, deren Mitglied Polen nicht ist. Das polnische Parlament will somit konzeptionell mitgestalten trotz seiner Zurückhal-tung bei der Umsetzung des genannten weiteren Integrationsschrittes im Bereich der Wirt-schafts- und Währungsunion.

Im nächsten Schritt werden die „frames“ aus der Stellungnahme genannt.

cc. „Frames“ aus der Stellungnahme

Die IV. 2. Tabelle fasst die relevantesten Deutungen aus der gerade diskutierten Stellungnahme noch einmal zusammen.

IV. 2. Tabelle: Deutungen aus der Stellungnahme des „Sejm“ zu COM (2013) 166

438 Ibid.

Sejm (Ausschuss für die Angelegenheiten der EU)

Notwendigkeit der ex-ante Koordination der nationalen Reformen in den Mitgliedstaaten der Eurogruppe als Ergänzung der Koordination der Wirtschaftspolitiken in diesen Ländern.

Keine Notwendigkeit neuer Lösungen hinsichtlich der ex-ante Koordination der Reformen der mitgliedstaatlichen Wirtschaftspolitiken. Betonung der Verlässlichkeit gegenwärtiger Lösungen.

Verbindliche ex-ante Koordination nur für die Eurogruppe.

Unverbindliche ex-ante Koordination für die Mitgliedstaaten außerhalb der Eurozone.

Notwendigkeit des Abwartens der Erfahrungen hinsichtlich der ex-ante Koordination aus dem europäischen Semester.

Quelle: selbst erstellt, nach Stellungnahme zu COM (2013) 166.440

c. SEC (2011) 173 Kollektiver Rechtsschutz

Im Folgenden werden die Stellungnahme des deutschen Parlaments in Bezug auf das „Arbeits-dokument der Kommissionsdienststellen. Öffentliche Konsultation: Kollektiver Rechtsschutz:

Hin zu einem kohärenten europäischen Ansatz“ und ihr Kontext näher betrachtet.441

aa. Hintergrund, EU-Akt: Bessere Durchsetzung des Unionsrechts durch Stärkung der Zivilgesellschaft?

Im EU-Recht wird die Durchsetzung des Unionsrechts an mehreren Stellen zugesichert. Ge-mäß Art. 47 Abs. 1 Charta der Grundrechte der EU442 hat jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, Anspruch auf einen wirk-samen Rechtsbehelf. Dieses Recht wird durch den Grundsatz des wirkwirk-samen Rechtsschutzes im Art. 19 Abs. 1 EUV443 untermauert. Allerdings ist die Durchsetzung des Unionsrechts nicht in allen Fällen gesichert. Ein Beispiel dafür ist der Bereich der Digitaltechnik, in dem wegen mangelnder Transparenz vor allem bei den Verbraucherrechten die Durchsetzung des Unions-rechts bisweilen schwierig sei.444 Dadurch entstehen Unsicherheit und die Vorstellung eines als schwer zugänglich empfundenen Rechtswegs, die eine ungeeignete Vertrauensbasis zum Bei-spiel für die Entwicklung des grenzüberschreitenden Internethandels darstellen.445 Wenn in

439 Ibid.

440 Ibid.

441 Europäische Kommission, 2011.

442 Europäische Union, 2000.

443 Europäische Union, 2007.

444 Europäische Kommission, 2010., z.B. S. 9.

445 Europäische Kommission, 2011., S. 3.

einer solchen Situation mehrere Bürger oder Unternehmen betroffen sind, sind sie zunächst mit einer Vielfalt der nationalen Regelungen und ihrer unterschiedlichen Wirkungen konfrontiert.

Daher stelle das Fehlen eines kohärenten Ansatzes beim kollektiven Rechtsschutz auf EU-Ebene ein Hindernis bei der überall in gleicher Weise vorzunehmenden Vollstreckung der Rechte der Betroffenen dar.446 Gerade in Fällen mit einer Vielzahl der Betroffenen seien Indi-vidualklagen nicht das geeignete Mittel um die Verletzung des EU-Rechts abzustellen oder die Betroffenen zu entschädigen, weil oft der individuelle Verlust im Verhältnis zu den Prozess-kosten relativ gering sei. Zudem kommt der Umstand, dass die Gerichte vieler Mitgliedstaaten nicht auf eine individuelle Klageflut ausgerichtet seien. Dies gelte teilweise für kollektive Un-terlassungsklagen, aber vor allem für Klagen auf Schadensersatz.447 Da die Anzahl solcher Fäl-le, in den das EU-Recht durchgesetzt werden muss, auf Grund der Erweiterung der EU und somit des rechtlichen Geltungsbereichs des EU-Rechts zugenommen hat, stellt die Europäische Kommission eine Erweiterung der bisherigen Rechtsschutzmöglichkeiten zur Debatte.448 Damit langwierige und kostspielige einzelne Gerichtsverfahren vermieden werden, plädiert die Euro-päische Kommission für die Möglichkeit einer Zusammenfassung der individuellen Klagen in einem einzigen Verfahren, das sich für die Streitparteien nicht zuletzt finanziell lohnen solle.

