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Einordnung der Fragestellung in die aktuelle Diskussion

2 Das Konzept väterlichen Sorgehandelns in

3.3 Einordnung der Fragestellung in die aktuelle Diskussion

Die Ausführungen zur Literatur der Vaterforschung weisen auf die Ambivalenz der Dis-kussion und der empirischen Ergebnisse hin. Einerseits wird zunehmend eine väterliche Abwesenheit oder gar eine Vaterlosigkeit postuliert, zum anderen findet sich eine ver-stärkte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit „neuen“ Väterformen. Viele Studien beziehen sich primär auf die erlebte und weniger die gelebte Vaterschaft, wie die unter-schiedlichen Vaterschaftskonzepte deutlich machen. Die alltägliche Ausgestaltung bleibt häufig dahinter verborgen. Die dargestellte Ambivalenz betrifft insbesondere die Situation getrennt lebender Väter. Auch sie sehen sich zunehmend mit gesteigerten Erwartungen an eine aktive Vaterschaft konfrontiert und stellen auch selbst gesteigerte Anforderungen an ihr Sorgehandeln; gleichzeitig verbringen sie jedoch aufgrund der räumlichen Trennung weniger Zeit mit ihren Kindern und verlieren ein Stück Alltäglichkeit. Insgesamt liegen nur wenige und wenig systematische Erkenntnisse darüber vor, wie Männer zu (aktiv han-delnden) Vätern werden oder was sie vom Vatersein und aktiver Vaterschaft abhält (Hobson 2002; Knijn et al. 2007: 191; Ostner 2002: 150; Walter 2002b: 50). Trotz des Anstiegs des Anteils wissenschaftlicher Beiträge sowohl über allein erziehende Elternteile als auch über Vaterschaft, bestehen immer noch wenig gesicherte Erkenntnisse über ge-trennt lebende Väter. Das Wissen über ihr väterliches Sorgehandeln sowie dessen Rahmenbedingungen bleibt fragmentiert und wenig systematisiert (Forsa 2002: 26;

Depner/Bray 1993b: 182; Walter 2002b: 50). Ferner konzentrieren sich die wenigen Stu-dien, die sich mit den abwesenden Vätern auseinandersetzen, entweder auf bestimmte

so-ziale Gruppen wie z.B. Ehepaare, bestimmte Altersklassen der Kinder, oder die Er-fassungs(zeit)räume sind begrenzt. Neben methodischen Einschränkungen nehmen einige Studien eine inhaltlich restringierte Perspektive ein. So ist kaum eine Studie bekannt, die in ausreichendem Umfang Determinanten des väterlichen Sorgeverhaltens untersucht hätte (Jaursch 2003: 215; Depner/Bray 1993b: 182). Auf der anderen Seiten – der Erklärungs-größe – integrieren Untersuchungen häufig nur Teilaspekte väterlichen Sorgehandelns;

ökonomische und sozio-emotionale Aspekte müssen jedoch verstärkt gemeinsam berück-sichtigt werden (Forste 2002: 596). Methodisch basieren die dargestellten Untersuchungen entweder auf qualitativen Interviews (Matzner 2004; Moch 2002, Napp-Peters 1995) oder quantitativen Daten, die Mängel aufweisen (Amendt 2004).

Die Datensätze, die der vorliegenden Untersuchung als Datengrundlage dienen, stellen dabei die wenigen quantitativ erhobenen Ausnahmen dar. Sie verfügen über Daten-material, das sowohl die Betrachtung des väterlichen Care als auch des Cash ermöglicht.

Dabei weicht die Perspektive der folgenden Untersuchung in einigen Teilen von denen der Primäranalysen ab. Insgesamt konzentriert sich die Forsa-Studie gemäß ihrer Frage-stellung auf die ökonomische Dimension väterlichen Sorgehandelns. Die Analyse bleibt dabei v.a. der bivariaten Ebene, dargestellt in einfachen Kreuztabellen, verhaftet. Neben den finanziellen Regelungen werden zwar auch Aspekte des Sorgerechts und der Um-gangsregelung berücksichtigt, doch diese werden primär als Erklärungsfaktoren (nicht) ausbleibender Unterhaltszahlungen verwendet. Die Studie bleibt eine theoretische Fun-dierung ihrer Analyse schuldig. Des Weiteren steht nicht explizit die Perspektive der ge-trennt lebenden Väter im Vordergrund, sondern vielmehr die Gegenüberstellung der An-gaben von unterhaltsberechtigten und –pflichtigen Elternteilen nach der Trennung unab-hängig von ihrem Geschlecht.

Innerhalb der britischen Analyse liegt der Fokus bei der sozio-emotionalen Komponente väterlichen Sorgehandelns auf der Erklärung eines regelmäßigen Kontakts. Kontaktab-brüche werden darüber hinaus nicht gesondert untersucht. Mit Blick auf die finanziellen Aspekte werden die Ergebnisse der drei Gruppen von Zahlungspraktiken gegenüber ge-stellt. Es wird differenziert zwischen derzeit zahlenden, früher zahlenden und nie zahlen-den Vätern. Dabei wird auf multipler Ebene v.a. die Gruppe der aktuell Unterhaltsleisten-den analysiert. Die Untersuchung der Väter, die ihrer finanziellen Verpflichtung nicht (mehr) nachkommen, bleibt rein deskriptiv. Anders als in der Forsa-Studie wird in der britischen Ergebnisdarstellung der multiplen Analyse stärkere Bedeutung beigemessen.

Entgegen der britischen und deutschen Studie werden im norwegischen Fall nicht die finanziellen Aspekte bei der Analyse in den Vordergrund gestellt. Unterhaltsprobleme werden gar nicht betrachtet; die Analyse wird auf finanzielle Schwierigkeiten der Trennungsväter generell beschränkt. Diesen kommt jedoch in der Darstellung der

Ergeb-nisse nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Die Kontakthäufigkeit in Form gemeinsam verbrachter Tage wird ausführlicher analysiert.

Die folgende Untersuchung wird explizit und systematisch beide Dimensionen väterlichen Sorgehandelns in Form von Care und Cash in den Blick nehmen. Das Care-Konzept wird dabei über die bisher rein quantitative Operationalisierung des Kontakts hinaus qualitative Aspekte, wie z.B. die Ausgestaltung des Kontakts, integrieren. Methodisch werden sowohl bivariate als auch multiple Analysen vorgenommen. Die bisherigen Ergebnisse in allen drei Datensätzen wurden primär auf bivariater Ebene dargestellt. Die z.T. durchgeführten multiplen Berechnungen werden nur unzureichend erläutert. Anders als in den bisherigen Analysen üblich dient die empirische Untersuchung hier explizit der Testung theoretisch fundierter Hypothesen als Teil einer Gesamttheorie.

Insgesamt schließt die vorliegende Arbeit damit an folgende Desiderate an:

• das Fehlen der väterlichen Perspektive

• die systematische Untersuchung väterlichen Sorgehandelns,

• die Differenzierung in Form von Care und Cash,

• die explizite Überprüfung von theoretisch fundierten Hypothesen in unterschied-lichen sozialen Kontexten,

• sowie die Analyse quantitativer Individualdaten auf bivariater und multipler Ebene.

Zur Stärkung der väterlichen Perspektive, die in der bisherigen Literatur häufig vernach-lässigt worden ist, geht die Untersuchung explizit von den Angaben der Nachtrennungs-väter aus. Das bedeutet, es werden Informationen der Akteure zu ihrem eigenen Handeln analysiert. Einige Studien gehen aufgrund der traditionellen Arbeitsteilung davon aus, dass Mütter die besseren Informantinnen mit Blick auf die familiale Alltagspraxis seien (Snarey 1993: 43). Die Konzentration auf spezifische Familienmitglieder widerspricht jedoch der traditionellen familiensoziologischen Herangehensweise (Kjeldstad 2000: 352).

Gegen die Fokussierung allein auf väterliche Angaben kann ferner kritisch angeführt wer-den, dass die Perspektive der allein erziehenden Mütter zusätzlich notwendig sei, um ein gesichertes Gesamtbild des väterlichen Sorgehandelns zu erhalten (Hill 2005: 176). So zeigen die empirischen Ergebnisse starke Unterschiede im Niveau väterlichen Sorge-handelns sowohl beim Care als auch beim Cash, je nachdem welche elterliche Perspektive eingenommen wird (Braver et al. 1993; Bradshaw et al 1999; Skevik 2006a: 122;

Marsiglio et al. 2000: 1180; Forsa 2002). Andere fordern die Untersuchung der Bedürf-nisse, Wünsche und Forderungen aller beteiligten Familienmitglieder (Eltern wie Kinder), wenn aus den Forschungsergebnissen Handlungskonsequenzen abgeleitet werden sollen.

Eine Optimierung der Rahmenbedingungen aus Sicht der Kinder ist noch lange keine für die Eltern und umgekehrt (Marsiglio et al. 2000: 1179).