Zudem würde mit kollektiven Rechtschutzinstrumenten dem Problem des wiederholten Pro-zessierens und der Gefahr der sich widersprechender Entscheidungen entgegengewirkt.449 Unter kollektivem Rechtschutz versteht die Europäische Kommission sämtliche Verfahren mit denen die Unterlassung oder Verhütung unerlaubter Geschäftspraktiken mit nachteiligen Fol-gen für eine Vielzahl von Klägern oder der Ersatz des durch derartige Praktiken entstandenen Schadens erwirkt werden kann. Im Rahmen des kollektiven Rechtsschutzes sind mehrere Ver-fahren vorstellbar. Mit der Unterlassungsklage suchen die Kläger die Fortsetzung unzulässiger Geschäftspraktiken zu unterbinden. Mit Hilfe der Schadensersatzklage wird eine Entschädi-gung für den im gleichen Kontext entstandenen Schaden erstritten.450 Darüber hinaus können außergerichtliche kollektive Streitbeilegungsmechanismen zur Anwendung kommen. Solche Verfahren, an den sich Dritte beteiligen, sind zum Beispiel Schlichtung oder Mediation. Zu-dem können sich die Streitparteien auf eine gütliche Einigung untereinander verständigen.451 Die Europäische Kommission sieht zwar die mit den kollektiven Rechtsschutzinstrumenten verbundene Gefahr des Missbrauchs, wie er teilweise in den USA mit den so genannten „class

446 Ibid., S. 5.

447 Ibid., S. 3.

448 Ibid., S. 2.

449 Ibid., S. 8.

450 Ibid., S. 3 f.

451 Ibid., S. 9.

actions“ getrieben wird. Allerdings wird betont, dass solche missbräuchliche Nutzung kollekti-ver Rechtschutzinstrumente mit der europäischen Rechtstradition nicht kollekti-vereinbar sei.452

Während zahlreiche Verbraucherschutzorganisationen eine europäische Regelung zu kol-lektiven Schadensersatzklagen begrüßen würden, fürchten die Vertreter der Wirtschaft vielfach die Gefahr eines Klagemissbrauchs. Zudem befürchten die Befragten eine Inkongruenz zwi-schen den unterschiedlichen Kommissionsvorschlägen zur Durchsetzung der kollektiven Scha-densersatzansprüche und plädieren verstärkt für mehr Kohärenz in dieser Hinsicht.453

In dem Entwurf mit dem Titel „Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen. Öffentliche Konsultation: Kollektiver Rechtsschutz: Hin zu einem kohärenten europäischen Ansatz“ vom 04.02.2011 wird somit für die Ausweitung des kollektiven Rechtsschutzes in den Mitgliedstaa-ten plädiert. Auf diese Weise sollen Defizite bei der Durchsetzung des EU-Rechts beseitigt werden.454 Das Dokument wurde im Rechtsausschuss des Bundestages behandelt.455 Ein Pro-tokoll hierzu wurde allerdings nicht veröffentlicht. Am 26.05.2011 wurde eine Parlamentsstel-lungnahme im Plenum des Bundestages ohne eine Debatte darüber angenommen.456 Dafür wa-ren CDU/CSU sowie FDP. Dagegen stimmten Bündnis 90/ Die Grünen und SPD. Enthalten hat sich die Linksfraktion.457

Im nächsten Schritt werden die Argumente aus der Stellungnahme dargestellt.

bb. Argumente in der Stellungnahme

Die Hauptargumente für die Annahme der Stellungnahme werden im Folgenden kurz geschil-dert. Die CDU/CSU argumentiert, dass die positiven Folgen einer Einführung neuer kollektiver Rechtsschutzinstrumente nicht hinreichend belegt seien. Sowohl im deutschen als auch im eu-ropäischen Recht bestünden für grenzüberschreitende Sachverhalte bereits ausreichende Rechtsschutzmöglichkeiten, um materielle Rechte verfahrensrechtlich durchzusetzen. Es sei auch fraglich, inwieweit die EU eine Kompetenz zur Regelung kollektiver Rechtsschutzin-strumente habe. Die US-amerikanische Erfahrung zeige, dass Erfolgshonorare eher zur Ge-winnerzielung statt zur Rechtsdurchsetzung führen würden. Durch kollektive Rechtsschutzin-strumente könnten laut CDU/CSU auch justizielle Rechte gefährdet sein, wenn Verbraucher in einer Klägergruppe keine Informationen über den Prozess erhalten würden. Sie könnten dieser

452 Ibid., S. 10 f.

453 Ibid., S. 5 f.

454 Ibid.

455 Deutscher Bundestag - Rechtsausschuss, 2011., S. 4, 11.

456 Deutscher Bundestag, 2012a., S. 12650 A.

457 Ibid., S. 12650 A.

Ansicht nach auch keinen Einfluss darauf nehmen, dass die abschließende gerichtliche Ent-scheidung auch ihnen gegenüber in Rechtskraft erwachse.458

Der SPD geht die mit dieser Kritik verbundene kategorische Ablehnung von Sammelklagen allerdings zu weit, obwohl sie viele Kritikpunkte teilt. Die Sozialdemokraten bemängeln, dass

Der SPD geht die mit dieser Kritik verbundene kategorische Ablehnung von Sammelklagen allerdings zu weit, obwohl sie viele Kritikpunkte teilt. Die Sozialdemokraten bemängeln, dass