Den Einwänden wird an dieser Stelle entgegengehalten, dass das väterliche Engagement in seiner Einzigartigkeit und nicht in Relation zum mütterlichen Sorgehandeln betrachtet werden muss. Die Angaben der Männer werden hier als valide männliche Erfahrungen akzeptiert – nicht mit den Geschichten der ehemaligen Partnerinnen und Mütter verglichen oder evaluiert (Smart/Neale 1999: 42; Fthenakis 1999: 40). Für den Vater und sein Han-deln ist das relevant, was er selbst wahrnimmt. Das bedeutet, im Moment der Handlung sind für den Vater die subjektiven, jeweils real vorliegenden, wenn auch möglicherweise falsch wahrgenommenen Situationsbedingungen relevant (Esser 1999: 63). Zur Erklärung des väterlichen Sorgehandelns ist damit die Perspektive der Kindsmutter nur insofern von Bedeutung, wie sie selbst das Handeln mitbestimmt, indem sie beispielsweise den Kontakt zwischen Vater und Kind ermöglicht bzw. verhindert. Doch auch wenn Mutter und Kind den Kontakt zulassen müssen, sind es primär die Väter, die darüber entscheiden, wie sie sich verhalten (wollen). Des Weiteren ist anzumerken, dass sich die Analyse dem väter-lichen Sorgehandeln über die reine Kontakthäufigkeit hinaus widmet. Zur Ausgestaltung des Kontakts zwischen getrennt lebenden Vater und Kind kann die Kindsmutter aufgrund ihrer fehlenden Anwesenheit selten ausreichend Auskunft geben.

TEIL II: THEORETISCHER RAHMEN

4 Die Handlungstheorie

Ziel der Arbeit ist es nicht, das konkrete Verhalten eines bestimmten Vaters zu erklären.

Vielmehr geht es um die Analyse generalisierten Handelns von Nachtrennungsvätern. Das bedeutet, es werden unterschiedliche Verhaltensmuster auf der Makro-Ebene ausgemacht und untersucht. Diese generellen Muster basieren auf individuellen Handlungsentschei-dungen und –umsetzungen. Das entspricht den Annahmen des methodologischen Indivi-dualismus, nach dem die individuellen Akteure die ursprüngliche Quelle und die aus-führenden Träger jeglichen Handelns darstellen (Lindenberg 1981: 20; Esser 1999: 27;

Schimank 2004: 293; Greshoff/Schimank 2003: 3; Himmelweit 2002: 232). Selbst die Relation zwischen zwei Variablen, die auf kollektiver Ebene empirisch nachweisbar sind, kann nach diesem Grundtheorem nicht auf der Makro-Ebene bestimmt werden; vielmehr ist eine Mikrofundierung makro-soziologischer Phänomene notwendig (u.a. Esser 1999:

11; Miebach 2006: 397, 409; Kunz 2004: 25; Schmid 2004: 88). Die folgenden theo-retischen Überlegungen stellen daher die generellen Beweggründe der Väter dar, nach der elterlichen Trennung den Kontakt zu ihrem Kind (nicht) aufrechtzuerhalten bzw. ihren Unterhaltsverpflichtungen (nicht) nachzukommen. Die individuellen Väter werden als Handlungseinheiten betrachtet.

Mit Hilfe eines allgemeinen Handlungsmodells werden Determinanten väterlichen Sorge-handelns in Nachtrennungsfamilien abgeleitet. Jedoch sind nicht alle Väter in ihrem Han-deln gleich - es gibt nicht das väterliche SorgehanHan-deln – dennoch kann ihr HanHan-deln nach gleichen Kriterien nachvollzogen werden. Die Analyse sozialen Handelns stellt daher einen Versuch dar, die vorliegenden subjektiven Ziele und Mittel der Akteure objektiv richtig zu (re-)konstruieren (Esser 1999: 203). Dabei wird die Mikrofundierung primär für die Generierung theoretisch plausibler Annahmen über relevante Einflussgrößen genutzt.

Das bedeutet, die im Folgenden ausführlich dargestellte Theorie dient ausschließlich dem Aufstellen empirisch überprüfbarer Hypothesen. Damit ist es zweitrangig, inwieweit die entwickelte Theorie die Realität tatsächlich abbildet; vielmehr ist entscheidend, dass sie theoretisch nachvollziehbare Anhaltspunkte für die Suche nach den Bestimmungsfaktoren väterlichen Sorgehandelns in Nachtrennungsfamilien liefert (Kunz 2004: 151; Esser 1999:

249; Hill/Kopp 2004: 131). Sie dient als analytisches Instrument zur Reduktion der sozia-len Komplexität.

Wie andere Teildisziplinen leidet auch die internationale Familiensoziologie an einem Mangel an sozialwissenschaftlich erklärenden Theorien (Smart/Neale 1999: 2; Matzner

2004: 18; Braver et al. 1993: 87). Die vorliegende Analyse basiert daher auf der allge-meinen Handlungstheorie der rationalen Wahl – die nicht speziell für familiales Handeln entwickelt worden ist.24 Der Erklärungsansatz findet seine Ursprünge in der (neo-klassischen) ökonomischen Theorie. Insbesondere bei der Erklärung ökonomischen Han-delns, wie z.B. Kaufentscheidungen, wird das Menschenbild des homo oeconomicus un-terstellt. Nach einer Phase der Resistenz gegen die Annahmen des Modells fanden sie letztlich doch Eingang in soziologische Theorien und erfreuen sich besonders in der jüngsten Entwicklung sozialwissenschaftlicher Debatten zunehmender Beliebtheit. Dabei ist die ursprüngliche „harte“ Version der Rational Choice Theorie (kurz: RC) durch zahl-reiche Erweiterungen und Modifizierungen soziologisch „fit“ gemacht worden. Derzeit besteht innerhalb der Sozialwissenschaften eine große Vielfalt theoretischer Ansätze, die sich dem Rational Choice Paradigma verpflichtet sehen.25

Im Folgenden wird rationales Handeln verstanden als:

• eine Entscheidung zwischen Handlungsalternativen

• bestehend aus dem Abwägen von Konsequenzen, die mit Kosten und Nutzen ver-bunden sind, und

• die basierend auf (subjektiven) Bewertungen (Präferenzen und Interessen) und Erwartungen evaluiert werden.

24 Eine ausführliche Diskussion der Anwendbarkeit rationaler Handlungsannahmen auf familiales Handeln findet sich in Kap. 4.3.2 Familiales Handeln als rationale Abwägung? - Eine kritische Betrachtung.

25 Die im Folgenden dargestellten Prämissen repräsentieren das Grundmodell, über das in der Literatur re-lative Einigkeit herrscht (u.a. Opp 1999). Darüber hinaus gibt es zahlreiche Varianten die in Zahl und Form der Zusatzannahmen variieren. Unterschiede finden sich in Hinblick auf die entscheidungstheoretischen Annahmen. Es werden verschiedene Entscheidungsregeln modelliert, nach denen Akteure zwischen Hand-lungsalternativen auswählen. Damit verbunden sind je unterschiedliche Vorstellungen darüber, was für einen Akteur „bestmöglich“ heißt (Schnabel 2006: 177; Kunz 2004: 14). Des Weiteren ist der Umgang mit Ent-scheidungen unter Unsicherheit in der Literatur umstritten (u.a. Brüderl 2004: 166). Besonders im Vergleich zu den ökonomischen Ursprüngen der RC-Theorie lassen sich innerhalb sozialwissenschaftlicher Varianten entscheidende Unterschiede in den Annahmen finden. So werden beispielsweise Restriktionen und Ressour-cen innerhalb der ökonomischen Version vornehmlich auf ökonomisch-materielle Bedingungen begrenzt anstelle der Berücksichtigung umfassender Norm-Wert-Systeme, wie sie sich in den Sozialwissenschaften finden (Opp 1999: 173ff.; Burkart 1994: 39). Auf die wesentlichen Unterschiede zwischen den ökono-mischen und den hier vereinfacht als sozialwissenschaftliche Variante zusammengefassten „weicheren“

Versionen der RC-Theorie wird an den gegebenen Stellen hingewiesen. Die Unterschiede der einzelnen sozialwissenschaftlichen Ansätze liegen in Details, denen hier keine entscheidende Bedeutung beigemessen wird. Die im Wesentlichen auf die Kernannahmen der Rational Choice-Theorie beschränkten theoretischen Prämissen werden hier als ausreichend erachtet, väterliches Sorgehandeln zu erklären. Auf zusätzliche An-nahmen wird zugunsten der vorhandenen Sparsamkeit des Modells verzichtet. Aufgrund der eingeschränk-ten Daeingeschränk-tenlage führt eine theoretische Verkomplizierung des Modells zu wenig zusätzlichem Analysegewinn.

• Die Auswahl einer Handlung erfolgt nach dem Prinzip der Nutzenmaximierung (u.a. Esser 1999: 199, 248; Schmid 2004: 149; Hill/Kopp 2004: 126f.).

Dabei wird ein weites Verständnis von Rationalität angenommen, das neben ökono-mischen Präferenzen, Restriktionen und Ressourcen auch soziale Komponenten zulässt (Opp 1999: 174; Lindenberg 1981: 25). Das genaue Konzept der hier zugrunde gelegten Rationalität wird in den folgenden Abschnitten anhand des von Kühnel und Bamberg (1998) entwickelten zweistufigen Modells rationaler Handlungen konkretisiert und auf das väterliche Sorgehandeln übertragen.26